Bruno Binder/Gudrun Trauner WS 2013/14 1. KREUZEN SIE AN!

Ähnliche Dokumente
ARBEITSGEMEINSCHAFT ÖFFENTLICHES RECHT I

Muster einer Klausurarbeit

ARBEITSGEMEINSCHAFT ÖFFENTLICHES RECHT I

ARBEITSGEMEINSCHAFT ÖFFENTLICHES RECHT I

Bruno Binder/Gudrun Trauner WS 2013/14 1. KREUZEN SIE AN!

Bruno Binder/Gudrun Trauner WS 2013/14 1. KREUZEN SIE AN! SCHLICHTES HANDELN DER STAATSORGANE; RECHTSSETZUNG DER STAATS- ORGANE UND RECHTSSATZFORMEN

Rechtliche Grundlagen

MASTERSTUDIUM RECHT UND WIRTSCHAFT FÜR TECHNIKER/INNEN (K 066/901) Bruno Binder VORLESUNG ÖFFENTLICHES RECHT

ARBEITSGEMEINSCHAFT ÖFFENTLICHES RECHT I

ARBEITSGEMEINSCHAFT ÖFFENTLICHES RECHT I

Gesetz Gesetzgebung Normenhierarchie

Teil 3. Grundlagen und Praxis der medizinischen Versorgung, SS08, Teil 3

Bundesstaatlichkeit (Grundlagen) Einheitsstaat (1/2) Einheitsstaat (2/2) Staatsrecht II Vorlesung vom 16. März Heutige Einheitsstaaten

Bundesstaatsrecht Übung III

Öffentliches Recht - Grundlagen Lehrbuch. von Bruno Binder Gudrun Trauner. 2. Auflage. L*nde

eine Auffrischung Alfred B. ZECHLING

Kompetenzverteilung Bund/Kantone. Übersicht. Grundsatz von Art. 3 BV (1/3) Staatsrecht II Vorlesung vom 30. März 2010

Würzburger Woche an der Bahçeşehir ş Universität Istanbul Bundesrepublik Deutschland. Dipl. iur. Roland Zimmermann, Europajurist

Artikel 94. (2) Durch Bundes- oder Landesgesetz kann in einzelnen Angelegenheiten

Vorlesung Öffentliches Recht I. Staatsorganisationsrecht II

C. Das Bundesstaatsprinzip

Verzeichnis der Publikationen (in chronologischer Reihenfolge)

Abkürzungsverzeichnis... XVII Literaturverzeichnis... XXIII

Einführung in das Öffentliche Recht

Öffentliches Recht. Verwaltungsrecht GewO 26, Oö BauO 27, Oö ROG 28, VergG 29, UStG 30,

BUNDESGESETZBLATT FÜR DIE REPUBLIK ÖSTERREICH. Jahrgang 2013 Ausgegeben am 11. Juli 2013 Teil I

Staatsrecht II Rechtsstellung der Ebenen im Bundesstaat Bundesgarantien für die Kantone Eidgenossenschaft als Bundesstaat

1. KAPITEL: WAS IST RECHT?

Verfassungsgerichtshof Judenplatz 11, 1010 Wien G 62/05-4 B E S C H L U S S :

Privatrechtsfähigkeit der Länder und Vermögensdispositionen

STAATSBEGRIFF klassische Definition: erweiterte Definition:

A. Überblick: Gesetzgebungskompetenzen

Univ.-Prof. Dr. Harald Eberhard

Liebe Kollegin! Lieber Kollege! Inhaltsverzeichnis

B. Lösung AufderGrundlagederVorarbeitenderKommissionvonBundestagundBundesratzurModernisierungderbundesstaatlichenOrdnunghatsichdiegroße

Steffen Wolf Referat II 4 - Technischer Verbraucherschutz, Marktaufsicht

14 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP. Regierungsvorlage

B E S C H L U S S : 2. des Univ.-Prof. i.r. Dipl.-Ing. Dr. Alfred H. (...), Wien,

Die vier Prinzipien der Österreichischen Bundesverfassung? Wem steht die gesetzlich geregelte Selbstverwaltung in Österreich insbesondere zu?

