5.4 Direkte Inflationssteuerung

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Transkript:

5.3 Strategien mit 5. Geldpolitische Strategien und die Europäische Währungsunion 5.2 Einstufige versus zweistufige Strategien 5.3 Strategien mit 5.3.1 Geldmengenziele das Vorbild der Deutschen BBk 5.3.2 Wechselkursziele 5.3.3 Zinsen als geldpolitische Zwischenziele 5.3.4 Die nominelle BIP-Steuerung 5.4 Direkte Inflationssteuerung 1

5.3.2 Geldmengenziele das Vorbild der Deutschen Bundesbank Zweistufige Strategie mit der Geldmenge als Zwischenziel wurde von der Deutschen Bundesbank (BuBa) von 1975 bis zum Beginn der 3. Stufe der EWU praktiziert. Hierbei gab es im Lauf der Zeit einige Modifikationen des Konzepts; die wesentlichen Elemente der Strategie blieben aber jeweils erhalten. 2

Im Rahmen dieser Strategie setzte die BuBa jeweils zum Jahresende ein Geldmengenziel für das kommende Jahr fest und veröffentlichte dieses mit einer eingehenden Begründung. Geldmengenstrategie der BuBa ist auch heute noch von erheblichem Interesse, weil das Eurosystem wichtige Elemente dieser Strategie übernommen hat. 3

Ausgangspunkt für die Ableitung des Geldmengenziels ist die Quantitätsgleichung: (1) M V = P Y. Hierbei ist M die Geldmenge (auf die verwendete Geldmengenabgrenzung wird später eingegangen), V die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (Häufigkeit der Nutzung einer Geldeinheit zu Tauschakten in der betrachteten Periode), P das Preisniveau und Y das reale BIP (Y steht für das statistisch anders nicht ermittelbare Transaktionsvolumen). 4

Bei der Quantitätsgleichung handelt es sich um eine Identität, die immer erfüllt ist. Letztlich besagt sie nur, dass das mit dem Preisniveau bewertete BIP (= Y P) mit Geld gekauft wurde (monetäre Nachfrage = M V). Mit der Quantitätsgleichung wird jedoch die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes definiert: (2) V = (P Y)/M. 5

Ferner zeigt sie, dass bei Variation einer der vier Größen sich zugleich eine oder mehrere der anderen parallel oder gegenläufig ändern müssen. In Wachstumsraten ausgedrückt lautet die Quantitätsgleichung: (3) m + v = p + y. Kleine Symbole bezeichnen logarithmierte Werte der Variablen; ist der Differenzenoperator, so dass etwa p für die Inflationsrate steht [d(lnx)/dx = 1/X => d(lnx) = dx/x]. 6

Nach Einsetzen der angestrebten Preissteigerungsrate p Ziel in (3) ergibt sich hieraus die Zielgröße für das Geldmengenwachstum wie folgt: (4) m Ziel = p Ziel + y v. Eine auf einem Geldmengenziel basierende Zwischenzielstrategie läuft im Ergebnis auf folgende Handlungsregel für die Setzung des Operationsziels der Notenbank das ist der kurzfristige Geldmarktzinssatz i G hinaus: (5) i G t = i G t-1 + λ( m t m*) mit λ > 0 d.h. Zinssteigerungen sind prinzipiell angezeigt bei einer das Geldmengenziel übertreffenden Geldmengenentwicklung, Zinssenkungen hingegen, wenn die Geldmengenentwicklung hinter dem Zielwert zurückbleibt. 7

Die Schwierigkeit einer Nutzung dieser Beziehungen in der geldpolitischen Praxis liegt darin, dass hierfür bekannt sein muss, wie sich Y und V entwickeln werden. d.h. konkret: Wie wirkt sich die Zunahme von M auf Y und V aus und/oder gibt es eigenständige, also von der Veränderung von M unabhängige Entwicklungen dieser Größen? Antworten auf diese Fragen liefert die Quantitätstheorie des Geldes. 8

