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Transkript:

Lösung Fall 4 Zur ersten Frage A könnte in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs.1 GG) verletzt sein. I. Schutzbereich des Art. 8 Abs.1 GG 1. Persönlich: Deutschengrundrecht --> Deutschengrundrecht, d.h. Träger des Grundrechts ist grundsätzlich nur der, der die deutsche Staatsangehörigkeit isd. Art. 116 Abs. 1 GG besitzt. Hier: Laut Sachverhalt ist A deutscher Staatsbürger. => persönlicher Schutzbereich (+) 2. Sachlich: Versammlung = Eine Versammlung ist das Zusammenkommen mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck mit innerer Verbundenheit. a) mehrere Personen (Streit) 1.M.: 7 Personen erforderlich. 2.M.: 3 Personen notwendig. 3.M. (h.l.): 2 Personen reichen aus. Hier: Laut Sachverhalt haben sich ca. 100 Personen versammelt. Also ist dem Begriff der "mehreren Personen nach allen Ansichten Genüge getan, so dass der Meinungsstreit hier nicht entschieden werden muss. => mehrere Personen (+) 1

b) Gemeinsamer Zweck (Streitig) weiter Versammlungsbegriff: Losgelöst von der Meinungsbildung genügt jeder Zweck. enger Versammlungsbegriff des BVerfG Zweck der Demo muss eine Meinungsbildung/-äußerung sein. Dabei kann der Gegenstand der Meinungsbildung/-äußerung privat oder öffentlich sein. engster Versammlungsbegriff Zweck der Demo muss eine Meinungsbildung/-äußerung sein. Gegenstand muss öffentliche Angelegenheit sein. Hier: Der gemeinsame Zweck besteht hier in einem Protest gegen die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung, also in einer Meinungsäußerung zu einer öffentlichen Angelegenheit. => nach allen Ansichten gemeinsamer Zweck gegeben, so dass Streit nicht entschieden werden muss. c) Innere Verbundenheit --> Abgrenzung zu bloßen Ansammlungen --> z.b. Menschenanläufe an Informationsständen; Gaffer Hier: kein zufälliges Zusammenkommen von Menschen, sondern Zusammenkunft zur gemeinsamen Kundgebung. => innere Verbundenheit (+) d) Friedlich = Eine Versammlung ist nicht friedlich, wenn ein gewalttätiger oder aufrührerischer Verlauf unmittelbar bevorsteht. --> "äußerliche Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa Gewalttätigkeiten oder aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen" (BVerfGE 73, 206 (248)) Hier: Kein Anhaltspunkt für Gewalttätigkeit. => friedlich (+) 2

e) Ohne Waffen --> Waffen = solche isd. 1 Waffengesetz sowie sonstige gefährliche Gegenstände, die zum Zweck des Einsatzes mitgeführt werden. Hier: Kein Anhaltspunkt für Waffen. => ohne Waffen (+) f) Ergebnis Es liegt eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG vor. Der sachliche Schutzbereich des Grundrechts ist eröffnet. II. Eingriff Ein Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht: Die Versammlung wurde von der Polizei aufgelöst. Ein Eingriff liegt demnach vor. III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn es sich um die verfassungsmäßige Konkretisierung der Grundrechtsschranke handelt. 1. Rechtsgrundlage des Eingriffs: 15 III Alt. 1 ivm. 14 I VersG 2. Einschränkbarkeit der Versammlungsfreiheit: Art. 8 Abs. 2 GG Voraussetzung: Versammlung unter freiem Himmel: = wenn die Versammlung nicht nach den Seiten umschlossen ist --> Sinn: Die räumliche Offenheit macht Versammlung besonders störungsanfällig und gefährlich. Hier: Die Versammlung auf dem Marktplatz ist frei zugänglich, ohne seitliche Begrenzungen => Versammlung unter freiem Himmel (+) => Die Schranke des Art. 8 Abs.2 GG ist einschlägig. 3

3. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage Die gesetzliche Grundlage müsste ihrerseits verfassungsmäßig sein. a) formelle Verfassungsmäßigkeit Es ist davon auszugehen, dass das VersG durch den zuständigen Gesetzgeber in einem ordnungsgemäßen Verfahren erlassen wurde. (Bei Erlass des Gesetzes war der Bund noch gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG für die Regelung des Versammlungsrechts zuständig. Das Gesetz bleibt gem. Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG weiterhin in Kraft.) b) materielle Verfassungsmäßigkeit 14 I ivm. 15 III Alt. 1 VersG müssten auch materiell im Einklang mit der Verfassung stehen. Dazu müssten sie insbesondere verhältnismäßig sein. aa) Legitimer Zweck --> Kooperationsprinzip = Polizei soll sich auf eine Demonstration einstellen können, damit kein Schaden für Dritte oder für Demonstranten entsteht. 14 Abs.1 ivm. 15 III VersG dienen u.a. Sicherheitsinteressen, dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit Dritter, Art. 2 Abs. 2 GG dem Schutz des Eigentums Art. 14 GG dem Schutz der Bewegungsfreiheit Dritter, Art. 2 Abs. 1 GG etc. bb) Geeignetheit = Ein Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe das Ziel erreicht oder zumindest gefördert werden kann. Um eine sichere Versammlung gewährleisten zu können, benötigt der Staat eine gewisse Vorbereitungszeit um zb. Absperrungen, Polizeipräsenz etc. organisieren zu können. Durch die Pflicht, eine Versammlung 48 Stunden vor ihrer Durchführung anzumelden, wird eine solche Vorbereitungszeit garantiert. Auch besteht die Möglichkeit zur Rücksprache. Um Sicherheitsinteressen nicht zu gefährden ist die Anmeldungspflicht und eine mit ihrem Fehlen begründete spätere Auflösung gem. 15 Abs. 3 Alt. 1 ivm. 14 Abs. 1 VersG ein geeignetes Mittel. cc) Erforderlichkeit = Ein Mittel ist erforderlich, wenn kein milderes Mittel, was zur Zweckerreichung ebenso geeignet ist, existiert. 4

Hier: Nur durch die Pflicht zur Anmeldung kann die Behörde sicher sein, von der geplanten Versammlung zu erfahren und sich darauf einzustellen. Es würde eine zeitliche Sicherheitslücke entstehen, wenn die Sicherheitsmaßnahmen erst später ergriffen würden. => Ein milderes Mittel, das dieses Ziel mit der gleichen Sicherheit erreichen würde, ist also nicht ersichtlich. => Erforderlichkeit (+) dd) Angemessenheit = Angemessen ist ein Mittel, wenn die beim Grundrechtsträger eintretenden Nachteile nicht außer Verhältnis zu dem bezweckten Vorteil stehen. Hier: Problem: Fehlende Anmeldung als Demonstrationsauflösungsgrund Fraglich erscheint, inwieweit das Anmeldeerfordernis des 14 I VersG und die Demonstrationsauflösung als Folge einer fehlenden Anmeldung mit der Tragweite und der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit vereinbar sind. Insbesondere bei Spontan- und Eilversammlungen ist die Einhaltung der 48 Stundenfrist des 14 Abs.1 VersG nicht möglich. pro Angemessenheit: 1.Schutz folgender Güter: Art. 2 Abs. 2 GG Dritter (Recht auf körperliche Unversehrtheit) Art. 14 Abs. 1 GG Dritter (Eigentum) Art. 2 Abs. 1 GG Dritter (allg. Handlungsfreiheit) 2. besondere Effektivität des Schutzes durch Auflösungsmöglichkeit nach 15 III Alt. 1 VersG 3. kein zwingender Charakter der Auflösungsfolge, sondern Ermessensnorm contra Angemessenheit: 1. hoher Wert des Eingriffsguts: Art. 8 Abs. 1 GG Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist elementare Grundlage unseres freiheitlich demokratischen Staates. 5

