Bayern braucht noch Boxenlaufställe

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Transkript:

M A N A G E M E N T Bayern braucht noch 12 000 Boxenlaufställe Deutschlands größte Milchregion hat auch in Zukunft gute Chancen, wenn jetzt die Weichen richtig gestellt werden. Das zeigt Dr. Gerhard Dorfner, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, München. Bayerns Milchproduzenten stehen vor großen Herausforderungen im zunehmend liberalisierten Milchmarkt. Acht Jahre vor dem voraussichtlichen Quotenende sind in den knapp 50000 bayerischen Milchviehbetrieben die Weichen auf Wachstum, Ausbau der Erwerbskombination oder auch Abkehr von der Milchproduktion zu stellen. Bei Dr. Gerhard Dorfner der Diskussion über die strukturellen Defizite Bayerns werden die Chancen Bayerns in diesem Veränderungsprozess oft übersehen. Bayern stellt mit 7,5 Mio. Tonnen Milch über ein Viertel der gesamten deutschen Milchproduktion und über 40 % der deutschen Käseproduktion. Fast jeder zweite deutsche Milchviehbetrieb befindet sich in Bayern. Übersicht 1: Die Wanderung der Milchproduktion in Bayern Die Schwerpunkte der bayerischen Milchproduktion liegen in den Grünlandgebieten des Alpenvorlandes, in den ostbayerischen Mittelgebirgen und im mittelfränkischen Raum. R18 top agrar 6/2007

Laufstall ist produktiver Ï Im Laufstall sind wir deutlich produktiver, ist Familie Michael und Angelika Schneider aus Pfraunfeld (Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen) überzeugt. 2005 wurde ca. 400 m vom Betrieb entfernt der neue Laufstall für 60 Kühe gebaut. Derzeit werden 47 Fleckviehkühe gehalten. Schneiders wollen möglichst schnell ihr Kontingent von ca. 350 000 kg erweitern. Wir werden weiterhin Quote kaufen, denn der Preis wird sinken. Die heutige durchschnittliche Betriebsgröße mit 26 Kühen und 150 000 kg Milchproduktion pro Jahr macht die besondere Ausgangssituation im Vergleich der europäischen Mitwettbewerber deutlich. Über 40 % der knapp 50 000 bayerischen Betriebe haben weniger als 20 Kühe im Stall, lediglich 8 % der Milchproduzenten halten mehr als 50 Kühe. Im Vergleich zu anderen wichtigen Milchregionen wie Niedersachsen (46 Kühe, 333 000 kg Milchproduktion), Niederlande (54 Kühe, 409 000 kg) oder auch Frankreich (36 Kühe, 219 000 kg) ist Bayern ein Milchstandort mit deutlich kleineren Betriebsstrukturen. Dennoch sehen sich 65 % der Milchviehhalter als Haupterwerbsbetriebe, die den größten Teil ihres Einkommens aus der Milchviehhaltung erwirtschaften. Dabei stabilisieren vielfältige Zusatzeinkommen aus dem landwirtschaftlichen und außerlandwirtschaftlichen Bereich die wirtschaftliche Situation und die Struktur vieler bayerischen Betriebe. Noch zu viele Anbindeställe Eines der zentralen Probleme für die Zukunft auch der Haupterwerbsbetriebe ist aber die Tatsache, dass der Anbindestall das nach wie vor dominierende Stallsystem ist. Über 70 % der unter Milchleistungsprü- fung stehenden Betriebe mit fast 60 % der darin gehaltenen Kühe produzieren Milch im Anbindestall. Zum Vergleich: deutschlandweit werden bereits annähernd zwei Drittel der Kühe im Laufstall gehalten. Veraltete Technik, schwierige arbeitswirtschaftliche Verhältnisse und vor allem die große Schwierigkeit