Erforschung der Seele Zur Geschichte der Psychoanalyse Mit: Eveline List, Institut für Geschichte, Universität Wien und Psychoanalytikerin Betrifft: Geschichte Sendedatum: 4. - 8. März 2013 Gestaltung: Irene Suchy Länge: 5 Teile je ca. 5 Min. Fragen und Antworten Teil 1: Entdeckung des Unbewussten Die Psychoanalyse um 1900 1. Welche frühen Wissenschaften waren Wegbereiter für die Psychoanalyse? Die Psychoanalyse ist ein Kind der Aufklärung, der Säkularisierung und der Emanzipationsbewegungen des 19. Jahrhunderts. In diesem Jahrhundert begannen Philosophie, Naturwissenschaften und Medizin Phänomene zu erforschen, die bis dahin noch weitgehend dem Bereich der Metaphysik zugerechnet wurden. Im Vorfeld dieser Verwissenschaftlichung herrschten spekulative Theorien etwa über Magnetismus von Franz Anton Mesmer oder über eine Biophysik wie sie Theodor Fechner entwickelte. Aber schon die Romantiker hatten von verborgenem Seelenleben, Goethe sogar von unbewussten Erinnerungen geschrieben. Bei Jean- Martin Charcot studierte der junge Freud in Paris. Charcot war zu der Zeit der berühmteste Nervenarzt Europas und er verwendete die Hypnose zur Forschung und auch zur Darstellung für ein von ihm bereits angenommenes Unbewusstes in der menschlichen Psyche so beeinflusste er die Arbeit Freuds über Hysterie. 2. Welche Kollegen und Wissenschaftler beeinflussten Freud? Jean-Martin Charcot französischer Pathologe und Neurologe - Hypnose Joseph Breuer Wiener Arzt, Physiologe und Philosoph Wilhelm Fließ- Berliner Arzt Theorie der Traumdeutung Melanie Klein Psychoanalytikerin frühkindliche Angst und Entwicklungszustände Sándor Ferenczi Pädagoge und Psychoanalytiker 3. Wie kam Freud mit Hypnosetechniken in Kontakt? Er habilitierte sich 1885 und erhielt dann ein Stipendium für Paris, wo er bei Jean- Martin Charcot weiterstudierte. Charcot war zu der Zeit der berühmteste Nervenarzt Europas und er verwendete die Hypnose zur Erforschung und auch zur Darstellung für ein von ihm bereits angenommenes Unbewusstes in der menschlichen Psyche. Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 1
4. Mit welchen bekannten Kollegen hat Freud die Studien zur Hysterie erarbeitet? In Kooperation mit einem wesentlich älteren Freund, Josef Breuer, der auch später ein großer Förderer wurde setze er seine Forschungen fort. Das führte dann 1895 zur Publikation der Studien über Hysterie. 5. Welche Methode entwickelte Freud, anstelle der Hypnose? Die freie Assoziation Teil 2: Trieb, Traumdeutung Die Psychoanalyse 1900-1902 6. Wie kam es zur Geburtsstunde der Psychoanalyse? Im Anschluss an seine ausgiebigen Selbstversuche der eigenen Trauminterpretation und der Selbstanalyse, publizierte Freud 1900 die 'Traumdeutung'. Damit könnte man die eigentliche Geburtsstunde der Psychoanalyse festsetzen. 7. Beschreiben Sie das Dynamische Modell der Psyche. Freud hatte die wesentliche zusätzliche Erkenntnis, dass in diesem unbewussten Bereich der Psyche sich Realität und Phantasie als quasi ununterschieden darstellten; dass also in der Phantasie nicht klar ist, was nur Vorstellung und was tatsächlich einmal Erlebtes war. In der Traumdeutung entwickelte Freud ein dynamisches Modell der Psyche. In einer Dreiteilung von Unbewusstem, das alles jemals Erfahrene beinhaltet, einem Vorbewussten, das vor allem formgebend ist (dort ist die Sprache und das gesamte kulturelle Erbe anzusiedeln) und einem Bewusstsein, das direkt präsent und zugänglich ist. Die Dynamik leitet sich von den Trieben ab. Triebe, meint Freud, sind Strebungen nach Befriedigung als Grundlage von Handeln und Denken. Sie können nur bewusst werden, wenn sie im Vorbewussten als Teil der Psyche eine Form (also ein inhaltliche Bedeutung) erlangen. So entstehen konkrete Wünsche beziehungsweise gezieltes Handeln. Unangenehmes, Schmerzliches oder Verbotenes wird verdrängt. Es wird vom Bewussten abgehalten und von der Zensur gewissermaßen schon an der Grenze zum Vorbewussten abgewiesen. 8. Mit Hilfe welches Kollegen entwickelte er die Traumdeutung? Im Zuge von Experimenten und begleitet von intensiver wissenschaftlicher Korrespondenz vor allem mit Wilhelm Fließ, einem befreundeten Berliner Arzt, entwickelte er die Theorie des Traums und zugleich wesentliche Grundlagen der neuen Wissenschaft vom Unbewussten. Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 2
