Analysis I. Guofang Wang Universität Freiburg

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Kapitel 6 Folgen und Stetigkeit

Transkript:

Universität Freiburg 13.1.016

Zwischenwertsatz und klassische Funktionen In diesem Abschnitt haben wir es mit Funktionen zu tun, die auf einem Intervall definiert sind. Eine Menge I R ist genau dann ein Intervall, wenn (a, b) I mit a = inf I und b = sup I. Hier sind also unendliche Intervallgrenzen zugelassen, aber das Intervall soll stets Teilmenge von R sein, das heißt unendliche Intervallgrenzen sind offen. Der Durchschnitt von zwei Intervallen I 1, mit den Grenzen a 1, und b 1, ist wieder ein Intervall mit Grenzen a = max(a 1, a ) und b = min(b 1, b ). Nach unserer Definition ist die leere Menge auch ein Intervall.

Satz.1 (Zwischenwertsatz) Sei f : [a, b] R stetig. Dann gibt es zu jedem y 0 zwischen f(a) und f(b) ein x 0 [a, b] mit f(x 0 ) = y 0. Bemerkung. Die Gleichung f(x) = y 0 kann mehrere Lösungen in [a, b] besitzen, das heißt x 0 ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt. Beweis: Sei obda f(a) y 0 f(b). Dann ist die Menge M = {x [a, b] : f(x) y 0 } nichtleer, da a M. Wir behaupten f(x 0 ) = y 0 für x 0 = sup M. Für n N ist x 0 1/n keine obere Schranke von M, also gibt es x n M mit x 0 1/n < x n x 0. Da f stetig, folgt f(x 0 ) = lim n f(x n ) y 0. Andererseits ist x 0 eine kleinste obere Schranke von M, also gilt f(x) > y 0 für x 0 < x b. Ist x 0 < b, so folgt f(x 0 ) = lim x x0 f(x) y 0. Im Fall x 0 = b gilt f(x 0 ) y 0 sowieso nach Voraussetzung.

Folgerung.1 Sei I R ein Intervall und f : I R stetig. Dann ist f(i) ein Intervall mit Endpunkten α = inf x I f(x) und β = sup x I f(x). Beweis: Zu y (α, β) gibt es x 1, x I mit f(x 1 ) < y < f(x ). Dann gibt es nach Satz 3 ein x [x 1, x ] (bzw. x [x, x 1 ]) mit f(x) = y. Es folgt (α, β) f(i).

Jede streng monotone Funktion f : I R ist injektiv und hat damit eine Umkehrfunktion g : f(i) R. Es stellt sich die Frage nach der Stetigkeit von g. Zum nächsten Lemma vgl. das entsprechende Resultat für Folgen, Satz.5 in Kapitel 1. Lemma.1 (Einseitige Grenzwerte monotoner Funktionen) Sei f : I = (a, b) R monoton wachsend. Dann gilt lim f(x) = inf{f(x) : x I} und lim f(x) = sup{f(x) : x I}. x a x b Beweis: Mit α = inf{f(x) : x I} [, ) gilt f(x) α für alle x I. Andererseits gibt es zu jedem α > α ein x I mit f(x ) < α, und somit f(x) < α für alle x < x. Die Behauptung für den rechtsseitigen Grenzwert folgt analog.

Satz. (Monotonie und Umkehrfunktion] Sei I ein Intervall mit Endpunkten a < b, und f : I R sei streng monoton wachsend und stetig. Dann gilt: (1) Die Umkehrfunktion g : f(i) R ist ebenfalls streng monoton wachsend und stetig. () I = f(i) ist ein Intervall mit Endpunkten α = lim x a f(x) < lim x b f(x) = β. (3) lim y α g(y) = a und lim y β g(y) = b. Beweis: Wäre g nicht streng monoton wachsend, so gibt es y 1, y f(i) mit y 1 < y, aber g(y ) g(y 1 ). Aus der Monotonie von f folgt y = f ( g(y ) ) f ( g(y 1 ) ) = y 1, im Widerspruch zur Annahme. Um die Stetigkeit von g im Punkt y 0 = f(x 0 ) zu zeigen, sei ε > 0 gegeben. Nach Folgerung.1 ist dann f(u ε (x 0 ) I) ein Intervall mit den Grenzen α = inf{f(x) : x U ε (x 0 ) I} und β = sup{f(x) : x U ε (x 0 ) I}.

