Übung im Privatrecht II Sommersemester 2015 Fall 10: Abgeschleppt (frei nach BGH Urt. v. 02.12.2011 Az.: V ZR 30/11) S ist Betreiber eines kleinen freien Supermarktes. Das Geschäftsgebäude samt des zugehörigen Parkplatzes für 25 PKW hat er vom Eigentümer E gepachtet. Als S an einem Samstagmorgen gegen 7.15 Uhr in sein Ladengeschäft kommt, fällt ihm das Fahrzeug (Renault Twingo) des P auf, welches auf einem der Kundenparkplätze steht. Diese sind durch entsprechende Schilder deutlich als Kundenparkplätze gekennzeichnet. Auf diesen wird jeweils darauf hingewiesen, dass widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge kostenpflichtig abgeschleppt werden. Eine zur leichteren Identifizierung von Parksündern von S angebrachte Überwachungskamera gibt keinen Aufschluss darüber, wem das Fahrzeug gehört. S ruft daher gleich den Abschleppunternehmer A an und beauftragt ihn mit der Entfernung des PKW. A versucht zunächst wie üblich und mit S abgesprochen, anhand des Kennzeichens den Halter des Fahrzeugs ausfindig zu machen, jedoch ohne Erfolg. Er nimmt daher das Fahrzeug an den Haken und stellt es auf einem in der Nähe befindlichen öffentlichen Parkplatz wieder ab. S wurde von A über den genauen neuen Standort des Fahrzeugs in Kenntnis gesetzt. Die Rechnung des A in Höhe von insgesamt 175,- EUR bezahlt S sofort. (Diese setzt sich zusammen aus einem Betrag von 160,- EUR für das eigentliche Umsetzen und einer Pauschale von 15,- EUR für Vorbereitungsmaßnahmen, wie z.b. Halterermittlungen. Die Pauschale für eine polizeiliche Umsetzung beträgt demgegenüber nur 60,- EUR.) P, der gegen Mittag sein Fahrzeug abholen will, wird von S über den Sachverhalt informiert. S verlangt nun von P Ersatz der Abschleppkosten (175,- EUR) zuzüglich einer Pauschale von 10,- EUR wegen der Installation der Parkplatzüberwachung. P lehnt dies ab, woraufhin S sich weigert, dem P den neuen Standort seines Fahrzeugs mitzuteilen. Der erboste P findet seinen PKW erst nach drei Wochen durch Zufall und macht nunmehr gegenüber S durch Anwaltsschreiben einen Verzugsschaden im Zusammenhang mit seinem Herausgabeanspruch nach 985 BGB in Höhe von 1.239,- EUR ([angemessene] 59,- EUR Tagespauschale mal 21 Tage) geltend. 1. Kann S von P Ersatz der Abschleppkosten in Höhe von 175,- EUR zuzüglich einer 10,- EUR Pauschale für die Überwachungsmaßnahmen verlangen? 2. Hat P einen Anspruch gegen S wegen der Weigerung, den Standort des Fahrzeugs des P mitzuteilen? 1
Lösungsskizze Frage 1: S könnte gegen P einen Schadensersatzanspruch i.h.v. insgesamt 185,- EUR gem. 823 Abs. 1 BGB haben. Beeinträchtigung eines von 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsguts (+) - Eigentum nicht betroffen, da S laut Sachverhalt nur Pächter der Parkfläche - aber rechtmäßiger Besitz als Rechtsgut i.s.v. 823 Abs. 1 BGB anerkannt => mit dem Besitz an der Parkfläche ist der (rechtmäßige) Besitz des S betroffen - dieser ist auch beeinträchtigt, da er dem S von P eigenmächtig entzogen wird (verbotene Eigenmacht gem. 858 Abs. 1 BGB) Handlung des P (+) - als das Rechtsgut verursachende Handlung kommt hier allein das eigenmächtige Abstellen des Fahrzeugs des P auf dem von S gepachteten Parkplatz in Betracht Kausalität und Zurechenbarkeit der Rechtsgutsverletzung (+) - das Abstellen