9. Inwiefern hat der Traum einen besonderen Stellenwert? Der Traum ist ein alltägliches Phänomen und nicht mehr eine Krankheitssymptom. Das verlangte eine allgemeine Theorie der menschlichen Psyche. Der Traum hat nun einen besonderen Stellenwert, weil im Schlaf die Zensur viel schwächer ist. So gelangen beim Erwachen noch unbewusste Triebregungen ins Bewusstsein. Sie werden dabei in eine ungewöhnliche Form gebracht, nämlich in eine Form, die nicht wie das bewusste Erleben und Denken durch Raum, Zeit oder Logik charakterisiert ist. Freud nannte den Traum daher einen Königsweg zum Unbewussten. Aber auch viel anderes Alltägliches ist voller Spuren des Unbewussten - etwa sich zu versprechen oder etwas zu vergessen. 10. Welche Funktion hat der Witz in unserem Unbewussten? Der Witz ist eine beinahe künstlerische Form, die es ermöglicht Dinge die unmöglich oder auch nicht erlaubt sind, zum Ausdruck zu bringen. Im Witz wird aber auch geschmäht oder verächtlich gemacht - stets unter der Sondererlaubnis, dass man ja 'nur einen Witz erzählt'. 11. Welche Funktion hatte die sogenannte Mittwochsgesellschaft? 1902 gründet Freud in einem genialen Schritt die sogenannte 'Mittwochgesellschaft', eine Gruppe experimentierfreudiger Gleichgesinnter. Die Mitglieder waren hauptsächlich jüdische Mediziner, aber es gab auch Kunstwissenschaftler und Journalisten. Gemineam bildeten sie ein wissenschaftliches Forschungskollektiv. Solche wissenschaftlichen Forschungskollektive bilden seither die Grundlage der psychoanalytischen Forschung. Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 3
Teil 3: Lust, Unlust, Sexualität Die Psychoanalyse 1902-1908 12. Durch welche Tätigkeit hat Freud die kindliche Sexualität erforscht? Freud hatte jahrelang als Arzt in einer Wiener Kinderklink gearbeitet und dabei vielfältige sexuelle Aktivitäten auch schon bei sehr kleinen Kindern beobachten können. 13. Wodurch wird die psychische Regulierung von Luststreben und Unlustvermeidung vom Kind erlernt? Freud bezeichnet die Erziehung als ein Vehikel in der Auseinandersetzung mit der Realität. 14. Was bedeutet die Sexualität für die Psychoanalyse? Nicht mehr, aber auch nicht weniger als Befriedigung am eigenen Körper. Der Trieb ist das Streben nach Wiederholung der einmal erfahrenen Befriedigung. Nachdem das Neugeborene zutiefst ein körperlich sinnliches Wesen ist, ist natürlich alle Befriedigung im Ursprung eine Befriedung am eigenen Körper. In diesem Sinn ist es tatsächlich auch möglich zu sagen, dass letztlich alles in der Sexualität fundiert ist. Freud entwickelte psychosexuelle Entwicklungsphasen die unterschiedliche Stadien des Austausches des kindlichen Organismus mit der Umwelt beschreiben. Wichtig ist, dass dieser Austausch immer im Rahmen einer spezifischen Kultur erfolgt. Körperliche Bedürfnisse im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Verboten und Forderungen führen dann zur effektiven Entwicklung. 15. Was wird unter einem Ödipuskomplex verstanden? Der Ödipuskomplex ist ein besonderer Entwicklungskonflikt zwischen Eltern und dem Kind mit allen unbewussten Wünschen, Liebes- und Hassregungen. Es geht darum, in diesem heftigen emotionalen Konflikt die Einschränkungen der kindlichen Allmacht durchzusetzen. 16. Welche Berufsgruppen hatten besonderes Interesse an den Theorien der Allmacht und des Ödipuskomplexes? Diese Theorien riefen insbesondere das Interesse von Pädagogen und Psychologen, aber auch von Medizinern hervor. Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 4
Teil 4: Übertragung, Projektion, Identifizierung Die Psychoanalyse 1908-1918 17. Was führte zur Gründung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 1908 und was bewirkte sie? Das wachsende Interesse und viele neue Aktivitäten führten 1908 auch zur offiziellen Gründung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, der 1910 die Gründung auch der International Psychoanalytical Association folgte, womit die Psychoanalyse auch einen institutionalisierten Rahmen erhielt. 18. Was versteht Sigmund Freud unter dem Begriff Übertragung? Im Verlauf der psychoanalytischen Behandlungen wurde auch deutlich, dass Patienten die sich ihnen gegenüber neutral verhaltenden Analytikern mit Personen aus der eigenen Geschichte zu verwechseln schienen. Sie übertrugen dabei heftige Gefühle die eigentlich den eigenen Eltern oder anderen wichtigen Personen galten auf den Analytiker. Dies wurde schließlich nicht nur als ein Phänomen der psychoanalytischen Kur, sondern als ein Allgemeines verstanden, wodurch bisher Verdrängtes sich ungewollt in der Gegenwart bemerkbar macht. Übertragung bildete bald eine Quelle des Verstehens. Zwischenmenschliche Bindungs- und Abwehrprozesse liefen über Übertragungen, regelten Beziehungen zur Welt und zu anderen Menschen. Überhaupt waren Menschen in ihren Beziehungen durch psychische Mechanismen des Austausches verbunden. 