6.1 Elementare komplexwertige Funktionen

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apitel 6 omplexe Analysis, Funktionentheorie 6.1 Elementare komplexwertige Funktionen Sei D C und f : D C eine komplexwertige Funktion. Man schreibt oft w = f(z) - analog dazu wie man bei Funktionen einer reellen Veränderlichen y = f(x) schreibt und spricht dann von einer Abbildung von der z - Ebene in die w - Ebene. omplexe Zahlen veranschaulicht man am besten in der komplexen Zahlenebene. Hierbei betrachtet man C als reellen Vektorraum R 2 mit Basis {1, i}. Oft verwendet man auch die sogenannte Polardarstellung z = r e iϕ. Hier beschreibt r = z den Abstand vom Ursprung und ϕ stellt den Winkel (im positiven Sinn) zwischen der Ursprungsgerade durch z und der Realteilachse dar. ϕ nennt man auch Argument von z, Schreibweise: arg z. Zerlegt man f(z) in Real- und Imaginärteil f(z) = f(x + iy) = u(x, y) + i v(x, y), so kann man f als Vektorfeld von D, aufgefasst als Teilmenge von R 2, nach R 2 interpretieren: f : ( x y ) ( u(x, y) v(x, y) ). Hierbei sind u(x, y) und v(x, y) reellwertige Funktionen. In der Betrachtung komplexwertiger Funktionen spielt diese Zerlegung in Real- und Imaginärteil eine wesentliche Rolle. Beispiele: a) Sei a C fest vorgegeben. Die Funktion definiert durch f(z) = a z stellt in der komplexen Zahlenebene eine Drehstreckung dar. Dies folgt leicht aus der Rechenregel, 131

daß man zwei komplexe Zahlen miteinander multipliziert, indem man ihre Beträge multipliziert und ihre Argumente (Winkel) addiert. Ist a = a e iα = a (cos α+sin α) und z = z e iϕ = z (cos ϕ + sin ϕ), dann ist a z = a z e i(α+ϕ) = a z (cos(α + ϕ) + i sin(α + ϕ)). Dies entspricht einer Drehung um den Winkel α gefolgt von einer Streckung mit a. b) Die komplexe Exponentialfunktion z e z mit e z = e x+iy = e x e iy = e x (cos y + i sin y), wenn z = x + iy die Zerlegung in Imaginärteil und Realteil von z ist. Somit ist: Re(e z ) = e x cos y, Im(e z ) = e x sin y. Ferner gilt e z = e x, arg e z = y. Rechenregeln: Für z, z 1, z 2 C und y R gilt: (i) (ii) (iii) e z 1+z 2 = e z1 e z 2, e z 1 z 2 = ez 1 e z 2 e 0 = 1, e πi = 1, e 2πi = 1, e z+2πi = e z e iy = cos y + i sin y, e iy = 1. Die Exponentialfunktion ist für alle z C definiert und es ist e z 0 für alle z. Unter der Exponentialfunktion werden Geraden der z - Ebene parallel zur imaginären Achse, also Geraden mit der Gleichung Re z = c, in der w - Ebene in reise um den Ursprung mit Radius e c abgebildet. Geraden Im z = k parallel zur reellen Achse, gehen in Strahlen aus dem Ursprung mit arg w = k über. Der Streifen k 1 Imz < k 1 + 2π wird unter der Exponentialfunktion bijektiv in die gelochte w - Ebene C \ {0} abgebildet. c) Mit Hilfe der Exponentialfunktionen lassen sich weitere wichtige Funktionen f : C C definieren: f(z) = cos z = 1 2 (eiz + e iz ). f(z) = sin z = 1 2i (eiz e iz ). f(z) = cosh z = 1 2 (ez + e z ). f(z) = sinh z = 1 2 (ez e z ). 132

Die Eulersche Formel (obige Rechenregel (iii) 1.Teil) gilt dann offensichtlich mit beliebigen komplexen Zahlen z: e iz = cos z + i sin z. cos z und sin z sind wie im Reellen 2π periodisch. Es kommen durch die Ausdehnung ins omplexe bei beiden Funktionen auch keine zusätzlichen Nullstellen hinzu. Es gilt cos z = 0 = z = ±(2k + 1) π 2 k N und sin z = 0 = z = ±kπ k N. Die Additionstheoreme für Sinus und osinus lauten genau wie im Reellen cos(z 1 + z 2 ) = cos z 1 cos z 2 sin z 1 sin z 2, und es gilt sin(z 1 + z 2 ) = sin z 1 cos z 2 + cos z 1 sin z 2, cos 2 z + sin 2 z = 1. d) Wegen e z+2πik = e z ist klar, daß zur Definition einer Umkehrfunktion, die dann wie im Reellen Logarithmus genannt werden wird, eine Wahl getroffen werden muß. Setzt man Ln(z) := ln( z ) + i arg(z), wobei ln( z ) der reelle natürliche Logarithmus ist und für den Winkel arg(z) die Wahl π < arg(z) π getroffen wird, dann gilt: e Ln(z) = e ln( z )+i arg(z) = z e i arg(z) = z. Man beachte, daß Ln(z) für z = 0 nicht definiert ist. Ist z 0 nicht auf der negativen Realteilachse, dann ist Ln(z) an z 0 stetig. An den Punkten der negativen Realteilachse ist Ln(z) jedoch unstetig, da sich in jeder Umgebung Punkte befinden, deren Argumente sich um fast 2π unterscheiden. Obige Winkelwahl in der Definition von Ln kann man anschaulich so deuten, daß man die komplexe Zahlenebene längs der negativen Realteilachse aufschneidet. Man könnte zur Definition eines Logarithmus die Zahlenebene auch längs einer anderen Halbgerade, die vom Nullpunkt ausgeht, aufschneiden und könnte für arg(z) irgendein Intervall ϕ < arg(z) ϕ+2π bzw. ϕ arg(z) < ϕ+2π der Länge 2π festsetzen. Wählt man z.b. die positive Realteilachse mit ϕ = 0 dann ist der so definierte 133