Die klassische Variante dieser Theorie geht von folgenden Annahmen aus: (1) V ist eine durch die Zahlungsgewohnheiten institutionell vorgegebene Konstante (wenn überhaupt, dann ändert sie sich im Zeitablauf nur sehr langsam). (2) Y wird im realen Sektor der Volkswirtschaft bestimmt; es hängt ab von den Beständen an Produktionsfaktoren und vom Stand des technischen Wissens; aufgrund vollkommen flexibler Löhne und Preise wird immer das bei Vollbeschäftigung mögliche BIP Y* heute würden wir sagen: das Produktionspotential produziert. 9

Die Produktion wird somit unabhängig vom finanziellen Sektor der Wirtschaft und damit unabhängig von der Geldmenge bestimmt (=> sog. klassische Dichotomie). Im Ergebnis folgt das Postulat der Neutralität des Geldes. Geldmengenänderungen haben hiernach nur Preiseffekte und keinerlei Wirkungen auf Höhe und Struktur des BIP und somit auch nicht auf dessen Entwicklung. 10

Bei Zugrundelegung der Annahme der Klassiker, nämlich v = 0 und y* = exogen gegebene Wachstumsrate des Produktionspotenzials folgt gemäß Gleichung (3) für die Inflationsrate: (6) p = m y* Die Inflationsrate würde hiernach allein bestimmt durch die Wachstumsrate der Geldmenge abzüglich der Wachstumsrate des Produktionspotentials, also der Entwicklung der Relation Geldmenge je Sozialprodukteinheit. 11

Wenn m > y*, dann jagt zu viel Geld zu wenige Güter. Es kommt zu einer Inflationsrate in Höhe der Differenz der beiden Größen. Allerdings waren sich schon die klassischen Nationalökonomen darüber im klaren, dass sich dieses Ergebnis nur langfristig einstellt. In der kurzen Frist können Löhne, Kapitalkosten, Importpreise, Wechselkurse und Steuern den langfristigen Zusammenhang überdecken. 12

Außerdem haben monetäre Impulse aufgrund kurzfristig bestehender Preis- und Lohnstarrheiten und nur träger Anpassung an die neuen Gleichgewichtswerte zunächst auch Auswirkungen auf Y. Dessen Entwicklung kann sich somit auch aufgrund monetärer Störungen temporär über oder unter dem Potentialwachstumspfad vollziehen. Ferner ist die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes keineswegs eine Konstante, vielmehr fluktuiert sie kurz- bis mittelfristig und folgt langfristig allenfalls einem Trend, ist also trendstabil (hierzu später mehr). 13

Zu unterscheiden ist daher zwischen den aktuellen Werten von P, Y und V und deren Gleichgewichtswerten P*, Y* und V*, die sich nur langfristig einstellen. Das zur aktuellen Geldmenge M gehörende gleichgewichtige Preisniveau P* ergibt sich hiernach durch Einsetzen von Y* und V* in die Quantitätsgleichung (1): (7) P* = (M V*)/Y*. Für das aktuelle Preisniveau gilt dagegen: (8) P = (M V)/Y. 14

Die Differenz zwischen dem aktuellen Preisniveau P und dem gleichgewichtigen Preisniveau P* wird als Preislücke bezeichnet. Ist diese positiv (P* > P), so ist mit einer Beschleunigung der Inflation zu rechnen; ist sie negativ, mit einer Verlangsamung. Der Anpassungsprozess kann beispielsweise wie folgt analytisch beschrieben werden: (9) p = p* + φ (p* -1 p -1 ). 15

War somit in der Vorperiode die Preislücke Null, dann wächst das Preisniveau mit der gleichgewichtigen Rate p*, ansonsten kommt es zu einer Inflationsbeschleunigung bzw. verlangsamung. Die gleichgewichtige Inflationsrate ergibt sich hierbei aus Gleichung (7) wie folgt: (10) p* = m ( y* v*). 16