der betrieblichen Weiterentwicklung stellen viele bayerische Milchproduzenten mit Anbindeställen in den kommenden Jahren vor grundlegende Entscheidungen in der betrieblichen Weiterentwicklung. Das heißt nicht, dass in der Vergangenheit kein Strukturwandel stattgefunden hat ganz im Gegenteil. Zwischen 1985, dem ersten Jahr nach der Milchkontingentierung, und 2005 gaben zwei Drittel der Betriebe die Milchproduktion auf, jährlich rund 5 %. Vor allem die kontinuierliche Steigerung der Milchleistung je Kuh setzte aufgrund der Mengenkontingentierung im genannten Zeitraum rund 740000 Milchkühe (37%) frei. In den zehn Jahren zwischen 1995 und 2005 wuchs die durchschnittliche Milchproduktion je Betrieb um 64 % an. Damit verlief die Entwicklung prozentual ähnlich schnell wie im restlichen (West-)Deutschland. Absolut gesehen top agrar 6/2007 R19

M A N A G E M E N T aber vergrößerten sich die strukturellen Abstände innerhalb Deutschlands und innerhalb der EU. Zu hohe Produktionskosten Das betriebliche Wachstum in der Vergangenheit war die Voraussetzung, Gewinn und Einkommen zumindest zu stabilisieren. Für den durchschnittlichen bayerischen Haupterwerbsbetrieb mit 30 bis 40 Kühen ist der erzielte Gewinn aus der Milch von 30 000 bis 35 000 E bereits seit Jahren oft nicht ausreichend für die erforderlichen Wachstumsschritte. Eine positive Eigenkapitalbildung ist oft nur mit zusätzlichen Nebeneinkommen erreichbar. Als ausreichendes Gesamteinkommen für Vollerwerbsbetriebe sind 40 000 bis 50 000 E anzustreben, um das notwendige Kapital für Wachstumsschritte zu erwirtschaften. Mit 30 40 Kühen gelingt das nur den Betrieben, die in Produktionstechnik und Kostenbewusstsein zum besseren Viertel zählen. Im ökonomischen Vergleich (Übers. 2) von Milchprofis auf Bundesebene (s. top agrar 5/07) realisieren bayerische Betriebe deutlich überdurchschnittliche Gewinnraten und Stückgewinne und dokumentieren ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dieser Ebene. Die relativ gute Erlössituation (überdurchschnittlicher Milchpreis, Nebenerlöse Vieh und Fleisch, relativ hohe Direktzahlungen) schlägt sich in diesen gut geführten und für bayerische Verhältnisse überdurchschnittlich strukturierten Betrieben im Bundesvergleich positiv nieder. Die Gewinnvorteile der bayerischen Milchproduzenten werden in der Vollkostenrechnung allerdings stark relativiert. Hohe Arbeitserledigungskosten in der Innen- und Außenwirtschaft zählen zu den großen ökonomischen Nachteilen Bayerns und führen trotz einer deutlich besseren Erlössituation zu deutlich negativen Betriebszweigergebnissen auch bei dieser ausgewählten Spitzengruppe. Bei betrieblichen Entscheidungen geht damit an der kritischen Analyse der Produktionskosten kein Weg vorbei. Künftig 40 Kühe pro Betrieb Übers. 