Logarithmus an Punkten der negativen Realteilachse stetig 0 bleibt allerdings stets ausgenommen und stimmt mit Ln(z) auf den Punkten mit positivem Imaginärteil überein. Man erhält auf diese Weise letzlich mehrere mögliche Bildbereiche für einen komplexen Logarithmus, die man sich wie zusammengeklebte Blätter um eine senkrecht zur Zahlenebene verlaufende Achse durch den Nullpunkt vorstellen kann. In der Mathematik spricht man dann von einer mehrblättrigen Funktion und nennt den Bildbereich eine Riemannsche Fläche. Den oben definierten Logarithmus nennt man den Hauptzweig oder das Hauptblatt. Man definiert den komplexen Logarithmus ln c (z) als mehrdeutige Funktion, indem man einer komplexen Zahl nicht eine Zahl sondern eine ganze Menge von Zahlen zuordnet: z ln c (z) := {Ln(z) + 2kπi; k Z}. Wir werden uns im folgenden jedoch auf den Hauptzweig konzentrieren. Für diesen gilt: Ln(e z ) = ln( e z ) + i arg(e z ) = x + i y 0 für z = x + i y. Hierbei ist y y 0 ein ganzzahliges Vielfaches von 2π. Durch y 0 ( π, π] ist y 0 eindeutig bestimmt. Weitere Rechenregeln: (i) Ln(1) = 0. (ii) Ln(zw) = Ln(z) + Ln(w) + 2πil für l Z. (iii) Ln(z k ) = kln(z) + 2πil für l Z. Die aus dem Reellen gewohnten Rechenregeln gelten also im Allgemeinen nicht, sondern nur bis auf ganzzahlige Vielfache von 2πi. Beispiel: Es ist Ln( i) = i π 2, Ln( 1) = iπ und Ln(( i)2 ) = iπ Ln( i) + Ln( i) = 2Ln( i) = iπ. e) Sind z, w C mit z 0, dann definiert man als Hauptwert einer allgemeinen Potenz z w := e w Ln(z) bzw. im Allgemeinen mehrdeutig als allgemeine Potenz z w := e w lnc(z) = {e w (Ln(z)+2kπi) ; k Z}. Ist w Z, dann ist z w eindeutig. Die Mehrdeutigkeit des Logarithmus wirkt sich hier nicht aus; denn ist w ganzzahlig, dann ist w (Ln(z) + 2kπi) = wln(z) + 2lπi mit l Z. Aber es ist e 2lπi = 1 für l Z. Also ist w (Ln(z) + 2kπi) = w Ln(z). Im Allgemeinen ist z w jedoch mehrdeutig. Ist beispielsweise w = 1 mit n N und n n 2, dann ist z w = e 1 n ln(z) 134

und z w als n - te Wurzel hat n verschiedene Werte (der Exponent ist bestimmt bis auf Vielfache von 2π n. Im Sinne obiger Bemerkungen ist zw dann eine n - blättrige Funktion. Ist w irrational, dann ist z w - blättrig, hat also viele verschiedene Werte. 6.2 Stetigkeit, Differenzierbarkeit onvergenz und Grenzwerte von Folgen bzw. von Funktionen sind wie im Reellen definiert. Definition: Sei (a n ) n N eine Folge komplexer Zahlen. (a n ) konvergiert gegen den Grenzwert a C, wenn ε R + n0 N n N : n n 0 = a n a < ε. Schreibweise: lim n a n = a. Bemerkung: lim n a n = a lim n Re(a n ) = Re a und lim n Im(a n ) = Im a. Definition: Seien D C, z 0 D, a C und f : D C. a) a heißt Grenzwert von f in z 0, wenn für jede Folge (z n ), die gegen z 0 konvergiert, die zugehörige Folge (f(z n )) von Funktionsgrenzwerten gegen a konvergiert, also Schreibweise: lim z z0 f(z) = a. lim z n = z 0 = lim f(z n ) = a n z n z 0 b) f heißt stetig in z 0, falls lim f(z) = f(z 0 ). z z 0 c) f heißt stetig in D, falls f in jedem z 0 D stetig ist. Ob eine Funktion f : C C stetig ist, läßt sich an ihrem Realteil und ihrem Imaginärteil ablesen. Satz 6.2.1: Seien D C, z 0 = x 0 +iy 0, f : D C, f(z) = f(x+iy) = u(x, y)+iv(x, y). Dann gilt: f ist genau dann in z 0 stetig, wenn u(x, y) und v(x, y) in (x 0, y 0 ) stetig sind. Der Beweis ergibt sich unmittelbar mit Hilfe obiger Bemerkung. Definition: Sei f : C C eine komplexwertige Funktion mit Real- und Imaginärteilzerlegung f(z) = u(x, y) + i v(x, y). Dann nennt man f in z 0 differenzierbar, wenn der 135

Grenzwert f(z) f(z 0 ) lim z z 0 z z 0 existiert. Unter einem Gebiet in C versteht man eine offene und zusammenhängende Teilmenge von C. Ist f in jedem Punkt eines Gebiets G C differenzierbar, dann heißt f holomorph auf G. Für die abgeleitete Funktion verwendet man die gewohnten Notationen: d dz f bzw. f. Ist f(z) = u(x, y) + i v(x, y) differenzierbar in z 0 = x 0 + iy 0, dann stimmen insbesondere (h R) die Grenzwerte f(z 0 + h) f(z 0 ) u(x 0 + h, y 0 ) + iv(x 0 + h, y 0 ) u(x 0, y 0 ) iv(x 0, y 0 ) lim = lim = h 0 h h 0 h und u(x 0 + h, y 0 ) u(x 0, y 0 ) + i(v(x 0 + h, y 0 ) v(x 0, y 0 )) lim = u x (x 0, y 0 ) + iv x (x 0, y 0 ) h 0 h f(z 0 + ih) f(z 0 ) u(x 0, y 0 + h) + iv(x 0, y 0 + h) u(x 0, y 0 ) iv(x 0, y 0 ) lim = lim = h 0 ih h 0 ih i(u(x 0, y 0 + h) u(x 0, y 0 )) + v(x 0, y 0 + h) v(x 0, y 0 ) lim = iu y (x 0, y 0 ) + v y (x 0, y 0 ) h 0 h überein. Durch Vergleich von Real- und Imaginärteil erhält man den ersten Teil des folgenden Satzes: Satz 6.2.2:(Cauchy-Riemannsche Differentialgleichungen) a) Sei G C ein Gebiet und ist f = u + iv : G C differenzierbar in z 0 = x 0 + iy 0. Dann existieren die partiellen Ableitungen von u und v nach x und y und es gelten die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen: Ferner gilt: u x (x 0, y 0 ) = v y (x 0, y 0 ) und u y (x 0, y 0 ) = v x (x 0, y 0 ). f (z) = u x (x, y) iu y (x, y) = v y (x, y) + iv x (x, y). 136

