Das Energiefassmodell Ein konzeptionelles Modell zur Abgrenzung von Depression und Burnout Prof. Dr. Michael Sadre-Chirazi Stark Chefarzt, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Asklepios Westklinikum Hamburg
Burnout Von der Begeisterung zur Erschöpfung (Schürges, 2007) 1. Gibt es ein Burnout-Syndrom? 2. Was ist ein Burnout-Syndrom? 3. Wer hat ein Burnout-Syndrom? 4. Warum hat jemand ein Burnout-Syndrom? 5. Das Energiefassmodell 6. Welche Lösungswege gibt es für Betroffene?
1. Gibt es ein Burnout-Syndrom? SPIEGEL ONLINE - 03. September 2006, 12:28 URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,434906,00.html Umfrage Immer mehr Manager mit Erschöpfungssyndrom Immer mehr Führungskräfte leiden nach einer neuen Untersuchung am sogenannten Burn-out-Syndrom. Fast jeder zweite leitende Mitarbeiter ist davon betroffen. Das ist deutlich mehr als in den neunziger Jahren. 45 Prozent der Manager weisen nach eigenen Angaben Zeichen von Erschöpfung auf. Das geht aus 10.000 Interviews hervor, die die Freiburger Unternehmensberatung Saaman in den vergangenen fünf Jahren mit Managern durchgeführt hat.
1. Gibt es ein Burnout-Syndrom (2)? Mittlerweile nicht nur mehr eine Managererkrankung! Sondern breite Bevölkerungsteile sind betroffen Begriffe wie Burnout-Syndrom haben eine hohe suggestive Kraft und haben ein ansteckendes Potential! Alleine die Tatsache ihrer sprachlichen Existenz schafft schon Betroffene! Begriffe schaffen Wirklichkeiten. Dies gilt besonders für Erkrankungen, die kaum anhand harter biologischer Kriterien diagnostiziert werden können.
3. Was ist ein Burnout Syndrom
2. Definition: Burnout Der deutschstämmige Psychoanalytiker Herbert Freudenberger prägte 1974 in einem Aufsatz einen Begriff, der in den USA in kürzester Zeit populär wurde: "Burnout"
Symptomatik Emotionalität Psychosomatische Reaktionen Soziale Folgen
Emotionalität Gefühle der Hilflosigkeit Insuffizienzgefühle Verringertes Selbstwertgefühl starke Stimmungsschwankungen, häufige Depressivität, Pessimismus, Fatalismus Gefühl von innerer Leere, Apathie Bitterkeit, Ärger und Aggressivität Ungeduld, Reizbarkeit und Nervosität
Psychosomatische Reaktionen Unfähigkeit zur Entspannung in der Freizeit Schlafstörungen Muskelverspannungen Kopfschmerzen Magen-Darm-Beschwerden Vegetative Folgen (Herzklopfen, erhöhter Blutdruck) Engegefühl in der Brust Reduzierte Immunabwehr
Soziale Folgen Verflachen der Freizeitbeschäftigungen: Fernsehapparat Alkohol- und Zigarettenkonsum Missbrauch von Beruhigungsmitteln gestörtes Essverhalten Ehe- und Familienprobleme häufiger Arbeitsplatzwechsel oder Ausstieg aus dem Beruf
Phasenhafter Verlauf 1. Phase: Überaktivität übertriebenes Engagement / Hyperaktivität Gefühl der Unentbehrlichkeit Verleugnung eigener Bedürfnisse Das gesteigerte Engagement wird zunehmend von Erschöpfungssymptomen wie chronische Müdigkeit und Energiemangel begleitet.
2. Phase: Reduziertes Engagement Der Phase des Überaktivität folgt ein emotionaler, geistiger und verhaltensmäßiger Rückzug von der Arbeit und von der sozialen Umwelt allgemein. Verlust positiver Gefühle, emotionale Distanzierung Allgemeines Gefühl abzustumpfen und härter zu werden Kontaktverlust Verlust von Idealismus Negative Einstellung zur Arbeit Beginn der "inneren Kündigung Zunehmende Schuldzuweisung auf andere Entsprechende Reaktion des Arbeitsumfeldes wird als Mobbing erlebt
3. Phase: Tatsächlicher Abbau der Leistungsfähigkeit Es kommt zu einem Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit, der Motivation und der Kreativität. Konzentrationsschwäche bei der Arbeit Desorganisation: Unsystematische Arbeitsplanung Entscheidungsunfähigkeit Verringerte Initiative Fehlen von Erneuerungsvorschlägen Verringerte Flexibilität Rigides Schwarz-Weiß-Denken Dienst nach Vorschrift Widerstand gegen Veränderungen aller Art
4. Phase: Verzweiflung verstärkte Hilflosigkeitsgefühle existentielle Verzweiflung allgemeine Hoffnungslosigkeit Sinnlosigkeit des Lebens Dieser Zustand beginnt einer mittelgradigen bis schweren Depression zu gleichen
ICD 10 Diagnostik Naheliegende diagnostische Einteilungen: F 32.0 leichte depressive Episode F 32.1 mittelgradige depressive Episode F 32.8 sonstige depressive Episode F 43.2 Anpassungsstörungen