2: Vergleich der Betriebszweigabrechnung von vier Bundesländern (Arbeitskreisbetriebe) Bayern Nordrhein- Westfalen Schleswig- Holstein Mecklenburg- Vorpommern Anzahl Betriebe 207 610 502 140 Kuhbestand 54 77 78 245 Milchleistung kg ECM 1) /Kuh 7573 8109 8159 7 970 Produzierte Milch Tsd. kg ECM 409 624 636 1 953 Leistung und Kosten für Milchviehhaltung einschließlich Nachzucht Leistungen gesamt 2) ct/kg ECM 45,0 39,9 35,6 32,4 Vollkosten 3) ct/kg ECM 49,1 41,1 36,3 34,5 Kalkulatorisches Betriebszweigergebnis ct/kg ECM - 4,1-1,2-0,7-2,1 Gewinnbeitrag 4) ct/kg ECM 12,5 9,0 10,7 0,2 1) 2) energiekorrigierte Milch mit 4 % Fett und 3,4 % Eiweiß; Milch, Vieh und Fleisch, Direktzahlungen (einschl. Flächenzahlungen); auch Faktorkosten entlohnt Bezugsgröße Milchkuh mit Nach- 3) 4) zucht; Leistungen Kosten lt. Buchführung (kein Ansatz von Faktorkosten), in Lohnarbeitsbetrieben ist der größte Teil der Faktorkosten bereits im Gewinn entlohnt, in Familienbetrieben nicht. Gewinn als Maßstab für den Vergleich von Familienbetrieben u. Lohnarbeitsbetrieben nicht geeignet Datenbasis: Betriebszweigabrechnung der Bundesländer 2004/05, Jochimsen 2006 Die bayerischen Milchviehbetriebe wirtschaften meist sehr gut, haben aber im Vergleich mit anderen Regionen zu hohe Produktionskosten. Keine Angst vor dem Quotenende Ï Thomas Erlmann aus Waldau (Landkreis Kulmbach) hat keine Angst vor dem Quotenende. Er will den Betrieb weiter entwickeln. Derzeit bewirtschaftet Erlmann zusammen mit seiner Familie einen Milchviehbetrieb mit 60 Kühen, 500 000 kg Quote und einem Herdenschnitt von 8 700 kg pro Kuh. Mittelfristig wollen wir unsere Milchproduktion auf 80 Kühe ausbauen, blickt Erlmann optimistisch in die Zukunft. Finanzieren möchte der junge Betriebsleiter das Wachstum wie bisher hauptsächlich aus Eigenkapital. Betrachtet man die Entwicklungen im Sektor Milch im Rückblick, so fällt auf, dass relativ unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen der technische, biologische und organisatorische Fortschritt Motor des Strukturwandels war. Die Zahl der Betriebe ging zurück, die Herdengrößen und die Milchleistung stiegen kontinuierlich an. Folgt man diesem Trend der Vergangenheit in die Zukunft, sind in den nächsten Jahren weitergehende enorme strukturelle Veränderungen in der bayerischen Landwirtschaft zu erwarten (siehe Übersicht 3). Rund die Hälfte der heute aktiven Milcherzeuger geben demnach bis zum Jahr 2020 die Milchproduktion auf, die Zahl der Milchkühe nimmt um 23 % ab vorausgesetzt die Milchleistung der bayerischen Durchschnittskuh steigt um 1 700 kg. Dies macht auf der Seite der verbleibenden Produzenten einen dynamischen Wachstumsprozess erforderlich. Die durchschnittliche Herdengröße steigt um 60 % auf 40 Kühe an, die einzelbetriebliche Milchproduktion verdoppelt sich auf über 300 000 kg. Dass diese Entwicklungen im Milchbereich nicht ohne Konsequenzen auf andere landwirtschaftliche Bereiche bleiben, liegt auf der Hand. Eine Abnahme der Zahl der Milchkühe um 300 000 würde den speziell in Bayern wichtigen Kälbermarkt in etwa um diese Größenordnung verkleinern. Der Handel Bayerns mit Bullenkälbern als auch die in Bayern wichtige Bullenmast wäre von dieser Angebotsverknappung stark betroffen. Die Milchproduktion wandert Auch für die Flächennutzung hätten diese Entwicklungen enorme Auswirkungen. Allein durch den Effekt der angenommenen Milchleistungssteigerung würden Futterflächen in einer Größenordnung R20 top agrar 6/2007

