Auslegung Ziele der Ermittlung durch Auslegung: - Tatbestand von Willenserklärung/Vertrag ( Ob ) - Inhalt von Willenserklärung/Vertrag ( Was ) Methoden der Auslegung - natürliche Auslegung (wirklicher Wille) wenn niemand schutzwürdig ist - normative ( wertende ) Auslegung - erläuternde Auslegung (mutmaßlicher/erklärter Wille) - ergänzende Auslegung (hypothetische Regelung) Folie 110
Beispiel 9 (nach RGZ 99, 147) K möchte von V 200 Fässer Walfischfleisch kaufen und bestellt diese bei V mit der Bezeichnung Haakjöringsköd. Dabei geht er davon aus, dass dieses - norwegische Wort - Walfischfleisch bedeutet. V nimmt das Angebot durch ein einfaches Ja an, wobei auch er zunächst davon ausgeht, dass Haakjöringsköd Walfischfleisch bedeutet. Später wird V von einem Freund darüber aufgeklärt, dass Haakjöringsköd in Wirklichkeit Haifischfleisch bedeutet. Als V feststellt, dass er dieses günstiger einkaufen kann, stellt er sich auf den Standpunkt, K habe Haifischfleisch bestellt und könne auch nur dieses verlangen. K hingegen besteht auf Lieferung von Walfischfleisch. Zu Recht? Folie 111
Natürliche Auslegung Man stellt (ausnahmsweise) auf den wirklichen ( natürlichen ) Willen des Erklärenden ab, obwohl der Wortlaut der Erklärung auf einen anderen Willen hindeutet, weil es keinen schutzwürdigen Empfänger gibt: - nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen, die kein Vertrauen des Rechtsverkehrs hervorrufen ( es gibt keinen Empfänger ), Testament ( 1937, 2247 Abs. 1 BGB), Dereliktion ( 959 BGB), - übereinstimmendes Parteiverständnis ( es gibt einen Empfänger, der aber nicht schutzwürdig ist ), insbesondere sog. falsa demonstratio non nocet. Folie 112
Lösung Beispiel 9 Anspruch K gegen V auf Übergabe und Übereignung von Walfischfleisch aus Kaufvertrag ( 433 I 1 BGB) Wirksamer Vertrag über Walfischfleich? 1.Einigung: (+) Angebot und Annahme. 2.Inhalt der Einigung Wirklicher oder erklärter Wille? Natürliche Auslegung nach wirklichem Willen einschlägig, wenn beide von dem gleichen Bedeutungsgehalt des Erklärungsinhalts ausgingen ( falsa demonstratio non nocet ), V und K wollten beide Vertrag über Walfischfleisch, also Vertragsinhalt Walfischfleisch. 3.Wirksamkeit: (+) Unwirksamkeitsgründe nicht erkennbar. 4.Ergebnis: Anspruch besteht Folie 113
Beispiel 10 Das Ehepaar E beschäftigt zweimal wöchentlich die Putzhilfe P in ihrem Haushalt. Zwischen den Parteien bestehen folgende Vereinbarungen über das Entgelt der P: Diese kann jeweils pro Stunde für - Küchenarbeiten 5, - für Reinigungsarbeiten in der Wohnung 6 und - für die Säuberung des Treppenhauses 7 berechnen. Als P eines Tages weisungsgemäß zwei Stunden lang den Dachboden gereinigt und aufgeräumt hat, kommt es zwischen den Parteien zum Streit über die Vergütung. P meint, sie könne 7 pro Stunde verlangen, also 14 ; die Ehepartner E hingegen meinen, es seien nur 6 vereinbart gewesen und wollen demnach auch nur 12 zahlen. Wie ist die Rechtslage? Folie 114
Normative Auslegung Der wertende Maßstab des verobjektivierten Empfängerhorizonts stellt darauf ab, wie der Empfänger die Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte: - erläuternde Auslegung (mutmaßlicher/erklärter Wille), - ergänzende Auslegung (hypothetische Regelung) Lücke, Keine Lückenschließung durch gesetzliche Regelung, Lückenschließung nach Interessenlage. Folie 115
Lösung Beispiel 10 Anspruch der D gegen die E1 und E2 auf Zahlung von 14 aus Dienstvertrag ( 611 I BGB) Wirksamer Dienstvertrag mit 7 /Std. für Dachboden? 1. Einigung über Dienstvertrag 2. Wirksamkeit 3. Entgelthöhe a) Erläuternde Auslegung (-), insoweit kein Rechtsfolgewillen erklärt. b) Ergänzende Vertragsauslegung (1) Lücke (+) (2) Keine Lückenfüllung durch dispositives Gesetzesrecht (+), 612 BGB setzt vollständiges Fehlen einer Vergütungsregelung voraus. (3) Lückenfüllung durch hypothetischen Parteiwillen: Säuberung Dachboden ist Säuberung Treppenhaus vergleichbar, also 7 /pro Stunde (aa vertretbar, wichtig Argumentation!). 4. Ergebnis: Anspruch der D auf Zahlung von 14 besteht. Folie 116
