Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht I (Staatsorganisationsrecht) Fall 7: Untersuchungsausschuss

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Grundkurs Öffentliches Recht I: Staatsorganisationsrecht

Transkript:

Institut für Öffentliches Recht Wintersemester 2011/2012 Universität Augsburg Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht I (Staatsorganisationsrecht) Fall 7: Untersuchungsausschuss Frage 1: Verfassungsmäßigkeit des Einsetzungsbeschlusses Der von der Mehrheit vorgenommene Beschluss zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses mit lediglich dem Untersuchungsinhalt zu 1) müsste formell und materiell mit der Verfassung vereinbar sein. I. Formelle Verfassungsmäßigkeit Fraglich ist zunächst, ob der Beschluss formell verfassungsmäßig ist. Dies setzt neben der Zuständigkeit auch ein ordnungsgemäßes Verfahren voraus. 1. Zuständigkeit Dazu müsste zunächst einmal der Ausschuss vom zuständigen Organ eingesetzt worden sein. Gem. Art. 44 I 1 GG ist der Deutsche Bundestag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zuständig. Da der Ausschuss laut Sachverhalt vom Bundestag eingesetzt worden ist, ist diese Voraussetzung erfüllt. 2. Verfahren Zu prüfen ist des Weiteren, ob das im GG vorgeschriebene Verfahren beim Einsetzen des Untersuchungsausschusses eingehalten worden ist. Dies beurteilt sich nach Art. 44 I 1, 42 II 1 GG. Der Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wurde vorliegend von 178 MdB gestellt. Dies ist weit mehr als ein Viertel von (derzeit) 620 MdB (= mindestens 155 MdB; die Gesamtzahl der Abgeordneten ergibt sich aus den 1 Abs. 1, 6 Abs. 5 BWahlG). Erforderlich ist zudem ein Einsetzungsbeschluss durch die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, was laut Sachverhalt auch geschehen ist. 3. Zwischenergebnis Die Einsetzung des Untersuchungsausschusses geschah in formell verfassungsgemäßer Weise. II. Materielle Verfassungsmäßigkeit Ferner müsste aber auch die materielle Verfassungsmäßigkeit des Untersuchungsausschusses gegeben sein. Dies setzt voraus, dass der vorgegebene Untersuchungsgegenstand verfassungsrechtlich unbedenklich ist und zudem eine Abänderung des durch die Minderheit ursprünglich beantragten Untersuchungsgegenstandes (1 + 2) durch Mehrheitsbeschluss hat erfolgen dürfen. 1. Inhaltliche Voraussetzung des Untersuchungsauftrags Der Untersuchungsauftrag setzt inhaltlich voraus: eine genaue Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes (Bestimmtheitsgebot)

die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen des Untersuchungsrechts des Bundestags, d.h. es muss sich um eine Materie handeln, die in den Zuständigkeitsbereich des Bundestages fällt (Korollartheorie) der Antrag muss auf die Klärung von Tatsachen gerichtet sein und der Untersuchungsgegenstand muss im öffentlichen Interesse liegen a) Hinreichende Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes Erste Voraussetzung ist, dass der Untersuchungsgegenstand hinreichend bestimmt ist. Das Bestimmtheitsgebot ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 III GG. Diese hinreichende Bestimmtheit liegt vor, da der Untersuchungsausschuss einen klaren Auftrag, nämlich die Hintergründe der Subventionsgewährung an die WE-GmbH aufzuklären, erhalten hat. b) Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen des Untersuchungsrechts Der Untersuchungsgegenstand müsste sich innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen des Untersuchungsrechts bewegen. aa) aus dem PUAG Die Zulässigkeit des Untersuchungsgegenstandes könnte sich aus dem PUAG ergeben. Gem. 1 III PUAG ist ein Untersuchungsverfahren zulässig im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit des Bundestages. Jedoch ist zu beachten, dass ein einfaches Gesetz (wie hier das PUAG) nicht Prüfungsmaßstab für die Frage der Verfassungsmäßigkeit ist und sein kann, sondern allenfalls als Auslegungshilfe herangezogen werden kann. bb) aus dem GG Fraglich ist, ob sich aus dem GG selbst irgendeine Grenze des Untersuchungsrechts ergibt. Art. 44 GG enthält selbst in seinem Wortlaut keine Beschränkung der Befugnis des Bundestages, Untersuchungsausschüsse nur zu bestimmten Themen einzusetzen. Wie jede Verfassungsbestimmung ist jedoch auch diese Norm im Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes zu sehen. Relevante Vorschriften in diesem Zusammenhang könnten Art. 1-19, 20 II 2, III, 30, 70 GG sein. Das parlamentarische Untersuchungsrecht darf von den Untersuchungsausschüssen nur innerhalb der Grenzen ausgeübt werden, die sich aus dem Kompetenzbereich des Bundes (aus Art. 30, 70 GG), aus der Gewaltenteilung (Art. 20 II 2, III GG)h und aus dem Grundrechtsschutz (Art. 1-19 GG) ergeben. (1) Zuständigkeitsbereich des Bundestages Das Untersuchungsrecht des Untersuchungsausschusses ist auf den verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsbereich des Bundestages beschränkt (sog. Korollartheorie), denn als Hilfsorgan des Bundestages kann er nicht mehr Rechte haben als das Parlament selbst (vgl. 1 III PUAG). Daraus ergibt sich aber auch, dass die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mithin nicht nur zur Vorbereitung rechtsverbind- 2 von 13