b) Umgekehrt, ist f(z) = u(x, y) + iv(x, y) für reelle in einer Umgebung von z 0 stetig differenzierbare Funktionen u und v, die die Cauchy - Riemannschen Differentialgleichungen erfüllen, dann ist f in einer Umgebung von z 0 stetig differenzierbar. Es reicht also nicht aus, daß die Funktionen u(x, y) und v(x, y) in x und y stetig differenzierbar sind, sonderen es müssen für sie zusätzlich die Cauchy - Riemannschen Differentialgleichungen gelten. Für die Differentiation gelten dieselben Rechenregeln wie im Reellen: Satz 6.2.3: (i) (Linearität) (ii) (Produktregel) (iii) (Quotientenregel) (iv) (ettenregel) (af + bg) = af + bg für a, b C. (f g) = f g + f g. ( f g ) = f g g f g 2 g 0. (g f) (z) = g (f(z)) f (z). 1 6.3 Integration Eine stetige komplexwertige Funktion einer reellen Veränderlichen f(x) = u(x) + iv(x) wird integriert, indem man Realteil und Imaginärteil integriert, d.h. b a f(x) dx = b a u(x) dx + i v(x) dx. Sei nun G C ein Gebiet und f : G C stetig. Dann stellt sich die Frage, wie man f von einem Punkt P bis zu einem Punkt Q der komplexen Zahlenebene integrieren kann. Zunächst ist klar, daß es verschiedene glatte urven gibt, die P mit Q verbinden. Ein Integral wird also zumindest zunächst von der Verbindungskurve abhängen. Für a, b R sei C : [a, b] G Parametrisierung einer urve mit C(a) = P und C(b) = Q. Hierbei wird G zugleich als Teilmenge von R 2 identifiziert mit C aufgefaßt. Ist 1 Hierbei bedeutet die omposition g nach f. f(z) = u(x, y) + iv(x, y) 137

die Real- und Imaginärteilzerlegung von f, dann sind auch u und v stetig. Definition: Sei eine glatte urve mit regulärer Parametrisierung C : [a, b] G. Dann ist das komplexe urvenintegral längs definiert als f(z) dz := Hierbei ist C(t) komplex parametrisiert und es gilt f(c(t)) C (t) dt. f((c(t)) C (t) = (u(x(t), y(t)) + iv(x(t), y(t))) (x (t) + iy (t)) = u(x(t), y(t) x (t) v(x(t), y(t)) y (t) + iu(x(t), y(t) y (t) + v(x(t), y(t)) x (t). Parametrisiert man reell mit C(t) = (x(t), y(t)), verwendet die Real- und Imaginärteilzerlegung von f und benutzt die reellen Vektorfelder g 1 (x, y) = ( u(x, y) v(x, y) ) und g 2 (x, y) = ( v(x, y) u(x, y) ) dann kann man das komplexe urvenintegral in der Form f(z) dz = g 1 dv + i g 2 dv = b a (u, v)(x, y ) dt + i b a (v, u)(x, y ) dt = = b a u(x(t), y(t))x (t) v(x(t), y(t))y (t) dt + i b a u(x(t), y(t))y (t) + v(x(t), y(t))x (t) dt. schreiben. Hierbei haben wir für das vektorielle Bogenelement dv geschrieben. Das komplexe urvenintegral ist also in zwei reelle urvenintegrale das zweite multipliziert mit i zerlegt worden. Man verwendet für das komplexe urvenintegral auch häufig folgende Schreibweisen: f(z) dz = (u + iv) (dx + idy) = = b a ux vy dt + i b u dx v dy + i a vx + uy dt, u dy + v dx = wobei zur Übersichtlichkeit bei den Funktionen die Argumente weggelassen wurden. Beispiele: 138

a) Für f(z) = z 2 soll das komplexe urvenintegral längs der urve gegeben durch t t + it 2, 1 t 1 berechnet werden. Parametrisiert man reell so ist C(t) = (x(t), y(t)) mit x(t) = t, y(t) = t 2 C (t) = (1, 2t). Mit z = x + iy ist f(z) = (x + iy) 2 = x 2 y 2 + i(2xy). Mit f(z) = u(x, y) + iv(x, y) ist dann Somit f(z)dz = 1 1 u(x, y) = (x 2 y 2 ) und v(x, y) = 2xy. (t 2 t 4, 2t 3 ) (1, 2t) dt + i 1 1 1 1 1 t 2 5t 4 dt + i 4t 3 2t 5 dt = 4 1 3. (2t 3, t 2 t 4 ) (1, 2t) dt = b) Sei c C, n Z und f(z) = (z c) n. Es soll das urvenintegral von f um den reis vom Radius r und der Gleichung z c = r berechnet werden. reise lassen sich leicht komplex parametrisieren: und Mit c = a + bi erhält man mit C(t) = c + r e it, 0 t < 2π. x(t) = a + r cos t, y(t) = b + r sin t, 0 t < 2π eine reelle Parametrisierung von. Es errechnet sich Interpretiert man dies komplex, so ist x (t) = r sin t, y (t) = r cos t. C (t) = r i e it. Dies hätte man genauso erhalten, wenn man die komplexe Parametrisierung nach t abgeleitet hätte. Mit f(c(t)) = (c + e it c) n ergibt sich somit f(z) dz = 2π 0 = i r n+1 Für n = 1 erhält man: (rie it ) n ire it dt = i r n+1 2π 0 2π cos((n + 1)t) + i sin((n + 1)t) dt. 139 0 e i(n+1)t) dt

f(z) dz = 2πi. Für n 1 ergibt sich jedoch mit cos((n + 1)t) dt = 1 sin((n + 1)t) dt = 1 cos((n + 1)t), daß n+1 f(z) dz = 0. n+1 sin((n + 1)t) bzw. Man beachte, daß für negatives n die Funktion in z = z 0 einen Pol besitzt, daß aber nur für n = 1 das Umlaufintegral nicht Null ist. Die folgenden Rechenregeln für komplexe Integrale ergeben sich direkt aus jenen für reelle urvenintegrale. Satz 6.3.1: a) (Linearität) af(z) + b(g(z) dz = a f(z) dz + b g(z) dz. b) Ist die entgegengesetzt durchlaufene urve, so gilt: f(z) dz = f(z) dz. c) Ist = 1 +... + m, dann gilt f(z) dz = f(z) dz +... + f(z) dz. 1 m d) Bezeichnet L() die Länge der urve, dann gilt: f(z) dz L() max ( f(z). z Satz 6.3.2: Sei G C ein einfach zusammenhängendes Gebiet und f : G C sei stetig differenzierbar. a) (Cauchyscher Integralsatz) Sei eine in G verlaufende geschlossene urve, die sich nur endlich oft überschneidet. Dann gilt: f(z) dz = 0. 140

