Streik im Magen-Darmtrakt: Prokinetika weniger ist mehr Sonja Fruhwald Univ. Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Medizinische Universität Graz sonja.fruhwald@medunigraz.at
Basics I Gastrointestinale (GI) Motilitätsstörungen sind ein häufiges Problem des Intensivpatienten Über Steigerung der Morbidität und Mortalität sind sie Outcomewirksam Obere GI Paralyse-> Gastroparese und Ernährungsintoleranz Inzidenz bis 80% abhängig von der Art und Schwere der Erkrankung höchste Inzidenz MOV, Sepsis, neurochir. Patienten Untere GI Paralyse fehlende Stuhlentleerung > 3 Tage Inzidenz wieder Abhängig vom Patientenkollektiv, ICU Therapie, Schwere der Erkrankung lt. Literatur bis zu 15-65% Fruhwald S et al. Curr Opin Crit Care 2010 Reintam A/Fruhwald S et al. ICM 2012 Reintam A et al. ICM 2013
Basics II Ogilvie Syndrom (akute Pseudoobstruktion des Colons) Inzidenz <1% - beträchtliche Dunkelziffer Outcome sinkt mit dem Auftreten vom Komplikationen (Ischämie, Perforation) Therapie GI Motilitätsstörungen erfordert ein multimodales Konzept minimal invasive Chirurgie zur Reduktion des Stressresponse Regionalanästhesie, epidural Anästhesie multimodale Analgosedierung RASS Ziel 0 bis -1(-2) frühe enterale Ernährung frühe Mobilisation Normoglykämie Elektrolyte im oberen Normbereich optimiertes Flüssigkeits und Katecholamin - Management
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Motilitätsmodulierende Therapie Prokinetika Laxantien Opioidantagonisten
Motilitätsmodulierende Therapie mod nach Fruhwald S et al, Wiener Klinische Wochenschrift 2008
Motilitätsmodulierende Therapie Gastrokinetika Opioidantagonisten Prokinetika Opioidantagonisten Laxantien Gastrokinetika Opioidantagonisten Prokinetika mod nach Fruhwald S et al, Wiener Klinische Wochenschrift 2008
Prophylaktische Gastrokinetika Reignier et al. Clin Nutrition 2010 Interventionsgruppe OK Hochlagerung um 25 und prophylaktische Gabe von Erythromycin verbesserte Ernährungstoleranz in der Interventionsgruppe Montecho et al. Regane Studie. Intensive Care Med 2010 GRV <200 vs. <500 im Bezug auf GI und pulmonale Komplikationen GRV Messung Tag 1: 6h, Tag 2 8 h und ab Tag 3 einmal/tag Metoclopramid 3x10 mg für die ersten 3 Tage Ridley E et al. Nutrition 2011 Verbesserung der Ernährungstoleranz -> iel Prokínetika -> Metoclopramid und Erythromycin
Prokinetika zum Ernährungsaufbau Booth CM et al. Crit Care Med 2002 Evaluation der vorhandenen Studien Einsatz von Metoclopramid, Erythromycin und Cisapride Metoclopramid favorisiert zum Erhalt des GI Transits und zur Steigerung der Ernährungstoleranz Erythromycin für Positionieren von postpylorischen Sonden Heyland DK et al. Clinical Practice Guidelines 2009 Motilitätsfördernde Medika haben keinen Effekt auf Mortalität und Infektionsraten. Magenentleerung ist beschleunigt, Ernährungstoleranzraten besser, Kalorienziel eher erreicht. Die prophylaktische Gabe ist nicht evidenzbasiert, und keine Standardtherapie
