6 Manualisierte PDKT für Generalisierte Ängste 89 6.1 Psychodynamisches Verständnis Für die Generalisierte Angststörung (GA) ist von der Psychoanalyse so gut wie keine spezifische Psychodynamik entwickelt worden. Das Krankheitsbild ging in der von Freud eingeführten Angstneurose (1895) weitgehend auf. Tatsächlich hatte Freud in seiner bahnbrechenden Beschreibung die Symptome der Generalisierten Ängste hier bereits ausführlich beschrieben. Er benannte sowohl die vegetative Übererregung ( Allgemeine Reizbarkeit ) als auch die generalisierte Angstspannung ( Ängstliche Erwartung ) in der Reihung interessanterweise sogar vor der Panikattacke ( Angstanfall ), auf die das Störungsbild der Angstneurose heute reduziert wird. In der aktuellen phänomenzentrierten Auffassung der GA steht im Vordergrund der Beschreibung ein Zustand anhaltender Sorge, Beunruhigung, Befürchtung, insgesamt mehr generalisiert als gerichtet. Es kann, nein: Es wird etwas Schlimmes passieren. Es sind also Menschen, deren Angsttyp eher auf den Hintergrund struktureller Defizite hinweist, auf eine allgemeine Unfähigkeit, sich Sicherheit, Gewissheit und Ruhe zu verschaffen. Psychodynamisch bedeutet dies in der Regel eine unzureichende Internalisierung von sicherheitsgebenden sozialen Objekten. Genauer betrachtet scheint bei den Patienten so die Vulnerabilität für Zustände von Beunruhigung und Sorge erhöht und zugleich die Toleranz gegenüber solchen Zuständen erniedrigt. Die Menschen schonen sich vor Aufregung und versuchen, sich ein beruhigendes Milieu zu schaffen. Daraus resultiert ein Zirkel von sich steigernden und einander verstärkenden Ängsten ein Zirkel, der oft schon in der Jugend beginnt und meist bereits chronifiziert ist, wenn die Patienten sich in Behandlung begeben. Umschriebene auslösende Situationen sind eher sel-
90 6 Manualisierte PDKT für Generalisierte Ängste. ten; wenn es sie gibt, dann scheinen sie eher durch das Wegbrechen, den Verlust tradierter Ordnungen (Versetzungen in der Firma, Arbeitsplatzverlust, Partnerverlust u. a.) angestoßen. Diese Ereignisse sind aber nicht nur charakteristisch für die GA, sondern kommen bei vielen neurotischen Störungen vor. 6.2 Grundzüge Zur Erinnerung Die PDT von Ängsten erfolgt in drei Schritten: l Analyse der Symptomatik und der angstauslösenden Situation(en) l Klärung des der Angstauslösung zugrunde liegenden assoziativen Feldes bzw. der Verbindung mit unbewussten Fantasien l Aufdeckung und Bearbeitung der mit dem assoziativen Feld verbundenen unbewussten Konflikte Notwendige Varianten der Behandlung l Bei der Generalisierten Angststörung (GA) ist die Behandlung insgesamt stützender als bei der Panikstörung und den Phobien. Hintergrund ist die Annahme einer eher strukturellen Schädigung. l Deswegen kommt der Internalisierung des Therapeuten bzw. seines Modells des Umgangs mit und der Bewältigung von Ängsten (Identifizierungsangebot) große Bedeutung zu. Idealerweise findet die Bildung eines steuernden Objekts/Introjekts im Sinne der gyroskopischen Funktion (König) statt. l Die gründliche Analyse der angstauslösenden Situation ist bei GA insgesamt schwierig, manchmal bei inhaltlich unbestimmten Ängsten unmöglich.