b) Seien a 1, a 2 G und 1, 2 urven mit Anfangspunkt a 1 und Endpunkt a 2. Dann gilt: f(z) dz = f(z) dz. 1 2 Beweis: a) Wir nehmen vereinfachend an, daß doppelpunktfrei ist. Da f stetig differenzierbar ist, sind für f = u + iv die Cauchy - Riemannschen Differentialgleichungen erfüllt, d.h. u x = v y und u y = v x. Betrachte die Vektorfelder g 1 = (u, v) und g 2 = (v, u). Dann gilt: rot g 1 = 0 und rot g 2 = 0. Die urve kann man als Rand einer in G liegenden Fläche F auffassen. Nach dem Satz von Green (Satz 3.3.1) gilt dann: g 1 dv = 0 und g 2 dv = 0. Folglich f(z) dz = g 1 dv + i g 2 dv = 0 + 0 = 0. b) folgt aus a). Bemerkungen: Ist G nicht einfach zusammenhängend, so gilt Satz 6.3.2 im Allgemeinen nicht. Dies zeigt obiges Beispiel im Fall n = 1. In der Situation von Satz 6.3.2 b) ist das Integral von a 1 nach a 2 wegunabhängig. Man schreibt dann einfach ohne Bezug auf die verbindende urve a2 a 1 f(z) dz Der folgende Satz entspricht dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung von Funktionen einer reellen Veränderlichen. Satz 6.3.3: Sei G C ein einfach zusammenhängendes Gebiet und f : G C sei stetig differenzierbar. 141

a) Für fest gewähltes a 1 G und variables z G ist F (z) := z a 1 f(ζ) dζ eine Stammfunktion von f(z), d.h. es gilt: F (z) = f(z). b) Verschiedene Stammfunktionen von f unterscheiden sich nur um eine onstante. c) a2 a 1 f(ζ) dζ = F (a 2 ) F (a 1 ). Wir wenden uns jetzt nicht einfach zusammenhängenden Gebieten zu. Satz 6.3.4: Sei G einfach zusammenhängend und 1, 2 seien geschlossene urven in G. Ferner sei A eine Teilmenge von G, die von 1 und 2 in gleicher Orientierung einmal umlaufen werde. g : G \ A C sei stetig differenzierbar. Dann gilt: g(z) dz = g(z) dz. 1 2 Folgerung 6.3.5: Sei G C einfach zusammenhängend und f : G C sei stetig differenzierbar. Ferner sei a G, r > 0, n Z und eine geschlossene doppelpunktfreie urve in G, so daß der reis C r (a) um a mit Radius r im Innern von liegt. Dann gilt: und f(z) (z a) dz = f(z) n C r(a) (z a) dz n 1 (z a) dz = 1 C r(a) (z a) dz = 2πi f(z) Beweis: Mit A = {a} und g(z) = folgt die Behauptung unmittelbar aus Satz 6.3.4. (z a) n Der Wert des letzten Integrals wurde im zweiten Beispiel vor Satz 6.3.1 berechnet. Satz 6.3.6: (Cauchysche Integralformel) Sei G ein einfach zusammenhängendes Gebiet, f : G C sei stetig differenzierbar. sei eine positiv orientierte geschlossene doppelpunktfreie urve. Sei M die von umschlossene Menge. Es gelte M o G und es sei z M o. Dann gilt: 142

f(z) = 1 f(ζ) 2πi (ζ z) dζ. Insbesondere ist also f(z) durch die Funktionswerte auf bestimmt. Man kann zeigen, daß die Differentiation von f(z) in der Cauchyschen Integralformel mit der Integration auf der rechten Seite vertauscht, d.h. es ist Iteriert man diesen Prozess, so erhält man f (z) = 1 f(ζ) 2πi (ζ z) dζ. 2 f (n) (z) = n! f(ζ) dζ. 2πi (ζ z) n+1 Diese Gleichung nennt man die Cauchysche Integralformel für die n - te Ableitung und gilt wiederum für alle Punkte z aus M o, d.h. aus dem Inneren der urve. Insbesondere sind auch alle Ableitungen von f(z) durch die Werte von f auf dem Rand bestimmt. Man sieht, daß holomorphe Funktionen beliebig oft differenzierbar sind. 6.4 Potenzreihen, Laurentreihen Eine Reihe der Form a k (z z 0 ) k k=0 mit a k, z 0, z C nennt man Potenzreihe mit Entwicklungspunkt z 0 und oeffizienten a k. Diese Definition entspricht genau jener von reellen Potenzreihen. Wie bei reellen Potenzreihen gelten für die Untersuchung auf onvergenz dieser Reihen das Majorantenkriterium, das Quotientenkriterium und das Wurzelkriterium. Im Unterschied zum Reellen ist der Definitionsbreich (reell betrachtet) 2 - dimensional, z.b. tritt an die Stelle des onvergenzintervalls ein onvergenzkreis und das Wort onvergenzradius gewinnt erst bei komplexen Potenzreihen so richtig seine Bedeutung. Genaueres regelt der folgende Satz. Satz 6.4.1: Gegeben sei a k (z z 0 ) k. Bezeichne M die Menge aller z C, für die diese k=0 Potenzreihe konvergiert. Dann gibt es nur die folgenden Möglichkeiten. 143

a) Es gibt ein r R +, so daß {z C; z z 0 < r} M {z C; z z 0 > r}. Man nennt dann {z C; z z 0 r} den onvergenzkreis der Potenzreihe und r ihren onvergenzradius. Für jedes 0 < ϱ < r konvergiert die Reihe für alle z mit z z 0 r gleichmäßig und absolut. b) Die Potenzreihe konvergiert für alle z C. In diesem Fall sagt man, die Potenzreihe besitzt den onvergenzradius. Die Potenzreihe konvergiert überall gleichmäßig und absolut. c) Die Potenzreihe konvergiert nur für z = z 0. In diesem Fall besitzt die Potenzreihe den onvergenzradius 0. Ist die Funktion f durch f(z) = a k (z z 0 ) k gegeben, dann ist f(z) in den Punkten im Inneren des onvergenzkreises stetig. k=0 Man beachte, daß im Teil a) des Satzes keine Aussage über die onvergenz der Potenzreihe auf dem Rand des onvergenzkreises getroffen wird. Auf dem Rand kann absolute onvergenz, nicht absolute onvergenz oder auch gar keine onvergenz vorliegen. Dies ist wie bei reellen Potenzreihen. Satz 6.4.2: Sei f(z) = a k (z z 0 ) k eine Potenzreihe mit onvergenzradius r > 0. k=0 (i) f(z) ist für alle z mit z z 0 < r beliebig oft differenzierbar. Es gilt: f (z) = k a k (z z 0 ) k 1 k=1 und die Reihe für f (z) hat den gleichen onvergenzradius wie die Reihe für f(z). (ii) Es gilt a n = 1 n! f (n) (z 0 ). Insbesondere ist die Darstellung von f(z) als Potenzreihe eindeutig. Es stellt sich die Frage, ob eine differenzierbare Funktion in eine Potenzreihe entwickelt werden kann. Im Reellen dient dazu die Taylorrreihe n=0 f (n) (x 0 ) (x x 0) n n!. 144

