34. Stuttgarter Tage der Medienpädagogik Social Media zwischen Emanzipation & Sozialisation Projekte und Arbeitsgruppen: Mobile Jugendarbeit 2.0 Anforderungen an eine Virtuell-aufsuchende Jugendarbeit 12.04.2011 in Stuttgart-Hohenheim Referentin: Christiane Bollig (Dipl. Päd.)
Fahrplan Was ist Mobile Jugendarbeit? Jugend & Medien Mobile Jugendarbeit unterwegs im Social Web Offene Fragen und Diskussion
1. Zum Konzept MJA/Streetwork Was ist Mobile Jugendarbeit? 2. Jugend online 3. MJA unterwegs im Social Web - Theoretische Grundlage - Methodenkonzept - Zielgruppen & Ziele
Was ist Mobile Jugendarbeit? Das Konzept der MJA versteht sich als freiwilliges, niedrigschwelliges und aufsuchendes Beratungs- und Kontaktangebot für Jugendliche, die sozial benachteiligt bzw. vor sozialer Ausgrenzung betroffen oder bedroht sind.
Theoretische Grundlage Lebensweltorientierte Soziale Arbeit (Thiersch) sowie die Arbeiten von Specht und Krafeld Sozialraumorientierung (Raum-)Aneignungskonzepte
Lebensweltorientierung In der MJA sind Lebenswelt- und Sozialraumorientierung nicht nur zentrale Begriffe, sondern auch theoretische Grundlage des Ansatzes. Lebenswelt meint eine subjektiv erfahrbare und erlebbare Wirklichkeit, die sich in unterschiedliche Lebensfelder gliedert. Lebensweltorientierung meint vereinfacht formuliert die Darstellung von Lebensverhältnissen und Lebenszusammenhängen. Die Frage nach dem Alltag bzw. den (subjektiven) Alltagserfahrungen ist zentral.
Überblick über den Ansatz MJA Lebensweltorientierte Soziale Arbeit Transparenz Individuelle Hilfe & Unterstützung Streetwork Freiwilligkeit Flexibilität Ressourcenorientierung Akzeptanz Ziele & Zielgruppen Sozialraum- & gemeinwesent orientierte Arbeit Sozialraumorientierung Parteilich -keit Anonymität Cliquen- und Gruppenarbeit Niedrigschwelligkeit Flexibilitä t Grundsatz der Chancengleichheit
Zielgruppen bzw. Adressaten/innen Junge Menschen zwischen 14 27 Jahren Sozial und familiär benachteiligte und individuell beeinträchtigte Jugendliche Junge Menschen, die von konventionellen Angeboten nicht oder nur unzureichend erreicht werden. Junge Menschen, die besonders von Ausgrenzung bedroht oder betroffen sind. Cliquen und Szenen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten.
Ziele Die Lebenssituation der Zielgruppe bzw. der Adressaten nachhaltig verbessern und sie in ihrer persönlichen Entwicklung fördern. Es geht nicht um das Wohlverhalten, sondern das Wohlbefinden der Jugendlichen.
Gedanken zum Raumverständnis in der MJA - Räume sind von großer Bedeutung - Bis heute dominiert ein geographisches und territoriales Raumverständnis im Arbeitsfeld, obwohl der (sozial-)räumlichen Dimension vermehrt Beachtung geschenkt wird. - Symbolische und virtuelle Räume gehören zu einem erweiterten Raumbegriff (Löw 2001/ Reutlinger 2005)
Prämissen Im Zuge eines erweiterten Raumverständnisses muss der Raumbegriff auf den virtuellen Raum ausgedehnt werden. Kommunikation und soziales Handeln finden auch im virtuellen Raum statt. Die im virtuellen Raum erlebten und gemachten Erfahrungen sind an die Lebenswelten der Jugendlichen gekoppelt. Das Internet ist heute fester Bestandteil der jugendlichen Lebenswelten!
Jugend & Medien 1. Zum Konzept MJA/Streetwork 2. Jugend online 3. MJA unterwegs im Social Web Zum aktuellen Forschungsstand Wer hat einen Internetzugang? Wer nutzt das Internet? Wie wird das Internet genutzt? Wie eignen sich Jugendliche virtuelle Räume an? Wem nutzt die Internetnutzung?