Leistung weiter steigern Sind optimistisch in Sachen Milch: Familie Pöhlmann und Berater Uwe Lucas (rechts) vom Landwirtschaftsamt Hof. Fotos: Leifker Ï Wir wollen erst die Leistung steigern und dann den Betrieb erweitern, erklärt Andreas Pöhlmann aus Förbau (Landkreis Hof) die Strategie für die nächsten Jahre. Schon 2003/04 hat Pöhlmann den Schritt zum Laufstall gewagt. Der Neubau bietet 90 Tieren Platz und hat rund 5 000 E/Stallplatz gekostet. Derzeit werden 70 Fleckviehkühe und ein Teil der eigenen Nachzuchtgehalten. Möglichst schnell möchte Pöhlmann die Leistung auf über 9 000 kg steigern und dann mit 90 Kühen über 800 000 kg Quote beliefern. Bis 2020 wäre auch eine Mio. kg Quote und die Erweiterung um 20 Außen- Liegeboxen möglich. von 180 000 bis 300 000 ha freigesetzt vorausgesetzt die Milchproduktion in Bayern bleibt auf dem gegenwärtigen Stand. Die regionalen Schwerpunkte der bayerischen Milchproduktion liegen in den Grünlandgebieten des Alpenvorlandes, in den ostbayerischen Mittelgebirgslagen und im mittelfränkischen Raum (Übersicht 1). In diesen Gebieten wurde in den letzten Jahren die Milchproduktion kontinuierlich ausgebaut. Mit Einführung der Ost-West-Börse am 1.7.2007 wird sich diese Konzentration der Milchproduktion fortsetzen und Übersicht 3: Der Strukturwandel in Bayern Betriebe (Tsd.) 400 350 300 250 200 150 100 50 2,01 Mio. Kühe verstärken. Bundesweit gesehen verstärkt sich damit auch die Konkurrenz zwischen den Bundesländern um die Milchquote. Bayern hatte in der Vergangenheit mit die höchsten Preise im westdeutschen Vergleich und damit auch gute Chancen in der Westbörse vorausgesetzt die Milcherzeuger setzen auf die kontinuierliche Weiterentwicklung ihrer Betriebe. Die speziell beim letzten Termin deutlichen Preisabschläge beim Quotenpreis geben deutlich positive Signale, die einzelbetrieblichen Wachstumschancen zu nutzen. Milchkühe (Mio.) 2,4 0 0 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Prognose 2020 Quelle: LfL 2,1 1985 148000 Betriebe 1,57 Mio. Kühe 1,29 Mio. Kühe 1,8 1,5 Ø 14 Kühe 1,00 1,2 Mio. Kühe 1995 85000 Betriebe 0,9 Ø 19 Kühe 2005 2020 51200 Betriebe 25000 Betriebe0,6 Ø 25 Kühe Ø ~ 40 Kühe 0,3 Bis 2020 wird sich die Zahl der Milchviehbetriebe in Bayern nochmals halbieren, auf dann 25 000. Die verbleibenden Betriebe wachsen auf 40 Kühe im Schnitt. 12 000 Boxenlaufställe bauen Im Jahr 2005 wurden in Bayern deutlich weniger als 500 000 Kühe in Laufställen gehalten. Wenn das Ziel lautet, den Laufstall im Jahr 2020 als Standardsystem für knapp 1 Mio. Kühe zu etablieren, müssten bis dahin für rund 500 000 Milchkühe Laufstallplätze geschaffen werden. Das sind jährlich mehr als 33 000 Kuhplätze. Bei Investitionskosten von etwa 3 000 5 000 E/Platz (teilweise Erweiterungsinvestitionen, die nicht zu Neubaukosten zu veranschlagen sind) entstünde bis 2020 ein Investitionsbedarf allein für Gebäude und Technik in der Größenordnung von 1,5 2,5 Mrd. E. Bei einer erwarteten Anzahl von rund 25.000 Milchviehbetrieben in 2020 müssten bei einer kompletten Umstellung auf den Laufstall 11 000 13 000 Landwirte in den Jahren bis 2020 größere Bauinvestitionen tätigen etwa 700 bis 900 Landwirte pro Jahr! Gemäß den Auswertungen aus der Investitionsförderung Bayerns wurden in den letzten zehn Jahren durchschnittlich rund 500 Milchviehbetriebe pro Jahr bei größeren Baumaßnahmen gefördert, seit 2002 lediglich zwischen 180 und 300. Dies lässt auf einen Investitionsstau schließen. Mehr Mut zur Milch Der durchschnittliche bayerische Milchviehhalter, der bisher gezögert hat, den Schritt zum Laufstall zu machen, steht vor einer schwierigen Entscheidung. Die oftmals defensive Investitionsstrategie vieler bayerischer Betriebe war zur top agrar 6/2007 R 21