Recht (Aufzeichnungen zu Vorlesungen für das 3. Semester/ Feininger) / /

Lösung Fall 1 Die verlängerte Legislaturperiode. Frage 1: Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes

ARBEITSGEMEINSCHAFT ÖFFENTLICHES RECHT I

ARBEITSGEMEINSCHAFT ÖFFENTLICHES RECHT I

Prof. Dr. Stefan Schieren

Fragenkatalog Perthold April Übersicht

Verwaltungsrecht I. Wintersemester 2015/16. Einführung. 1. Vorlesung. Priv.-Doz. Dr. Ulrich Jan Schröder

Arten von Gerichten (mit Beispielen) Ordentliche Spezialgerichte Ad-hoc-Gerichte Gerichte

FÜR DIE REPUBLIK ÖSTERREICH

Stellungnahme der Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen e.v.

über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenenund Invalidenversicherung

Fall 6 «Sicherheitsfirmen»

Niedersächsischer Landtag 14. Wahlperiode Drucksache 14/330. Gesetzentwurf. Der Niedersächsische Ministerpräsident Hannover, den 10.

Landtag von Baden-Württemberg. Gesetzentwurf. Drucksache 13 / Wahlperiode. der Landesregierung

Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A. Ostseeinstitut für Seerecht, Umweltrecht und InfraSt Universität Rostock

Anhörung der Enquetekommission zur Reform der Hessischen Verfassung Schriftliche Stellungnahme

Deutschland ist ein Bundesstaat

Übung Öffentliches Recht I SS 2010 Bruno Binder/Margit Mayr Fall II - Die Staatsbürgerschaft - Bescheid /

Das Recht der Internationalen Organisationen. Vorlesung im SS 2008 von Prof. Dr. Dr. h. c Gilbert Gornig

Rechtliche Rahmenbedingungen der Verwaltungssteuerung. Hon.-Prof. Dr. Franz Sturm WS 2009/2010

Politische System Österreichs - Ein kurzer Einblick in die nationale Ebene -

GAL E2a Lernunterlage Verfassungsrecht Europäische Union

Inhaltsverzeichnis. Vorwort Politik, Recht, Sprache 3. Juristische Grundlehre 15. Völkerrecht und internationale Organisationen...

A. Grundlagen und Geschichte. I. Was ist Verfassungsrecht? STAATSRECHT

1681/A. vom (XXV.GP) ANTRAG. der Abgeordneten Rainer Hable, Bruno Rossmann, Kolleginnen und Kollegen

Bundesverfassung Reform 2012

Bundes-Verfassungsgesetz B-VG

Einführungslehrgang für Gemeindebedienstete

Diskussionsvorschlag für die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen aufbauend auf die Vorschläge Wiederin, WKÖ, Bußjäger und Schnizer

Einführung in das österreichische Recht

MUSTERBEISPIEL FÜR ERSTE KLAUSUR

Raumplanung als öffentliche Aufgabe. Teil 1. Territoriale Gliederung. Einleitung. Akteure. Raum. Europa. Europäische Union. Bund. Österreich.

XI. Periode: Fremdkontrollierte Republik Österreich (Einfluss der Alliierten erheblich größer als 1918)

Wiss. Mitarbeiterin Bärbel Junk Wintersemester 2008/2009. Fall 16 - Lösung

Verfassungsrecht. Grundausbildung Gehobener Dienst 5. Auflage. Dr. in Sigrid Lebitsch-Buchsteiner LL.M.

Mecklenburg-Vorpommern: Das Dienstleistungsportal

Die Gemeinden und die neue Landesverwaltungs gerichtsbarkeit

2. 1 Staat und Politik

C:\Dokumente und Einstellungen\Frischmann\Desktop\B-VG Lissabon endg konsol doc

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Die österreichische Bundesverfassung

Erklärung der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen und österreichischen Landesparlamente sowie des Südtiroler Landtags Wolfsburger Erklärung

So studieren Sie das Öffentliche Recht erfolgreich und schnell:

NORMATIVITÄT DER VERFASSUNG STAATSRECHT II STAATSORGANISATIONSRECHT VERFASSUNGGEBENDE GEWALT DES VOLKES DR. ULRICH PALM

BACHELORSTUDIUM WIRTSCHAFTSRECHT (K 500) FACHPRÜFUNG ÖFFENTLICHES RECHT (16:00 BIS 19:0O Uhr) MUSTERLÖSUNG. TEIL A (21 Punkte)

Die Zuständigkeit der Rechnungshöfe für die Prüfung der Körperschaften des öffentlichen Rechts

Verfassungs- und Verwaltungsrecht (Franz Zehetner)