des PKW auf dem Parkplatz des S ist kausal und auch objektive zurechenbar (i.s.v. vorhersehbar) für die Verletzung des Besitzes des S daran Rechtswidrigkeit der Handlung (+) - tatbestandliche Rechtsgutsverletzung indiziert die Rechtswidrigkeit der Handlung - Rechtfertigungsgründe zugunsten des P sind nicht ersichtlich Verschulden (+) Schaden (+) => Handlung ist rechtswidrig - nach 823 Abs. 1 BGB zu vertreten sind Vorsatz und Fahrlässigkeit - hier Vorsatz des P, da er wissentlich und willentlich trotz der entsprechenden Beschilderung falsch parkt - entsteht hier in Höhe der Kosten für das Abschleppen, die Halteermittlung und die Kamerapauschale Kausalität und Zurechenbarkeit der des Schaden - die aus der Rechtsgutsverletzung resultierende Schaden müssen kausal auf diese zurückgehen - fraglich ist jedoch ob, dies für die Schäden zutrifft 2
- bezüglich der Kostenpauschale für die Kamera: - hier fehlt es bereits an der Kausalität, da diese Kosten dem S auch ohne das Abstellen des Fahrzeugs durch P entstanden wären => diese Kosten sind nicht ersatzfähig - bezüglich der Kosten für das Umsetzen - Kausalität ist unproblematisch gegeben, da diese Kosten entfielen, wenn P sein Fahrzeug nicht auf dem Parkplatz abgestellt hätte - Problem: objektive Vorhersehbarkeit für P - hier entsteht der eigentliche Schaden erst durch Dazwischentreten einer vorsätzliche Handlung des S, die Beauftragung des Abschleppdienstes - solche vorsätzliche Handlungen des Geschädigten durchbrechen den Zurechnungszusammenhang dann nicht, wenn der Schädiger damit rechnen musste, dass der Geschädigte so reagiert (dieser sich also herausgefordert fühlen durfte) - hier durfte S nach 859 Abs. 3 BGB sich sogar ausdrücklich der verbotenen Eigenmacht des P erwehren => P musste damit rechnen, dass S ihn abschleppen lassen würde => Schaden ist trotz des Dazwischentretens der vorsätzlichen Handlung des S dem P zurechenbar - bezüglich der Kosten für die versuchte Halterermittlung - auch insofern Dazwischentreten eines vorsätzliches Handeln des S => Zurechnung nur dann nicht unterbrochen, wenn P damit rechnen musste, dass S so handeln würde - Halterermittlungsversuch sollte die potentiellen Kosten für die Beseitigung des Fahrzeugs gering halten => liegt sogar im objektiven Interesse des P - zudem ist S gem. 254 Abs. 1 BGB verpflichtet, den Schaden so gering wie möglich zu halten => Halterermittlungsversuch entspricht seiner gesetzlichen Pflicht zur Schadensminimierung => entsprechenden Kosten sind P objektiv zurechenbar - Zwischenergebnis: i.h.v. 175,- EUR (Kosten für das Umsetzen und Kosten für den Halterermittlungsversuch) geht der Schaden kausal und objektiv zurechenbar auf das Verhalten des P (Falschparken) zurück 3
Art und Umfang des Ersatzanspruchs - Maßstab 249 ff. BGB - hier gem. 249 Abs. 1 BGB Ersatz der Kosten für die Naturalrestitution (=Beseitigung des Fahrzeugs) - keine Kürzung des Anspruchs wegen Mitverschuldens ( 254 BGB) - grundsätzlich darf der Geschädigte auf marktübliche Angebote zurückgreifen - er muss nicht das preiswerteste wählen (Rspr.) S hat gegen P einen Schadensersatzanspruch i.h.v. insgesamt 175,- EUR gem. 823 Abs. 1 BGB wegen der Abschleppkosten. In gleicher Weise wäre auch ein Anspruch gem. 823 Abs. 2 BGB gegeben, da das Verhalten