Diese ist somit gleich der Wachstumsrate der Geldmenge korrigiert um die Wachstumsrate des Produktionspotenzials und der trendmäßigen Veränderung der Umlaufgeschwindigkeit. Die Gleichungen (7) und (8) logarithmiert und voneinander subtrahiert ergeben: (11) p* - p = (y y*) + (v* v). Die Preislücke setzt sich hiernach aus zwei Komponenten zusammen, der Produktionslücke (Output gap) und der Liquiditätslücke (Liquidity gap). 17

Die Gefahr einer Inflationsbeschleunigung besteht somit dann, wenn die Produktionskapazitäten überausgelastet sind (Nachfrageüberhang) und /oder die Umlaufgeschwindigkeit unterhalb ihres langfristigen Wertes liegt, Geldbestände somit noch nicht nachfragewirksam geworden sind (Liquiditätsüberhang), Die Preislücke kann für die Inflationsprognose verwendet werden. Dies setzt allerdings die Kenntnis von v* voraus (=> hierzu später mehr). 18

Die Geldpolitik der BuBa basierte auf dem erläuterten langfristigen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau. Das Geldmengenziel wurde hierbei in Anlehnung an die Quantitätsgleichung auf der Basis einer gesamtwirtschaftlichen Projektion wie folgt abgeleitet (sog. Potenzialformel): (12) m Ziel = p Ziel + ( y* - v *). 19

Die geldpolitische Konzept der BuBa war somit mittelfristig ausgerichtet, da in der Potenzialformel nicht die für das kommende Jahr jeweils erwarteten Werte für y und v angesetzt wurden. Die Erwartung war, dass sich bei einem zielgerechten Wachstum der Geldmenge das Preisniveau gemäß Gl. (10) entsprechend der gesetzten Preisnorm entwickeln würde: m = m Ziel => p* = p Ziel. 20

Die Eckdaten der Projektion wurden geschätzt oder normativ festgelegt. Normativ festgelegt wurde die Preisnorm p Ziel. Da in der Anfangsphase der Geldmengenstrategie ein inflationäres Umfeld zu verzeichnen war, wurde die Preisnorm zunächst jeweils so festgesetzt, dass diese deutlich hinter der des Vorjahres zurückblieb. Entsprechend dem verfolgten gradualistischen Ansatz zur Rückführung der Inflationsrate wurde die Preisnorm als unvermeidlicher Preisanstieg bezeichnet. 21

Nach erfolgreicher Stabilisierung der Inflationsrate Mitte der 80er Jahre wurde die Preisnorm mit 1,5-2% angesetzt. Aufgrund der Überzeichnung der Inflation durch den Verbraucherpreisindex ist ein Preisanstieg in diesem Umfang mit Preisstabilität gleichzusetzen. Die gleichgewichtige Wachstumsrate des Produktionspotenzials y* wurde mittels einer gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion geschätzt. 22

Ferner muss gemäß der Potenzialformel für die Ableitung eines stabilitätsgerechten Geldmengenziels (Gl. (12)) die Veränderung der gleichgewichtigen Umlaufgeschwindigkeit des Geldes v* prognostiziert werden können. Voraussetzung hierfür ist aber, dass sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes im Zeitverlauf stabil entwickelt 23

Letztlich ist dies die Achillesverse (O. Issing) einer auf der Geldmenge basierenden Zwischenzielstrategie. Stabilität ist hierbei nicht mit Konstanz gleichzusetzen. Stabilität ist vielmehr gegeben, wenn sich die Umlaufgeschwindigkeit durch einige wenige Determinanten erklären lässt und sich im Zeitablauf trendstabil entwickelt. 24

Warum sollte sich die Umlaufgeschwindigkeit aber so verhalten? Dies ist auf den ersten Blick nicht plausibel. Eine Antwort hierauf liefert die Theorie der Geldnachfrage. Es lässt sich nämlich zeigen, dass die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes sich dann stabil entwickelt, wenn dies auch für die Geldnachfrage gilt. Dies soll im Folgenden schrittweise begründet werden. 25

