Frühdiagnostik und Frühintervention: Hintergründe, Bedeutung und praktische Erfahrungen Autismusspektrum-Störungen in der Praxispädiatrie Kappel am Albis, 24.Juni 2016 Dr. med. Evelyn Herbrecht, KJPK Evelyn.Herbrecht@upkbs.ch Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel www.upkbs.ch 21.06.2016 1
Frühdiagnostik und Frühintervention: Hintergründe, Bedeutung und praktische Erfahrungen ASS eine Entwicklungsdiagnose Frühdiagnostik & Abgrenzung Status quo & Evidenz intensiver Frühinterventionsansätze FIAS-Ansatz: Hintergründe, Struktur und inhaltliche Schwerpunkte 2
ASS eine Entwicklungsdiagnose 3
Autismus-Triade The outstanding, pathognomonic, fundamental disorder is the children s inability to relate themselves in the ordinary way to people and situations from the beginning of life (Kanner, 1943) Autistic aloneness Desire for sameness Islets of ability Autismus ist keine Störung des Kindesalters, es ist eine Störung der Entwicklung (U. Frith, 2003) 4
Klassifikation im Wandel der Zeit Aus drei Kriterien werden zwei: - Soziale/ Kommunikationsdefizite - repetitive Verhaltensweisen/ eingeschränkte Interessen DSM-5: Darstellung der Autismus-Spektrum-Störungen mit definierbaren Kernsymptomen: Symptome seit der frühen Kindheit Übergreifende Beeinträchtigungen der sozialen Kommunikation & Interaktion Eingeschränkte und repetitive Muster in Verhalten, Beeinträchtigung Interessen und des Aktivitäten Funktions-niveaus zusätzlich: - Beginn in der frühen Kindheit Schweregradeinteilung (3) anhand der notwendigen Unterstützung - Beeinträchtigung des Funktionsniveaus - Bestimmung des Schweregrades anhand der Spezifizierungen: notwendigen IQ, genetische & Unterstützung (3) andere assoziierte Störungen - Beschreibung zusätzlicher individueller Faktoren (IQ, genetische/andere assoziierte Störungen, Sprachentwicklung) 5
Klassifikation im Wandel der Zeit Was wird neu berücksichtigt? Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen oder ungewöhnliches Interesse an sensorischen Aspekten Epidemiologische Studien zeigen, dass Mädchen und Frauen mit ASS wahrscheinlich unterdiagnostiziert wurden, insbesondere solche mit highfunctioning ASS werden später diagnostiziert als Männer, diagnostischer Bias (Lai, Lombardo & Baron-Cohen, 2013) Mädchen und Frauen mit ASS werden erst bei größerem Ausmaß an begleitenden kognitiven oder Verhaltensproblemen diagnostiziert: Überkompensation oder Geschlechtsstereotype? Weibliches Geschlecht als protektiver Faktor? 6
Die Bedeutung der sozialen Motivation Bereits Säuglinge orientieren sich an sozial relevanten (biologischen) Reizen wie Gesicht und Augen 20-Monate alte Kinder mit ASS: weniger Beobachtung sozialer Interaktionen (Shic, 2011) Mangelnde Orientierung an sozial relevanten Reizen beeinträchtigt das soziale Lernen (Dawson et al., 2004, Chevallier et al., 2012) Fehlender Blickkontakt Auffallendes Fehlen von Freude Fehlendes Interesse am gemeinsamen Spiel Fehlende Reaktion auf den eigenen Namen Fehlende Koordination von Blick, Mimik und Gestik Fehlendes Zeigen um Aufmerksamkeit zu erreichen Ungewöhnliche Prosodie der Lautbildung Repetitive Bewegungen und Handlungen mit Objekten SORF, Wetherby & Woods, 2002 7