Diese konvergiert, wenn in einer Umgebung von x 0 nur dann gegen f(x 0 ), wenn das Restglied gegen 0 geht. Es ist aber nicht immer der Fall, daß die Taylorreihe gegen f konvergiert. Für komplexe differenzierbare Funktionen ist die Situation besser. Satz 6.4.3: Sei G C ein Gebiet, z 0 G und f : G C in G differenzierbar. Dann läßt sich f in eine Potenzreihe um z 0 mit positivem onvergenzradius r entwickeln. Der Radius ist kleiner gleich dem Abstand von z 0 vom Rand G. Nach Satz 6.4.2 sind Potenzreihen in ihrem onvergenzkreis beliebig oft differenzierbar. Somit folgt aus Satz 6.4.3 Folgerung 6.4.4: Sei f : G C differenzierbar. Dann ist f in G beliebig oft differenzierbar. Ist a k (z z 0 ) k n=0 die Potenzreihendarstellung um z 0, dann ist f (n) (z 0 ) = n! a n. Also ist eine holomorphe Funktion lokal stets durch eine Taylorreihe f(z) = i=0 f (n) (z 0 ) (z z 0 ) i i! darstellbar. Ist eine komplexwertige Funktion an z 0 C nicht definiert, aber für alle Punkte in einem reisring um z 0, dann nennt man z 0 eine Singularität oder singuläre Stelle von f. Typisches Beispiel ist etwa z 0 für f(z) = 1 z z 0. Im folgenden werden wir annehmen, daß f in einem reisring um eine Singularität holomorph ist. Satz 6.4.5: Sei f im reisring R = {z C; r < z z 0 < R} holomorph. a) Dann gilt für alle z R f(z) = a i (z z 0 ) i := i= a k (z z 0 ) k + k=0 k=1 a k (z z 0 ) k. b) Für die oeffizienten a k gilt: a k = 1 f(ζ) dζ. 2πi ϱ (ζ z 0 ) k+1 145

Hierbei ist ϱ für r < ϱ < R der reis um z 0 mit Radius ϱ. Die oeffizienten sind also eindeutig bestimmt. Man nennt die Reihe die Laurentreihe von f um z 0. c) Die Teilsummen i= a i (z z 0 ) i a k (z z 0 ) k bzw. k=0 k=1 a k (z z 0 ) k der Laurentreihe konvergieren absolut und gleichmäßig in jedem Teilring von R. Bemerkungen: In Satz 6.8.1 wurde nicht vorausgesetzt, daß im Inneren des reisringes, insbesondere in z 0 eine Singularität existiert. Ist f im Inneren ebenfalls holomorph, dann wird aus der Laurentreihe um z 0 die Taylorreihe um z 0 (vgl. 6.4.4), d.h. es gilt wegen der Eindeutigkeit c i = 0 für alle negativen Indices i. Unter dem Hauptteil einer Laurentreihe i= a i(z z 0 ) i versteht man den Teil mit negativen Indices, also 1 a i (z z 0 ) i. i= Ist dieser Hauptteil 0, dann liegt eine Potenzreihe vor und an der Stelle z 0 liegt keine Singularität vor. Im Gegenteil, die durch die Reihe dargestellte Funktion ist an z 0 holomorph. Liegt an einer z 0 also eine Singularität vor, so ist hierfür der Hauptteil der Laurentreihe verantwortlich. Man unterscheidet drei verschiedene Arten von Singularitäten. Besteht der Hauptteil der Laurentreihe von f um z 0 aus unendlich vielen von 0 verschiedenen Summanden, dann nennt man z 0 eine wesentliche Singularität von f. Besteht der Hauptteil nur aus endlich vielen Summanden und ist a n 0 und a i = 0 für alle i > 0 dann nennt man die Singularität z 0 einen Pol n - ter Ordnung. Letztlich, ist der Hauptteil 0, so nennt man z 0 eine hebbare Singularität. Beispiele: a) Für die Funktion f(z) = e 1 z erhält man aus der Exponentialreihe, indem man z durch 1 z ersetzt, die Laurentreihe um die wesentliche Singularität z 0 = 0. e 1 z = 1 + 1 z + 1 2!z 2 + 1 3!z 3 +... 146

b) Die rationale Funktion c) sin z z 1 (z z 0 ) n hat an z = z 0 einen Pol der Ordnung n. besitzt an z = 0 eine hebbare Singularität. 6.5 Residuensatz und Anwendungen auf reelle Integrale Sei G C ein einfach zusammenhängendes Gebiet mit stückweise stetig differenzierbarer Randkurve = G. Die Funktion f sei bis auf endlich viele Ausnahmepunkte z 1,..., z n in G stetig differenzierbar. Ziel ist es zunächst, das Umlaufintegral f(z) dz zu berechnen. Hierzu legt man um jeden Ausnahmepunkt z i einen reis C i G mit Radius r i. Die Radien seien hierbei so gewählt, daß sich die reise C i weder schneiden noch berühren. Alle reise seien positiv orientiert. Mit Hilfe des Cauchyschen Integralsatzes sieht man (vgl. Skizze), daß es lediglich darauf ankommt die urvenintegrale um die einzelnen reise zu berechnen und aufzusummieren. Die reise C i werden in der Skizze negativ durchlaufen, daher n f(z) dz f(z) dz = 0. C k k=1 Es gilt also: 147

f(z) dz = n k=1 C k f(z) dz. Die Ausgangsfrage reduziert sich also auf die Berechnung von urvenintegralen längs geschlossener urven um einen Ausnahmepunkt. Solche urvenintegrale lassen sich bei entsprechender Bauart von f mit Hilfe der Cauchyschen Integralformel berechnen. Beispiel: Sei f(z) = eiz z 2 + 1. Für r > 0 bezeichne r + die geschlossene urve, die sich aus dem von links nach rechts durchlaufenen Intervall [ r, r] und der positiv orientierten oberen Hälfte H r + des reises um 0 von Radius r in der komplexen Zahlenebene zusammensetzt. Die Nullstelle i des Nenners von f liegt im Innern von r +, wenn r groß genug ist. Es ist dann mit g(z) = eiz z + i und nach der Cauchyschen Integralformel + r f(z) dz = + r g(z) z i dz = 2πi g(i) = 2πi e 1 2i = πe 1. Das urvenintegral läßt sich jedoch auch folgendermaßen ausdrücken: + r Für jedes r > 0 gilt dann f(z) dz = r r e ix x 2 + 1 dx + H r + 148 f(z) dz.