lichen parlamentarischen Handelns im Bereich der Gesetzgebung und der Kontrolle von Regierung und Verwaltung sowie der Wahrung des Ansehens des Bundestages selbst zulässig ist. Vielmehr können im Rahmen der parlamentarischen Aufgaben und Zuständigkeiten grundsätzlich auch Vorgänge im öffentlichen Leben und Vorkommnisse im gesellschaftlichen Bereich in die Untersuchung einbezogen werden, wenn ein die parlamentarische Beratung und gegebenenfalls Beschlussfassung rechtfertigendes öffentliches Interesse besteht; hierfür kann es auch ausreichen, dass lediglich Empfehlungen politischer Art angestrebt werden. Inwieweit dabei auch die Privatwirtschaft und die Lebensverhältnisse und -umstände von Privatpersonen zum Gegenstand parlamentarischer Untersuchung gemacht werden dürfen, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Jedenfalls hinsichtlich solcher privater Unternehmen, die aufgrund gemeinwirtschaftlicher Zielsetzung ihrer Tätigkeit in erheblichem Umfang aus staatlichen Mitteln gefördert oder steuerlich begünstigt werden und besonderen gesetzlichen Bindungen unterliegen, besteht für die Aufklärung behaupteter, damit im Zusammenhang stehender Missstände ein erhebliches öffentliches Interesse, das eine parlamentarische Beratung und Beschlussfassung rechtfertigt. Im vorliegenden Fall geht es um die Aufklärung der Beweggründe für die Subventionierung und damit um die Kontrolle der Regierung; letztere ist gerade Aufgabe des Bundestages, wie sich u.a. aus Art. 67 GG ergibt. (2) Kompetenzbereich des Bundes Wegen des Bundesstaatsprinzips darf zudem nicht in den Zuständigkeitsbereich der Länder eingegriffen werden; es erfolgt also in sachlicher Hinsicht eine Begrenzung auf den Kompetenzbereich des Bundes. Ausgeschlossen sind damit alle Angelegenheiten, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder (einschließlich der Kommunen) fallen (Art. 30 GG) oder die der Europäischen Union zur ausschließlichen Wahrnehmung übertragen worden sind (Art. 23 GG). Eine Ausnahme bilden die Kontroll- und Aufsichtsrechte nach Art. 84, 85 GG. Dieses schließt jedoch nicht aus, dass auch Mitglieder der Länderverwaltungen oder der Landesregierungen etc. vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vernommen werden können, sofern die zu untersuchende Materie in die Bundeskompetenz fällt; da das Untersuchungs- und Beweiserhebungsrecht der Untersuchungsausschüsse sowohl des Bundes als auch der Länder nach h.m. bundesweit gilt. 1 Es geht vorliegend um ein Förderprogramm der Bundesregierung, mithin also auch um eine Bundesaufgabe, so dass diese verfassungsrechtliche Grenze eingehalten ist. (3) Gewaltenteilungsgrundsatz Eine weitere Begrenzung des Untersuchungsrechts des Bundestages folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 II 2, III GG). Es dürfen also keine Angelegenheiten untersucht werden, die in die 1 BVerwGE 79, 339 (344). 3 von 13