des P eine verbotene Eigenmacht gem. 858 BGB darstellt. Die verbotene Eigenmacht ist ein Schutzgesetz i.s.v. 823 Abs. 2 BGB, da es dem Schutz des Besitzers (hier des S) dient. => Dieser hat einen Anspruch nach 823 Abs. 2 BGB. Ebenfalls begründet wäre ein Anspruch aus 683, 677 ff. BGB auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) - durch das Abschleppen des Fahrzeugs führte der S ein (auch) fremdes Geschäft, da die Beendigung des Parkverstoßes auch im objektiv verstandenen Interesse des P lag - ob dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des P entspricht, kann dahinstehen, da die Beseitigung nach 679 BGB im öffentlichen Interesse lag (Beendigung/Beseitigung des Rechtsverstoßes stellt nach vorzugswürdiger Ansicht ein öffentliches Interesse dar) - (Mindermeinung beschränkt öffentliches Interesse hingegen auf Fälle, der wesentlicher Beeinträchtigung höchster Rechtsgüter, was jedoch dem Wortlaut von 679 BGB nicht zu entnehmen ist => nach dieser Ansicht wäre der Anspruch aus GoA daher zu verneinen) (Vorstehend kursiv gedrucktes ist kein Prüfungsniveau!) 4
Frage 2: Vorüberlegung: - zu klären, was P hier verlangt - er behauptet Herausgabeanspruch in Bezug auf den PKW ( 985 BGB), den S verzögert => Verzugsschaden => Anspruchsgrundlage: 990 Abs. 2, 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB P könnte gegen S einen Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens i.h.v. 1.239,- EUR gem. 990 Abs. 2, 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB haben Hinweis: Ein Anspruch wegen Verzugs setzt gem. 280 Abs. 2, 286 BGB das Bestehen eines Anspruchs (1.), der fällig ist (2.) und den Verzug des Schuldners (3.) voraus. Daneben ist selbstverständlich auch immer noch die Verletzung einer Pflicht (4.) und Verschulden (5.) gem. 280 Abs. 1 BGB zu prüfen. Bestehen eines Anspruchs (+) - hier kommt möglicher Anspruch des P gegen S auf Herausgabe des PKW gem. 985 BGB in Betracht - Voraussetzungen: - Eigentum des P (+) - P ist Eigentümer des PKW - Besitz des S am PKW (+) - S ist über den Standort des PKW informiert => hat tatsächlichen Zugriff auf diesen => ist dessen Besitzer - (keinen Besitz mehr hat hingegen P, solange er den Standort des PKW nicht kennt, auch wenn er die Schlüssel dafür besitzt) - kein Recht zum Besitz des S gegenüber P gem. 986 Abs. 1 Satz 1 BGB (+) - Besitzrecht des S gegenüber P ist nicht ersichtlich - Zurückbehaltungsrecht nach 273 BGB begründet nach vorzugswürdiger Ansicht kein Recht zum Besitz, da es nur auf Vollstreckung des Anspruchs beschränkt (a.a. vertretbar mit der Konsequenz, dass bereits das Bestehen eines Herausgabeanspruchs des P zu verneinen wäre) - Zwischenergebnis: P hat (nach vorzugswürdiger Ansicht) grundsätzlich einen Anspruch gegen S auf Herausgabe des PKW (=Nennung von dessen Standort) 5
Fälligkeit (-) - Herausgabeanspruch des P jedoch nicht fällig, da S gem. 273 Abs. 1 BGB ein Zurückbehaltungsrecht in Bezug auf die ihm geschuldeten Abschleppkosten geltend machen kann => Fälligkeit tritt frühestens ein, wenn P auf die Schadensersatzforderung des S nach Aufgabe 1 ernsthaft zu leisten, bereit ist P hat gegen S keinen Anspruch gem. 990 Abs. 2, 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB auf Ersatz eines Verzugsschadens i.h.v. 1.239,- BGB. 6