Warum stürzen alte Menschen? Claudine Geser Leitende Ärztin Klinik für Akutgeriatrie

Ähnliche Dokumente
Neurologische/ Neurogeriatrische Erkrankungen des höheren Lebensalters

Geriatrische Syndrome und Geriatrisches Assessment

Altersfrakturen: Was macht sie speziell? Manuela Pretto, RN, MNS Prof. Dr. Norbert Suhm Kontakt:

Gangstörungen in der Neurologie Dr. med. Nadeem Syed Praxis für Neurologie Maudacherstr Ludwigshafen Tel:

Stürze im Alter Warum stürzen alte Menschen?

Sturzprävention im Heimbereich. Ein ambitiöses Unterfangen. Welche Maßnahmen sind praktikabel? Welche Maßnahmen sind matchentscheidend?

Fit und gesund in jedem Alter

INDIVIDUELLE DEFINITION DER ZIELWERTE?

Sturzprävention im Alter. Dr. med. Viola Lenz

Ausbildungsinhalte zum Arzt für Allgemeinmedizin. Neurologie

BMC. Ambulante, diagnostische, objektive Messungen von Gangstörungen Schwierigkeiten mit Gleichgewicht oder allg. Mobilität

Sturzprophylaxe. Dr. Christoph Michlmayr

Nachfolgend können die Literaturliste sowie die Vortragsfolien eingesehen werden.

Sturzprophylaxe und Mobilitätsverbesserung. PD Dr. Clemens Becker Robert Bosch Krankenhaus Klinik für Geriatrische Rehabilitation

WAZ- Nachtforum Chirurgie im Alter

WAZ- Nachtforum Chirurgie im Alter

Ihr Hausarzt Ihr Profi für (fast?) alles!

Stürze im höheren Lebensalter

Sturzgefahren erkennen und Stürze vermeiden. Anfahrt. HELIOS Klinik Lutherstadt Eisleben. Geriatrie und Geriatrische Tagesklinik

Ein Ratgeber für ehrenamtliche Mitarbeiter der Nachbarschaftshilfe +

Neue Ansätze und Erkenntnisse zum Gleichgewichtstraining im Alter

Vorschlag für ein Sturzprotokoll

U N I V E R S I T Ä T S M E D I Z I N B E R L I N

Neues zur Epidemiologie von Stürzen und Frakturen

Teilbelastung nach hüftgelenksnaher Fraktur- Sinn oder Unsinn?

Gangstörungen. Prof. Dr. med. Helmut Buchner. klinische Neurophysiologie Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen. Klinik für Neurologie und

Welche Aufgaben übernimmt wer Die Sicht des Geriaters Dr. med. S. Beck, MHA, Universitäre Klinik für Akutgeriatrie, Stadtspital Waid

Jahresschwerpunkt 2017/2018

Wann bin ich reif für die Geriatrie?

Parkinson und Kreislaufprobleme

Delir akuter Verwirrtheitszustand acute mental confusion

Eine Empfehlung für ältere Patientinnen, Patienten und ihre Angehörigen VERMEIDUNG VON STÜRZEN IM KRANKENHAUS

Ist es die Depression? PD. Dr. med. Thomas Münzer Chefarzt Geriatrische Klinik St. Gallen AG Board Member European Academy for Medicine of Ageing

Arznei-Cocktail im Alter was macht Sinn?

Depression entschlossen behandeln aber wie?

Evidenzbasierte Sturzprävention im Pflegeheim. Was funktioniert und was nicht (und warum nicht)

Eine Empfehlung für ältere Patientinnen, Patienten und ihre Angehörigen. Vermeidung von Stürzen im Krankenhaus

Update Geriatrie Pharmakotherapie im Alter

Lewy-Körper-Demenz Symptome

Management Patient mit Sturz Klinische Fortbildungstage, St. Gallen

Stand: 30. Oktober Autor: Bernd Zimmer, Arzt für Allgemeinmedizin, Wuppertal

Schmerz?! Vom Symptom zum Ausdruck «Das Erkennen und Erfassen von körperlichen Symptomen wie Schmerz, Muskelverspannung, Übelkeit und Atemnot

Medikamente im Alter - Hilfe oder Problem?