r r e ix x 2 + 1 dx = πe 1 H r + e iz z 2 + 1 dz. Für r verschwindet das rechte Integral, denn mit 6.3.1 d) ergibt sich ( ) H + r e iz z 2 + 1 dz L(H+ r ) max e iz z H r + z 2 + 1 πr eia e b r 2 1 πr r 2 1. πr Wegen lim r r 2 1 = 0 ist lim r H r + e iz z 2 + 1 dz = 0. Bei der Abschätzung in (*) wurde im Zähler ausgenutzt, daß für z = a + ib und z H + r stets e b 1 ist, da der Halbkreis in der oberen Halbebene liegt und somit b 0 ist. Ferner ist für reelles a stets e ia = 1. Für z 1, z 2 C ist z 1 + z 2 z 1 z 2. Dies führt bei der Abschätzung in (*) im Nenner zu z 2 + 1 r 2 1 1 1 und somit zu z 2 + 1 r 2 1 für z H+ r. Insgesamt ergibt sich: r e ix lim r r x 2 + 1 dx = e ix x 2 + 1 dx = π e 1. Mit e ix = cos x + i sin x folgt dann cos x x 2 + 1 dx + i sin x x 2 + 1 dx = π e 1. Vergleich von Real- und Imaginärteil liefert letztlich folgende Ergebnisse cos x x 2 + 1 dx = πe 1 bzw. sin x x 2 + 1 dx = 0. Betrachtet man das erste der beiden uneigentlichen Integrale, so sieht man, daß man durch Rechnung im omplexen ein Ergebnis erhalten hat, welches rein reell gerechnet nicht so leicht zu erzielen gewesen wäre. Diese Methode läßt sich verallgemeinern. Definition: Sei G C ein einfach zusammenhängendes Gebiet. f sei in G \ {z 0 } holomorph und G sei eine positiv orientierte geschlossene doppelpunktfreie urve um 149

z 0. Dann nennt man das Residuum von f an z 0. Res(f, z 0 ) := 1 f(z) dz 2πi Satz 6.5.1:(Residuensatz) Sei G C einfach zusammenhängendes Gebiet und eine ganz in G liegende geschlossene doppelpunktfreie positiv orientierte urve. f : G C sei bis auf endlich viele Ausnahmepunkte z 1,... z n innerhalb von stetig differenzierbar. Dann gilt: f(z) dz = 2πi n Res(f, z i ). Zur Berechnung von Residuen ist folgendes Resultat nützlich. Satz 6.5.2: Sei G C ein einfach zusammenhängendes Gebiet. f sei in G \ {z 0 } stetig differenzierbar und G sei eine positiv orientierte geschlossene doppelpunktfreie urve um z 0. f(z) sei gegeben durch f(z) = g(z) (z z 0 ). n g : G C sei stetig differenzierbar. Dann gilt: i=1 Res(f, z 0 ) = 1 (n 1)! g(n 1) (z 0 ). 6.6 Fundamentalsatz der Algebra Satz 6.6.1: (Satz von Liouville) Sei f : C C stetig differenzierbar und beschränkt, d.h. C>0 z C f(z) < C. Dann ist f(z) konstant. Beweis: Sei z C beliebig vorgegeben und sei der reis um z mit Radius r. Nach der Cauchyschen Integralformel für die erste Ableitung gilt : f (z) = 1 2πi f(ζ) (ζ z) dζ C 2 2π 150 1 (ζ z) dζ M 2 2π 2πr 1 r. 2

Für die letzte Ungleichung wurde Rechenregel 6.3.1.d) angewandt. Läßt man r gegen 0 gehen, so folgt f (z) = 0. Satz 6.6.2: (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes Polynom f(z) = n a i z i, a i C, a n = 1 i=0 vom Grad n 1 besitzt mindestens eine komplexe Nullstelle. Beweis: Annahme es sei f(z) 0 für alle z C. Dann ist g(z) := 1 f(z) eine stetig differenzierbare Funktion von C nach C. Es ist Folglich ist n 1 lim z f(z) lim z z n a i z i =. i=0 lim g(z) = 0. z Somit ist g(z) beschränkt und nach dem Satz von Liouville ist g(z) dann eine onstante. Dann ist aber auch f(z) konstant, im Widerspruch zur Annahme. Folgerung: Jedes Polynom f(z) = n a i z i, a i C, a n = 1 i=0 vom Grad n 1 läßt sich als ein Produkt von n Linearfaktoren schreiben, d.h. f(z) = (z z 1 )... (z z n ). Beweis: Dies ergibt sich aus dem Fundamentalsatz der Algebra sofort mit Hilfe von Polynomdivision und Induktion. 6.7 Geometrische Eigenschaften holomorpher Funktionen Sei G C ein Gebiet und f : G C holomorph. Zerlegt man f in Real- und Imaginärteil, also f = u + iv, dann gilt für die Funktionaldeterminante von f aufgefaßt als Transformation im R 2 Funktion 151

u x v y v x u y. Da f holomorph ist, gelten die Cauchy - Riemannschen Differentialgleichungen, also u x = v y und u y = v x. Somit folgt für die Funktionaldeterminante (u, v) f = (x, y = u2 x + vx 2 = u 2 x + u 2 y = f (z) 2. Ist f (z) 0, dann folgt, daß f in einer Umgebung von z injektiv ist, d.h. hinreichend kleine Gebiete um z haben Gebiete als Bilder. Diese Eigenschaft holomorpher Abbildungen nennt man Gebietstreue. Satz 6.7.1: Sei G C ein Gebiet und f : G C holomorph. Sei z 0 G mit f (z 0 ) 0. a) Seien C 1 und C 2 differenzierbare urven durch z 0, die sich unter dem Winkel α schneiden, dann schneiden sich die Bildkurven f(c 1 ) und f(c 2 ) ebenfalls unter dem Winkel α. Die Orientierung des Winkels bleibt hierbei erhalten(diese Eigenschaft nennt man Winkeltreue) b) Sei C eine differenzierbare urve durch z 0. Die Länge eines Tangentenvektors von C durch z 0 verändert sich unter f um den Faktor f (z 0 ). Die Verzerrung hängt also nur von z 0 und f ab und nicht von der urve bzw. ihrer Parametrisierung. (Diese Eigenschaft nennt man die Ähnlichkeit im leinen.) Winkeltreue (d.h. inclusive Orientierung) Abbildungen G C nennt man konform. Holomorphe Funktionen sind nach obigem Satz konform, ausgenommen kritische Punkte, d.h. Punkte z mit f (z) = 0. Beispiele und Folgerungen: a) f(z) = e z ist überall konform. Geraden parallel zur imaginären Achse werden auf reise um den Ursprung abgebildet. Der Einheitskreis wird weder auf eine Gerade noch auf einen reis abgebildet. Geraden parallel zur reellen Achse werden in Strahlen aus dem Ursprung abgebildet. (b) f(z) = z 2 ist an der Stelle z 0 = 0 nicht winkeltreu. Es gilt f (0) = 0. Die Voraussetzung von Satz 4.7.1 ist also nicht überflüssig. c) Ist f : G C mit f(z) = f(x + iy) = u(x, y) + iv(x, y) holomorph und f (z) 0 in G, dann sind im R 2 die urven u(x, y) = const. und v(x, y) = const. zueinander orthogonal, da sie unter f in Parallelen (möglicherweise nicht in die ganze Parallele) zu den oordinatenachsen, d.h. der Realteilachse bzw. der Imaginärteilachse der w - Ebene, abgebildet werden (denn ist u(x 0 + iy 0 ) = k, dann ist f(x 0 + iy 0 ) = (k, v(x 0, y 0 )) ). 152