Aktuelle Studien JIM-Studie und KIM-Studie (2009/2010) ARD/ZDF-Onlinestudie (2008/09) (N)Online-Atlas (2010) Studie zur digitalen Spaltung KIB (2007) Studie zur Gewalt im Web 2.0 (2009) Heranwachsende im Social Web (2011) Laufende Forschungsarbeit zur Bildkommunikation in Netzwerken (2010) Sinus-Milieustudie (2007) Shell-Studie: Jugend (2010)
Studien mit Schwerpunkt Migration - Migrantenportale im Internet Wie hybride Identitäten ein zu Hause finden können (Art. v. Kai-Uwe Hugger 2006) - Migranten und Medien (2007). Ergebnisse einer repräsentativen Studie der ARD-/ZDF-Medienkommission - Sonderauswertung zum (N)Online Atlas 2008: Internetnutzung und Migrationshintergrund in Deutschland Handlungsempfehlung zur Optimierung der Onlinekompetenz von Migranten und Migrantinnen in Deutschland (2009)
Wer nutzt das Internet? Technischer Zugang/Austattung Nahezu alle Jugendliche (97%) verfügen heutzutage über Internetzugang und sind online! Internetnutzung Die Jugendlichen, die über einen Internetzugang verfügen, nutzen diesen auch. Zur Konkretisierung der Fragestellung durch Befunde aus der Forschung und Wissenschaft
Wer nutzt das Internet? Bestimmungsfaktoren Alter Geschlecht Bildungshintergrund bzw. -grad Kulturelle Prägung (Migrationshintergrund) Soziale Herkunft (oder soziales Milieu)
Sinus-Milieustudie Das Positionierungsmodell Hohe Bildung (Gymnasium) 2 Soziale Lage Geringe Bildung (Hauptschule) 1 Bildung Mittlere Bildung (Realschule) Sinus-Milieus liefern ein mögliches Erklärungsmodell für Online-Nutzungsunterschiede. passive Dimension aktive Dimension 3 Grundorientierung Alltagsbewusstsein, Lebensstil, Lebensziele Soziale Lage Altersspezifische Orientierung Grundorientierung Ein-Ordnung Geltung Ein moralisch gutes Leben führen; Anerkennung und soz. Einbettung; sicher und überlegen sein durch Klarheit und Entschiedenheit; sich nützlich und angenehm zeigen Teilhaben an Lifestyle-Trends; modisch und modern sein, aber normal bleiben: das Leben heute genießen; Zukunft planen u. ankommen A I (Anders) Sein Aufbrechen, etwas entdecken, anders und authentisch sein; eine starke und richtige Position finden; Kritik und Widerstand B II Sinus Sociovision 2008 Adaptive Navigation Selbst-Exploration Eigene Chancen und Optionen suchen: offen und ehrgeizig, pragmatisch und flexibel sein; sich vielfältig andocken, wo es nützt I Eigene neue Wege gehen, kreatives, mediales und synästhetisches Spielen mit Formen und Bedeutungen: neue (eigene) Perspektiven auf sich u. Welt (er)finden C II Traditionelle Werte Modernisierung Neuorientierung Pflichterfüllung, Sicherheit, Ordnung Selbstkontrolle Materialismus, Genuss, Individualisierung, Postmaterialismus Selbstverwirklichung Multioptionalität, Experimentierfreude, Leben in Paradoxien Selbstmanagement Quelle: Sinus Sociovision; Basis: 2.400 Fälle
Sinus-Milieus 2007: Medienverhalten Online 84,2% 66,0% 69,5% 84,8% 86,5% 66,4% 82,5%
Die Tatsache, dass Jugendliche (relativ unabhängig von Alter, Geschlecht, kultureller Prägung, Bildungshintergrund und sozialer Herkunft) das Internet nutzen, lässt keine Aussagen über die Art und Weise der Nutzung zu.
Wie wird das Internet genutzt? Dauer Häufigkeit und Frequenz Inhaltliche Nutzung Aktivität (passiv-konsumierend vs. Aktivgestaltend) Nutzungsverhalten (Art und Weise der Aneignung)
JIM-Studie 2009/10 fragt Migrationshintergrund als Bestimmungsfaktor nicht ab.