Empfehlung bei oberen GI Blutungen Alte Metaanalysen haben eine Benefit durch die Gabe eines Prokinetikums zeigen können. Barkun und Coautoren haben die Gabe von Metoclopramid und Erythromycin vs. kein Prokinetikum verglichen 5 Studien (E 3 : M 1 : E+M 1) Gabe 20-120 min vor dem Eingriff Dosierung 250mg Erythromycin bzw. 10 mg Metoclopramid geringere Re-Endoskopieraten Bessere Ergebnisse für Erythromcin vs. Metoclopramid Barkun AN et al. Gastrointest Endosc 2010 Daram SR. Gastrointest Endosc 2011
Erythromycin + obere GI Blutungen Metaanalyse von 7 Studien mit ges. 558 Patienten Dosierung war inhomogen (250 mg, 125 mg oder gewichtsbasiert) Darstellung der Magenmukosa war in der Erythromcingruppe deutlich besser 75% vs. 53% Theivanayagam S et al. Saudi J Gastroenterol 2013
Erythromycin + obere GI Blutungen Notwendigkeit einer second look Endoskopie war ebenfalls in der Erythromycingruppe deutlich niedriger 16% vs. 26%. Geringerer Transfusionsbedarf aber vergleichbare Aufenthaltsdauer Theivanayagam S et al. Saudi J Gastroenterol 2013
Was bringen Gastrokinetika? Studien konzentrieren sich auf Metoclopramid und Erythromycin Beide scheinen durch eine Beschleunigung der Magenentleerung die Ernährungstoleranz zu steigern Mit Steigerung der Ernährungstoleranz könnte das Kaloriendefizit geringer werden. Erythromycin hat auch positive Effekte bei der Plazierung von postpylorischen Sonden und wird empfohlen für die Endoskopie bei oberen GI Blutungen Bei oberen GI Blutungen noch unklar ist die optimale Dosierung (100-250 mg) und der Zeitpunkt der Gabe vor der Endoskopie (aber definitiv längere Anschlagzeit als Metoclopramid). Sinnvoll für Patienten mit aktiver Blutung und zu erwartender Intervention Barkun AN et al. Gastrointest Endosc 2010 Daram SR. Gastrointest Endosc 2011 Theivanayagam S et al. Saudi J Gastroenterol 2013
Was haben sie gemeinsam, was ist zu bedenken? Arrhythmierate unterschiedlicher Mechanismus betrifft alle 3 Substanzen gleichermaßen Risikofaktoren für Arrhythmien Alter > 60 Jahren kumulative Dosis (hohe Dosen, lange Therapiedauer) Cotherapie mit anderen proarrhythmogenen Substanzen kardiale Risikopatienten Domperidon Dosis: 30 mg/d bzw 3x 0,25 mg/kg bei Kindern < 12 Jahren Therapiedauer 1 Woche Nguyen N et al. Ther Adv in Drug Safe. 2011 EMA Aussendung 7.3.2014 Drug Safety Update 9.2014
Was sollten sie noch bedenken? Tachyphylaxie des prokinetischen Effektes typisch für Metoclopramid und Erythromycin Metoclopramid cave Dyskinesien Inzidenz: 0,01-23% cave: bei älteren Frauen + kumulative Dosis Dosisempfehlung für Metoclopramid max. 3x10 mg/d für 3-5 Tage Dosisreduktion bei Niereninsuffizienz hohe Dosen hemmen Motilität Erythromycin: 3x 100 mg Rescuetherapie: Kombination mit Metoclopramid unklare Nonresponderrate repetitive Therapie Schörghuber M. AIC 2014 van der Meer G. Crit Care 2014 Nguyen N. Ther Adv in Drug Safety 2011 Fruhwald S. The Oxford Textbook of Crit Care 2016
Azithromycin = Citromax Semisynthetisches Makrolid mit längerer HWZ -> 1x 500 mg/d In der aktuellen Literatur wurde der Effekt der MMC Stimulation im Vergleich zum Erythromycin als vergleichbar oder sogar besser beschrieben Daten zur proarrythmogenen Potenz sind kontrovers in den Motilitätsstudien wird das Risiko geringer beschrieben als mit Erythromycin, aber der Effekt ist da nicht nur bei Patienten mit ohnehin verlängerter QT Zeit, sondern auch bei herzgesunden Patienten ab dem 4. Therapietag Chini P. et al. Scand J. Gastroenterol 2012 Ray WA et al. NEJM 2012 Potter TG. et al. Annals of Pharmacother 2013 Kumaresan R et al. J Clin Diagn Res 2015