Was ist veränderbar? Bedeutung epigenetischer Faktoren: Ausdruck und Effekte genetischer Faktoren sind durch Umweltfaktoren beeinflussbar - frühzeitige Behandlung könnte Einfluss genetischer Faktoren, Hirnentwicklung und Symptomausprägung positiv beeinflussen, insbesondere wenn Therapie einsetzt, bevor die Symptome vollständig ausgeprägt sind (Dawson, 2008) - in diesem Sinne könnte eine frühzeitige Intervention präventiven Charakter haben und möglicherweise das Vollbild einer ASS verhindern Unteraktivierung des sozialen Gehirns bei ASS Trainings-assoziierte Verbesserungen sowohl auf Verhaltensebene als auch in der neuronalen Aktivität als Hinweise auf die Neuroplastizität bei ASS ( Bölte et al., 2015) 8
Frühdiagnostik & Abgrenzung 9
Anforderungen an Diagnostik Grosse klinische Heterogenität Veränderungen der Symptomatik auch intraindividuell im Laufe der Entwicklung Berücksichtigung der «normalen» kindlichen Entwicklungsphasen Diagnostik erfolgt nicht ätiologisch sondern klinisch deskriptiv Abgrenzung zu begleitenden Störungen und Differentialdiagnosen 10
Diagnostik: Status quo Diagnostik Früherkennung: Symptome im 1. Lebensjahr häufig noch unspezifisch, zwischen 18 und 24 Monaten Zunahme autistischer Auffälligkeiten, insbesondere im Bereich der gemeinsamen Aufmerksamkeit, Blickkontakt und Spielverhalten zuverlässige Diagnosestellung ab Entwicklungsalter von ca. 24 Mt. möglich, aber Förderbedarf evtl. schon vorher benennen Standardisierte Diagnostik mit ADOS und ADI-R Die Diagnose erfolgt klinisch und ergibt sich aus einer Summe/ Muster von Beeinträchtigungen in den beiden relevanten Bereichen Symptome sind häufig zwischen 3. und 5. Lebensjahr sehr ausgeprägt 11
Die Diagnostik umfasst Einsatz standardisierter diagnostischer Verfahren (ADOS/ ADI-R) Ergänzende neuropädiatrische Abklärung Entwicklungs- und Leistungstests je nach Entwicklungsalter und Sprachniveau (SON- R, ET 6-6, PEP-3, K-ABC, HAWIK-IV) Ggf. Einschätzung des Funktionsniveaus: Vademecum, Vineland-Skalen (VABS) Ggf. störungsspezifische Verfahren zum Ausschluss von Störungen mit ähnlichem klinischen Bild bzw. zur Diagnostik von Begleitstörungen 12
Screening-Verfahren ab 18 Mt.: M-CHAT (23 dichotome Items, Verhaltensbeobachtung durch die Eltern) - 6 Items auffällig bewertet: sehr hohe Wahrscheinlichkeit einer ASS - 3 Items auffällig bewertet: hohe Wahrscheinlichkeit einer ASS Erwartungswert bei einer ASS im M-CHAT: 10 P. Mindestens zwei auffällige Antworten bei folgenden Items: 2. Zeigt Ihr Kind Interesse an anderen Kindern? 7. Hat Ihr Kind jemals den Zeigefinger benutzt, um auf etwas zu zeigen oder um Interesse für etwas zu bekunden? 9. Bringt Ihr Kind Ihnen Dinge, um sie Ihnen zu zeigen? 13. Imitiert Sie Ihr Kind? (z. B. wenn Sie eine Grimasse schneiden) 14. Reagiert Ihr Kind auf seinen Namen, wenn Sie es rufen 15. Wenn Sie auf ein Spielzeug am anderen Ende des Zimmers zeigen, schaut Ihr Kind es dann an? 13
Screening-Verfahren ab 48 Mt. (Lebenszeitfassung): FSK, 40 dichotome Items aus den Bereichen Soziale Interaktion Kommunikation Stereotype Verhaltensweisen Abgeleitet aus dem ADI-R Gesamtwert 15: autistisches Spektrum Gesamtwert 16: Autismus klinische Erfahrung: teilweise Bedeutung einzelner Items unklar, z.b. Imitation, ggf. mit Eltern gemeinsames Verständnis verifizieren 14
ASS-Beobachtungsbogen 6 Monate Datum: Ja Nein 1. Kind nimmt von sich aus Kontakt auf 1. Kind zeigt Gefühle und Emotionen (Freude, Ärger, Aufregung) 1. Kind ahmt Gesichtsausdruck des Gegenüber nach/lächelt zurück 1. Kind schaut sein Gegenüber an 1. Kind zeigt motorische Reaktion auf Ansprache (streckt vor Aufnehmen Arme entgegen/wendet den Kopf) E. Kievit, C. Lüdin, E. Herbrecht Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel www.upkbs.ch 15