Zeitlicher Verlauf des Burnout Bergner, 2008
3. Wer hat ein Burnout-Syndrom?
3. Wer ist betroffen? Da es keine einheitlichen diagnostischen Kriterien für das Phänomen Burnout gibt, ist eine Angabe zur Häufigkeit des Burnout-Syndroms wissenschaftlich schwer möglich. Aus der Literatur: Fast immer Personen mit Mehrfachbelastungen Tätigkeiten mit hohem Zeit-, Kosten- und Termindruck bei gleichzeitig schlechtem Arbeitsklima Berufe mit relativ geringer sozialer Anerkennung z.b. Soziale und pflegerische Berufe Berufe, die in der gesellschaftlichen Kritik stehen z.b. Pädagogische Berufe
Von Burnout Betroffene Altenpfleger Ärzte Pfarrer und Priester Krankenschwestern Hebammen Erzieher Polizisten Zahnärzte Sanitäter Psychotherapeuten Sozialarbeiter Richter Gefängnispersonal Lehrer
Von Burnout Betroffene (2) Stewardessen Kundendienstmitarbeiter Journalisten darstellende Künstler Trainer Sekretärinnen Bankangestellte Steuerberater Sportler EDV-Fachleute Manager
4. Warum hat jemand ein Burnout-Syndrom?
Interaktionsmodell Burnout Faktoren Die sozioökonomischen Bedingungen Das Arbeitsumfeld Die Person I
Ursachen des Burnout Persönliche Ursachen ungünstiges Stressmanagement hohe Erwartungen und Ansprüche an sich selbst starke Emotionalität labiles und geringes Selbstwertgefühl ausgeprägter Wunsch nach Anerkennung unrealistische Situationswahrnehmung bzw. Erwartungen
Soziale und organisationspsychologische Ursachen Unklare Erfolgskriterien Fehlendes Feedback wenig Anerkennung Mangel an Autonomie und Handlungsspielraum wenig Entfaltungsspielraum Überforderung und Zeitdruck negatives betriebliches Klima Allgemeine Unzufriedenheit gleichförmige Routine wenig soziale Unterstützung
Neue sozioökonomische Bedingungen
25.4.2005
Die ökonomischen Bedingungen verschärfen sich Forderungen an den modernen Arbeitnehmer: Höchstmass an Mobilität Höchstmass an Flexibilität: bzgl. Arbeitsfeld bzgl. Zeitmanagement Höchstmass von Weiterbildungsanforderungen
Die Haltefunktionen brechen weg Verläßlichkeit des Arbeitsplatzes - keine Zukunft Familie - nur noch am Wochenende Soziales Netz, Freunde, Hobbies - keine Zeit Gesundheitsfürsorge wie Sport - keine Zeit
Hartz IV und die Folgen Arbeitslos mit 40? Geringe Chancen auf Wiedereinstellung unabhängig von der Qualifikation massive Kränkung im psycho-sozialen Rahmen Sinnkrise Finanzielle Basis nach zwei Jahren auf Sozialhilfeniveau Existentielle Bedrohung Zerstörung von Lebensvisionen im Alter
Die neuen Arbeitsbelastungen? Überhöhte Anforderungen Geringe Beeinflußbarkeit Geringe Berechenbarkeit (Expertenurteil DAK Report 2005)
Die Botschaft der ökonomischen Rahmenbedingungen keine Sicherheit mehr, im Ausbildungsberuf zu bleiben keine Sicherheit mehr, am Lebensort berufstätig sein zu können keine Sicherheit mehr, seinen Lebensunterhalt bis ins Alter erwirtschaften zu können Konsequenz: Keine sicheren Lebensziele, keine planbaren mehr formulierbar Visionen
Interaktionsmodell Burnout Faktoren Die sozioökonomischen Bedingungen Das Arbeitsumfeld Die Person I
Die Folgen: Gesellschaftliche Dimension BRD Rückgang des Krankenstandes bei gleichzeitiger Zunahme von psychischen Erkrankungen (Dtsch. Ärzteblatt 4/2005) vierthäufigste Ursache für Fehltage Angst- und Depressionen die häufigsten Krankheitsbilder (DAK Bericht 2005/2007) Krankschreibungen aus psychischen Gründen um 20 % gestiegen in den letzten 5 Jahren
Die Folgen: Gesellschaftliche Dimension (2) BRD Diagnose Depression stieg auf Rang 3 der wichtigsten Einzeldiagnosen für Arbeitsunfähigkeit, nur noch übertroffen von Rückenschmerzen und Atemwegserkrankungen bedeutsamsten Zuwächse 2001-2004 entfallen vollständig auf Diagnosen aus dem Bereich Psychische Störungen überproportionaler Anstieg bei Arbeitslosen um 13,5 %, bei Berufstätigen nur um 2,7% Quellen: DAK Report 2005, Gesundheitsreport TK 2005
Die Folgen: Gesellschaftliche Dimension (3) Großbritannien: Arbeitsmediziner berichten über Abnahme der Krankschreibungen von Rückenschmerzen von 42% seit 1994 bei gleichzeitiger Zunahme der psychischen Erkrankungen USA: 16 % der Amerikaner sind einmal im Leben depressiv, die Krankheit Depression kostet den Haushalt jährlich 44 Milliarden $
Die Folgen: Gesellschaftliche Dimension (4) WHO Prognose Global Burden durch depressive Erkrankungen: 1990 an 4. Stelle 2020 an 1. Stelle
Die Folgen: Individuelle Dimension Der Leistungsdruck wird größer; subjektiv und objektiv Der individuelle Erwartungsdruck an sich selbst wird größer Es fehlt das Gegenregulativ Familie Soziales Netz Gesundheitsfürsorge
Haltefunktionen brechen weg Verläßlichkeit des Arbeitsplatzes - keine Zukunft Familie - nur noch am Wochenende Soziales Netz, Freunde, Hobbies - keine Zeit Gesundheitsfürsorge wie Sport - keine Zeit
Fehlende Gegenregulation Die gesellschaftlich transportierten Gegenmechanismen: Konsum aller Art: mein Haus, mein Auto, mein Boot außergewöhnliche und damit kostspielige Urlaube sind in direktem Maße kontraproduktiv. Keine Kompensation oder Erholung, sondern Beschleunigung der psychischen wie physischen Erschöpfung.
