Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege

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Transkript:

Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege Karin Bruckmüller (JKU Linz/ LMU München / Lehrbeauftragte SFU Wien) Pflegekongress 2017, Wien 01.12.2017

SPANNUNGSFELD BEI ENTSCHEIDUNG HINSICHTLICH FREIHEITSENTZIEHENDER MAßNAHME pflegerisch medizinisch ethisch => (oft) Spannungsfeld zwischen - pflegerisch korrekten - medizinisch korrekten (Anweisung d Arztes) - ethisch adäquaten - (straf)rechtlich richtigen Vorgehensweisen + Zeitdruck und unterschiedliche Meinungen (straf)rechtlich => bedrohliche Situation für Pfleger 2

SCHWERPUNKT: STRAFRECHT Unsicherheiten insb. hinsichtlich Strafrecht Unsicherheiten verstärken Spannungsfeld Spannungsfeld führt zu Diskrepanz im Team Diskrepanz führt zu Fehlern im Gesundheitswesen - Behandlungsfehler - Über- und Unterbehandlung - Fehlentscheidung hinsichtlich Freiheitsbeschränkungen Pfleger: Gefahr strafrechtlicher Folgen Patient: Schädigung der Gesundheit und Autonomie (siehe dazu auch METAP (http://www.klinischeethik-metap.ch/) 3

RECHTSKENNTNIS: STRAFRECHT Pflege(team) - entspanntere Entscheidungsfindung - keine strafrechtlichen Folgen - keine Nebenfolgen (etwa Disziplinarstrafen) Patient - besserer Schutz seiner Gesundheit und Autonomie 4

VERBOT: FREIHEITSBESCHRÄNKUNG U FREIHEITSENTZIEHUNG Verfassung: Schutz der Freiheit (u Würde) Strafrecht: Verbot widerrechtlicher Freiheitsentziehung - Einschränkung Bewegungsfreiheit Delikt: Freiheitsentziehung 99 östgb: Wer - Einschränkung einen anderen widerrechtlich Willensfreiheit gefangen hält oder ihm auf andere Weise seine Freiheit entzieht, ist mit einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren zu bestrafen (D und Delikt: Schw vergleichbare Nötigung, Regelungen) Eigenmächtige Heilbehandlung (Ö) => Mechanische / medikamentöse Freiheitsbeschränkung: Pfleger mutmaßlicher Täter aus Sicht des Strafrechts 5

ERLAUBT DURCH: (MUTMAßLICHE) EINWILLIGUNG Einwilligungsfähiger Patient stimmt Freiheitsentziehung zu - umfassende Aufklärung Bsp: Gefahr eine postoperativen Verwirrtheit mit starker Unruhe. Vor - rechtswirksame OP wird mögliche Einschränkung Einwilligung der Freiheit besprochen und Patient willigt ein. EinwilligungsUNfähiger Patient stimmt mutmaßlich zu - wenn möglich Befragung der Angehörigen - Schluss aus sonstigem Verhalten des Patienten - nicht von vernünftigen Patienten ausgehen - geht um Willen dieses speziellen Patienten 6

ERLAUBT DURCH: GERICHTLICHE GENEHMIGUNG BZW GESETZ Gerichtliche Genehmigung Ausnahmen durch Gesetz - österr. Unterbringungsgesetz - österr. Heimaufenthaltsgesetz - zum Schutz des Patienten - verhältnismäßige Freiheitsbeschränkung 7

Freiheitsentziehung als Abwehr erlaubt - notwendig schonendste zur Verfügung stehende Mittel, um Angriff sofort und endgültig abzuwehren - Angriff ERLAUBT DURCH: NOTWEHR Bsp: Aggressiver Patient will Pfleger oder anderen Patienten schlagen oder er will Krankenhauseinrichtung zerstören gegenwärtige oder unmittelbar drohende, rechtswidrige Rechtsgutsbeeinträchtigung - gegen notwehrfähiges Rechtsgut Leben, körperliche Integrität, Vermögen, Eigentum, Freiheit D, Schw: Ehre 8