Die Klassiker der Nationalökonomie gingen davon aus, dass die Wirtschaftssubjekte zur Abwicklung ihrer (monetären) Tauschgeschäfte eine reale Geldmenge (M/P) vorhalten wollen, also eine Geldmenge mit einer bestimmtem Kaufkraft. Hierbei unterstellten sie, dass die Höhe dieser Nachfrage nach Geld für Transaktionszwecke proportional vom Transaktionsvolumen abhängt, wobei hierfür stellvertretend hierfür Y angesetzt wird. Hieraus folgt die Geldnachfragefunktion: (13) M N /P = k Y bzw. M N = k P Y = k Y nominal 26

k ist hierbei der sog. Kassenhaltungskoeffizient. In Gleichung (13) M N der vorhandenen Geldmenge M gleichgesetzt (Gleichgewicht auf dem Geldmarkt) und Umformung der Gleichung ergibt: (14) M (1/k) = P Y. Ein Vergleich der Gleichung (14) mit der Quantitätsgleichung (1) zeigt, dass diese Gleichungen äquivalent sind, wobei der Kehrwert des Kassenhaltungskoeffizienten (1/k) der Umlaufsgeschwindigkeit V entspricht. 27

Umlaufgeschwindigkeit und Kassenhaltungskoeffizient (Geldnachfrage) sind somit die zwei Seiten derselben Medaille. Fazit: Die klassische Version der Quantitätstheorie impliziert dass auf dem Geldmarkt die vorhandene Geldmenge auch nachgefragt wird und die reale (nominale) Geldnachfrage proportional mit Y (PY) ansteigt. Vor diesem Hintergrund wird auch die von den Klassikern unterstellte konstante Umlaufgeschwindigkeit plausibel, die prima vista kaum einleuchtet. 28

Spätestens seit Tobin/Baumol wissen wir jedoch, dass die Geldnachfrage für Transaktionszwecke auch von den Opportunitätskosten der Geldhaltung abhängt. Hierbei nimmt in Phasen steigender Zinsen der Kassenhaltungskoeffizient ab und damit die Umlaufgeschwindigkeit zu (Ökonomisierung der Geldhaltung aufgrund steigender Opportunitätskosten). Diese Entwicklung wird dann in Phasen sinkender Zinsen wieder umgekehrt. Es gilt somit: (15) M N = k i) Y P ( 29

Wenn diese Beziehung zutrifft, dann sollten Schätzungen dieser Gleichung ergeben, dass die Umlaufgeschwindigkeit mit steigendem Y um einen festen Wert fluktuiert, denn die (Real-) Einkommenselastizität der Geldnachfrage nimmt gemäß Gleichung (15) einen Wert von Eins an. 30

Zu DM-Zeiten vorgenommenen Schätzungen auf der Basis einer durch Logarithmierung wie folgt linearisierten Geldnachfragefunktion: (16) m p = β 0 + β y y + γ i + ε 0 y haben jedoch für die von der Bundesbank verwendete Geldmenge M 3 durchweg für β y - das ist die (Real-) Einkommenselastizität der Geldnachfrage - Werte von größer als 1 ergeben. 31

Die Geldnachfragefunktion hat sich hierbei als stabil erwiesen, d.h. die Parameterwerte haben keine Strukturbrüche aufgewiesen. Damit konnte die Veränderungsrate der Umlaufgeschwindigkeit wie folgt ermittelt werden (Gerdesmeier/Polleit 2005): Gemäß der Quantitätsgleichung gilt: (17) v = p + y m. 32

(16) in Veränderungsraten geschrieben unter der Annahme stabiler Preise ( p = 0) und stationärer Zinsen ( i = 0) in (17) eingesetzt ergibt: (18) v v = p p + y y m m = y y - β y y y = (1 β y ) y. Unter den gesetzten Annahmen wird V somit allein von Y verändert. Für Werte von β y > 1 ergibt sich bei steigendem Y eine abnehmende Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (s. Abb.) 33

Die BuBa hat daher bei der Ableitung ihrer Geldmengenziele den trendmäßigen Rückgang der Umlaufgeschwindigkeit ab 1988 mit ½ bis 1% angesetzt. Damit hat sie ihre Geldmengenziele in diesem Umfang höher festgesetzt, als es sich jeweils aus der Summe von Preisnorm und Potentialwachstum ergeben hätte. 34