ausschließliche Kompetenz anderer Verfassungsorgane fallen, also in feste Zuständigkeiten anderer Staatsgewalten eingreifen. Bei der Regierungs- und Verwaltungskontrolle muss zudem der "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" 2 beachtet werden, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Dazu gehört z. B. die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett, als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und - internen Abstimmungsprozessen vollzieht. 3 Damit dennoch die Kontrollfunktion des Parlaments wirksam ausgeübt werden kann, ist dieser Kernbereich eng auszulegen. Das parlamentarische Untersuchungsrecht erstreckt sich deshalb im Grundsatz nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge, da dort der Kernbereich im Regelfall nicht mehr betroffen ist. Es enthält nicht die Befugnis, in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen. 4 Im vorliegenden Fall geht es allein darum, herauszufinden, was die Beweggründe für die Subventionierung waren und gerade nicht um die eigentliche Diskussion im Kabinett, so dass ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip gerade nicht vorliegt. (4) Grundrechtsbindung Da die Untersuchungsausschüsse öffentliche Gewalt ausüben, 5 haben sie neben den Schranken des Art. 44 II 2 GG die Grundrechte allgemein zu beachten (Art. 1 III GG). Diese können insbesondere das Beweiserhebungsrecht im Untersuchungsverfahren begrenzen. Darüber hinaus kann der Grundrechtsschutz Bedeutung für die Frage haben, ob ein Untersuchungsverfahren, das private Angelegenheiten zum Gegenstand hat, überhaupt eingeleitet werden darf. D.h. es muss in jedem Einzelfall unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geprüft werden, ob das Interesse der Allgemeinheit an einer parlamentarischen Untersuchung das Interesse des Einzelnen an dem grundrechtlichen Schutz seiner Privatsphäre überwiegt. 6 Im vorliegenden Fall ist eine diesbezügliche Problematik jedoch nicht ersichtlich, so dass auch dieses Merkmal gegeben ist. c) Klärung von Tatsachen Der Untersuchungsgegenstand muss zudem auf Klärung von Tatsachen gerichtet sein. Tatsachen sind alle konkreten Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, die dem Beweis zugänglich sind, d.h. nicht Werturteile oder Meinungsäußerungen. Nachdem es vorliegend um die konkreten Geschehnisse im Zusammenhang mit der Subventionsvergabe geht, also einer Materie, die dem Beweis zugänglich ist, handelt es sich um die Untersuchung von Tatsachen. 2 BVerfGE 67, 100 (101, 139), in Anlehnung an Scholz. 3 BVerfGE 67, 100 (139). 4 BVerfGE 67, 100 (139). 5 BVerfGE 76, 363 (387); 77, 1 (46). 6 Sachs Magiera, GG, Art. 44, Rdnr. 7ff. 4 von 13

d) Öffentliches Interesse Der Untersuchungsgegenstand muss als verfassungsimmanente Schranke des Art. 44 I 1 GG im öffentlichen Interesse liegen. 7 Die Erteilung von Subventionen darf nur im öffentlichen Interesse erfolgen, der Verdacht der Zweckentfremdung bei der Subventionsvergabe ist daher ebenfalls von öffentlichem Interesse. e) Zwischenergebnis Inhaltlich ist der Auftrag an den Untersuchungsausschuss verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 2. Abänderung des benannten Untersuchungsgegenstandes Der Beschluss der Mehrheit des Bundestages zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses mit lediglich dem Inhalt zu 1) ist aber nur dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Abänderung des von der Minderheit beantragten Untersuchungsgegenstandes (1 + 2) verfassungsrechtlich möglich ist. a) Verbot aus PUAG Eine solche Möglichkeit könnte sich aus dem PUAG ergeben. Nach 2 II PUAG darf der Einsetzungsbeschluss den in dem Einsetzungsantrag bezeichneten Untersuchungsgegenstand nicht ändern, es sei denn, die Antragstellenden stimmen der Änderung zu. Zwar wäre hiernach im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen 2 II PUAG gegeben, allerdings darf nicht unbeachtet bleiben, dass es sich hierbei nur um ein einfaches Gesetz handelt, das folglich auch nicht Prüfungsmaßstab für die Frage der Verfassungsmäßigkeit sein kann, sondern allenfalls als Auslegungshilfe herangezogen werden kann. b) Verbot durch das GG aa) Grundsätzliches Verbot der Abänderung Fraglich ist, ob die Abänderung des Untersuchungsgegenstandes durch die Mehrheit nach dem GG möglich ist oder ob der Verfassung ein grundsätzliches Abänderungsverbot des von der Minderheit ursprünglich beantragten Untersuchungsgegenstandes zu entnehmen ist. Die grundsätzliche Möglichkeit der Abänderung des Untersuchungsgegenstandes durch die Mehrheit könnte sich aus Art. 42 II 1 GG ergeben. Danach entscheidet der Bundestag mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen über den Inhalt des Untersuchungsausschusses. Vorliegend hat jedoch die Mehrheit gerade einen (abgeänderten) Untersuchungsgegenstand beschlossen, so dass die Möglichkeit der Abänderung im GG selbst gegeben scheint. 7 Nach neuerer Ansicht ist das öffentliche Interesse keine Voraussetzung; zur Begründung wird angeführt: der Wortlaut, die Unbestimmtheit des Terminus öffentliches Interesse und das Antragsquorum von ¼ der MdB lasse das öffentliche Interesse vermuten (so Schneider, NJW 2001, 2604 ff.); dagegen: Materialien und verfassungsimmanente Schranke in Art. 44 I 1 GG aus Grundrechten. 5 von 13