Unterer GI Trakt - Neostigmin Drug Effect Dosis Probleme reversibler Acetylcholinesterase Inhibitor unterer GI Tract 0.5-1.5 mg iv (Kurzinfusion) Bradykardie Hypotension Bronchospasmus (Parasympathomimetikum) gute Daten für POI und Ogilvie`s Syndrom bis 2.5 mg beim Ogilvie Syndrom verdoppelte HWZ bei Niereninsuffizienz Motilitätshemmung in höheren Dosen Cave: Zeichen einer Darmperf. o. Ischämie Fruhwald S The Oxford Textbook of Critical Care 2016
The dose makes the poison (Paracelsus 1493-1541) Fruhwald S et al. Intensive Care Medicine 2004
Effekt der Hyperglykämie 400 Pressure Threshold (Pa) 350 300 250 200 150 100 50 0 120 240 480 960 Glukosekonzentration (mg/dl) 0,1µM Neostigmin 0,3µM Neostigmin Fruhwald S unveröffentlichte Daten
Andere Therapeutika Prucaloprid Lubiproston Linaclotid Handelsname Resolor Amitizia Constella Wirkmechanismus hoch selektiver 5 HT 4 - Rezeptor Agonist Prostaglandin E 1 Derivat, stimuliert Chloridsekretion Chloridkanalöffner über Guanylat Cyklase C Rezeptor Effekt prokinetisch im Colon prokinetisch, gesteigerte Sekretion Dosis 2 x 1 mg 2 x 8 mg 2 x 24 mcg Zulassung für Obstipation Reizdarmsyndrom mit Obstipation chron. Obstipation prokinetisch, gesteigerte Sekretion 1 x 290 mcg RDS-O NW/Probleme Zulassung nur für Frauen keine ICU Daten Dosisreduktion bei GFR < 30 (1mg/d) Übelkeit, Flatulenz Medikation mit Essen einzunehmen reduziert die NW Übelkeit Vertrieb in Deutschland mit Mai 2014 gestoppt Fruhwald S et al. Textbook of Crit Care 2016
Motilitätsmodulierende Therapie Prokinetika Laxantien Opioidantagonisten
Laxantien und ihr Wirkeintritt Füll und Quellmittel: Psyllium (Flohsamen) Methylcellulose Weizendextrin Leinsamen Osmotische Laxantien: Polyethylen Glycol (PEG) Lactulose Magnesium Sorbit Stimulierende Laxantien: Bisacodyl po Bisacodyl supp Sennapräparate 24-72 h 24-72 h 24-72 h 24-72 h 2-4 d 24-48 h <6 h 24-48 h 6-12 h <60 min 6-12 h
Osmotische Laxantien osmotische Laxantien sind beim Ogilvie Syndrom kontraindiziert Laktose und Sorbitol beide Substanzen werden durch die Mikroflora im Colon abgebaut NW: Blähungen Polyethylen glycol (PEG): PEG ist inert, wirksamste und kostengünstigstes osmotisches Laxans cave bei Niereninsuffizienten Patienten einzelne Präparate enthalten Kalium beim Ogilvie Syndrom kontraindiziert, aber nach erfolgreicher Therapie eine sehr gute Prophylaxe zum Senken der Rekurrenzraten Molaxole (Macrogol 3350, 3 Beutel/Tag) Movichol (Macrogol 3350, 3 Beutel/Tag) Forlax (Macrogol 4000, 2 Beutel/Tag, Kaliumfrei!) Herbert MK et al. Cin Nutr 2008 Fruhwald S, Holzer P. The Oxford Textbook of Critical Care 2016
Laxantien als Prophylaxe 308 Patienten mit MOV Beobachtungszeitraum 4 Tag Plazebo Plazebo, Laktose, PEG Effektivität: 31 vs. 69 vs. 74% Zeit bis zur Defäkation 75 vs. 44 vs. 36h PEG Inzidenz eines Ogilvie Syndroms 4,1 vs. 5,5 vs. 1,0% Laktose PEG ist vorteilhafter als Laktose PEG reduziert die Inzidenz des Ogilvie Syndroms van der Spoel JI et al. Crit Care Med 2007