Modell einer altersgerechten und integrierten Gesundheitsversorgung im Spital

Guidelines St. Galler Geriatriekonzept. Guideline Nummer S-4, Version 1, April 2007

Symptomkontrolle in der Palliativen Geriatrie. Dr. med. Roland Kunz Chefarzt Geriatrie + Palliative Care

Leben nach erworbener Hirnschädigung

Logopädie in der Geriatrie

Sturz als Zeichen von Gebrechlichkeit. Altersmedizinischer Hintergrund

Geriatrisches Assessment

Vermeidung von Stürzen im Krankenhaus

Vermeidung von Stürzen im Krankenhaus

Sturzgefahren erkennen Stürze vermeiden

Diagnostische Forschung

Lebenslust. Lebenslast. Lebensqualität beim. Älterwerden. Was kann ich selber zum guten Altern beitragen

Geistige (kognitive) Fähigkeiten

3. Münchner Gangsymposium

Alt werden wollen alle aber alt sein?

Sturzprävention bei älteren Menschen

Betagte: «Sturz & Co»

Epidemiologie und gesellschaftliche Kosten der Osteoporose. Mosekilde, Bone Miner 1990; 10: 13-35

3. Münchner Gangsymposium

3. St.Galler Pflegerechtstagung

Präoperative Risikostratifizierung beim betagten Patienten

Kernbereiche. Interventionen. Unterweisung. Unterweisung Körperliche Activität. Handout Weiterbildung Duisburg November 2014

Diabetischen Fuss: Wunden und Ulcera

Stürze. Epidemiologie der Stürze. Stürze im Alter. Definition: ungewolltes Abstürzen auf einen niedrigeren Level oder auf den Boden

Sturzprävention. Vortrag mit praktischen Übungen. Ulrike Ebben

Depression als Risikofaktor für Adipositas und Kachexie

Daten bestätigen Bedeutung einer frühen Behandlung von Patienten mit Multipler Sklerose (MS)

Sehbeeinträchtigungen als Risikofaktor für Stürze: Eine empirische Untersuchung

Neues von DO-HEALTH HyD-O T&D MOVE foryourmind

Sturz einem natürlichen Lebensrisiko professionell entgegenwirken. Astrid Engelbrecht, MSc

Depression: aktuelle Diagnostik und Behandlung. Prof. Dr. med. Christoph Nissen Jahressymposium des Berner Bündnis gegen Depression 5.

Die vielen Gesichter des Parkinson

Gangstörungen in der Neurologie. Praxisseminar Bewegungsstörungen

"Interventionell, operativ oder doch lieber konservativ. Wo geht es hin bei der Behandlung der pavk?"

Kraft und funktionelle Leistung im Alter

Delir. Dr. Josef Kirschner

Buprenorphin-haltiges 7-Tage-Pflaster punktet bei Sturzprävention: Schmerzen und Stürze im Alter bedin

Kräftig altern - Die positiven Effekte von Muskeltraining im Alter

Innere Medizin Akutgeriatrie

LKH BRUCK / MUR. Konzept. zum Management sturzgefährdeter Patienten. 11. Österreichische Konferenz Gesundheitsfördernder Krankenhäuser

Sturzprävention im Pflegeheim

Frau Nienhaus Dr. Mellies Teilnehmer, Einführung in den Ablauf des Basislehrgangs Klärung organisatorischer Fragen

Die Sinnesorgane, die Muskulatur. und die Gelenke Harald Goebell, 2007

Gesetzliche Grundlagen der Versorgung und geriatrische Patienten

rund 200 ausgewählte Wirkstoffe

Herzinsuffizienz und Depression was ist notwendig zu beachten

Vaskuläre Demenz G. Lueg Klinik für Allgemeine Neurologie Department für Neurologie Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Medikamente im Alter. Benomed 20. Oktober Sündenbock für eine AZ Verschlechterung? Andreas Stuck, Prof. Dr. med.