Jedoch könnte dieser am Wortlaut orientierten Auslegung eine teleologische-systematische Auslegung vor dem Hintergrund des Art. 44 I 1 GG entgegenstehen. In der Sicherstellung der parlamentarischen Kontrolle von Regierung und Verwaltung, insbesondere in der Aufklärung von in den Verantwortungsbereich der Regierung fallenden Vorgängen, die auf Missstände hinweisen, liegt die verfassungsrechtliche Bedeutung des Minderheitsrechts. Das ursprüngliche Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Regierung, wie es in der konstitutionellen Monarchie bestand, hat sich in der parlamentarischen Demokratie, deren Parlamentsmehrheit regelmäßig die Regierung trägt, gewandelt. Es wird nun vornehmlich geprägt durch das politische Spannungsverhältnis zwischen Regierung und den sie tragenden Parlamentsfraktionen einerseits und der Opposition andererseits. Im parlamentarischen Regierungssystem überwacht daher in erster Linie nicht die Mehrheit die Regierung, sondern diese Aufgabe wird vorwiegend von der Opposition und damit in der Regel von einer Minderheit wahrgenommen. Das durch die Verfassung garantierte Recht der Minderheit auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses darf, soll vor diesem Hintergrund die parlamentarische Kontrolle ihren Sinn noch erfüllen können, nicht angetastet werden. 8 Mit dem Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses allein ist jedoch das Kontrollrecht der Minderheit noch nicht gewährleistet. Seine ungehinderte Ausübung setzt weitere Sicherungen voraus. So muss es vor allem der Minderheit überlassen bleiben, den Gegenstand der von ihr beantragten Untersuchung festzulegen. Der Untersuchungsgegenstand darf grundsätzlich auch nicht gegen den Willen der Minderheit verändert oder erweitert werden. Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass es sich bei Art. 44 I 1 GG um ein Minderheitenrecht handelt. 9 Das Kontrollrecht, das der parlamentarischen Opposition zusteht, schließt das Recht ein, den genauen Gegenstand der beantragten Untersuchung im Einsetzungsbeschluss selbst zu bestimmen. Sowohl der Untersuchungsausschuss als auch das Parlament sind in der Folge hieran gebunden. Die Mehrheit kann deshalb bei einer Minderheitsenquete gegen den Willen der Minderheit den Inhalt des Einsetzungsbeschlusses weder erweitern noch verändern oder verkürzen, da hierdurch der Minderheitenschutz des Art. 44 I GG verletzt würde. Grund ist, dass jede Ausdehnung des Untersuchungsgegenstandes die Notwendigkeit zusätzlicher Aufklärung mit sich bringt und die Arbeit des Untersuchungsausschusses vermehrt. Durch eine solche Vorgehensweise könnte unschwer die Untersuchung blockiert, zumindest aber erheblich verzögert werden. Eine bloße Verzögerung kann aber bereits die Wirksamkeit der parlamentarischen Kontrolle entscheidend in Frage stellen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Ausschuss mit dem Ende der jeweiligen Wahlperiode zu bestehen aufhört, er seine Arbeit also insbesondere zum Schluss einer Wahlperiode so schnell wie möglich erledigen muss. Jeder zusätzliche Untersuchungsauftrag kann hier zu einem Hemmnis werden, das die Untersuchung gänzlich vereitelt. 10 Zulässig sind jedoch Zusatzfragen der Mehrheit, wenn sie den Untersuchungsgegenstand im Kern unverändert lassen 8 BVerfGE 49, 70 (85 f.). 9 RGZ 116, 45 (52). 10 BVerfGE 49, 70 (86). 6 von 13