Definition: Gebrochen lineare Funktionen der Form heißen Möbiustransformationen. Beispiele: f(z) = az + b cz + d ( a b mit det c d ) 0 a) Translationen sind Möbiustransformationen. In f(z) = az + b ist dann c = 0 und cz + d a = 1. Wegen c = 0 folgt aus der Determinantenbedingung ad bc 0, daß a 0 d und d 0. b) Drehstreckungen, also Abbildungen der Form z e z sind Möbiustransformationen. In f(z) = az + b cz + d ist hier c = b = 0 und a d = e. c) Setze = ad bc. Ist c 0 in f(z) = az + b, dann kann man wegen cz + d ( ) f(z) = a (cz + d) ad + b c c = a ad bc cz + d c c(cz + d) = a c c(cz + d) die Möbiustransformation f als omposition der Drehstreckung z c2 z, der Translation z z cd, der Inversion z 1 z und letztlich der Translation z z+ a c zusammensetzen. d) Mit Hilfe der Umformung (*) sieht man leicht, daß Möbiustransformationen injektiv sind und daß a im Fall c 0 die einzige komplexe Zahl ist, die nicht im Bild von f c auftaucht. Mit omposition bilden Möbiustransformationen eine Gruppe. Sind f und g Möbiustransformationen mit dann ist f(z) = a 1z + b 1 c 1 z + d 1 bzw. g(z) = a 2z + b 2 c 2 z + d 2 mit g(f(z)) = a 3z + b 3 c 3 z + d 3 153

( ) a3 b 3 c 3 d 3 = ( a2 b 2 c 2 d 2 ) ( a1 b 1 c 1 d 1 ). Satz 6.7.2: Eine Möbiustransformation bildet reise auf reise oder Geraden ab, sowie Geraden in reise oder Geraden. Möbiustransformationen lassen sich mit Hilfe der Riemannschen Zahlenkugel besser beschreiben. Diese ist folgendermaßen definiert. Im R 3 setzt man eine ugel mit Durchmesser 1 auf die (x, y) - Ebene, so daß sie diese im Ursprung berührt. Die (x, y) - Ebene werde in der üblichen Weise mit C identifiziert. Verbindet man z C mit dem Nordpol (0, 0, 1) der ugel, so schneidet die Verbindungsgerade die ugeloberfläche S in genau einem Punkt. Man erhält auf diese Weise eine Bijektion von C mit S \ {(0, 0, 1)}. Nimmt man nun zu C einen Punkt genannt hinzu, dann kann man diese onstruktion zu einer Bijektion von C { } und der ugeloberfläche S fortsetzen. Die so konstruierte Bijektion ρ : C { } S nennt man stereographische Projektion. S nennt man Riemannsche Zahlenkugel. Das Bild des Einheitskreises unter ρ nennt man den Äquator der ugel. Das Innere des Einheitskreises korrespondiert zur Südhalbkugel, das Äußere zur Nordhalbkugel. Man kann somit Möbiustransformationen auf die Riemannsche Zahlenkugel S ausdehnen. Hierzu muß dann, wenn ist, f(z) = az + b cz + d f( d c ) = und f( ) = a c gesetzt werden. Da Möbiustransformationen mit c 0 als Funktionen von C \ { d} nach c C injektiv sind, vgl. Beispiel d) vor Satz 4.7.1, und genau eine komplexe Zahl nicht im Bild liegt, ist die Erweiterung zu einer Funktion von S S eindeutig. muß dann jene komplexe Zahl sein, die nicht im Bild liegt. Diese ist a. Falls c = 0 ist, also c wenn sich die Möbiustransfromation nur aus einer Translation und einer Drehstreckung zusammensetzt, ist bei der Erweiterung das Bild von. Ist c = 0, dann folgt aus der Determinantenbedingung a 0 und d 0. Mit nachfolgenden Rechenregeln ist dann a = d =. Somit ist dann auch für Möbiustransformationen f mit c = 0 die obige c c angegebene Erweiterung von f gültig. In allen Fällen ist die Erweiterung eine bijektive Abbildung von S nach S. Man beachte, daß in C { } für z C folgende Rechenregeln sinnvoll sind: 154

Bei den letzten beiden Regeln ist z 0. z = 0, z + =, z =, z =. 0 Unter der stereographischen Projektion korrespondieren Geraden und reise in C zu reisen auf der Zahlenkugel. Dies begründet, daß man Geraden in C als reise mit unendlichem Radius auffassen kann. Auf der Zahlenkugel sind Möbiustransformationen kreistreue Abbildungen. Beweis von Satz 6.7.2: Da Translationen und Drehstreckungen reise in reise und Geraden in Geraden abbilden, genügt es wegen der Zerlegung einer Möbiustransformation gemäß Beispiel c) vor Satz 4.7.1 zu zeigen, daß der Satz für die Inversion z 1 z richtig ist. Im R 2 ist eine Gerade durch die Gleichung a 1 x + a 2 y + c = 0, (a 1, a 2 ) (0, 0) gegeben. Mit z = x + iy und a = a 1 2 + a 2 i geht diese Gleichung in 2 āz + a z + c = 0 über. In der komplexen Zahlenebene hat ein reis die Form z a 2 = r 2 bzw. z z a z āz + aā = r 2. Die allgemeine Form eines reises oder einer Geraden in der komplexen Zahlenebene kann man also durch ( ) c 1 z z a z āz + c 2 = 0 beschreiben. Hierbei sind c 1, c 2 R und a C mit c 2 c 1 < aā. Dividiert man (*) mit z z durch so erhält man bzw. mit f(z) = 1 z = 1 z c 2 z z a z ā z + c 1 = 0 155

