Rechtsgeschäftslehre 2: Geschäftsunfähigkeit und beschränkte Geschäftsfähigkeit (II)

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Transkript:

Einführung in das Zivilrecht I Vorlesung am 6.12.2007 Rechtsgeschäftslehre 2: Geschäftsunfähigkeit und beschränkte Geschäftsfähigkeit (II) Prof. Dr. Thomas Rüfner Materialien im Internet: http://ius-romanum.uni-trier.de/index.php?id=15943

Überblick über die heutige Vorlesungsstunde Der Tatbestand der beschränkten Geschäftsfähigkeit Der Begriff des rechtlichen Vorteils nach 107 BGB Der Taschengeldparagraph ( 110 BGB) Weitere wichtige Vorschriften Sonderfälle Besitzaufgabe Empfangszuständigkeit Prof. Dr. T. Rüfner 2

Der Tatbestand der beschränkten Geschäftsfähigkeit 106 BGB: Minderjährige über 7 Jahren sind beschränkt geschäftsfähig. Rechtsfolge: Geschäfte gelten nur wenn der gesetzliche Vertreter einwilligt oder wenn sie lediglich einen rechtlich Vorteil bringen. Ähnlich ist die Stellung eines Betreuten, wenn ein Einwilligungsvorbehalt für den Betreuer nach 1903 BGB angeordnet wird. Wichtig: Der Einwilligungsvorbehalt (und die Betreuung) ist in der Regel auf bestimmte Bereiche beschränkt. Prof. Dr. T. Rüfner 3

Fall Die 17jährige K entdeckt bei einem Online- Auktionshaus ein Angebot für einen ungebrauchten Audi A6 zum Startpreis von 100,-. Sie gibt sofort ein Gebot ab und erhält den Zuschlag. Die Eltern der K wollen nicht, dass ihre Tochter Geschäfte mit Autos macht und teilen dem Verkäufer V mit, dass sie das Geschäft nicht erlauben. Nach ihrem 18. Geburtstag einige Tage später verlangt K von V die Lieferung des Autos. Prof. Dr. T. Rüfner 4

Lösung Anspruch K V aus 433 Abs. 1 BGB Übereinstimmende Willenserklärungen? +, vgl. BGHZ 149, 129 zum Vertragsschluss bei Internet-Auktionen. Genehmigung nach 107 BGB erforderlich? Ja: Der Vertrag ist zwar wirtschaftlich günstig, bringt aber den rechtlichen Nachteil, dass K den Kaufpreis zahlen muss. Genehmigung nach 108 Abs. 3 BGB ist nicht mehre möglich, nachdem die Eltern die Genehmigung endgültig verweigert hatten. Kein Anspruch der K! Prof. Dr. T. Rüfner 5

Fall Die fünfzehnjährige S bekommt von ihren Eltern im Monat 50,- Taschengeld. Ihre achtzehnjähriger Freundin T bietet der S einen MP3-Player zum Kauf für 150,- an. S ist begeistert. Beide kommen überein, dass S den Kaufpreis in sechs Raten zu 25,- abstottern soll. Den Player übergibt T sogleich an S. Noch bevor S die erste Rate gezahlt hat, erfahren die Eltern der S von dem Geschäft. Sie halten den Kauf für keine gute Idee und erklären gegenüber S und T, dass das Geschäft zurückabgewickelt werden muss. Welche Ansprüche stehen S und T gegeneinander zu? Prof. Dr. T. Rüfner 6

Lösung (I) Anspruch T S aus 985 BGB Ursprüngliches Eigentum der T? + Verlust durch Übereignung an S? Tatbestand des 929 S. 1 BGB? + Genehmigungsbedürftig nach 107 BGB? Nein, die Übereignung bringt S lediglich einen rechtlichen Vorteil! Anspruch besteht nicht! Prof. Dr. T. Rüfner 7

Lösung (II) Anspruch T S aus 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB Etwas erlangt? +, Besitz und Eigentum am Player Durch Leistung der T? + Ohne Rechtsgrund? Kaufvertrag ist nach 107 BGB einwilligungsbedürftig. Keine Ausnahme nach 110 BGB wg. Ratenzahlung. Kein Rechtsgrund! Anspruch besteht. Prof. Dr. T. Rüfner 8

Zusammenfassung zu 107 BGB Mit dem Ausdruck lediglich einen rechtlichen Vorteil ist gemeint ein rechtlicher, nicht wirtschaftlicher Vorteil. Auch ein gutes Geschäft bringt uu rechtlich einen Nachteil. ein Vorteil des konkreten Geschäfts, unabhängig vom wirtschaftlichen Zusammenhang. Die Übereignung ist für den Erwerber lediglich rechtlich vorteilhaft. Nach h.m. auch das bloße Fehlen eines Nachteils (neutrale Geschäfte) Problem: Erwerb von belastetem Eigentum. Prof. Dr. T. Rüfner 9

110 BGB Ein Geschäft wird erst wirksam, wenn die Leistung bereits bewirkt ist. Bei Ratenzahlung keine Wirksamkeit nach 110 BGB Problem: Woraus ergibt sich die Wirksamkeit der dinglichen Verträge? Sie sind durch die Überlassung des Taschengeldes nach 107 BGB gestattet! Durch die Überlassung von Taschengeld willigen die Eltern ein, dass der Minderjährige das Geld ausgibt, d.h. übereignet ( 929 BGB). Sie können aber nicht in die schuldrechtlichen Verträge des Minderjährigen einwilligen, weil sich nicht absehen lässt, von welcher Art diese sein werden. 110 BGB gilt nicht für Surrogate des Taschengeldes (Lottogewinn etc.) Prof. Dr. T. Rüfner 10

Weitere wichtige Vorschriften 108 BGB Zweck: Beseitigung der Schwebelage 111 BGB Strengere Regel für einseitige Geschäfte (Kündigung etc.) Keine nachträgliche Genehmigung Sogar Möglichkeit zur Zurückweisung bei bestehender Einwilligung 112 f. Partielle Beseitigung der Beschränkungen Prof. Dr. T. Rüfner 11

Fall Der siebzehnjährige M verkauft sein Fahrrad an seinen Freund N für 120,- und übergibt ihm das Rad. Der achtzehnjährige N verkauft und übereignet das Rad an den gleichfalls 18jährigen O weiter. Nun erfahren die Eltern des M von der Sache und verweigern die Genehmigung der Geschäfte. Welche Ansprüche hat M gegen O? Prof. Dr. T. Rüfner 12

Lösung Anspruch des M O aus 985 BGB Eigentum des M? Ursprünglich + Kein Verlust durch Übereignung an N nach 107 BGB Verlust durch Übereignung von N an O? Problem: Gilt 935 BGB? Nach hm: Nein, natürlicher Wille des M zur Besitzaufgabe schließt Abhandenkommen aus. Nach hm kein Anspruch des M! Prof. Dr. T. Rüfner 13

Einführung in das Zivilrecht I Vorlesung am 10.12.2007 Rechtsgeschäftslehre 3: Der Tatbestand der Willenserklärung Prof. Dr. Thomas Rüfner Materialien im Internet: http://ius-romanum.uni-trier.de/index.php?id=15943