Fall 9: Grundlagen der KG Die beiden Studenten B und K beschlossen im Januar 2007 ihr Studium in Zukunft mit der Reparatur von Fahrrädern zu finanzieren. Da beide zwar über die notwendigen technischen Kenntnisse verfügten, jedoch nicht das notwendige Startkapital aufbringen konnten, überzeugten sie die von Haus aus besser situierten Kommilitonen X und Y, sich an dem Projekt zu beteiligen. Die vier beschlossen daraufhin eine Fahrradwerkstatt in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft zu betreiben. In dem schriftlichen Gesellschaftsvertrag wurden B und K als persönlich haftende Gesellschafter (Komplementäre) der K-KG; und X und Y als Kommanditisten ausgewiesen. Der Gesellschaftsvertrag der KG bestimmte zudem, dass die beiden Komplementäre B und K nur gemeinschaftlich zur Vertretung berechtigt waren. Daraufhin erfolgte die Eintragung der K-KG einschließlich der Regelung der Gesamtvertretung ins Handelsregister. Wegen interner Streitigkeiten schied B mit Wirkung zum 01.04.2009 aus der Gesellschaft aus; dies wurde jedoch erst am 05.12.2009 ins Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht. Am 01.07.2009 hatte K namens der K-KG einen Kaufvertrag über neues Werkzeug in Höhe von 1000 Euro mit V abgeschlossen. V nimmt nunmehr B wegen der Zahlung des Kaufpreises in Anspruch. Zu Recht? 1
Anspruch des V gegen B auf Kaufpreiszahlung aus 433 Abs. 2 BGB i.v.m. 161 Abs. 2, 128 HGB I. Bestehen einer nach außen wirksamen KG: mit Eintragung der K- KG in das Handelsregister gem. 161 Abs. 2, 123 Abs. 1 HGB (+) II. Gesellschaftsverbindlichkeit der KG i.s.d. 161 Abs. 2, 128 HGB 1.Kaufvertrag gem 433 BGB zwischen V und K-KG : 1.1. Wirksame Stellvertretung gem 164 BGB a) Eigene Willenserklärung des K (+) b) Im Namen der K-KG (+) c) Vertretungsbefugnisse des K als Komplementär (+) gem. 161 Abs. 2, 125 Abs. 2 HGB: nach dem Gesellschaftsvertrag lediglich eine Gesamtvertretungsbefugnis mit B (-) Alleinvertretungsberechtigung des K nach dem Ausscheiden des B - Prinzip der Selbstorganschaf: mindestens ein persönlich haftender Gesellschafter muss Vertretungsmacht haben und Gesamtvertretung mit einem Kommanditisten ist gem. 170 HGB ausgeschlossen (+) d) Tatbestandsvoraussetzungen des 15 Abs. 1 HGB (negative Publizität des Handelsregisters) (+) Eintragungspflichtige Tatsache: Erlöschen der Gesamtvertretung (+) Im Angelegenheiten der KG (+) 2
Keine Eintragung oder Bekanntmachung (+) Gutgläubigkeit des V: keine positive Kenntnis (+) Handeln im Geschäfts- oder Prozessverkehr (+) e) Rechtsfolge: Die KG kann dem V das Erlöschen der Gesamtvertretung gem. 15 Abs. 1 HGB nicht entgegenhalten, aber V als Dritter hat nach allgemeiner Meinung ein Wahlrecht, ob er sich auf die wahre Rechtslage oder auf den Registerinhalt beruft. f) Zwischenergebnis: Indem V die Zahlung des Kaufpreises geltend macht, begehrt er das Zustandekommen des Vertrags, also die wahre Rechtslage (nur dann hat K die KG wirksam vertreten). K hat die K-KG wirksam vertreten. Zwischen V und der K-KG ist ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen. Somit besteht eine Gesellschaftsverbindlichkeit. III. Gesellschafterstellung des B i.s. v. 161 Abs. 2, 128 HGB zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 01.07.2009. 1. Ausscheiden aus der Gesellschaft: zum 01.04.2009 (+) 2. Eintragung im Handelsregister: erst am 05.12.2009 (-) 3. Tatbestandsvoraussetzungen des 15 abs. 1 HGB (+) a) eintragungspflichtige Tatsache: gemäß 161 Abs. 2, 107, 143 Abs. 2 HGB (+) b) in Angelegenheiten des B (+) 3
c) keine Eintragung oder Bekanntmachung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (+) d) Gutgläubigkeit des Dritten : keine positive Kenntnis des V; von einer Kausalität des guten Glaubens der V kann ausgegangen werden (+) e) Handeln im Geschäfts- oder Prozessverkehr (+) 4. Rechtsfolge: Da die Voraussetzungen des 15 Abs. 1 HGB vorliegen, kann B, in dessen Angelegenheiten das Ausscheiden einzutragen war, dem V sein Ausscheiden nicht entgegenhalten. 5. Problematik des teilweisen Berufens auf den Registerinhalt Anmerkung: Durch 15 Abs. 1 HGB wird dem gutgläubigen Dritten nach allgemeiner Ansicht ein Wahlrecht eingeräumt. Umstritten ist jedoch, ob sich der Dritte auch teils auf 15 Abs. 1 und teils auf die wahre Rechtslage berufen kann: H.M. (BGH, tlw. Schrifttum) - Prinzip der Meistbegünstigung des Dritten ( Rosinentheorie ): - 15 Abs. 1 HGB wirke nur zum Vorteil des Dritten und nicht zu seinen Lasten 4
- bei 15 Abs. 1 HGB handele es sich um eine abstrakte Vertrauensschutznorm (Die Vorschrift greife unabhängig davon ein, ob das Register eingesehen worden ist oder nicht) M.M. - Handelsregisterinhalt als Einheit: - ein Wahlrecht, wonach sich der Dritte nach 15 Abs. 1 HGB teilweise auf die fiktive Rechtslage, teilweise auf die wahre Rechtslage berufen könne, sei abzulehnen - der Handelsregisterinhalt kann nur in seiner Gesamtheit gewürdigt werden - Derjenige, der sich hinsichtlich einer Tatsache auf das Handelsregister berufe, müsse sich entsprechend dem Gesamtinhalt des Registers behandeln lassen - ein Grundsatz der Rechtsscheinhaftung sei, dass der Vertrauende nicht besser gestellt werden kann, als er es nach seinem Vertrauen verdiene. Auseinandersetzung mit den vertretenen Meinungen: Der Vertrauensschutz des 15 Abs. 1 HGB setzt gerade nicht voraus, dass derjenige, der sich auf den Inhalt des Handelsregisters beruft auch tatsächlich Einsicht genommen hat (abstrakter Vertrauensschutz) 5
Zudem ist 15 Abs. 1 HGB so konzipiert, dass sich der Dritte ihm ungünstige Tatsachen nicht entgegenhalten lassen muss, er kann sich aber immer auf die wahren Tatsachen berufen, wenn ihm dies günstig erscheint 6. Zwischenergebnis: B muss sich demnach nach 15 Abs. 1, 161 Abs. 2, 128 HGB so behandeln lassen, als sei er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 01.07.2009 noch Gesellschafter der KG gewesen. IV. Ergebnis: V hat einen Anspruch gegen B aus Kaufpreiszahlung aus 433 Abs. 2 BGB, 161 Abs. 2, 128, 15 Abs. 1 HGB. 6