Im Fall a < x 0 < b gilt α < f(x 0 ) = y 0 < β, da f streng monoton wachsend, also gibt es ein δ > 0 mit U δ (y 0 ) f(u ε (x 0 ) I). Es folgt g(u δ (y 0 )) (g f)(u ε (x 0 ) I) U ε (x 0 ), was zu zeigen war. Für x 0 = a ist α = f(x 0 ) = y 0 < β, also gilt für hinreichend kleines δ > 0 U δ (y 0 ) f(i) [y 0, y 0 + δ) f(u ε (x 0 ) I), und es folgt g ( U δ (y 0 ) f(i) ) U ε (x 0 ). Aussage () folgt direkt aus Folgerung.1 und Lemma.1, und (3) ergibt sich aus (1) und (), angewandt auf die Funktion g statt f.

Als Ergänzung zu Satz. bemerken wir noch a I α I und b I β I. (.1) Denn für a I ist f(a) = inf{f(x) : x I} = α, also α f(i). Sei umgekehrt α = f(x) für ein x I. Wäre x > a, so gibt es x (a, x) mit f(x ) < f(x) = α, Widerspruch. Also folgt a = x I.

Wir wollen nun den Satz anwenden, um die Umkehrfunktion der reellen Exponentialfunktion zu konstruieren. Als erstes müssen wir dafür die Stetigkeit zeigen; das tun wir natürlich gleich in C. Satz.3 Die Exponentialfunktion exp : C C ist stetig. Beweis: Für die Stetigkeit in z 0 = 0 verwenden wir die Abschätzung aus Kapitel 1, Satz 4.7, und zwar ergibt der Fall n = 1 für alle z 1 exp(z) exp(0) = exp(z) 1 z. Es folgt exp(z) exp(0) < ε für z < δ = min(1, ε/). Für die Stetigkeit in z 0 0 setzen wir die Funktionalgleichung ein: es gilt exp(z z 0 ) 1 mit z z 0, also exp(z) = exp(z 0 ) exp(z z 0 ) exp(z 0 ) mit z z 0.

Satz.4 (Definition des Logarithmus]) Die Funktion exp : (, ) (0, ) ist streng monoton wachsend, stetig und bijektiv, und es gilt lim exp(x) = 0 und lim exp(x) =. (.) x x Die Umkehrfunktion log : (0, ) (, ) heißt (natürlicher) Logarithmus. Die Funktion ist ebenfalls streng monoton wachsend, stetig und bijektiv, und es gilt lim log(y) = und lim log(y) =. (.3) y 0 y Weiter ist log(1) = 0 und log(e) = 1, und log erfüllt die Funktionalgleichung log(y 1 y ) = log(y 1 ) + log(y ) für alle y 1, y > 0. (.4)

Beweis: Nach Definition der Exponentialfunktion gilt x k exp(x) = > 1 + x für x > 0. k! k=0 Es folgt lim x exp(x) =, sowie für x > 0 mit der Funktionalgleichung 1 exp( x) = 0 mit x. exp(x) Weiter liefert die Funktionalgleichung für x 1 < x exp(x ) exp(x 1 ) = exp(x x 1 ) > 1, das heißt exp ist streng monoton wachsend und stetig nach Satz.3. Nach Satz. ist nun exp : (, ) (0, ) bijektiv, und die Umkehrfunktion log : (0, ) (, ) erfüllt (.3). Außerdem gilt log(1) = log(exp(0)) = 0, log(e) = log(exp(1)) = 1. Die Funktionalgleichung (.4) ergibt sich aus exp(x 1 ) exp(x ) = exp(x 1 + x ), indem wir x k = log(y k ) einsetzen und den Logarithmus nehmen.

Definition.1 (Exponentialfunktion zur Basis a) Für a > 0, x R definieren wir a x = exp (x log(a)). Für rationale Exponenten r = p/q mit p Z und q N ist diese Definition konsistent mit der bereits gegebenen Definition als eindeutig bestimmte Lösung y der Gleichung y q = a p, denn exp(x log(a)) > 0 und nach Folgerung 4.1 gilt exp (r log(a)) q = exp (q r log(a)) = exp (p log(a)) = exp (log(a)) p = a p. Insbesondere können wir also exp(x) = e x schreiben. Durch die klassische Definition der Potenz ist die Funktion x a x für alle x Q und damit auf einer dichten Teilmenge von R schon definiert. Die Exponentialfunktion setzt diese Funktion auf alle x R fort, genauer ist es die eindeutig bestimmte Fortsetzung, die stetig ist (Übung).