6.2 Grundzüge l Deshalb: Besondere Aufmerksamkeit gilt den angsterhaltenden Bedingungen bzw. der Gesetzmäßigkeit des Auftretens von angstgetönten und angstärmeren Zuständen. l Wichtig sind eine klar begrenzte Auseinandersetzung mit den Inhalten der Ängste ( Sorgekrankheit ) und der Versuch, deren Verknüpfung mit biografischen Abläufen (Interaktionen) zu klären. l Nach Bearbeitung der Inhalte sollten diese nicht ständig neu aufgegriffen, sondern auf das erzielte Verständnis verwiesen werden. l Die Möglichkeit unbewusster Attraktion durch die Angst ( Angstlust ) bei bewusster Angst vor der Angst muss beachtet werden. l Der Patient muss über die Rolle negativer Affekte in der Angstpathogenese informiert und aufgefordert werden, nach solchen Ausschau zu halten ( Ärger/Wut macht Angst ). l Die PDT ist keine Traumatherapie: Die Rolle individueller Traumaerinnerungen für die Angstpathogenese kann erörtert werden, aber meist wird man die Vermeidung derselben als Selbstschutzmechanismus ( Verkapselung ) akzeptieren. l Das Ausmaß der Bearbeitung biografischer Themen (und Traumen) richtet sich nach den Erfordernissen im Hier und Jetzt, steht aber nie im Vordergrund. l Ähnlich werden Übertragung und gegebenenfalls auch Gegenübertragung gestuft dann verbalisiert, wenn in der Patient-Therapeut-Beziehung ein Therapiewiderstand sichtbar wird. Die Verbalisierung sollte dann auch gezielt erfolgen. Insgesamt ist die Bearbeitung des Übertragungsangebotes möglichst klar zu strukturieren und an den Sicherheitsbedürfnissen des Patienten zu orientieren. l Der Patient muss sich jederzeit in der Therapie orientieren können. l Die Bindungsthematik (meist: unsichere Bindung ) kann die Übertragung im Sinne einer starken Idealisierung gestalten dies muss akzeptiert, sollte aber später in der Behandlung gegenüber dem Patienten als von ihm benötigte Schutzfunktion verbalisiert werden (kann oft beiläufig geschehen). Der Patient muss das 91
92 6 Manualisierte PDKT für Generalisierte Ängste. Gefühl haben, seine ideale Sicht des Therapeuten behalten zu dürfen, auch wenn sie in der Gegenübertragung nicht immer leicht auszuhalten ist. Sie haben ja durchgehend eine sehr hohe Meinung von mir, scheinen mich als fast ideal zu sehen. Könnte es für Sie mehr Sicherheit bedeuten, wenn wenigstens einer von uns beiden ganz ohne Schwierigkeiten ist?! (Konfrontation mit einem die Idealisierung positiv aufgreifenden Deutungsgehalt) l Gerade bei Angstsymptomatik scheinen ermutigende affirmative Feststellungen zur Förderung rascher Symptomrückbildung sinnvoll. Wenn Sie sich reinschmeißen, kriegen Sie (wir) das hin. Oder, noch ermutigender: Ich habe keinen Zweifel, dass Sie Ihre Ängste ganz entscheidend in den Griff bekommen können, wenn Sie auf dieser Linie weitermachen. l Es versteht sich von selbst, dass solche Ermutigungen nur gegeben werden dürfen, wenn der Therapeut hinter seinen Worten steht. Tut er das, dann besteht auch kein Grund, seine positive Sicht der Dinge dem Patienten zu verschweigen. Generell soll die Haltung gegenüber dem Patienten ermutigend und nicht tröstend sein. 6.3 Anpassung der SET an die Generalisierte Angststörung Diese Psychodynamische Kurztherapie (PDKT) wurde von Crits- Christoph et al. (1995) entwickelt und von Leichsenring et al. (2005) übersetzt sowie auf deutsche Verhältnisse bezogen. Sie basiert auf der SET von Luborsky, die hier an die besonderen Bedürfnisse der Behandlung von Patienten mit Generalisierten Ängsten angepasst wurde. Die Effektivität einer modifizierten SET für Generalisierte Angststörungen ist gesichert, wobei deutlich wurde, dass sich nicht
6.3 Anpassung der SET an die Generalisierte Angststörung nur die Symptomatik, sondern auch das Ausmaß der interpersonellen Probleme zurückbildete (Crits-Christoph et al. 2005). Für die Grundlinien der SET verweise ich auf die Darstellung im vorangehenden Kapitel (s. Abschnitt 5.3, S. 75 ff). Die drei Komponenten des Beziehungskonfliktthemas (ZBKT) sind: l ein Wunsch (W) l eine Reaktion der sozialen Objekte auf diesen Wunsch (RO) l eine Reaktion des Selbst auf die Reaktion der sozialen Objekte (RS) 93 Ein Beispiel für die Generalisierte Angststörung W: Ich wünsche mir jemanden, der mir Sicherheit gibt. RO: Die anderen sind unzuverlässig. RS: Ich habe immer Angst (Sorge), dass etwas Schreckliches passiert. Zeitliche Struktur Fünf Vorgespräche l (1) Psychodynamisches Erstgespräch l (2) Erhebung der für die Angstsymptomatik relevanten Daten l (3/4) Erarbeitung des spezifischen ZBKT l (5) Paktgespräch Erläuterung des weiteren Vorgehens äußerer Rahmen der Therapie Regelungen für eventuelle Therapieabbrüche Festlegung einer Grundregel ( Sie können über alles sprechen ) Sitzungsabfolge der 25 Stunden Anfangsphase (8 Sitzungen) 1. Sitzung l Fassung der Zielformulierungen aus dem Paktgespräch (= Formulierung von vorläufigen Zielen) wird fortgesetzt.