Laxantienprophylaxe 2015 100 kritisch Kranke, junge Patienten Durchschnittsalter um die 38a, Hauptursache des ICU Aufenthaltes -> Polytraumen Kontrollgruppe keine Laxantien oder prokinetische Therapie für die ersten 3 Tage des ICU Aufenthaltes Interventionsgruppe Laktose 2x/d für 3 Tage Danach war die GI Therapie dem behandelndem Team überlassen Ergebnisse Vergleichbare Patientencharkteristika und Analgosedierungsdosen (Fentanyl und Midazolam) Ernährungsbeginn und Toleranz vergleichbar in beiden Gruppen Defäkation <3Tagen 18 vs. 4% Masri Y et al. Ann Thorac Med. 2015
Motilitätsmodulierende Therapie Prokinetika Laxantien Opioidantagonisten
Opioidantagonisten Naloxon MNTX/Relistor Wirkung Dosis µ-receptor Antagonist, limitiert bioverfügbar 3-12 mg 3x/d (1A = 0.4 mg) peripherer µ- Receptor Antagonist 0.15-0.30 mg/kg (8 mg > 38-62 kg 12 mg -> 63-114 kg) Applikation po sc Indikation chron. Schmerzpat. unzureichende Daten für ICU Pat. Palliativpatienten off label für ICU Pat. Nebenwirkungen abd. Krämpfe, Schmerzen Orthostatische Hypotension >1 mg/kg Probleme Entzugssymptome ab >2-4mg/3x/d sc Applikation beim ICU Pat. Fruhwald S et al. Curr Opin Crit Care 2010
Naloxegol Indikation Opioidinduzierte Obstipation wenn nicht pharmakologische Maßnahmen wie faserreiche Ernährung, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Laxantien nicht ausreichen. Bisher steht Targin zur Verfügung = Oxycodon und Naloxon, damit konnte bereits eine Verbesserung der Darmtätigkeit und eine Senkung des Laxantienbedarfes gezeigt werden. Naloxegol (Movantik ) ist eine Koppelung von Naloxon an PEG -> Verlängerung der HWZ von Naloxon und die Substanz kann die Blut-Hirnschranke nicht mehr passieren. Deutlicher Benefit von Naloxegol vs. Plazebo Effektive Dosis: 1x 25 mg Dosisreduktion 1x 12,5 mg bei Niereninsuffizienz oder NW Chey WD NEJM 2014
Take Home Message Domperidon, Metoclopramid, Erythromycin Klare Indikationsstellung: Gesicherter Einsatz bei Patienten mit postoperativer Gastroparese kritisch Kranke mit Gastroparese und Ernährungintoleranz plazieren von postpylorischen Sonden (geringere Versagerrate) oberer GI Blutung bessere Darstellung der Schleimhaut, geringere Reendoskopieraten Verminderte Wirkung bei Hyperglykämie SH Trauma Patienten (Metoclopramid) Postoperativem Ileus (Erythromycin) Domperidon: keine Daten bei kritisch Kranken Cave Tachypylaxie für Metoclopramid und Erythromycin Fruhwald S.The Oxford Textbook of Crit Care 2016 Theivanayagam S et al. Saudi J Gastroenterol 2013 Reingier Clin Nutr 2010
Take Home Message Neostigmin Dosisempfehlungen beachten idem zu Metoclopramid -> Motilitätshemmung hoher Dosen Laxantien osmotische Laxantien sind eine effektive Prophylaxe KI beim Ogilvie Syndrom PEG höchste Effektivität Cave K Anteil beim Großteil der PEG Produkte Prophylaxe mit PEG reduziert Inzidenz und Rekurrenz des Ogilvie Syndroms Stellenwert neuer Prokinetika und die Bedeutung der Kombination PEG plus Opioidantagonisten wird die Zukunft zeigen
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