Die Regeln der Potenzrechnung für a, b > 0 a x a y = a x+y (a x ) y = a xy ( ) 1 x = a x a x b x = (ab) x a ergeben sich leicht aus den Definitionen und den Funktionalgleichungen von exp bzw. log. Weiter sind nun auch die Potenzfunktionen für beliebige reelle Exponenten erklärt: f : (0, ) R, f(x) = x α = exp (α log(x)).

Folgerung. (Charakterisierung von exp durch die Funktionalgleichung) Die Funktion f : R R habe folgenden beiden Eigenschaften: (1) f(x + y) = f(x) f(y) für alle x, y R, () lim x 0 f(x) = f(0) (Stetigkeit bei x 0 = 0). Dann ist entweder a := f(1) > 0 und f(x) = a x für alle x, oder f ist identisch Null. Beweis: Es ist f(1) = f ( 1 ) 0. Im Fall f(1) = 0 folgt für alle x R f(x) = f ( (x 1) + 1 ) = f(x 1) f(1) = 0. Im Fall a > 0 kann wie oben argumentiert werden, das heißt man zeigt mit der Funktionalgleichung f(x) = a x für alle x Q, und folgert f(x) = a x für alle x R aus der Stetigkeit.

Nachdem die Diskussion der reellen Exponentialfunktion so ergiebig war, wollen wir nun auch die komplexe Exponentialfunktion anschauen; das wird sogar noch interessanter. Wir betrachten mit S 1 = {z C : z = 1} die Abbildung c : R S 1 C, c(t) = exp(it) = e it, wobei i = 1. (.5) In Folgerung 4.1 hatten wir schon gezeigt, dass c tatsächlich in den Einheitskreis abbildet, und zwar gilt c(t) = c(t)c(t) = e it e it = e it e it = 1. Das Ziel ist nun zu verstehen, wie sich der Punkt c(t) in Anhängigkeit von t auf dem Einheitskreis bewegt, genauer wollen wir sehen, dass c(t) periodisch ist und in jeder Periode den Einheitskreis einmal im mathematisch positiven Sinn (also gegen den Uhrzeigersinn) durchläuft. Erstmal geben wir den Komponenten von c(t) = e it einen Namen.

Definition. Die Funktionen Cosinus und Sinus cos, sin : R R sind definiert durch cos t = Re e it = eit + e it, sin t = Im e it = eit e it. (.6) i Es gilt also die Eulersche Formel e it = cos t + i sin t für alle t R. (.7)

Aus der Definition folgen die Potenzreihendarstellungen der Funktionen Sinus und Cosinus. Satz.5 Für alle t R gelten die absolut konvergenten Potenzreihendarstellungen cos t = sin t = ( 1) k tk (k)! = 1 t! ±... und k=0 ( 1) k t k+1 (k + 1)! = t t3 3! ±.... k=0 Beweis: Die absolute Konvergenz ergibt sich mit Satz 4.3 aus der Abschätzung N k=0 t k N (k)! + k=0 t k+1 (k + 1)! n=0 t n n! = e t <.

Mit i k = ( 1) k sowie i k+1 = i ( 1) k berechnen wir N+1 n=0 (it) n n! = N ( 1) k tk N (k)! + i ( 1) k t k+1 (k + 1)!. k=0 k=0 Für N ist die rechte Seite konvergent, die linke Seite geht gegen e it = cos t + i sin t.

Lemma. Die Funktionen cos, sin : R R sind stetig. Beweis: c : R R = C, c(t) = e it, ist stetig als Verkettung der stetigen Abbildungen ϕ : R C, ϕ(t) = it, und exp : C C, vergleiche Satz.3.Dann sind auch cos, sin als Koordinatenfunktionen von c(t) stetig.