Wiederholung I 1. Was kann ausgelegt werden und wozu dient die Auslegung? - Ausgelegt wird menschliches Verhalten. Insbesondere sind Willenserklärungen bei Rechtsgeschäften auslegungsbedürftig, wenn festgestellt werden muss, ob Rechtsfolgen gewollt sind und worauf der Rechtsfolgenwille konkret gerichtet ist. Die Auslegung dient zur Ermittlung des rechtsgeschäftlich relevanten Sinns. - Außerdem können Gesetze ausgelegt werden. Dabei geht es um die Frage ihrer Anwendbarkeit auf Lebenssachverhalte. 2. Bei welcher Auslegungsmethode kommt es auf den Willen des Erklärenden und bei welcher auf die Sicht des Empfängers an? - Bei der natürlichen Auslegung ist nach dem wirklichen Willen des Erklärenden zu fragen, - bei der normativen Auslegung ist auf den objektivierten Empfängerhorizont abzustellen. Folie 117
Wiederholung II 3. Wann wird welche der Methoden angewendet? - Es ist nach der natürlichen Auslegung vorzugehen, wenn der Rechtsverkehr nicht schutzbedürftig ist. Das ist grds. der Fall bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen und bei übereinstimmendem Parteiverständnis. - Andernfalls ist normativ auszulegen. 4. Wo gibt das Gesetz Anhaltspunkte für diese Differenzierung? - In 133 BGB kommt der Gedanke der natürlichen Auslegung zum Ausdruck. Entgegen seinem Wortlaut gilt 133 BGB nicht für empfangsbedürftige Willenserklärungen. - In 157 BGB kommt der Gedanke der normativen Auslegung zum Ausdruck. Entgegen seinem Wortlaut gilt 157 BGB nicht nur für Verträge, sondern auch für einseitige Rechtsgeschäfte, soweit es sich um empfangsbedürftige Willenserklärungen handelt. - Daher zitiert man 133, 157 BGB meist zusammen. Folie 118
Wiederholung III 5. In welchen Schritten ist bei der ergänzenden (meistens: Vertrags-) Auslegung vorzugehen? (1)Regelungslücke im Vertrag? (2)Lückenfüllung nötig, da kein dispositives Recht eingreift? (3)Lückenfüllung möglich, da hypothetischer Parteiwille ermittelt werden kann? 6. Was ist die Folge eines Dissenses über die essentialia negotii? Es kommt kein Vertrag zustande. Die 154, 155 BGB finden keine Anwendung. 7. Was ist ein Dissens i. S. d. 154, 155 BGB und was ist die Rechtsfolge, wenn ein solcher Dissens gegeben ist? - Ein Dissens i. S. d. 154, 155 BGB ist die fehlende Einigung über einen Punkt, der nicht zu den essentialia negotii gehört und den eine Partei erkennbar vertraglich regeln wollte. - Gemäß 154, 155 BGB ist der Vertrag im Zweifel nicht geschlossen. 154 BGB normiert das ausdrücklich. Bei 155 BGB ergibt es sich daraus, dass das Vereinbarte nur gilt, sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde. Folie 119
C. Rechtsgeschäftslehre II: Wirksamwerden und Inhalt I. Willenserklärung 1. (Objektiver) Tatbestand und Inhalt 2. Wirksamwerden durch Abgabe / Abgabe und Zugang II. Vertragsschluss 1. Angebot a) Vertragsbestandteile b) Rechtsbindungswille 2. Annahme ( 145 ff. BGB) 3. Auslegung eines Vertrags Folie 120
Gliederung der Vorlesung A. Grundlagen B. Rechtsgeschäftslehre I: Gegenstand und Begriff C. Rechtsgeschäftslehre II: Wirksamwerden und Inhalt D. Rechtsgeschäftslehre III: Wirksamkeitsvoraussetzungen E. Rechtsgeschäftslehre IV: Beseitigung F. Rechtsgeschäftslehre V: Vertretung G. Sonstige Gegenstände des BGB-AT H. Klausur zum BGB-AT Folie 121
D. Rechtsgeschäftslehre III: Wirksamkeitsvoraussetzungen I. Geschäftsfähigkeit, 104 ff. BGB II. Form, 125 BGB III. Inhaltliche Schranken, 134, 138 BGB IV. Bedingung oder Befristung, 158 ff. BGB V. Willensmängel, 116 ff., 142 BGB VI. Teilnichtigkeit, Umdeutung, Bestätigung Folie 122
Arbeitsanregungen Wiederholen Sie Auslegung eines Rechtsgeschäfts sowie Konsens/Dissens: - Brox/Walker 6, 11 - Bork 14, 19 - zusammenfassend: StuKo zu 133, 154, 155, 157 BGB Verschaffen Sie sich in der Bibliothek einen Überblick über Ihre Arbeitsmittel!!! Folie 123