Der Versammlung kommt große Bedeutung zu, da sonst kaum eine Möglichkeit besteht, sich politisch zu betätigen (vgl. Brokdorf-Urteil von 1958, BVerfGE 69, 315 ff. und 342 ff.). 2. Einschneidender Charakter der Demonstrationsauflösungsmöglichkeit Streit: Verfassungsmäßigkeit von 14 I VersG 1. Vertretene Meinungen M.M.: Verfassungswidrigkeit von 14 I VersG (ivm. 15 III Alt. 1 VersG) Vertreter: Höfling in: Sachs, GG. Kommentar, 3. Aufl., München 2007, Kommentierung zu Art. 8 GG, Rdnr. 58; abweichende Meinung in: BVerfGE 85, 77 (77f.) h.m. (BVerfG): Verfassungskonforme, restriktive Auslegung: Stufung der Anmeldungsfrist je nach Art der Demonstration 1. Spontanversammlung -- Versammlung, die sich aus einer Situation heraus ungeplant und ohne Veranstalter entwickelt -- keine Anmeldungspflicht 2. Eilversammlungen -- Versammlungen, die geplant sind und einen Veranstalter haben, aber nicht 48 Stunden vorher angemeldet werden können, ohne den Demonstrationszweck zu gefährden. -- Versammlung muss so schnell wie möglich angemeldet werden, spätestens mit Bekanntgabe, aber nicht 48 Stunden vor der Veranstaltung. 3. sonstige Versammlungen unter freiem Himmel --> Pflicht zur Anmeldung 48 Stunden vor der Veranstaltung bleibt bestehen. 2. Relevanz des Streits (+) --> Würde man 14 Abs.1 VersG auf alle Versammlungen anwenden, wären Spontanversammlungen und Eildemonstrationen generell unzulässig und damit nicht mehr möglich. 6

3. Argumente pro M.M.: Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 GG: "ohne Anmeldung". -- 14 I als einfaches Rechts führt de facto zur Aufhebung eines ganzen Tatbestandsmerkmales und verringert damit den Schutz der Versammlungen massiv. -- Dies um so mehr als bei einer fehlenden Anmeldung eine Versammlung gem. 15 III Alt. 1 VersG sogar aufgelöst werden kann. contra h.m.: (1) Die verfassungskonforme restriktive Auslegung lässt sich nur schwer im Wortlaut von 14 I VersG verankern. Ansatzpunkt ist wohl Begriff der Versammlung in 14 I, was dazu führt, dass im VersG kein einheitlicher Versammlungsbegriff mehr verwendet wird. => Problem mit Blick auf Gewaltenteilung und Rechtssicherheit! (3) Unklar bleibt auch, wie die Reduktion der Anmeldungsfrist für die Eilversammlung auf weniger als 48 Stunden auf den Text zurückgeführt werden kann, der für Versammlungen isd. 14 I VersG zwingend eine Frist von "48 Stunden" vorschreibt. Stellt die Eilversammlung keine Versammlung im Sinne des 14 I VersG dar, fehlt der Anmeldungspflicht eine gesetzliche Grundlage. => Problem mit Blick auf Rechtsstaatsprinzip (Gesetzesvorbehalt) pro h.m.: (1) hoher Wert der letztlich zu schützenden Rechtsgüter Dritter (--> Art. 2 Abs. 1 u. 2; 14 Abs. 1 GG etc.) und damit auch des Kooperationsprinzips, weshalb an einer Anmeldungspflicht grundsätzlich festgehalten werden sollte. (2) Auslegungsfähigkeit des Anmeldungsbegriffs in Art. 8 Abs. 1 GG --> Sinn der Anmeldungsfreiheit besteht insbesondere darin, die Abhaltung von Versammlungen nicht aufgrund einer Anmeldungspflicht von vorneherein zu unterbinden. Sie betrifft also primär Spontan- und Eilversammlungen, die durch eine starre Anmeldungspflicht unmöglich würden. Diesem wird durch die Reduktion des Versammlungsbegriffs in 14 I VersG Genüge getan. Ergebnis: Entscheidung für h.m.. Damit ist 14 I i.v.m. 15 III VersG verfassungsgemäß. 7