Lemma.3 Die Funktionen Cosinus und Sinus haben folgende Eigenschaften: (1) cos t + sin t = 1 für alle t R. () Cosinus ist eine gerade und Sinus eine ungerade Funktion: cos( t) = cos t und sin( t) = sin t. (3) Für alle α, β R gelten die Additionstheoreme cos(α + β) = cos α cos β sin α sin β, sin(α + β) = sin α cos β + cos α sin β. Beweis: Behauptung (1) folgt direkt aus e it = 1, Behaupung () gilt nach Definition und (3) ergibt sich aus der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion und Vergleich der Real- und Imaginärteile: cos(α + β) + i sin(α + β) = e i(α+β) = e iα e iβ = (cos α + i sin α) (cos β + i sin β).

Ersetzen wir in den Additionstheoremen α, β durch (α + β)/, (α β)/, so erhalten wir cos α = cos α + β sin α = sin α + β cos α β cos α β sin α + β + cos α + β sin α β sin α β. Durch Vertauschen von α und β und Subtraktion ergibt sich mit Lemma.3 () cos α cos β = sin α + β sin α sin β = cos α + β sin α β sin α β (.8)

Wir benötigen den folgenden Grenzwert. Lemma.4 Es gilt lim t 0 sin t t = 1. Beweis: Wir verwenden die Abschätzung der Exponentialfunktion aus Satz 4.7 mit z = it und n =. Wegen Im z z gilt danach für t 3/ sin t t e it (1 + it) t. Nach Division durch t > 0 folgt mit t 0 die Behauptung.

Satz.6 (Definition von π) Es gibt eine eindeutig bestimmte Zahl τ (0, ) mit folgenden Eigenschaften: (1) Auf (0, τ) gilt cos t, sin t > 0. () Auf [0, τ) ist cos streng monoton fallend und sin streng monoton wachsend. (3) cos τ = 0 und sin τ = 1, also e iτ = i. Wir definieren π = τ. Beweis: Als erstes zeigen wir, dass die Funktionen cos und sin auf einem hinreichend kleinen Intervall (0, t) strikt positiv sind. Wegen cos 0 = 1 folgt das für den Cosinus sofort aus der Stetigkeit. Für den Sinus gibt es wegen Lemma.4 ein t > 0, so dass für 0 < t < t gilt: sin t t 1/ sin t t / > 0.

Also ist die Menge M = {t > 0 : cos t, sin t > 0 für alle t (0, t)} nichtleer und wir setzen τ = sup M. Behauptung (1) gilt dann nach Definition. Für 0 t 1 < t < τ folgt mit den Formeln (.8), Lemma.3 () und Aussage (1), da 0 < (t t 1 )/ (t + t 1 )/ < τ, cos t cos t 1 = sin t + t 1 sin t sin t 1 = cos t + t 1 sin t t 1 sin t t 1 < 0, > 0. Dies zeigt Behauptung (), insbesondere existieren die Grenzwerte ξ = lim t τ cos t [0, 1) und η = lim t τ sin t (0, 1], vgl. Lemma.1. Um zu zeigen, dass τ endlich ist, betrachten wir für ein t 0 (0, τ) die Folge (e it 0 ) k, k N. Wäre τ = +, so folgt aus dem Bewiesenen (e it 0 ) k = e ikt 0 = cos kt 0 + i sin kt 0 ξ + iη mit k. Aber (e it 0 ) k+1 (e it 0 ) k = (e it 0 ) k (e it 0 1) = e it 0 1 > 0, das heißt die Folge ist keine Cauchyfolge, ein Widerspruch.

Also ist τ <, und mit der Stetigkeit folgt cos τ = ξ und sin τ = η. Nun ist η > 0, also muss ξ = 0 gelten, denn sonst wären cos und sin beide strikt positiv nahe bei τ, also τ keine obere Schranke für M. Wegen ξ + η = 1 und η > 0 ist η = +1. Schließlich ist klar, dass τ durch (1) und (3) eindeutig festgelegt ist.