GRUNDSÄTZE DER ÖSTERREICHISCHEN BUNDESVERFASSUNG

6. Exkurs: Bedeutung des kantonalen Verwaltungsrechts 37 VI. Gewährleistung der Kantonsverfassungen 39

Art. 28 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995

Verfassung: Struktur, Grundsätze und Grundrechte

Amtsverschwiegenheit Auskunftsrecht

Verfassung für Gemeindebedienstete. C-Skriptum

Föderalismus in Deutschland

ÖFFENTLICHES RECHT I. Kontrollfragen zu 1: System und Grundbegriffe der deutschen Rechtsordnung

VIII Inhaltsverzeichnis 2. Confederation ( ) Federation (seit 1787) 68 C. Rechtliche Integration 75 D. Integration auf anderen Gebieten

Hauswarte mit eidg. Fachausweis

AUSARBEITUNG. Die Regelung des Bundeszwangs in Deutschland, der Schweiz, Östereich und den Vereinigten Staaten von Amerika. Tel.:

I. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. 1. Gesetzgebungskompetenz des Landes, Art. 70 GG

Sog. 10 H-Regelung für Windkraftanlagen im Wesentlichen mit der Bayerischen Verfassung vereinbar

MD-VD /11 Wien, 26. Mai 2011

Transkript:

JA ARBEITSGEMEINSCHAFT ÖFFENTLICHES RECHT I VORLESUNG ÖFFENTLICHES RECHT I Bruno Binder/Gudrun Trauner WS 2013/14 7. KAPITEL: BUNDESSTAAT 1. KREUZEN SIE AN! ZWEI STAATSORGANISATIONEN; ZWEI RECHTSORDNUNGEN 1) Wir sprechen von Bundesstaat (= Föderation), Staatenbund (= Konföderation) und Staatenverbund (= EU). 2) 3) 4) Besteht ein Einheitsstaat aus Teil- oder Gliedstaaten, nennen wir ihn Bundesstaat. Österreich ist ein Bundesstaat, wir können auch sagen ein Staatenbund. Es gibt eine Gesetzgebung des Bundes und eine Gesetzgebung des Landes. Die Bundesgesetzgebung besorgt der Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat, die Landesgesetzgebung der Landtag gemeinsam mit dem Landesrat. 5) Die Gerichtsbarkeit ist zur Gänze dem Bund vorbehalten. 6) Im Bundesstaat Österreich gibt es Verfassungsgesetze des Bundes ( Bundesverfassungsgesetze ), einfache Bundesgesetze, Verfassungsgesetze des Landes ( Landesverfassungsgesetze ) und einfache Landesgesetze. 7) Grundlage sowohl für das Bundesrecht als auch für das Landesrecht ist die Bundesverfassung, sie bildet die höchste Stufe im Stufenbau der Rechtsordnung. 8) Jedes staatliche Recht ist in der Bundesverfassung bedingt, die Bundesverfassung ist für alle anderen Rechtssatzformen auch für Landesverfassungsgesetze die bedingende Norm. 9) Es gibt verfassungswidriges Verfassungsrecht. Wenn ein Landesverfassungsgesetz dem Bundesverfassungsgesetz widerspricht, ist das Landesverfassungsgesetz bundesverfassungsgesetzwidrig. 10) Ein einfaches Bundesgesetz kann bundesverfassungswidrig sein, ein einfaches Landesgesetz kann nur landesverfassungswidrig, nicht bundesverfassungswidrig sein. 11) Weil wir im Bundesstaat ein Bundesverfassungsrecht und ein Landesverfassungsrecht haben, kennen wir eine Verfassungsautonomie des Bundes und eine Verfassungsautonomie der Länder. Sowohl die Bundesverfassung als auch die Landesverfassung kann ohne Einschränkung alles regeln. 12) Es gibt eine Bundesverfassung und eine Landesverfassung. Das Bundesparlament erlässt die Bundesverfassung, das Landesparlament die Landesverfassung. Die Landesverfassung darf der Bundesverfassung nicht widersprechen, die Bundesverfassung darf der Landesverfassung nicht widersprechen. 13) Ein Landesverfassungsgesetz, das der Bundesverfassung widerspricht, ist bundesverfassungswidrig und absolut nichtig. 14) Im Sinne der Gesetzgebungsautonomie darf das Bundesparlament als demokratisch legitimierter Gesetzgeber in einfachen Bundesgesetzen alles frei regeln, soweit die Regelungen nicht den Bundesverfassungsgesetzen widersprechen (= Widerspruchsfreiheit). 15) Im Sinne der Gesetzgebungsautonomie dürfen die Landesparlamente als demokratisch legitimierte Gesetzgeber in einfachen Landesgesetzen alles frei regeln, soweit die Regelungen nicht den Landesverfassungsgesetzen widersprechen (= Widerspruchsfreiheit). 16) Nach dem Stufenbau der Rechtsordnung dürfen die einfachen Landesgesetze den einfachen Bundesgesetzen nicht widersprechen. (Cyber)Arbeitsgemeinschaft Öffentliches Recht I (WS 2013/14) Kapitel 7/Seite 1