und nur dazu dienen, eine verzerrte Darstellung zu vermeiden und ein umfassenderes, wirklichkeitsgetreueres Bild des angeblichen Missstandes zu vermitteln. 11 Zwischenergebnis: Grundsätzlich besteht ein Verbot der Abänderung von Untersuchungsausschussanträgen, welche von einer Minderheit beantragt werden. bb) Auch bei verfassungswidrigem Untersuchungsgegenstand? Fraglich ist jedoch, ob sich an dem gerade gefundenen Zwischenergebnis dadurch etwas ändert, dass die Mehrheit der MdB den beantragten Gegenstand zu 2) für verfassungswidrig hält. (1) aus dem PUAG Auch diese Frage regelt wiederum 2 III 1 PUAG: Hält der Bundestag den Einsetzungsantrag für teilweise verfassungswidrig, so ist der Untersuchungsausschuss mit der Maßgabe einzusetzen, dass dessen Untersuchungen auf diejenigen Teile des Untersuchungsgegenstandes zu beschränken sind, die der Bundestag für nicht verfassungswidrig hält. Wie bereits festgehalten, kann ein Gesetz unterhalb der Verfassung jedoch nur als Auslegungshilfe zur Beantwortung dieser Frage herangezogen werden die Verfassungswidrigkeit an sich kann dadurch aber gerade nicht endgültig festgestellt werden. (2) aus dem GG Dazu ist festzuhalten, dass der Bundestag bei Einsetzung eines Untersuchungsausschusses aber selbst naturgemäß an die Verfassung gebunden ist (Art. 20 III GG). Es kann gerade nicht verlangt werden etwas zu tun, was er für verfassungswidrig hält. 12 Der 2. Gegenstand des Untersuchungsausschusses beinhaltet Fragen, die sich nicht auf abgeschlossene Tatsachen beziehen, sondern allein soll er zukünftig die Arbeit der Bundesregierung parallel überwachen. Dies stellt, wie unter II. 1. b) bb) (3) dargestellt, keinen zulässigen Untersuchungsgegenstand dar und ist daher mit dem Prinzip der Gewaltenteilung unvereinbar. Der 2. Untersuchungsgegenstand ist somit verfassungswidrig. cc) Konsequenz Zu prüfen bleibt, welche Konsequenz aus dieser Beurteilung zu ziehen ist und damit die Frage, ob der Untersuchungsausschuss ganz abgelehnt werden kann, oder ob nur eine Streichung der für verfassungswidrig gehaltenen Teile zu erfolgen hat. 11 BVerfGE 49, 70 (80ff.); Sachs Magiera, GG, Art. 44, Rdnr. 15. 12 Zu beachten ist aber der Minderheitenschutz: In dessen Interesse spricht eine Vermutung für die rechtliche Zulässigkeit des Antrags; anders eben nur bei offensichtlich verfassungswidrigen Untersuchungsaufträgen (so auch BayVerfGH BayVBl 1977, 597 ff.). 7 von 13

Diese Frage ist i.s. einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beantworten, um einen möglichst schonenden Ausgleich zwischen dem Recht der Minderheit auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und der Verpflichtung zu verfassungsgemäßen Untersuchungsausschussanträgen zu erzielen. Die Einschränkung auf verfassungsgemäße Fragen stellt im Vergleich zur gänzlichen Ablehnung das mildere Mittel dar, soweit der verbleibende Teil allein noch Sinn ergibt. Dies ist hier der Fall, so dass die Streichung der für verfassungswidrig gehaltenen Teile möglich ist. III. Ergebnis Der Einsetzungsbeschluss ist (formell und materiell) verfassungsmäßig. Frage 2: Erfolgsaussichten des Verfahrens 13 Der Organstreit hat Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist. I. Zulässigkeit Die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens ist gegeben, wenn alle Sachurteilsvoraussetzungen des Art. 93 I Nr. 1 GG i.v.m. 13 Nr. 5 BVerfGG, 63 ff. BVerfGG erfüllt sind. 1. Zuständigkeit Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für das Organstreitverfahren ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 1 GG, 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG. 2. Parteifähigkeit des Antragstellers a) Der Untersuchungsausschuss muss daneben antragsberechtigt sein. Nach Art. 93 I Nr. 1 GG können oberste Bundesorgane sowie andere Beteiligte, die durch das Grundgesetz oder in einer Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind, Partei des Verfahrens sein. Dagegen nennt 63 BVerfGG verengend Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundestages oder des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe. Es gibt aber noch andere Bundesorgane. Die weiter gefasste Verfassungsnorm besitzt Vorrang vor der einfachen Gesetzesbestimmung des BVerfGG. Parteifähig im Organstreitverfahren sind daher z.b. auch Fraktionen im Bundestag und in einzelnen Ausschüssen, die Ausschüsse selbst, sowie politische Parteien. b) 13 An dieser Stelle muss man sich intensiv Gedanken darüber machen, ob ein Verfahren nach Art. 93 II GG ivm 18 III PUAG oder aber ein Organstreitverfahren das richtige Verfahren darstellt und damit die Frage, ob 18 III PUAG ein eigenes Verfahren begründet oder lediglich deklaratorisch ist. Die Rechtslage vor Inkrafttreten des PUAG (2001) war insoweit eindeutig: Alleiniges Verfahren ist ein Organstreitverfahren (ältere Literatur ist daher mit großer Vorsicht zu genießen). Nunmehr spricht jedoch vieles dafür, ein eigenes Verfahren anzunehmen. Die Gesetzesbegründung gibt zu dieser Frage zwar wenig her, jedoch spricht für ein eigenes Verfahren die Tatsache, dass der Kreis der Antragsberechtigten entscheidend erweitert wurde (nun auch die Ausschussminderheit; ¼). Die Kenntnis des Verfahrens nach 18 III PUAG ist jedoch für das erste Semester nicht nötig. Daher wird hier das Organstreitverfahren gewählt, um insoweit grundlegende Kenntnisse zu sichern. 8 von 13