Mit Satz.6 erhalten wir e i(t+π/) = e iπ/ e it = ie it, (.9) bzw. wegen e i(t+π/) = cos(t + π/) + i sin(t + π/) und ie it = sin t + i cos t cos(t+π/) = sin t und sin(t+π/) = cos t. (.10) Damit können wir eine Wertetabelle der Funktionen erstellen. Die Ziffern I bis IV bedeuten die gegen den Uhrzeiger nummerierten Quadranten. t 0 π/ π 3π/ π e it 1 I i II 1 III i IV 1 cos 1 0 1 0 1 sin 0 1 0 1 0

Folgerung.3 Die Funktionen e it, cos t und sin t sind π-periodisch, und π ist die kleinste Periode für jede der Funktionen. Beweis: Es gilt e πi = 1 und damit e i(t+π) = e it e πi = e it für alle t, also sind die Funktionen π-periodisch. Wäre e it periodisch mit Periode p (0, π), so folgt e ip = e i0 = 1, was der Wertetabelle widerspricht. Weiter ist eine Periode von Cosinus oder Sinus auch Periode von e it wegen (.10). Damit ist die Folgerung bewiesen. Wir können zum Beispiel nun die Nullstellen der trigonometrischen Funktionen angeben. e it = 1 t = kπ mit k Z, (.11) cos t = 0 t = π/ + kπ mit k Z, (.1) sin t = 0 t = kπ mit k Z. (.13)

Satz.7 (Arcusfunktionen) Die Funktionen cos : [0, π] [ 1, 1] und sin : [ π/, π/] [ 1, 1] sind streng monoton fallend bzw. wachsend und bijektiv. Ihre Umkehrfunktionen arccos : [ 1, 1] [0, π] bzw. arcsin : [ 1, 1] [ π/, π/] sind gleichfalls stetig, streng monoton fallend bzw. wachsend und es gilt lim arccos x = π x 1 und lim arccos x = 0, x 1 lim arcsin y = π/ y 1 und lim arcsin y = π/. y 1 Beweis: Alle Aussagen folgen aus Satz 6 und unserer Wertetabelle.

Satz.8 (Polarkoordinaten) Zu jedem z C\{0} gibt es eindeutig bestimmte r > 0, ϑ [0, π) mit z = re iϑ. Beweis: Wir behaupten, dass die Abbildung c : [0, π) S 1, c(t) = e it, bijektiv ist. Denn aus e it 1 = e it folgt e i(t 1 t ) = 1, also t 1 t = kπ mit k Z. Für t 1, t (0, π) folgt dann t 1 = t. Für die Surjektivität definieren wir für x + iy S 1 ϑ = { arccos x für y 0 π arccos x für y < 0. Wegen arccos x [0, π] und sin ϑ = 1 cos ϑ für ϑ [0, π] folgt für y 0 e iϑ = cos(arccos x)+i sin(arccos x) = x+i 1 x = x+iy = z.

Aus cos(π arccos x) = cos x und sin(π x) = sin x folgt für y < 0 e iϑ = cos(arccos x) i sin(arccos x) = x i 1 x = x+iy = z. Für allgemeines z C\{0} setzen wir r = z > 0 und wählen ϑ [0, π) mit e iϑ = z/ z. Es folgt z = re iϑ wie gewünscht.

Die durch den Satz definierte Funktion arg : C\{0} [0, π), die jedem z den Polarwinkel ϑ = arg(z) zuordnet, hat längs der positiven x-achse einen Sprung: lim arg(x+iy) = 0 und lim arg(x+iy) = π für alle x > 0. y 0 y 0 Ansonsten ist die Funktion stetig. In der Schule werden die Funktionen Cosinus, Sinus und Tangens durch die Längenverhältnisse am rechtwinkligen Dreieck eingeführt. Um dies jedoch zu einer exakten Definition zu machen, muss ein Konzept zur Messung von Winkeln zur Verfügung stehen, es muss also die Länge eines Einheitskreisbogens definiert werden. An dieser Stelle wollen dies nur ad hoc betrachten.

Um die Länge eines Bogens c : [0, α] S 1, c(t) = e it, zu bestimmen, wählen wir t k = kα/n mit k = 0, 1,..., n und erhalten die Näherung L n = n c(t k ) c(t k 1 ) = k=1 n e i(k 1)α/n (e iα/n 1) = n e iα/n 1. k=1 Nach Satz 4.7 gilt für z 3/ die Abschätzung e z (1 + z) z, also ergibt sich L n α = n e iα/n 1 iα/n n e iα/n 1 iα/n n (α/n) 0 m Die Länge von c auf [0, α] ist also gleich α, das heißt c bildet längentreu ab und insbesondere ist die Länge des Vollkreises π. wie es sein sollte.