6 Stochastische Unabhängigkeit

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Transkript:

Stochastische Unabhängigkeit 61 6 Stochastische Unabhängigkeit Der Begri der stochastischen Unabhängigkeit ist für die Stochastik von zentraler Bedeutung. Obwohl der dem Begri zugrundeliegende Sachverhalt singulären Charakter hat, ist er Voraussetzung für viele in der Stochastik formulierte Sachverhalte. Die stochastische Unabhängigkeit steht im engen Zusammenhang mit dem Produktmaÿbegri. Das Bernoullische Versuchsschema als spezieller WRaum ist ein stochastisches Modell zur Beschreibung einer Versuchsfolge, deren Einzelversuche sich gegenseitig nicht beein- ussen; tatsächlich werden die Einzelversuche durch stochastisch unabhängige, gemäÿ B(1, p) verteilte ZVen beschrieben. Überblick An die Spitze unserer Überlegungen stellen wir die Bemerkung 6.1, die die Denition der stochastischen Unabhängigkeit vorbereitet. 6.1 Bemerkung Seien (Ω, P(Ω), P ) ein (diskreter) WRaum, (X i i N n ) eine endliche Familie von Ω i ZVen und X := (X 1,..., X n ). Aufgrund der Denition der Verteilungen (Bildmaÿe)

Stochastische Unabhängigkeit 62 P Xi bzw. der Denition der gemeinsamen Verteilung P X der ZVen X i, i = 1,..., n vgl. (5.9.1) besagen (6.1.1) bzw. (6.1.2) (oensichtlich) dasselbe; d.h. (6.1.1) und (6.1.2) sind äquivalent: (6.1.1) n P ({ω Ω X i (ω) A i, i N n ) = P ({ω Ω X i (ω) A i }) (A i P(Ω i ), i N n (6.1.2) P X ( n A i ) = n P Xi (A i ) (A i P(Ω i ), i N n ). (Das Zeichen n a i, i = 1,..., n). a i meint das Produkt der Faktoren Tatsächlich sind (6.1.1) bzw. (6.1.2) auch mit (6.1.3) bzw. (6.1.4) äquivalent (6.1.3) n P ({ω Ω X i (ω) = ω i (i N n )} = P ({ω Ω X i (ω) = ω i })

Stochastische Unabhängigkeit 63 (ω i Ω i, i N n ) bzw. mit (6.1.4) P X = P Xi. Oensichtlich ist (6.1.3) eine Konsequenz aus (6.1.1) dass (6.1.3) den Sachverhalt (6.1.1) nach sich zieht, liegt im Umstand begründet, dass bei diskreten W Maÿen diese bereits festgelegt sind, wenn die Maÿ Werte auf den EinPunktMengen festgelegt sind, vgl. 3.5. Der Sachverhalt (6.1.3) lässt sich mindestens nicht direkt auf allgemeine WRäume übertragen. Die bedeutungsvollste Darstellung der Sachverhalte (6.1.1) (6.1.4) ist die von (6.1.4); hier wird eine Verbindung zwischen der gemeinsamen Verteilung und dem Produktmaÿ der einzelnen Verteilungen (Bildmaÿe) der ZVen X i hergestellt. Die Äquivalenz von (6.1.1), (6.1.2) und (6.1.4) trit (entsprechend modiziert) auch für allgemeine WRäume zu; der Nachweis stellt allerdings mathematische Ansprüche. 6.2 Denition

Stochastische Unabhängigkeit 64 Seien (Ω, P(Ω), P ) ein WRaum (X i i N n ) eine endliche Familie von Ω i ZVen und X = (X i,..., X n ). Die Familie (X i i N n ) heiÿt stochastisch unabhängig bez. P, wenn eine der Bedingungen (6.1.1) und (6.1.2) (und damit) beide zutreen. In diesem Falle spricht man von (stochastisch) unabhängigen ZVen X 1,..., X n. 6.3 Folgerung 6.3.1 Aufgrund von 6.1 ist klar, dass die Familie (X i i N n ) für n = 1, also mit nur einer ZV, unabhängig ist. 6.3.2 Die Reihenfolge der Nennung der ZVen spielt keine Rolle: Sind z.b. X 1, X 2, X 3, X 4 unabhängig, so auch X 4, X 1, X 2, X 3 etc. 6.3.3 Ist (X i i N n ) unabhängig und gilt M N n, so ist auch (X i i M) unabhängig, d.h., eine Teilmenge von unabhängigen ZVen ist unabhängig. Der Sachverhalt leuchtet unmittelbar ein; zum formalen Beweis nutzt man 5.4.2, wonach X 1 i (Ω i ) = Ω gilt sowie P (Ω) = 1.