JA JA KOMPETENZVERTEILUNG; VERTEILUNG NACH SACHMATERIEN; VERTEILUNG NACH SACHMATERIEN IM B-VG 17) Die Kompetenzverteilung ist die Aufteilung der Staatsteilgewalten zwischen dem Bund und den Ländern. Nach dem B-VG werden die Zuständigkeiten zur Gesetzgebung und zur Verwaltung zwischen Bund und Land aufgeteilt, die ordentliche Gerichtsbarkeit ist zur Gänze dem Bund vorbehalten. 18) Das B-VG räumt in Art 10 Abs 1 Z 1 B-VG dem Bund die Kompetenzkompetenz ein; dieser kann sohin durch einfaches Bundesgesetz oder durch Bundesverfassungsgesetz Zuständigkeiten der Länder an sich ziehen. 19) B-VG sieht eine Generalklausel zugunsten des Landes vor. Die Zuständigkeiten des Bundes sind insbesondere in den Art 10, 11 und 12 B-VG einzeln aufgezählt. Wir nennen diese Methode der Kompetenzverteilung Enumerationsmethode. 20) Art 10 B-VG teilt die Materie Straßenpolizei in Gesetzgebung dem Bund, in Vollziehung dem Land zu. Deshalb wurde die Straßenverkehrsordnung 1960 vom Bundesgesetzgeber erlassen. 21) In den Angelegenheiten des Art 12 Abs 1 B-VG kommt dem Bund die Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung und zur Vollziehung zu, den Ländern die Kompetenz zur Ausführungsgesetzgebung. 22) (Bundes)Grundsatzgesetze binden nicht nur die Landtage, sie begründen auch Rechte und Pflichten für einzelne Personen. 23) (Bundes)Grundsatzgesetze können für die Erlassung der Ausführungsgesetze eine Frist festlegen. Wird diese Frist von einem Land nicht eingehalten, geht die Zuständigkeit zur Erlassung des Ausführungsgesetzes für dieses Land auf den Bund über. 24) Die Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Abgabenwesens ist im Finanz- Verfassungsgesetz 1948 geregelt, auf das Art 13 B-VG verweist. 25) In den kompetenzrechtlich verteilten Sachmaterien des B-VG sind auch Annexmaterien enthalten, wie etwa die Verwaltungspolizei. 26) Der zur Regelung der Sachmaterie Gewerbe zuständige Bundesgesetzgeber (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) darf auch Enteignungsmaßnahmen im Interesse der Sachmaterie Gewerbe normieren, weil die Enteignung eine Adhäsionsmaterie ist. 27) Eine Annexmaterie (oder Adhäsionsmaterie ) ist eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die einen Bedarf nach einheitlichen Regelungen voraussetzt und den einfachen Bundesgesetzgeber ermächtigt, Zuständigkeiten aus der Kompetenzverteilung an sich zu ziehen und einheitliche Regelungen auch im Kompetenzbereich der Länder zu erlassen. 28) Da die Festlegung von Verwaltungsstraftatbeständen eine Annexmaterie ist, darf der zur Regelung des Staatsbürgerschaftswesens zuständige Landesgesetzgeber etwa auch einen Straftatbestand für die Verweigerung der Abgabe eines unrichtig beurkundeten Staatsbürgerschaftsnachweises festlegen. 29) Das B-VG kennt auch Bedarfskompetenzen. Bund und Länder können in allen Materien nach Bedarf Kompetenzen des anderen Staats an sich ziehen. 30) Im Hinblick auf die Bedarfskompetenz des Art 11 Abs 2 B-VG dürfen der Materiengesetzgeber des Bundes und die Materiengesetzgeber des Landes keine vom AVG abweichenden Verfahrensregeln erlassen. AUSLEGUNG DER KOMPETENZBEGRIFFE 31) Der Verfassungsgerichtshof legt alle Bestimmungen des B-VG nach der Versteinerungstheorie aus. 32) Versteinerungszeitpunkt bei der Auslegung der Kompetenztatbestände ist meist der 1. Oktober 1925, das ist jener Zeitpunkt, an dem die Kompetenzordnung der Art 10 bis 15 B-VG erstmals in Kraft trat. (Cyber)Arbeitsgemeinschaft Öffentliches Recht I (WS 2013/14) Kapitel 7/Seite 2

