Akuter und chronischer Stress und berufliche Aspekte Peter Angerer und Mechthild Heinmüller 1 Harald Gündel und Heribert Limm 2 Jürgen Glaser 3 1 Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Klinikum der Universität München 2 Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universität Ulm 3 Arbeits- und Organisationspsychologie, Universität Konstanz
Aktualität des Themas 09.07.2010: Stress macht viele Arbeitnehmer krank Die seelischen Störungen liegen mittlerweile an vierter Stelle bei den Ursachen für eine Erkrankung Berufstätiger. 23.03.2010: Mehr seelische Erkrankungen durch Stress im Job Stress, wenig Lob und Geld: Bereits elf Prozent aller Fehltage werden durch psychische Krankheiten bedingt.
DGB-Index Gute Arbeit für junge Beschäftigte über 1.000 junge Beschäftigte unter 30 Jahren (ohne Auszubildende), sowie über 5.000 Beschäftigte über 30 Jahren Zwei Drittel der jungen Beschäftigten haben Angst um ihre berufliche Zukunft. Für 33% ist diese Situation mäßig belastend, 34% empfinden den Zustand als stark oder sehr stark belastend.
DGB-Index Gute Arbeit für Prekäre junge Beschäftigte Beschäftigung nimmt zu Lediglich 25% beziehen ein Einkommen von mindestens 2.000 Euro brutto und sind unbefristet beschäftigt. 14% arbeiten ebenfalls unbefristet für einen Betrieb und erhalten monatlich ein Brutto-Einkommen zwischen 1.500 und 2.000 Euro. Über 60% arbeiten unter prekären Bedingungen: entweder zu Niedriglöhnen von unter 1.500 Euro brutto (20%) oder/und in atypischen Beschäftigungsverhältnissen (Befristete Beschäftigung: 26%; Zeitarbeit: 5%; Minijobs: 10%).
Ungünstige Auswirkungen des Arbeitsmarktes auf die Gesundheit ( Eisberg ) Arbeitslosigkeit (kurz-/langzeitig) Prekäre Beschäftigung (Unsicherheit, geringer Schutz, niedriger Lohn) Belastende stabile Beschäftigung (Modelle psychosozialer Arbeitsbelastungen)
Soziale Ungleichheit von Gesundheit und Krankheit: Erklärungsschema niedrigere soziale Schicht geringere Ressourcen der Bewältigung gesundheitsschädigendes Verhalten
Was ist akuter Stress? Ursprünglich Kampf oder Flucht 1. Orientierung: Das Ohr leitet Geräusch ans Gehirn. Jäger wendet den Kopf, um zu sehen, woher Geräusch kommt. Er sieht einen Säbelzahntiger auf sich zukommen. 2. Aktivierung: Alarmreaktion, wenn Reiz wichtig bzw. bedrohlich ist: Wahrnehmung ist eingeengt. Autonomes Nervensystem arbeitet auf Hochtouren, Muskeln sind angespannt. 3.Anpassung: Solange Bedrohungssituation besteht, bleibt Organismus auf dem Sprung. 4. Erholung: Ist die Situation bewältigt, hat der Organismus Gelegenheit, sich zu erholen. BIS HIERHIN IST STRESS POSITIV UND DIENT DEM ÜBERLEBEN
Wie Stress auf den Körper wirkt ( fight or flight ) Auge - Pupillen werden weit Speicheldrüsen - Sekretion - Mundtrockenheit Herz und Kreislauf - Herzleistung - Puls - Blutdruck Muskeln - Durchblutung - Tonus (= Spannung) Gehirn und Kopf - Engt Wahrnehmung ein ( Scheuklappen ) - erhöhte Wachsamkeit Lungen und Atmung - Atemfequenz - Bronchienerweiterung Magen/Darm und Verdauung - Hemmung der Darmtätigkeit Haut - Durchblutung - Blässe - kalter Schweiß
Stressablauf beim modernen Menschen 1. Orientierung: Oft nicht so einfach möglich, weil ggf. viele Stressoren gleichzeitig einwirken (z.b. Lärm, Reizüberflutung, Ärger, Angst,..). 2. Aktivierung: Der heutige Mensch kann z.t. weder fliehen noch kämpfen => bleibt in Anspannungssituation.
Was ist chronischer Stress? 3. Daueralarm Überforderung: Gelingt diese Anpassungsleistung nicht, oder ist Zeitspanne bis zur nächsten Bedrohung zu kurz, um sich ausreichend zu erholen, schaltet Körper auf Daueralarm ( von Säbelzahntigern umringt ). 4. Erschöpfung Dauert Zustand zu lange, kommt es zur Erschöpfung => vermehrte Erkrankungen, früherer Tod.
Langfristige Folgen von Fehlbelastung / Stress Betriebliche Folgen Absentismus Gesundheitliche Folgen Muskuloskeletale Beschwerden Fluktuation Stress Psychische Erkrankungen Leistungsabfall Koronare Herzkrankheit
Anzeichen einer chronischen Stressreaktion Neu oder stärker: Kopfschmerzen Muskelverspannungen, Rückenschmerzen Herzklopfen, Engegefühl in der Brust Atembeschwerden Sexuelle Probleme Bauchschmerzen, Verdauungsstörungen Vermehrter Nikotin-, Alkohol-, Tablettenkonsum...
Anzeichen einer chronischen Stressreaktion Neu oder stärker: Schlafstörungen Schlechte Träume Verlust der Fähigkeit, sich zu entspannen Verzögerter Eintritt und schneller Verlust von Erholungseffekten Weniger Kraft und Energie für Freunde, Partner, Freizeitaktivitäten... Reizbarkeit, Ungeduld...
Anzeichen einer chronischen Stressreaktion Neu oder stärker: Änderung von Appetit, Hungergefühl, Essgewohnheiten Gefühl von alles zu viel Gefühl von es läuft nicht mehr so rund Stimmungsschwankungen Gedankenkreisen Konzentrationsstörungen...
Berufliche Faktoren, die mit Störungen der psychischen Gesundheit einhergehen Arbeitsdruck, Überlastung Widersprüchliche Anforderungen Mangelnde Kontrolle über die Arbeit Mangel an Mitsprache bei Entscheidungen Wenig soziale Unterstützung bei der Arbeit Zwischenmenschliche Konflikte in der Arbeit Unklare Führung und Definition der eigenen Rolle Konflikte zwischen Arbeit und Familie Michie and Williams OEM 2003
Gleiche Belastung, unterschiedliche Beanspruchung Belastung - Anforderung Beanspruchung -> Krankheit Entwicklung -> Gesundheit
Beispiel: Hohe Anforderung geringe Kontrolle
Anforderungs-Kontroll-Modell (Karasek) Anforderungen gering hoch Kontrolle hoch gering geringe Anspannung passiv aktiv starke Anspannung Hohe psychische und physische Gesundheit Karasek & Theorell, 1990
Gratifikationskrisenmodell (Siegrist)
Betriebliche Stressprävention Arbeitspsychologisches Stressmodell PMR AT Sport Coaching PT Reha Stressoren/RF bedingungsbezogen personenbezogen Ressourcen bedingungsbezogen personenbezogen Neubewertung Bewertung primär sekundär Coping-Strategien verbessern Bewältigung problembezogen emotionsbezogen Stressfolgen (kurz- und langfristig) Körper Gedanken Gefühle Verhalten Nach Bamberg, 2003
Ansatzpunkte zur Belastungsoptimierung und Gesundheitsförderung (Flake 2001)