5.3 Strategien mit Abbildung II.5.3.1: Die Umlaufgeschwindigkeit von M3 in Deutschland 35

Als Ursachen für den trendmäßigen Rückgang der Umlaufgeschwindigkeit und damit den relativen Anstieg der Kassenhaltung kommen mehrere Faktoren in Frage: Luxusguthypothese (=> mit steigendem Wohlstand erhöht sich der Anteil der Geldhaltung am Gesamtvermögen) und die zunehmende Nutzung des DM-Bargeldes im Ausland und damit Aufblähung der statistisch ausgewiesenen Geldmenge um eine im Inland nicht nachfragewirksame Komponente. 36

Starke Zunahme der reinen Finanztransaktionen, die im BIP keinen Niederschlag finden, für die aber ebenfalls Transaktionskasse vorgehalten werden muss. Zunahme der Vermögen in Relation zum nominalen BIP und damit stärkerer Anstieg der Geldnachfrage zum Zwecke der Vermögensanlage (die Einkommenselastizität > 1 wäre dann das Resultat des in der Geldnachfragefunktion nicht berücksichtigten Vermögens). Solche Faktoren dürften auch bei dem im Eurosystem beobachtbaren Rückgang der Umlaufsgeschwindigkeit eine Rolle spielen. 37

Im Rahmen ihrer Geldmengenpolitik verwendete die Bundesbank ab 1988 das weit abgegrenzte Geldmengenaggregat M3. Dieses enthielt neben dem Bargeldumlauf und den Sichteinlagen inländischer Nichtbanken deren Termineinlagen mit einer Laufzeit von unter 4 Jahren sowie Spareinlagen mit 3monatiger Kündigungsfrist. 38

Entscheidend für die Wahl dieses Aggregats war, dass M3 einen engeren Zusammenhang zur Preis- und Produktionsentwicklung aufwies als anders abgegrenzte Geldaggregate. Außerdem haben sich anders als bei enger abgegrenzten Geldaggregaten wie etwa M1 und M2 durch kurzfristige Zinsbewegungen ausgelöste Umschichtungen zwischen relativ liquiden Einlageformen auf M3 nicht oder nur wenig ausgewirkt. Da M3 verzinsliche Elemente enthält, war bei der Schätzung einer Geldnachfragefunktion für dieses Aggregat als Opportunitätskosten der Geldhaltung die Differenz zwischen dem Alternativ- und Eigenzins von M3 anzusetzen. 39

Die BuBa hat somit die Zielwachstumsrate für M3 wie folgt abgeleitet: Wachstumsrate des Produktionspotentials y* + Preisnorm p* +/- trendmäßige Veränderung der Umlaufgeschwindigkeit v* Zielwachstumsrate für M3 m* 40

Da die BuBa für die Ableitung ihrer Geldmengenziele einen Potenzialansatz verwendete, beinhaltete ihre Strategie ein antizyklisches Element: Wenn nämlich etwa im Rahmen dieser Strategie die Zunahme von Y die Wachstumsrate des Produktionspotenzials übertrifft ( y > y*), zugleich aber die Geldmenge zielgerecht geführt wird, dann kommt es aufgrund der nicht befriedigten zusätzlichen Geldnachfrage zu einem Zinsanstieg und einer Zunahme der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (sinkender Kassenhaltungskoeffizient). 41

Hierdurch wird die Wirtschaftsentwicklung gedämpft. Eine potenzialorientierte Geldmengenpolitik wirkt damit als automatischer Stabilisator; einer diesbezüglichen diskretionären Entscheidung hierzu bedarf es nicht. Entsprechendes ergibt sich mit umgekehrten Vorzeichen im Fall von y < y*. 42