Vorliegend ist Antragsteller der Untersuchungsausschuss. Dieser ist zumindest Teil des obersten Bundesorgans Bundestag. c) Damit stellt sich die Frage, ob der Untersuchungsausschuss gegenüber dem Bundestag über eigene Rechte verfügt. Das in Art. 44 I GG vorgesehene Untersuchungsrecht, das mit den Mitteln des Art. 44 II GG wahrgenommen werden kann, ist nach dem klaren Wortlaut des Art. 44 GG ein Recht des Ausschusses, das nicht der Disposition durch das Plenum unterliegt. 14 Es handelt sich bei dem Untersuchungsausschuss um ein mit besonderen Mitteln ausgestattetes Hilfsorgan, dessen Befugnisse das Plenum nicht wahrnehmen darf. 15 3. Parteifähigkeit des Antragsgegners Beim Antragsgegner ergibt sich zum gerade eben Gesagten kein Unterschied. Hier ist Antragsgegner die Bundesregierung, die ein oberstes Bundesorgan ist. 4. Antragsgegenstand Gemäß 64 I BVerfGG wird darüber gestritten, ob der Antragsteller oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten oder Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der Maßnahme oder Unterlassung umfasst dabei jedes rechtserhebliche Verhalten des Antragsgegners. Streitgegenstand ist hier die Frage, in welchem Umfang der Antragsgegner der beantragten Aktenherausgabe Folge leisten muss. 5. Antragsbefugnis Der Antragsteller muss schlüssig behaupten, dass er und der Antragsgegner an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt seien und dass der Antragsgegner hieraus folgende eigene Rechte des Antragstellers durch die beanstandete Maßnahme oder durch sein Unterlassen verletzt oder unmittelbar gefährdet habe, Art. 93 I Nr. 1 GG, 64 I BVerfGG. Es genügt bereits die unmittelbare Gefährdung der Rechte oder Pflichten. Die Verletzung oder Gefährdung muss entsprechend der Möglichkeitstheorie möglich, d. h. nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Das BVerfG überprüft im Organstreitverfahren nur die vom Antragsteller behauptete Verletzung in eigenen Rechten. Eine allgemeine verfassungsrechtliche Überprüfung der angegriffenen Maßnahmen findet in diesem Verfahren nicht statt. Fraglich ist, ob der Untersuchungsausschuss antragsbefugt ist. Dann müsste er schlüssig behaupten, dass er und die Bundesregierung unmittelbar an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis beteiligt sind und er durch eine Maßnahme oder ein Unterlassen des Antragsgegners in seinem durch das Grundgesetz übertragenen Rechten oder Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet wird. Das verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen beiden Parteien könnte im Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses liegen. Das Aktenvorlagerecht des Untersuchungsausschusses ist Bestandteil von dessen Beweiserhebungsrecht. Dieses wurzelt in Art. 44 I, II GG i.v.m. den in Bezug genommenen Vorschriften über den Strafprozess. 14 BVerfGE 77, 1 (40). 15 BVerfGE 67, 100 (124). 9 von 13