33) Der Verfassungsgerichtshof zieht die Versteinerungstheorie zur Auslegung heran, wenn ein Begriff in den Kompetenztatbeständen der Art 10 bis 15 B-VG unklar ist. So wird etwa der Begriff Gewerbe in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG nach der Versteinerungstheorie ausgelegt. 34) Will man den Begriff Gewerbe in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG nach der Versteinerungstheorie auslegen, so muss man zur Auslegung die zum 01.10.1925 geltenden einfachen Bundes- und Landesgesetze heranziehen. 2. STREICHEN SIE FALSCHE TETPASSAGEN DURCH! AUFGABE A [4 Fehler]: Gemäß Art 12 Abs 1 B-VG ist Österreich ein Bundesstaat. Auf dem Staatsgebiet bestehen 10 Staaten: neun Bundesländer und der Bund. Der Bund, nicht aber die Länder sind gewaltenteilig organisiert. Es gibt ein Bundesparlament und neun Landesparlamente, eine Bundesverwaltung und Landesverwaltungen sowie eine Gerichtsbarkeit des Bundes und eine Gerichtsbarkeit des Landes. Österreich hat allerdings eine einheitliche Staatsbürgerschaft (Art 6 Abs 1 B-VG). Jeder österreichische Staatsbürger ist automatisch auch Landesbürger aller Bundesländer (Art 6 Abs 2 B-VG). Im Bundesstaat Österreich sind die Kompetenzen nach Sachmaterien zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Die Länder sind nach einer Generalklausel nach B-VG grundsätzlich für alles zuständig, der Bund hingegen für die einzeln aufgezählten Sachmaterien (Enumerationsmethode). Die Aufteilung der Zuständigkeiten erfolgt getrennt für die Gesetzgebung und für die Vollziehung. Dabei kennt das B-VG vier Kategorien der Aufteilung: Gesetzgebung Bund Vollziehung Bund (Art 10 Abs 1 B-VG); Gesetzgebung Bund Vollziehung Land (Art 11 Abs 1 B-VG); Grundsatzgesetzgebung Bund Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung Land (Art 12 Abs 1 B-VG); Gesetzgebung Land Vollziehung Bund ( B-VG). Die Zuständigkeiten von Bund in Ländern im Abgabenwesen (öffentliche Abgaben = Steuern und Gebühren) sind nicht im B-VG, sondern im Finanz-Verfassungsgesetz 1948 (F-VG 1948) geregelt. AUFGABE B [14 Fehler]: (1) Staaten können sich zusammenschließen. Soweit das auf verfassungsgesetzlicher Grundlage erfolgt, sprechen wir von Bundesstaat oder Konföderation. Erfolgt der Zusammenschluss auf völkerrechtlicher Grundlage, sprechen wir von Staatenbund oder Föderation. Österreich mit seinen zehn Staaten ist als Bundesstaat auf verfassungsgesetzlicher Grundlage eingerichtet. Im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz ist die föderale Stellung der Länder in Österreich stark. (2) In jedem Punkt des österreichischen Staatsgebiets herrschen wegen des Bundesstaats zwei Staatsgewalten. Die Staatsgewalt des Bundes und die Staatsgewalt des jeweiligen Landes. Ein Bundesstaat kann nur funktionieren, wenn die Staatsgewalt zwischen den Staaten aufgeteilt ist. Die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen dem Bund und den Ländern nennt man Konsultationsmechanismus. (3) Das B-VG verteilt die Kompetenzen zwischen Bund und Land nach Sachmaterien. Diese Art der Kompetenzverteilung bringt die Gleichrangigkeit von Bund und Land als Staaten zum Ausdruck. Im Wesentlichen ist die Kompetenzverteilung im B-VG geregelt, es gibt jedoch auch außerhalb des B-VG Kompetenzbestimmungen, so im Finanz-Verfassungsgesetz 1918 für das Abgabenwesen. (4) Die Kompetenzverteilung ist in den Art 10 bis 15 StGG geregelt, und zwar nach der Enumerationsmethode. Eine Generalklausel (Art 10 B-VG) gibt grundsätzlich alle staatlichen Kompetenzen den Ländern, soweit einzelne Sachmaterien nicht ausdrücklich aufgezählt (Art 11 bis 15 B-VG) und dem Bund zugeordnet sind. In den begrifflich umschriebenen Sachmaterien sind auch sogenannte Annexmaterien enthalten, wie etwa Verwaltungsstraftatbestände und verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen. (Cyber)Arbeitsgemeinschaft Öffentliches Recht I (WS 2013/14) Kapitel 7/Seite 3