Hirnschlag - Symptome. Stroke Summer School Hirnschlag Symptom Parese. Hirnschlag - Symptome

GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG.

Sport und Bewegung trotz(t) Demenz

Patient mit Husten: Klinische Unterscheidung von akuter Bronchitis und Pneumonie

Häufige psychiatrische Symptome bei schweren körperlichen Erkrankungen Vortrag Teil 1: Allg. Vorbemerkungen, Fatigue, Depressivität

Der ältere Patient Strategien für eine gute Versorgung - KVNo 6. Februar 2019

Neurogeriatrie als Chance

Transkript:

Warum stürzen alte Menschen? Claudine Geser Leitende Ärztin Klinik für Akutgeriatrie

Ziele Risikofaktoren erkennen Bedeutung erkennen von Gang- und Gleichgewicht Medikamente überprüfen Orthostatische Hypotonie suchen

Ein typischer Fall Die Patientin kann sich an das Sturzereignis nicht erinnern. Da sie das Telefon nicht abgenommen habe, kamen die Angehörigen direkt vorbei und fanden sie im Badezimmer liegend vor. Auf der chirurgischen Klinik wurde gleichentags die Femurfraktur mittels einer dynamischen Marknagelung versorgt.

Stürze im Alter - Epidemiologie 1/3 der zu Hause lebenden über 65-jährigen stürzt 1x/Jahr 1/2 davon stürzt wieder innerhalb der folgenden 6 Monate Sturz ist Hauptunfallursache bei >65j Sturz ist an 5. Stelle als Todesursache bei >65j

Sturzfolgen Sturzangst 30-50% Kleinere Verletzungen 30-55% Ärztliche Behandlung 11-25% Frakturen 4-6% Femur Becken Distaler Vorderarm, Humerus Schädel Spitaleinweisung 2-3% King MB, 1995; Six P 1992

Komplikationen Erhöhtes Risiko einer Institutionalisierung Erhöhtes Sterberisiko 25 57% der Patienten erreichen nicht wieder die Funktionalität vor der Hüftfraktur Rubenstein LZ, Med Clin North Am, 2006

Risiko: nicht beachtete Stürze Patient erzählt nichts davon Keine Verletzung Der Untersucher fragt nicht danach das gehört zum normalen Altern Behandlung der Sturzfolgen aber keine Suche nach der Aetiologie

Sturz - Risikofaktoren Intrinsische Faktoren Alter, chronische Erkrankungen, Kraft, Gleichgewicht, Gang, Schwindel, Kognition, Visus Extrinsische Faktoren Böden, Schuhe, Beleuchtung, Hindernisse Falsche Hilfsmittel Medikamente Verhalten Transfer, Treppensteigen

Risikofaktoren für Stürze (OR) Muskuläre Schwäche x 4.4 Stürze in Anamnese x 3.0 Gangstörung x 2.9 Gleichgewichtsstörung x 2.9 Benützung von Gehhilfen x 2.5 Sehstörung x 2.5 Arthrose x 2.4 Depression x 2.2 Kognitive Einschränkung x 1.8 Guideline for Prevention of Falls, J Am Ger Soc, 2001

Risikofaktoren potenzieren sich

Sturzursachen 10% 90% monokausal multifaktoriell

Multifaktorielle Sturzursachen

Wird mein Patient stürzen? Gang- und Gleichgewichtsstörung Medikamente Orthostatische Hypotonie Visus Einschränkungen Funktionelle Einschränkungen ADLs Kognition Ganz DA et al, JAMA 2007;297:77