Im Falle einer (End-)Zielabweichung lässt sich diese in Verbindung mit der Quantitätsgleichung (1) wie folgt in Komponenten zerlegen (Issing 1992): (19) p p Ziel = ( m m Ziel ) ( y* y *g ) + ( v* v* g ) ( y y * ) ( v* v). Hierbei steht - ( m m Ziel ) für Abweichungen der Geldmengenwachstumsrate von ihrem Zielwert, - ( y* y *g ) und ( y* y *g ) für Fehler in der Vorausschätzung der langfristigen Potenzialwachstumsrate und der langfristigen Veränderungsrate der Umlaufgeschwindigkeit, - ( y y * ) und ( v* v) für Abweichungen der Potenzialwachstumsrate und der Veränderungsrate der Umlaufgeschwindigkeit von ihren langfristigen Werten. 43

(19) verdeutlicht zum einen die erheblichen Schwierigkeiten, die mit einer Geldmengenstrategie verbunden sind. Zum anderen zeigt Gleichung (19), dass Zwischenzielabweichungen in ihrer Wirkung auf das Endziel zunächst durch Schwankungen im Auslastungsgrad und im Liquiditätsgrad aufgefangen werden können. Ein Stabilitätsproblem ergibt sich erst dann, wenn die Zwischenzielabweichungen in Abfolge auftreten. Durch rechtzeitiges Gegensteuern kann dies aber verhindert werden. 44

Erfahrungen der Bundesbank mit der Geldmengenstrategie In der Zeit von 1973-1998 hat die Bundesbank 24 Geldmengenziele gesetzt und diese in 11 Fällen verfehlt. Zunächst gab sie Punktziele, seit 1979 vergleichsweise breite Zielkorridore mit 2 bis 3 Prozentpunkten vor. Dies erfolgte aber i.d.r. mehr oder weniger strikt konditioniert, d.h. spätestens Mitte des Jahres bei der Zielüberprüfung kündigte die BuBa an, in welchen Bereich des Korridors sie die Geldmenge zu steuern beabsichtigte. 45

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- Die Bundesbank war zwar bei allen Schwierigkeiten während einzelner Phasen in der Lage, ihre Zielgröße mittels ihres Instrumenteneinsatzes mit einiger Zeitverzögerung hinreichend genau zu steuern. - Gleichwohl war die Vorgabe von Zielkorridoren angezeigt, da insbesondere in den letzten Monaten des Jahres eintretende nicht erwartete Entwicklungen bis Ende des Jahres weder korrigierbar waren, noch eine derartige (Brachial-) Politik sinnvoll gewesen wäre. - Zudem bot der Zielkorridor die Möglichkeit, flexibel auf eine veränderte Datenlage zu reagieren. 49

- Da eine übermäßige Geldmengenentwicklung sich zunächst in einem Anstieg der Produktion und/oder in einem Rückgang der Umlaufgeschwindigkeit niederschlug, verblieb Zeit zum Gegensteuern, so dass ein einmal eingetretener Geldüberhang bei konsequentem Handeln nicht preiswirksam werden konnte - Die Bundesbank hat sich bei ihren geldpolitischen Entscheidungen nie allein an der Geldmenge orientiert, sondern insbesondere auch die konjunkturelle Entwicklung, sowie die Entwicklung des Außenwertes der DM, aber auch Lohnfindungsprozesse berücksichtigt 50

- Neuere Analysen der Geldpolitik der BuBa haben ergeben, dass sich die Bundesbank neben den Abweichungen der Wachstumsrate der Geldmenge von ihrem Zielwert vor allem an der Differenz zwischen der Produktionswachstumsrate und der Wachstumsrate des Produktionspotentials orientierte. - Insgesamt hat die BuBa ihre Strategie sehr pragmatisch gehandhabt. - Trotz der zahlreichen Zielverfehlungen war sie derart in ihrer Stabilitätspolitik außerordentlich erfolgreich. 51

- Die hierdurch erworbene Glaubwürdigkeit wurde daher durch die diversen Zielverfehlungen nie beschädigt, sodass die Inflationserwartungen stets stabil verankert blieben. - Wesentlich hierzu beigetragen hat sicherlich auch die Unabhängigkeit der Bundesbank. 52