(5) Nicht nur, aber besonders im Verwaltungsverfahrensrecht haben die Bedarfskompetenzen Bedeutung. Nach Art 12 Abs 2 B-VG darf der Bund im Verwaltungsverfahren, im allgemeinen Verwaltungsstrafrecht, im Verwaltungsstrafverfahren und in der Verwaltungsvollstreckung zur Vereinheitlichung der Regelungen Länderkompetenzen an sich ziehen und durch eigene Bundesverfassungsgesetze einheitlich für Bund und Länder regeln. Der Bund machte von der Bedarfskompetenz mit dem Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 (EGVG), dem Allgemeinen Verwaltungsgesetz (AVG), dem Verwaltungsstrafverfahrensgesetz (VStG) und dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VVG) Gebrauch. (6) Die Sachmaterien der Kompetenzverteilung des B-VG sind mit einfachen Begriffen beschrieben. Die Reichweite dieser Begriffe ist nicht immer klar und daher auslegungsbedürftig. Der Verfassungsgerichtshof wendet auf die Auslegung der Kompetenztatbestände insbesondere die Verkleinerungstheorie an. 3. BEANTWORTEN SIE! 1. Erläutern Sie das erweiterte Stufenbaumodell! [Lehrbuch Rz 376]. 2. Erläutern Sie, wie das B-VG die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern verteilt! [Lehrbuch Rz 383, 388-398]. (Cyber)Arbeitsgemeinschaft Öffentliches Recht I (WS 2013/14) Kapitel 7/Seite 4

Vollziehung Grundsatzgesetzgebung Ausführungsgesetzgebung Ausführungsgesetzgebung Gesetzgebung Vollziehung Grundsatzgesetzgebung Gesetzgebung 4. AUFGABE: ORDNEN SIE ZU! SACHMATERIE KOMPETENZ- TATBESTAND BUND LAND Art? Abs? Z? B-VG Elektrizitätswesen Art 12 Abs 1 Z 5 Wahlen zum Europäischen Parlament Art 10 Abs 1 Z 1a Forstwesen Art 10 Abs 1 Z 10 Baurecht Straßenpolizei Art 11 Abs 1 Z 4 Denkmalschutz Art 10 Abs 1 Z 13 Staatsbürgerschaft Art 11 Abs 1 Z 1 Fischereiwesen [vgl Art 11 Abs 1 Z 8] Jugendfürsorge Art 12 Abs 1 Z 1 Bundesverfassung Art 10 Abs 1 Z 1 Organisation der Bundespolizei Art 10 Abs 1 Z 14 Verfassungsgerichtsbarkeit Art 10 Abs 1 Z 1 Kraftfahrwesen Art 10 Abs 1 Z 9 Jagdwesen [vgl Art 11 Abs 1 Z 8] Tierschutz Art 11 Abs 1 Z 8 Bergwesen Art 10 Abs 1 Z 10 Armenwesen Art 12 Abs 1 Z 1 Urheberrecht Art 10 Abs 1 Z 6 Heil- und Pflegeanstalten Art 12 Abs 1 Z 1 örtliche Sicherheitspolizei [vgl Art 10 Abs 1 Z 7] Bodenreform Art 12 Abs 1 Z 3 allgemeine Sicherheitspolizei Art 10 Abs 1 Z 7 Grundstücksverkehr für Ausländer [vgl Art 10 Abs 1 Z 6] (Cyber)Arbeitsgemeinschaft Öffentliches Recht I (WS 2013/14) Kapitel 7/Seite 5