M A N A G E M E N T kurz- und mittelfristigen Gewinnoptimierung oftmals vielleicht richtig, der Positionierung als strukturell zukunftsfähiger Milchviehbetrieb aber abträglich. Die Ursachen für die zurückhaltenden Investitionsmaßnahmen sind vielfältig. Neben der stark in der Diskussion stehenden Höhe und Ausgestaltung der investiven Förderung ist die grundsätzliche Einschätzung des Marktes und der politischen Rahmenbedingungen der zentrale Punkt in den Überlegungen der Betriebsleiter. Die noch ungewisse Zukunft der Milchmarktordnung (Stichworte Quotenzukunft, Health Check) und der in vielen Diskussionsrunden skeptische Blick in die Zukunft hemmt dabei die betrieblichen Planungen und die Entwicklungsschritte. Unabhängig von dieser politischen Debatte muss aber klar sein, dass der Schritt nach vorn überdurchschnittliche Produktionstechnik, ökonomischen Erfolg in den letzten Jahren und eine auch auf die zukünftige Struktur zugeschnittene arbeitswirtschaftlich stabile Konzeption voraussetzt. Gute Betriebe wollen wachsen Befragungen bei Quotenkäufern an der Milchquotenbörse Bayern zeigen deutlich, dass Wachstumspotenzial und Wachstumswillen in vielen bayerischen Betrieben vorhanden ist. Derzeit rekordverdächtige Weltmarktpreise für viele Nahrungsmittel, darunter auch Milchprodukte, belegen, dass freiere Märkte nicht Auch die bayerischen Milchprofis wachsen weiter. Allerdings müssten viele Betriebe noch den Sprung zum Boxenlaufstall schaffen. Sonst wandert die Milch aus Bayern ab. % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 8 6000 8000 Betriebe 49 43 2005 51000 Halter 20 Kühe im nächsten Schritt Ï Georg Schienagel aus Weihenzell (Landkreis Ansbach) setzt weiter auf die Milch. Bereits 1999 hat er einen Laufstall für 50 Fleckviehkühe gebaut. Mit 430 000 kg Quote und einem Herdenschnitt von 8 300 kg sieht er sich jedoch noch nicht am Ziel. Wir wollen die Leistung auf 9 000 kg steigern, die Nutzungsdauer verbessern und den Laufstall um 20 Plätze erweitern, gibt Schienagel die Richtung in den nächsten zwei Jahren vor. Arbeitswirtschaftlich stellt diese Erweiterung für uns kein Problem dar, wir haben noch etwas Luft. Übersicht 4: Welche Betriebe machen den Wachstumsschritt? 2020 vs 25000 20 500000 Kühe 59 20 2005 1,29 Mio. Kühe 2020 vs 1,0 Mio. Herdengröße: > 50 20 50 < 20 Quelle: LfL nur den Weg nach unten kennen, wenn auch der Weg zu höheren Erzeugerpreisen ein steiniger ist. Die meisten bekannten Prognosen zum Weltmilchmarkt (FAO, OECD, FA- PRI) sind zwar nur vorsichtig optimistisch, was die langfristigen weltweiten Preisentwicklungen betrifft. Jährliche Nachfragesteigerungen von rund 1 2 % können demnach von weltweiten Angebotssteigerungen ausgeglichen werden. Die große Dynamik der Flächennutzungskonkurrenz zwischen Nahrungsmittel, Futtermittel und energetischer Nutzung sowie die Unwägbarkeiten klimatischer Veränderungen sind in vielen Untersuchungen allerdings noch