Aktivitäten auf Netzwerkplattformen Angaben in % (12- bis 24-Jährige) Jungen Mädchen HS RS Gym. Gesamt Anderen Nutzern private Nachricht schreiben 61,1 69,2 66,7 65,3 64,3 65,1 In anderen Profilen stöbern 54,5 58,5 59,7 59,7 53,8 56,5 Auf Pinnwände und Gästebücher schreiben 49,1 58,2 48,2 54,7 54,5 53,5 Suche nach Freunden und Bekannten 43,1 39,1 44,7 46,3 37,1 41,1 Suche nach Informationen 27,4 23,0 27,2 25,7 24,6 25,2 Aktualisierung des eigenen Profils 23,8 21,7 27,2 20,9 22,3 22,8 Eigene Fotos hochladen 12,3 15,7 16,7 16,3 11,8 14,0 [Quelle: U. Hasebrink/ W. Rohde (2011): Heranwachsende im Social Web]
Wie wird das Internet genutzt? Das jugendliche Nutzungsverhalten gibt es nicht! Je nach Alter, Geschlecht, Bildungshintergrund, sozialem Milieu und kulturelle Prägung differenziert sich das Online-Nutzungsverhalten. Neigungen, Vorlieben und Wahrnehmungen sind daher einerseits abhängig von der jeweiligen Entwicklungsphase der Mädchen und Jungen. Andererseits beeinflussen die unterschiedlichen Lebenslagen und -situationen die Nutzung und den Umgang mit dem Medium (vgl. Tillmann 2008).
Wem nutzt die Internetnutzung? Anbieter vs. Nutzer/innen Subjektive Ebene der Nutzungskonsequenz Phänomen der Digitalen Spaltung Dimensionen: - first digital divide (Zugang) - second digital divide (Art und Weise der Nutzung) Nutzungsqualität und Nutzungskonsequenz Technischer Zugang hat keine kausale Auswirkung auf die Nutzungsweise und -kompetenzen jugendlicher Nutzer/Innen. Soziale Benachteiligung setzt sich in virtuellen Räumen fort (Kutscher 2007)
Soziale Ungleichheit im Internet Einfluss auf die Nutzung und Aneignung Technische Erfahrung Engagiertheit, Vorwissen und Kompetenzen (wie Lese-, Schreibkompetenz, Sprachkompetenz, Soziale Kompetenz) Peerstrukturen und soziales Umfeld (ökonomische, kulturelle und soziale Ressourcen) Unterstützung und Begleitung Dabei gibt es mehrere Ansatzpunkte von der Selektion des Angebots bis zu Reflexion
Die Nutzung des Internet kann einen positiven Effekt auf selbstgesteuerte Aneignungs- und Lernprozesse haben, aber auch zur Verfestigung von vorhandenen Ungleichheiten und Wissensklüften beitragen.
Mobile Jugendarbeit unterwegs im Social Web 1. Zum Konzept MJA/Streetwork - Ausgangspunkt - Zur Praktischen Umsetzung 2. Jugend online - Chancen und Risiken - Fazit 3. MJA unterwegs im Social Web
Ausgangspunkt Social Web ist als fester Bestandteil jugendlicher Lebenswelten anzuerkennen. Auch die Zielgruppe MJA nutzt die kommunikativen Angebote des Internets. Die Zielgruppe der MJA weist dabei ein spezifisches Nutzungs- und Aneignungsverhalten auf. Bestehende soziale Ungleichheiten scheinen sich im virtuellen Raum fortzusetzen. Fraglich ist, ob vorhandene Angebote die Zielgruppe MJA ausreichend erreicht.
Mobile Jugendarbeit unterwegs im Social Web Um dem Anspruch des Arbeitsansatzes, sich flexibel an aktuelle Trends und Entwicklungen, sowie an den Lebenswelten der Jugendlichen zu orientieren, gerecht zu werden, ist es eine logische Konsequenz, dass MJA in virtuellen Räumen Präsenz zeigt.
Mobile Jugendarbeit unterwegs im Social Web Wir holen Jugendliche dort ab, wo sie stehen! Wenn wir wissen, ob und falls ja, wo sich Jugendliche im virtuellen Raum aufhalten, sollten wir sie auch dort abholen & aufsuchen. Jugendliche auch die Zielgruppe MJA nutzen insbesondere Social Communities.
Mobile Jugendarbeit unterwegs im Social Web Kontaktaufnahme und Beziehungspflege in virtuellen Kommunikations- und Aktionsräumen ist für die Mehrheit der heutigen Jugendlichen selbstverständlicher Bestandteil ihres Medienalltags. Auch bildungsbenachteiligte nutzen kommerzielle Communities Daher sind diese Plattformen als Anknüpfungspunkte ins Auge zu nehmen.