c) Zwischenergebnis Somit sind sie 15 Abs. 3 Alt. 1 ivm. 14 Abs. 1 VersG nach der h.m. auch angemessen und somit materiell verfassungskonform. 4. Verfassungsmäßige Anwendung des Gesetzes im Einzelfall a) Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von 15 III Alt. 1 VersG i.v.m. 14 I VersG (-) aa) öffentliche Versammlung unter freiem Himmel isd. 14 I VersG (-) --> hier: Spontanversammlung ("beschließen spontan") => laut BVerfG keine Versammlung i.s.d. 14 I VersG bb) Ergebnis Keine Anmeldungspflicht für die Versammlung und damit auch keine Kompetenz zur Auflösung derselben nach 15 III Alt. 1 VersG b) Hilfserwägung: Rechtmäßigkeit der Auflösung mit Blick auf 15 III Alt. 4 VersG ivm. 15 I VersG (-) aa) Tatbestandsvoraussetzungen von 15 I VersG (1) Schutzgut der öffentlichen Sicherheit (+) BVerfG: gleichwertige Rechtsgüter mit der Versammlungsfreiheit nötig Hier: Verkehrsbehinderung --> Art. 2 Abs. 1 GG könnte beeinträchtigt sein. Gleichrangigkeit mit Art. 8 Abs. 1 GG wohl (-) Lärm --> Art. 2 Abs. 2 GG: körperliche Unversehrtheit Gleichrangigkeit mit Art. 8 Abs. 1 GG (+) (2) unmittelbare Gefahr (-) Hier: Sachverhalt: "Sprechchor" "fühlen sich belästigt", keine Angabe zu Dezibel oder Gesundheitsbeeinträchtigung; 100 Personen zwar laut, aber normalerweise Sprechchor nicht gesundheitsschädlich (Hinweis auf sonstige Lärmerzeugung nicht vorhanden). Abgesehen davon: Nach dem BVerfG sollen die staatlichen Behörden bei friedlich verlaufenden Versammlungen versammlungsfreundlich handeln. Hier: Die Versammlung hatte einen friedlichen Verlauf. 8

c) Zwischenergebnis Somit war die Anwendung der gesetzlichen Grundlage im vorliegenden Fall nicht mit der Verfassung vereinbar. IV. Endergebnis A ist in seinem Grundrecht aus Art. 8 Abs.1 GG verletzt. Zur zweiten Frage I. Art. 8 Abs. 1 GG T könnte in seiner Versammlungsfreiheit, Art. 8 Abs. 1 GG, verletzt sein. 1. Schutzbereich a) Persönlicher Schutzbereich (-) --> hier: T ist Türke und kein Deutscher isd. Art. 8 Abs. 1 GG ivm. Art. 116 Abs. 1 GG 2. Ergebnis: Art. 8 Abs. 1 GG nicht verletzt. II. Art. 2 Abs. 1 GG 1. Schutzbereich (+) 2. Eingriff (+) s.o. 3. Verfassungsmäßige Rechtfertigung (-) a) Ermächtigungsgrundlage (+) s.o. b) Einschränkbarkeit (+) --> Art. 2 Abs. 1 GG: "verfassungsmäßige Ordnung" = alle formell und materiell verfassungsmäßige Rechtssätze 9

c) Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage (+) s.o. d) Verfassungskonforme Anwendung der Ermächtigungsgrundlage (-) s.o. III. Ergebnis T ist in seiner Allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. 10