c 2 f(z)(f(z) af(z) af(z) + c 1 = 0. Also erfüllen die Bildpunkte (ersetze a durch ā) wieder eine reis- oder eine Geradengleichung. Satz 6.7.3: Schreibt man drei beliebigen paarweise verschiedenen Punkten P 1, P 2, P 3 der Zahlenkugel S drei paarweise verschiedene Punkte Q 1, Q 2, Q 3 als Bildpunkte vor, dann gibt es genau eine Möbiustransformation f mit f(p i ) = Q i. Beweis: orrespondieren z 1, z 2, z 3 bzw. w 1, w 2, w 3 zu den Punkten P i bzw. Q i dann berechnet sich die Möbiustransformation aus der 6 - Punkteformel (w w 1 )(w 2 w 3 ) (w w 3 )(w 2 w 1 ) = (z z 1)(z 2 z 3 ) (z z 3 )(z 2 z 1 ). Hierbei ist für z i = bzw. w j = der Faktor der Form u z i bzw. u w j v z i v w j setzen. gleich 1 zu Man verifiziert leicht durch Auflösen der Formel nach w, daß w(z) eine Möbiustransformation mit den gewünschten Eigenschaften ist. Ist f(z) = az+b irgendeine Möbiustransformation mit w(z cz+d i) = w i, dann ist mindestens einer der oeffizienten a, b, c, d von 0 verschieden und kann durch ürzen zu 1 gemacht werden. Die vorgegebenen drei Punktepaare bestimmen dann die restlichen oeffizienten eindeutig. 6.8 Einige Anwendungen der komplexen Analysis Sei G R 2 und f : G R zweimal stetig differenzierbar. Dann nennt man f harmonisch, wenn f xx + f yy = 0. (Diese Gleichung nennt man auch Laplacesche Differentialgleichung und schreibt dafür mit dem Laplace Operator f = 0, vgl. die Bemerkungen nach Satz 2.2.1). Sei g = (v 1, v 2 ) ein ebenes stetig differenzierbares Vektorfeld mit rotg = 0, d.h. g ist wirbelfrei. Dann besitzt g in jedem einfach zusammenhängenden Teilgebiet von G eine Potentialfunktion f. Ist g zusätzlich quellenfrei, d.h. ist divg = 0, dann gilt v 1x + v 2y = 0. Daher gilt f xx + f yy = v 1x + v 2y = 0, also ist f harmonisch. 156

Ist f(z) holomorph und f(z) = u(x, y) + iv(x, y) die Zerlegung von f in Real- und Imaginärteil. Dann folgt aus den Cauchy - Riemannschen Differentialgleichungen, daß u(x, y) und v(x, y) harmonische Fuktionen sind; denn (u x ) x = (v y ) x = (v x ) y = ( u y ) y. Man beachte hierbei, daß aus der Holomorphie folgt, daß f beliebig oft differenzierbar ist. Daher ist insbesondere v zweimal stetig differenzierbar und es gilt (v y ) x = (v x ) y. Es gilt jedoch auch die Umkehrung. Satz 6.8.1: Sei G R 2 einfach zusammenhängend. Ist u : G R harmonisch, dann gibt es eine holomorphe Funktion f mit Real- und Imaginärteilzerlegung f = u + iv. v nennt man dann konjugiert harmonisch zu u und f ein komplexes Potential von u. Beweis: Da u harmonisch ist, gilt für das Vektorfeld g = ( u y, u x ), daß rotg = ( u y ) y + (u x ) x = 0. Da G einfach zusammenhängend ist, besitzt somit g eine Potentialfunktion v mit v x = u y und v y = u x. Folglich gelten für u und v die Cauchy - Riemannschen Differentialgleichungen. Daher ist f = u + iv holomorph. Physikalische Interpretationen. a) Eine holomorphe Funktion interpretiert man als das komplexe Potential eines ebenen wirbel - und quellenfreien Strömungsfeldes. Mit f = u + iv sind die Äquipotentiallinien durch u(x, y) = c = const. gegeben. Holomorphe Funktionen sind winkeltreu, daher sind die urven u(x, y) = c = const. und v(x, y) = k = const. zueinander orthogonal (vgl. Beispiel c) nach Satz 6.7.1). v(x, y) = k stellen die Stromlinien des Strömungsfeldes dar. Das Vektorfeld (u x, u y ) stellt das Geschwindigkeitsfeld dar und hat die komplexe Darstellung u x + iu y. Mit den Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen folgt u x + iu y = u x iv x = f (z). Punkte mit f (z) = 0 stellen somit Staustellen dar. b) Genauso beschreibt ein komplexes Potential einen zeitunabhängigen Temperaturfluß. Die Äquipotentiallinien stellen hierbei die Isothermen dar, also urven gleicher Temperatur. Die Stromlinien sind hier die urven größten Temperaturgefälles. c) Ein drittes physikalisches Gebiet, welches durch das komplexe Potential beschrieben wird, ist die Elektrostatik. 157

Satz 6.9.2: Auf dem einfach zusamenhängenden Gebiet D R 2 sei g : D R eine harmonische Funktion. Annahme f(z) = u + iv sei holomorph im einfach zusammenhängenden Gebiet D und es gelte f(d) D. Dann ist die omposition harmonisch auf D. g(x, y) := g (u(x, y), v(x, y)) Beweis: g ist harmonisch. Also gibt es nach Satz 6.9.1 eine harmonisch konjugierte Funktion h und eine holomorphe Funktion f = g + ih. Die Verkettung holomorpher Funktionen ist nach der ettenregel holomorph. Somit ist f (f) = g (u, v) + ih (u, v) holomorph und daher ist nach den Bemerkungen vor Satz 6.9.1. g (u, v) harmonisch. Unter dem Dirichlet-Problem versteht man die folgende Fragestellung: Gegeben sei ein Gebiet G R 2 mit stückweise regulärem Rand G. Auf G sei eine Funktion u 0 : G R definiert, die beschränkt ist und bis auf eine Nullmenge N stetig ist. Gesucht wird eine Funktion u : G G R mit (i) u(x, y) stimmt auf G mit u 0 überein. (ii) In G gilt: u = u xx +u yy = 0. Insbesondere ist u in G zweimal stetig differenzierbar. (iii) u ist beschränkt und stetig in G G \ N. Aus Satz 6.9.2 resultiert hierzu die folgende Vorgangsweise: ennt man die Lösung des Problems in einem schönen Gebiet, so versucht man das gegebene Gebiet bijektiv holomorph auf das schöne Gebiet abzubilden, löst dort das Dirichlet - Problem und transformiert die Lösung zurück. onkret kann dies z.b. so aussehen, daß man das Potential u zwischen zwei koaxialen reiszylindern kennt und das Potential zwischen zwei ineinander liegenden reiszylinder mit verschiedener aber paralleler Achse zu bestimmen hat. Da die (im Prinzip unendliche) zylindrische Ausdehnung in die dritte Dimension auf die Lösung keinen Einfluß hat, handelt es sich um ein ebenes Problem. Es ist dann das Ringgebiet zwischen zwei exzentrischen reisen A und I bijektiv holomorph abzubilden auf einen konzentrischen reisring. Dies läßt sich mit einer Möbiusabbildung durchführen. 158