Stochastische Unabhängigkeit 65 Die beiden folgenden Sachverhalte erweisen sich im Rahmen von Anwendungen als nützlich. 6.4 Satz Seien (Ω, P(Ω), P ) ein WRaum und X i unabhängige Ω izven, i = 1,... m, m + 1,..., n. Dann sind die vektorwertigen ZVen unabhängig. Y := (X 1,..., X m ) Z := (X m+1,..., X n ) und 6.5 Satz Sei (Ω, P(Ω), P ) ein WRaum. Seien X i : Ω Ω i unabhängige ZVen und f i : Ω i Ω i Abbildungen. Dann sind die ZVen f i X i, i = 1,..., n ebenfalls unabhängig. Sind die reellen ZVen X 1 und X 2 stochastisch unabhängig, so also auch sin(x 1 ) und e X 2. 6.6 Bernoullisches Versuchsschema (fakultativ)

Stochastische Unabhängigkeit 66 Seien (Ω, P(Ω), P ) ein WRaum und X i : Ω {0, 1} unabhängige, gemäÿ B(1, p)verteilte ZVen; d.h., es gilt P ( {ω Ω Xi (ω) = 1 }) = p und P ( {ω Ω Xi (ω) = 0 }) = 1 p =: q (i = 1,..., n). Sei X := (X 1,..., X n ). Wegen der vorausgesetzten stochastischen Unabhängigkeit der X i gilt (6.6.1) P X = n P Xi = n B(1, p). Damit erhält man für ein Element (ω 1,..., ω n ) {0, 1} n bei dem die 1 genau kmal auftritt (6.6.2) ( {(ω1 P X,..., ω n ) }) n ( = P Xi {ωi } ) = p k q n k, d.h. also, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Elementes durch p k q n k gegeben ist.

Stochastische Unabhängigkeit 67 ( Ein WRaum {0, 1} n, P({0, 1} n ), ) n B(1, p) mit n N und p [0; 1] heiÿt ein Bernoullisches Versuchsschema vom Umfang n. Das Bernoullische Versuchsschema ist ein wtheoretisches Modell für die nmalige unabhängige Wiederholung eines Versuchs mit den beiden Ausgängen 0 und 1. 6.7 Bernoullisches Versuchsschema (Ergänzung) (fakultativ) Mit den Absprachen von 6.6 sei n Y := X i, d.h., Y ist die Summe von unabhängigen gemäÿ B(1, p) verteilter ZVen. Dann lässt sich (mit Hilfe der bislang entwickelten Theorie) zeigen, dass Y gemäÿ B(n, p) verteilt ist; oder anders formuliert, das Bildmaÿ P Y ist gleich B(n, p): P Y = B(n, p). Anstelle eines Beweises verweisen wir auf das Experiment 6.1.

Stochastische Unabhängigkeit 68 Wie erinnerlich vgl. 4.1 ist die WFunktion w von B(n, p) gegeben durch ( ) n w(k) = p k (1 p) n k k N 0 n. k Experiment 6.1 veranschaulicht das Bernoulli'sche Versuchsexperiment, 6.6 bzw. 6.7, anhand eines virtuellen Galton Brettes. 6.8 Denition Seien (Ω, P(Ω), P ) ein WRaum sowie A, B Ω Ereignisse. A und B heiÿen (stochastisch) unabhängig (bez. P), wenn gilt (6.8.1) P (A B) = P (A) P (B). Die Unabhängigkeit der Ereignisse lässt sich sofort als die Unabhängigkeit ihrer Indikatorfunktionen formulieren.

Stochastische Unabhängigkeit 69 6.9 Satz Seien (Ω, P(Ω), P ) ein WRaum sowie A, B Ω. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent. 6.9.1 Die ZVen 1 A, 1 B sind unabhängig. 6.9.2 Die Ereignisse A, B sind unabhängig.