ASS-Beobachtungsbogen 12 Monate Datum: Ja Nein 1. Kind nimmt von sich aus Kontakt auf 1. Kind zeigt Gefühle und Emotionen (Freude, Ärger, Aufregung) 1. Kind ahmt Gesichtsausdruck des Gegenüber nach/lächelt zurück 1. Kind schaut sein Gegenüber an 1. Kind reagiert auf Ansprache, seinen Namen mit Hinwendung(ohne vorherigenblickkontakt) 1. Kind lautiert/plappert silbenbildend im Austausch mit dem Gegenüber 1. Kind imitiert Bewegungen/Handlungen E. Kievit, C. Lüdin, E. Herbrecht Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel www.upkbs.ch 16
ASS-Beobachtungsbogen 18 Monate Datum: Ja Nein 1. Kind zeigt Interesse an Veränderungen im Umfeld (Kontakt mit MPA) 1. Kind interagiert mit Gegenüber (Mimik/Emotionen/soziales Spiel) 1. Kind reagiert angepasst auf Grundgefühle (Freude, Angst, Trauer, Ärger) des Gegenübers mit Zuwendung, respektive Zurückhaltung 1. Kind zeigt triangulären Blickkontakt 1. Kind zeigt gemeinsame Aufmerksamkeit (folgt Zeigerichtung/zeigt selbst etwas) 1. Kind zeigt Sprachentwicklung/spricht mindestens einzelne Worte 1. Kind imitiert Tätigkeiten/Bewegungen 1. Kind zeigt kreatives, exploratives Spiel (wiederkehrende, gleichförmige Spielhandlungen werden mit der Zeit durch neue ersetzt) 1. Kind zeigt keine stereotype Hand-/Körperbewegungen (Manierismen) E. Kievit, C. Lüdin, E. Herbrecht Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel www.upkbs.ch 17
ASS-Beobachtungsbogen 24 Monate Datum: Ja Nein 1. Kind drückt aktiv Interesse aus (zeigt/bringt) 1. Kind zeigt Freude am sozialen Spiel 1. Kind reagiert angepasst auf Grundgefühle (Freude, Angst, Trauer, Ärger) des Gegenübers mit Zuwendung, respektive Zurückhaltung 1. Kind zeigt triangulären Blickkontakt 1. Kind lässt sich auf gemeinsames Spiel ein 1. Kind spricht Zweiwortsätze 1. Kind verwendet Sprache absichtsvoll (um Bedürfnis auszudrücken/aufmerksamkeit zu erhalten/interesse auszudrücken) 1. Kind zeigt kreatives, exploratives Spiel (wiederkehrende, gleichförmige Spielhandlungen werden mit der Zeit durch neue ersetzt) 1. Kind zeigt keine stereotype Hand-/Körperbewegungen (Manierismen) E. Kievit, C. Lüdin, E. Herbrecht Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel www.upkbs.ch 18
ASS-spezifische Gold-Standard-Verfahren: ADOS-2 (Lord et al., 2012; dt. Übersetzung Poustka et al., 2015) Klinisch-statusdiagnostisches Beobachtungsinstrument Fokus auf Kommunikation, wechselseitige soziale Interaktion, Vorstellungsvermögen/Kreativität, stereotypes Verhalten & eingeschränkte Interessen Strukturiert, standardisiert, hohe Reliabilität & Validität Anwendbar ab dem 2. Lebensjahr Neue Algorithmen gemäß DSM-5: - Social Affect (SA) - Restricted and repetitive Behavior (RRB) Einbezug des Bereiches der repetitiven und restriktiven Beschäftigungen und Interessen in den diagnostischen Algorithmus Neu: Kleinkind-Modul ab 12 Mt., ergibt Verdachtsdiagnose Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel www.upkbs.ch 21. Juni 2016 19
Passendes Modul wird individuell ausgewählt Toddler Modul Modul 1 Modul 2 Modul 3 Modul 4 Vorsprachlich, einzelne Worte -kleine Kinder- Sprechen in Sätzen -Kinder- Fließende Sprache -Kinder-Jugendl.- Interview -Jugendl.- Erw. Alter Kind Erwachsener Expressives Sprachniveau stumm fließend Aktivitäten/Aufgaben Spiel Interview 20