nicht ausreichend berücksichtigt. Arbeitswirtschaftliche Lösungen? Die arbeitswirtschaftliche Belastung und folglich soziale und familiäre Probleme begleiten und überlagern oft in vielen Betrieben mit jungen Betriebsleiterfamilien die ökonomischen Fragen. Hier müssen in den gegebenen Strukturen praktikable Lösungen erarbeitet werden. Die Automatisierung vor allem des Hauptarbeitsblocks Melken ist dabei nur ein, derzeit noch (zu) teurer Ansatz. Das größere Potenzial liegt in der Zusammenarbeit mit anderen Betrieben und der Konzentration auf die Innenwirtschaft. Die nicht nur in Deutschland zu erkennende Obergrenze der Produktivität von 40 50 Kühen je Voll-AK stellt aber die größeren und an diese Grenze stoßenden Milchviehbetriebe vor die Frage, den Betrieb organisatorisch umzugestalten. Der Familienbetrieb klassischer Prägung steht vor der Weiterentwicklung zum erweiterten Familienbetrieb, in dem Arbeitsprozesse auch in der Innenwirtschaft auf Dauer nicht mehr nur selbst erledigt werden. Für die Akzeptanz der Milchviehhaltung in der Nachfolgegeneration sind freie Wochenenden, Urlaubstage aber auch die gesicherte Arbeitserledigung im Krankheitsfall unverzichtbare Bausteine dieses erweiterten Familienbetriebs. Die Rahmenbedingungen und Strukturen der Betriebe in Bayern unterscheiden sich enorm. Pauschallösungen oder der (neidische) Blick auf andere Bundesländer helfen dem einzelnen Betrieb nicht weiter. Auch die Milchproduktion der Zukunft wird sich trotz Konzentration und Spezialisierung zwar zunehmend, aber nicht nur in Haupterwerbsbetrieben abspielen. Einkommenskombinationen im Zu- oder Nebenerwerb werden in einem gesamtwirtschaftlich starken Land wie R22 top agrar 6/2007

Bayern auch zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Die arbeitswirtschaftliche Stärke und Stabilität der Familienbetriebe ist auch im zukünftig volatileren Milchmarkt ein großes Plus bei der Beurteilung von Wettbewerbsfähigkeit. Die Vielfalt betriebsindividueller Lösungen mit der Zielsetzung, im Gesamtbetrieb ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften, wird zunehmen. Im eigenen Betrieb mit den spezifischen Rahmenbedingungen die für die Gesamtfamilie richtige Lösung zu finden, ist die eigentliche unternehmerische Herausforderung. Fazit Der liberalisierte Milchmarkt der Zukunft und die veränderten politischen Rahmenbedingungen werden auch am Milchstandort Bayern enorme strukturelle Veränderungen in den Milchviehbetrieben zur Folge haben. Das Produktionspotenzial im deutschen und europäischen Vergleich, die klimatischen Standortvoraussetzungen und das gute produktionstechnische Können der Betriebsleiter in Verbindung mit der hohen Stabilität vieler Betriebe sprechen für die Entwicklungsmöglichkeiten der bayerischen Milchproduktion, trotz der bekannten anzugehenden Probleme und Kostennachteile. Wenn die derzeitige stabile Marktlage nachhaltig ist, die politischen Rahmenbedingungen klar gesteckt sind und deutliche Förderimpulse für die wachstumsfähigen Betriebe gegeben werden, ergeben sich für die unternehmerisch denkenden und handelnden bayerischen Milchproduzenten gute Chancen im zunehmend freien Milchmarkt. Weitere Infos: top agrar 5/2007, Seite 30. top agrar 6/2007 R 23