Art. 44 GG begründet somit hinsichtlich der Beweiserhebung verfassungsrechtliche Organbeziehungen zwischen dem Untersuchungsausschuss als Organ des Bundestages und der Bundesregierung. Dabei stellt sich die Frage, ob das als verletzt gerügte Beweiserhebungsrecht auch ein Recht des Untersuchungsausschusses sein kann, da der Antragsteller im Organstreit nur eigene verfassungsrechtliche Rechte geltend machen kann. Die Rechte aus Art. 44 GG sind eigentlich Rechte des Bundestages als Ganzem, der Herr der Untersuchung ist. Nach h.m. kann beim Organstreit auch der streitende Organteil im Wege der "Prozessstandschaft" die Verletzung der Rechte des gesamten Organs hier des Bundestages nach Art. 44 GG - geltend machen. 16 Darüber hinaus wird im Rahmen des parlamentarischen Untersuchungsrechts der Minderheitenschutz verstärkt gewährleistet. Art. 44 I GG gewährt einer parlamentarischen Minderheit in Höhe von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Einsetzung einer "Minderheitsenquete". Damit gewährleistet das GG das Untersuchungsrecht und auch das notwendigerweise damit verbundene Beweiserhebungsrecht der parlamentarischen Minderheit als eigenes, organschaftliches (Teilhabe-) Recht. Die Behauptung des Untersuchungsausschusses, die Bundesregierung habe durch die verweigerte Aktenherausgabe gegen das Beweiserhebungsrecht verstoßen, ist zudem schlüssig, weil es möglich ist, dass dieses Vorgehen Rechte des Untersuchungsausschusses verletzt. Der Untersuchungsausschuss ist somit antragsbefugt. 6. Form Die Form des Antrags bestimmt sich nach 23 I, 64 II BVerfGG, also schriftlich und mit Begründung. 7. Frist Nach 64 III BVerfGG muss der Antrag innerhalb von sechs Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem die Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt wurde. 8. Zwischenergebnis Der Organstreit ist zulässig. 17 16 Lechner/Zuck, BVerfGG, 4. Auflage 1996, 64, Rdnr. 5 f. 17 Sollten Sie die Ausschüsse nicht für antragsbefugt halten, wäre zwar der Organstreit unzulässig, aber ein Verfahren nach 18 III PUAG ivm Art. 93 II GG zulässig. 10 von 13

II. Begründetheit Ein Organstreitverfahren ist begründet, wenn die Maßnahme oder Unterlassung verfassungswidrig ist und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Der Antrag ist begründet, wenn der Untersuchungsausschuss ordnungsgemäß eingesetzt (1.) und das Recht des Untersuchungsausschusses auf Aktenvorlage verletzt wurde (2.). 1. Ordnungsgemäße Einsetzung Die ordnungsgemäße Einsetzung wurde bei Frage 1 bereits untersucht und bejaht. 2. Recht auf Aktenvorlage Ein Anspruch auf vollständige Akteneinsicht könnte sich aus dem Beweiserhebungsrecht des Art. 44 I, II GG ergeben. Unter Beweiserhebung ist das Verfahren der strafprozessualen Sachverhaltsaufklärung, d. h. insbesondere der Beschaffung, Sicherung und Verwertung von Beweismitteln zu verstehen. Nach Art. 44 I, II GG kommt dem Untersuchungsausschuss die Befugnis zu, (auch gegen den Willen der Betroffenen) die erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Schon aus der Wortwahl dieser Norm ergibt sich die Befugnis des Untersuchungsausschusses, in den Grenzen des seiner Tätigkeit zugrundeliegenden Parlamentsbeschlusses diejenigen Beweise zu erheben, die er für unabdingbar hält. 18 Dem Untersuchungsausschuss ist also bzgl. der Beurteilung der Erforderlichkeit und des beizuziehenden Beweismaterials ein Beurteilungsspielraum eröffnet, innerhalb dessen er die Beweiserhebung selbst bestimmen kann. Das Recht auf Beweiserhebung umfasst daher grundsätzlich auch innerhalb des bestehenden Untersuchungsauftrags, nicht eigens in der Verfassung verankert, das Recht, die Vorlage von Akten zu verlangen. 19 Die Konkretisierung der Vorlageverpflichtung ergibt sich zudem aus 18 I PUAG. Danach sind die Bundesregierung, die Behörden des Bundes sowie die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Grenzen auf Ersuchen verpflichtet, dem Untersuchungsausschuss sächliche Beweismittel, insbesondere die Akten, die den Untersuchungsgegenstand betreffen, vorzulegen. 3. Schranken des Rechts auf Aktenvorlage Das Recht auf Aktenvorlage könnte jedoch beschränkt sein durch a) höherwertige Belange der Bundesrepublik ( 96 StPO) und b) durch kollidierende Grundrechte. a) Art. 44 II GG ivm 96 StPO aa) Inhalt Zur Beweiserhebung verweist Art. 44 II 1 GG auf die Vorschriften über den Strafprozess (z.b. StPO, GVG); sie finden jedoch nur "sinngemäße" Anwendung. Sinngemäße Anwendung bedeutet, dass die Vorschriften nach Art und Umfang entsprechend dem Sinn und Zweck des parlamentarischen Untersuchungsrechts heranzuziehen sind. 20 Dabei ist zu beachten, dass der Untersuchungsauftrag anders als das Strafverfahren keinen repressiven Charakter hat. Die Regeln der StPO bedürfen daher einer Anpassung an das parlamentarische Verfahren, das nicht die Verhängung von Strafen, sondern regelmä- 18 BVerfGE 67, 100 (128). 19 BVerfGE 67, 100 (128). 20 Sachs Magiera, GG,Art. 44, Rdnr. 23. 11 von 13