5. Das Energiefassmodell
Energiefaßmodell Wie steht es mit unserer Kraft
Das Energiefass Es gibt Dinge, Erlebnisse, Aufgaben, die uns Kraft kosten
Das Energiefass Es gibt Dinge, Erlebnisse, Aktivitäten, die uns Kraft geben
Das Energiefass Wie voll ist unser Energiefass?
Das Energiefass Lebensfelder Kraftspender 1 Arbeit 2 Familie 1 2 3 4 3 Freizeit 4 Gesundheit Quelle: Stark & Sandmeyer, Wenn die Seele SOS funkt, Rowohlt, 1999 Krafträuber
Das Energiefass Kraftspender Lebensfelder 1 Arbeit 2 Familie Arbeit 2 2 4 3 Freizeit 4 Gesundheit Krafträuber Quelle: Stark & Sandmeyer, Wenn die Seele SOS funkt, Rowohlt, 1999
6. Welche Lösungswege gibt es für die Betroffenen?
Das Energiefassmodell Lebensfelder (Wieder) Aufbau der Kraftspender 1 Arbeit 2 Familie 3 Freizeit Arbeit 2 2 4 4 Gesundheit Relativieren des Lebensfeldes Arbeit Quelle: Stark & Sandmeyer, Wenn die Seele SOS funkt, Rowohlt, 1999 Identifizierung der Krafträuber
Präventive und therapeutische Massnahmen
Therapeutische Ansätze Thema Persönlichkeit Mentale Einstellungen zu Arbeit und Leistung klären Motive für persönliches Engagement analysieren Kränkbarkeiten bearbeiten Anerkennung auch außerhalb des Berufs suchen
Therapeutische Ansätze (2) Thema Stress Stressmanagement entwickeln Überlastungszeichen erkennen Balancen zwischen Spannung und Entspannung herstellen Hobby pflegen
Therapeutische Ansätze (3) Individuelle Psychotherapie Gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozeße, die auch der Einzelne spürt, rufen Unbehagen, Unsicherheit und Ängste hervor. Konsequenz: Relativierung der individuellen Krankheitsbewertung Entschuldigungsmöglichkeit bieten durch Aufklärung über die individuellen Konsequenzen der derzeitigen gesellschaftlichen sozioökonomischen Erfordernisse. Individuelle Quellen für Gratifikation und Sinnfindung müssen gefunden und entwickelt werden.
Therapeutische Ansätze (4) Thema Arbeitsplatz Kreative und herausfordernde Arbeitsmilieus suchen Verantwortung übernehmen Begeisterung herstellen Solidarisierung Überprüfung des eigenen Marktwertes
Das Arbeitsumfeld Coaching Kreative und herausfordernde Arbeitsmilieus schaffen Verantwortungsübernahme ermöglichen Begeisterung und Solidarität herstellen Klare Erfolgskriterien und anerkennendes Feedback organisieren Autonomie und Handlungsspielräume ermöglichen Überforderung und Zeitdruck minimieren unterstützendes betriebliches Klima schaffen
Prävention Beratung / Öffentlichkeitsarbeit: Individuelle Lebensführung Psychoedukation über psychosomatische Zusammenhänge von Dauerüberlastung (z.b. Energiefaßmodell) und Wissen über adäquate Rekreation = Erholung
Hauptherausforderung an eine Therapie in diesen Zeiten: Nicht nur Aufarbeitung pathologischer Strukturen, sondern (auch) Anleitung zur Achtsamkeit Anleitung zum Genießen Lernen
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Weitere Informationen http://www.prof-stark.de