Wo stürzt mein Patient? Zu Hause Gebrechliche Ältere Funktionelle Einschränkungen Inaktive Lebensgestaltung Draussen Aktiver Lebensstil Durschnittlicher oder überdurchschnittlicher Gesundheitszustand Kelsey JL et al J Am Ger Soc 2010; 58:2135

Gehen Motorik Sensorische Kontrolle Kognitive Funktionen

Physiologische Änderungen Veränderungen der Posturalen Stabilität und des Blutdrucks Verminderter proprioceptiver Input Langsamere Stellreflexe Verminderte Kraft Zunahme der posturalen Schwankungen Veränderungen des Gangbildes Vermindertes Abheben der Füsse Breitbasigeres Gangbild, kurzschrittig Pathologien welche eine Instabilität begünstigen Nykturie Kognitive Veränderungen

Stops walking while Talking - Dual Task Aufmerksamkeit Lundin-Olsson L, Lancet, 1997

Häufigste Gangstörungen Sensorische Defizite Polyneuropathie Bilaterale Vestibulopathie Visusminderung Neurodegeneration Parkinson-Syndrome Zerebelläre Ataxie Demenz Andere Vaskuläre Enzephalopathie Normaldruckhydrocephalus Ängstliche Gangstörung (Postfall Syndrom) Toxisch (Medikamente) Jahn et al, Deutsches Ärzteblatt, 107, 2010

Das Gleichgewicht

Chronische Erkrankungen Parkinson Rigidität der Muskeln der Beine Schwankungen können nicht schnell korrigiert werden Hypotonie als Nebenwirkung der Medikamente Eventuell Kognitionsminderung Arthrose Mobilitätseinschränkung eingeschränkte Fähigkeit über Objekte zu laufen Posturale Stabilität eingeschränkt

Visus Sehschärfe, Kontrastsehen, Gesichtsfeld Katarakt Maculadegeneration Nicht-Tragen von Bifokalbrillen während «outdoor Aktivitäten» reduziert Sturzrisiko bei > 80-jährigen um 8% www.medscape.com/viewarticle/530538_3

Medikamente Anzahl n >4 Änderungen in der Dosierung Psychotrope - Neuroleptika - Anxiolytika (Dosierung, HWZ) - Antidepressiva, SSRI Woolcott JC, Arch Intern Med 2009

Risiko durch Medikamente Benommenheit Schwindel Hypotonie Extrapyramidale Symptome Ataxie und Gangstörung Sehstörungen Osteoporose Blutungsrisiko Cadario B and BC Falls and Injury Prevention Coalition

Meta-Analyse: Antidepressiva und Benzodiazepine Antidepressiva OR 1.68 Benzodiazepine OR 1.57 Woolcott J, Arch Int Med 2009

Tägliche SSRI Einnahme Frakturrisiko Hazard rate 2 (1.3-3.1) Sturz Odds ratio 2.2 (1.4-3.5) Richards JB et al, ArchIntMed: 2007

Medikamente bei Stürzen Stürzer n >4 Medikamente Mehr Schlafmedikamente, Antidepressiva Mehrfach Stürzer Doppelte Menge Schlafmedikamente/Antidepressiva Mitchell RJ et al J of Safety Research, 2013

Blutdruck und Stürze Orthostatische Hypotonie Risiko für rezidivierende Stürze Antihypertensiva OR 1.24 Klein et al, BMC Geriatrics 2013 13:50, Woolcott J, Arch Int Med 2009

Sturz als demaskierendes Zeichen einer akuten Erkrankung Infekt, orthostatische Hypotonie, Arrhythmie einer chronischen Erkrankung Parkinsonismus, Demenz, diabetische Neuropathie des Fortschreitens von Veränderungen Visus, Kraft, Gang

Take home messages Risikofaktoren potenzieren sich Gang- und Gleichgewichtsstörung Medikamente überprüfen, beeinflussbarer Risikofaktor Orthostatische Hypotonie