NOTWEHR DES PFLEGERS? NACH HANDLUNG DES PFLEGERS UND REAKTION DES PATIENTEN Einschränkung / Verwirkung des Notwehrrechts (fahrlässige) Provokation durch Pfleger, Patient reagiert - gegebenenfalls strafbewehrte Freiheitsentziehung - sensibles / deeskalierendes Vorverhalten des Pflegers nötig Pfleger fixiert / behandelt Patient, Patient wehrt sich - differenziert zu behandeln (s. nächste Folie) 9

NOTWEHR DES PFLEGERS? NACH HANDLUNG DES PFLEGERS UND REAKTION DES PATIENTEN Pfleger fixiert / behandelt Patient, Patient wehrt sich - rechtmäßige Fixierung/Behandlung => rechtwidriger Angriff dr Patient => Notwehr für Pfleger - rechtswidrige Fixierung/Behandlung => gerechtfertigter Angriff dr Patient => KEINE Notwehr für Pfleger Bsp: Patient wird fixiert, um notwendige Behandlung/Medikamentengabe vorzunehmen, die Patient nach Aufklärung unvernünftigerweise ablehnt. (Praxis oft bei - in der Situation - einwilligungsfähigen aber an sich autonomiegefährdeten Personen.) 10

SPANNUNGSFELD RECHT UND ETHIK VS MEDIZIN (PFLEGE) Pfleger fixiert / behandelt Patient gegen seinen Willen Patientenautonomie vorrangig Strafrecht Ethik Ethische Prinzipen (Beauchamp/Childress ): - Schutz der Patientenautonomie - Fürsorgepflicht - Nichtschadensprinzip - Gerechtigkeitsprinzip Fürsorgepflicht vorrangig Medizin / (Pflege) Fixierung / Behandlung hat zu unterbleiben! 11

SPANNUNGSFELD RECHT VS ETHIK UND MEDIZIN (PFLEGE) Pfleger fixiert / behandelt Patient gegen seinen Willen aber Lebensgefahr Patientenautonomie vorrangig Strafrecht Ethik Ethische Prinzipen (Beauchamp/Childress ): - Schutz der Patientenautonomie - Fürsorgepflicht - Nichtschadensprinzip - Gerechtigkeitsprinzip Fürsorgepflicht vorrangig Medizin / (Pflege) Ethik Fixierung / Behandlung hat dennoch zu unterbleiben! 12

UNSICHERHEIT UND FEHLEINSCHÄTZUNG HINSICHTLICH FREIHEITSENTZIEHENDER MAßNAHMEN Projekt: Ärztliches Handeln an der Schnittstelle von Patientenautonomie und Behandlungsauftrag OeNB gefördert (Bruckmüller/Forstner/Wakolbinger) 80 % Ärzte und Pfleger halten Fixierung für rechtlich erlaubt 20 % waren hinsichtlich rechtlicher Situation unsicher Grund: paternalistisches Denken Bsp: Fixierung / notwendige Behandlung gegen Willen. Abnahme der Gehhilfe bei älteren Personen, um Stürze und Verletzungen zu vermeiden. 13

ERLAUBT DURCH: RECHTFERTIGENDEN NOTSTAND Eingriff in niederrangiges Rechtsgut in engen Grenzen erlaubt um höherwertiges Rechtsgut zu schützen Argument: - Fixierung zur Behandlung (= Eingriff in niederrangige RG) um - körperliche Integrität (= Schutz des höherwertigen RG) zu schützen hl Umgehung der Autonomie => nur Einwilligungsregeln! 14

LÖSUNGSANSÄTZE Rechtskenntnis Erarbeitung med/ethischer Leitlinie mit Handlungskorridor innerhalb strafrechtlicher Grenzen Besprechung von strafrechtl korrekten Handlungsmöglichkeiten in typischen Pflegefällen Abhaltung med/ethischer/strafrechtl Konzile für Einzelfälle Unterstützende kl. Folder (für rasche Entscheidungen) Dokumentation (siehe dazu auch METAP) 15