Zur Nutzung von Social Communities Communitys sind der falsche Ort für die Identitätsarbeit von Jugendlichen, wie auch für die pädagogische Unterstützung. (Auszug aus der Dokumentation des Fachkongress 2008 Ungleichheit. Medienpädagogik. Partizipation. Workshop 1: Niels Brüggen; das Zitat stammt von einem TN und entspricht nicht der Meinung des Verfassers) Jugendliche brauchen pädagogisch gestaltete (Schutzund Schon-)Räume! Communities sind aus meiner Sicht der richtige Ort zum Aufsuchen junger Menschen und bieten eine gute Möglichkeit zur Kontaktpflege und Beziehungsgestaltung. Jugendliche brauchen neben pädagogisch inszenierten Angebote, auch - im Sinne der Lebensweltorientierung Unterstützung vor Ort.
Mobile Jugendarbeit unterwegs im Social Web verfolgt das Ziel die Zielgruppe auch virtuell zu erreichen. sich an den aktuellen Trends & Entwicklungen zu orientieren. ein niedrigschwelliges & aufsuchendes Angebot zu sein.
Zur praktischen Umsetzung MJA ist über Facebook erreichbar
Chancen der Virtuell-aufsuchenden Arbeit Was geleistet werden kann Die Mitarbeiter/innen suggerieren und zeigen Interesse an der Lebenswelt junger Menschen auch im virtuellen Raum. Es ist eine neue Zugangs- und Kontaktform, die von Jugendlichen freiwillig genutzt werden kann. Bei dem Angebot handelt es sich um eine sehr niedrigschwellige Form. Die Arbeit erleichtert das Halten und Pflegen von Kontakten und Beziehungen zu Jugendlichen. Ein weiterer positiver Aspekt ist die Erreichbarkeit der Hilfe.
Risiken der Virtuell-aufsuchenden Jugendarbeit Was nicht geleistet werden kann Der Datenschutz kann wie auch der Schutz der Privatsphäre nicht gewährleistet werden. Das Angebot ist kein Ersatz für die reale Streetwork oder Arbeit, sondern eine zusätzliche & ergänzende Kontaktform. Bei dieser Angebotsform handelt es sich um kein Beratungsinstrument. Es gilt Jugendliche aufzuklären, zu sensibilisieren und zu informieren (Unterstützung beim Profil)
Ziele der Virtuell-aufsuchenden Jugendarbeit Bereits vorhandenen Ressourcen der Jugendlichen erkennen und nutzen sie als Experten/innen zu verstehen. Jugendliche vor Ort aufzusuchen und dabei die bereits vorhandene virtuelle Infrastruktur zu nutzen, Den jungen Menschen Hilfe, Unterstützung und Begleitung bei der Aneignung & aktiven Nutzung virtueller Räume anbieten. Ein dauerhaftes, belastbares und verlässliches Kontaktangebot in der virtuellen Lebenswelt anzubieten und zu installieren.
Ziele der Virtuell-aufsuchenden Jugendarbeit Jugendliche bei der Erschließung und Erweiterung der Handlungs- und Gestaltungsoptionen unterstützen, Als Mitarbeiter/in der MJA eine Vermittlungs- und Brückenfunktion (zwischen realer und virtueller Welt) einnehmen. Jugendliche zur Selbstorganisation befähigen, sowie ihre individuellen Stärken und Potenziale fördern und über mögliche Risiken und Gefahren aufklären.
Fazit Eine virtuell-aufsuchende Jugendarbeit kann trotz der Gefahren und Risiken, die das Internet in sich birgt, eine sinnvolle und lebens- sowie alltagsnahe Angebotsform sein, die es künftig weiter auszubauen und zu etablieren gilt.
Tabelle durch Klicken auf Symbol hinzufügen Es ist eine zentrale Herausforderung für Pädagogen/innen Kindern und Jugendlichen Räume zu geben und zu schaffen. Innerhalb dieser Räume soll ihnen ermöglicht werden, eine vernünftige Balance zwischen dem Ausprobieren neuer Kommunikationskulturen einerseits und der Entwicklung stabiler Beziehungen und Persönlichkeit andererseits zu finden. - 40 -
Vielen DANK für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: Christiane Bollig ch.bollig@hilfezurselbsthilfe.org