ßig die Aufklärung von Tatsachen und die Zuweisung politischer Verantwortung zum Gegenstand hat. Im vorliegenden Fall könnte 96 StPO der Akteneinsicht entgegenstehen. 96 StPO bestimmt, dass die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte nicht gefordert werden kann, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, dass das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde. Da dies nach der Auffassung der Bundesregierung im vorliegenden Fall gegeben ist, könnte man zu der Ansicht gelangen, dass somit die Weigerung der Herausgabe verfassungsgemäß ist. 96 StPO findet jedoch nur sinngemäße Anwendung, d.h. unter Beachtung des parlamentarischen Kontrollauftrags. Zwar ist grundsätzlich anerkannt, dass die Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament und dem Staatsvolk notwendigerweise einen Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung voraussetzt, der einen auch von Untersuchungsausschüssen nicht ausforschbaren Initiativ-, Handlungs- und Beratungsbereich umfasst. Hierzu zählt jedoch die Geheimhaltungserklärung nach 96 StPO grundsätzlich nicht. Denn das Wohl des Bundes oder eines Landes im Sinne der oben genannten Vorschrift sind im parlamentarischen Regierungssystem dem Parlament und der Regierung gemeinsam anvertraut. Bei einer entsprechenden Anwendung des 96 StPO im Untersuchungsausschuss-Verfahren ist der Wortlaut der Vorschrift gegenüber dem Auskunftsverlangen des Bundestages deshalb dahingehend einschränkend auszulegen, dass die zur Abgabe der Geheimhaltungserklärung alleine zuständige Regierung die verfassungsrechtliche Pflicht trifft, den Untersuchungsauftrag zu fördern. Die Verweigerung der Aktenvorlage unter Berufung auf 96 StPO kommt daher nur dann in Betracht, wenn das Dienstgeheimnis andernfalls nicht gewahrt wäre. Insoweit bestehen keine Bedenken, sofern beiderseits Vorkehrungen zum Schutze des Dienstgeheimnisses getroffen werden. Grundsätzlich verhandeln die Untersuchungsausschüsse öffentlich (Art. 44 I 1, 2. HS GG). Nach Art. 44 I 2 GG kann die Öffentlichkeit jedoch ausgeschlossen werden. Davon bleibt das Teilnahmerecht der dem Ausschuss nicht angehörenden Mitglieder des Bundestages ( 69 GeschOBT) sowie der zutrittsberechtigten Vertreter der Bundesregierung und des Bundesrates (Art. 43 II GG) grundsätzlich unberührt. 21 Für den Ausschluss der Öffentlichkeit genügt ein einfacher Mehrheitsbeschluss. Zu berücksichtigen sind dabei jedoch das Willkürverbot und die Bedeutung des Öffentlichkeitsprinzips im demokratischen Parlamentarismus, dem gerade für das parlamentarische Untersuchungsverfahren, wie Art. 44 I GG zeigt, ein besonderer Stellenwert zukommt. 22 Die Bundesregierung kann den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht erzwingen. Zur Vorlage geheimhaltungsbedürftiger Unterlagen ist sie jedoch nur verpflichtet, wenn der Aus- 21 Sachs Magiera, GG, Art. 44, Rdnr. 18. 22 BVerfGE 77, 1 (48); Sachs Magiera, GG, Art. 44, Rdnr. 19. 12 von 13

4. Ergebnis schuss den notwendigen Geheimschutz gewährleistet. 23 Auch Gerichte dürfen beschlagnahmte Unterlagen, die grundrechtlich bedeutsame Daten enthalten, zur Erörterung im Untersuchungsausschuss erst freigeben, wenn etwa erforderliche Geheimschutzmaßnahmen sichergestellt sind. 24 Da der Untersuchungsausschuss die Öffentlichkeit ausschließen kann und die Mitglieder an die vom Bundestag beschlossene Geheimhaltungsverordnung gebunden sind, kommt eine einseitige Verweigerung der Vorlage durch die Bundesregierung nicht in Betracht. bb) Zwischenergebnis Art. 44 II GG ivm 96 StPO stellen vorliegend keine Grenze des Rechts auf Aktenvorlage dar. b) Grundrechte Auch eine Beeinträchtigung der Grundrechte ist im Sachverhalt nicht ersichtlich. c) Zwischenergebnis Die vom Untersuchungsausschuss geforderte Aktenvorlage überschreitet nicht die diesem Recht gezogenen Grenzen. Der Antrag ist sowohl zulässig als auch begründet. Er hat Erfolg. 23 BVerfGE 67, 100 (137). 24 BVerfGE 77, 1 (55ff.). 13 von 13