19. Wie erklärt Freud den Begriff Projektion? Projektionen beschreiben eigene Gefühle, die unangenehm oder schwer erträglich sind. Sie werden auf andere Menschen projiziert und erscheinen dann als Gefühlsregungen der anderen, die einem gewissenmaßen von außen begegnen. 20. Wie beschreibt Freud den Begriff Identifizierung? Durch Identifizierungen glichen sich einzelne Personen anderen an, übernahmen Aspekte die sie bei den anderen wahrnahmen und fühlten sich ihnen dadurch verbunden. Sie eigneten sich gewissermaßen Fähigkeiten imaginär an. Alle diese Prozesse wurden insbesondere auch für das Verständnis von Kreativität und für den Genuss und das Verstehen von Kunst ganz essentiell. Der Genuss eines Kunstwerkes hat ganz wesentlich mit dem zu tun, was der Kunstbetrachter in dieses Kunstwerk an eigenen Geschichten und an eigenen Wunschwelten hineininterpretiert. Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 5
21. Wie kam die Arbeit zu Trauer und Melancholie zustande und inwiefern war sie von politischen Ereignissen beeinflusst? Der Austausch unter den Psychoanalytikern stellte sich mit der ganz realen politischen Welt ein. Der Weltkrieg verunmöglichte zwar die Interaktion mit den ausländischen Kollegen, aber es kamen neue durch die Umstände hervorgerufene Forschungen und theoretische Entwicklungen zustande. Es gab mehrere Psychoanalytiker, die als Militärärzte in der österreichischen Armee dienten und dort durch ihre Arbeit mit sogenannten Kriegszitterern (also mit Kriegsneurosen) besondere Beachtung fanden. Freud schrieb eine Abhandlung unter dem Titel Zeitgemäßes über Krieg und Tod, die Arbeit zu Trauer und Melancholie kann eigentlich noch als eine Konsequenz des Weltkriegs betrachtet werden. Nach 1918 stand auch die Psychoanalyse vor einer neuen Weltordnung. Teil 5: Kultur, Gesellschaft und Diktatur Die Psychoanalyse 1919-1945 22. Inwiefern war die Psychoanalyse als Sozialpsychologie gedacht? Die Psychoanalyse stellt sowohl beim Neugeborenen im Verhältnis zu seiner Umgebung als auch insgesamt für die Menschen die Frage nach dem Verhältnis des Einzelnen zur Welt in der er lebt und nach dem Einfluss den gesellschaftliche Verhältnisse auf ihn haben. Es ging nicht nur um die Bindungen zwischen den einzelne Menschen, die ja überhaupt die Grundlage aller Sicherheit in der Welt ausmachen, sondern es ging auch um Fragen der Macht, der Rechtsordnung und der Religion. 23. Wozu diente der internationale psychoanalytische Verlag in Wien? In Zeitschriften gab es wissenschaftliche Diskussionen nicht nur unter Psychoanalytikern, sondern auch mit anderen Disziplinen. Beispielweise hat Hans Kelsen sich aktiv mehrmals an so einer Diskussion zu einer psychoanalytischen Staatstheorie beteiligt. 24. Zu welchen Erkenntnissen kam Sigmund Freud durch die Arbeit zur Massenpsychologie? Freuds Arbeit zu Massenpsychologie und Ich-Analyse untersuchte die psychosoziale Dynamik politischer Verhältnisse und setzte damit einen Grundstein zu späteren Analysen von Faschismus und Diktatur. Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 6
25. Was hielt, nach Meinung von Freud, die Menschen unter Massenbedingungen (die eigentlich Angst machen) zusammen? Freuds Antwort war, es seien Identifizierungen. Die imaginäre Vorstellung, wir alle seien gleich, ist eine Art gleichmachende Identifizierung mit allen anderen Massenmitgliedern, wodurch die Angst vor den vielen anderen zum Verschwinden gebracht werden kann. Zugleich gibt es einen starken Wunsch, es möge doch eine mächtige gute Autorität die Lenkung übernehmen auf diese allmächtige Autorität ist dann eine idealisierende Identifizierung gerichtet, das heißt diese Person wird als groß, gut, mächtig, allmächtig phantasiert und zugleich kann man sich heimlich mit dieser idealen Figur auch identifizieren. 26. Womit hat sich die Psychoanalytikerin Melanie Klein beschäftigt? Sie lieferte wichtige Erkenntnis über frühkindlicher Angst und Entwicklungszustände. 27. Wie stand die katholische Kirche der Psychoanalyse gegenüber? Die katholische Kirche hatte sich vom Antisemitismus nie befreit und auch die Wissenschaft des Unbewussten hatte sie stets heftig attackiert. Aus diesem Umfeld heraus entschloss sich Freud sein letztes großes Buch Der Mann Moses und die monotheistische Religion, das auch eine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus war, nicht zu veröffentlichen, zumindest nicht unter dem austrofaschistischen Regime. Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 7