Besonderheiten der einzelnen Module Entwicklungsalter ADOS Modul 1 sollte nur ab einem Alter von 31 Monaten verwendet werden! WICHTIG! Erfassung des Entwicklungsalters mit möglich standardisierten Verfahren, wie bspw. Bailey Scales oder Son-R Zusätzlich Sprachvermögen erfassen Bsp. SETK NEU! ADOS 2 mit Kleinkind Modul Kann bereits ab einem Alter von 12 Monaten bis zu einem Alter von 30 Monaten eingesetzt werden 21
ADOS Kleinkind-Modul - Geeignet für Kinder zwischen dem 12.-30. Lebensmonat - Angemessene Aktivitäten - Zusätzlicher Fokus: Reaktion des Kindes auf vom Untersucher hergestellte überraschende Wendungen oder unklare (weil nicht zum vorherigen Kontext passende) soziale Situationen - noch frühere Diagnostik möglich (vorher: Modul 1 und ADI-R: Mindestalter 18 Monate!) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel www.upkbs.ch 22
ASS-spezifische Gold-Standard-Verfahren: ADI-R (Autism Diagnostic Interview Revised, dt. Fassung: Bölte et al., 2006 ) untersuchergeleitetes Interview mit den Eltern/ Hauptbezugspersonen Detaillierte, beispielbasierte Anamnese Hintergrundinformationen über Kind und Familie Frühe Entwicklungsgeschichte und Erreichen von Meilensteinen Spracherwerb und Verlust von Fähigkeiten Kommunikation und Sprache Soziale Entwicklung und Spielverhalten Interessen und repetitives Verhalten Allgemeines Verhalten/Komorbidität & isolierte Fertigkeiten Dauer: ca. 2-4 Stunden Orientierung an ICD-10 und DSM-IV Kriterien Auswertung mittels Algorithmen; diagnostischer Algorithmus (ab 2 J.) und Aktuell- Algorithmus 23
Wichtige begleitende Störungen Intelligenzminderung (bei 55 %) Sprachstörungen Motorische Auffälligkeiten Epilepsie (~20 %) Meist unspezifische gastrointestinale Symptome Schlafstörungen Psychiatrische Komorbiditäten 50-80%! (Hofvander et al., 2009, Gjevik et al., 2011, Lai et al., 2013 ) ADHS Angststörungen (am häufigsten soziale Aengste und generalisierte Angststörung), alle Altersgruppen Depression (häufig ab späterem Jugendalter) Zwänge Essstörungen, cave: ASS nicht erkannt Baird et al. 2006, Freitag, 2007; Bölte, 2009,;Lai et al., 2013 24
Wichtige Differentialdiagnosen im Kleinkindbereich bei jüngeren Kindern insbesondere: andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen Intelligenzminderung (ohne Autismus) expressive und rezeptive Sprachstörungen sowie Landau-Kleffner-Syndrom Selektiver Mutismus Posttraumatische Belastungsstörung Deprivation Bindungsstörungen 25
Praktisches Vorgehen bei der Diagnostik/ Grenzen Standardisierte Verfahren Ergänzung durch klinische Exploration, unstrukturierte Spielsituationen, sonstigen klinischen Eindruck Ergänzung durch Fremdanamnese (Kindergarten, Schule) Differenzialdiagnostische Überlegungen Häufig aber «Autismus und» Bei unklarem Befund Verlaufsbeurteilung nach Aufgleisung geeigneter Unterstützungsmassnahmen Diagnose ergibt sich klinisch unter Einbezug aller verfügbaren Informationen 26
Was tun, wenn die Verfahren nicht zum gleichen Ergebnis führen? Mögliche Vorgehensweisen Bei durchgeführtem ADOS prüfen: Entwicklungsalter? Sprache? ADOS mit Kollegen ansehen ADOS - Eindruck durch freie Interaktion/ Gespräch ergänzen Externe weitere Beschreibungen, wie bspw. Lehrer und Erzieherinnen hinzuziehen Überprüfen Sie die Beispiele der Eltern im ADI-R Komorbide Störungen mit in die Diagnose aufnehmen, Bsp: Ängste, Depressionen, ADHS Differentialdiagnosen beachten! 27
Unterschiede zwischen ASS und ADHS ADHS ASS TOM Keine grundlegende Einschränkung Deutliche Einschränkung Zentrale Kohärenz Unauffällig gering Körperkontakt Blickkontakt Wahrnehmung/ Aufmerksamkeit Kommunikation und Kontaktverhalten Impulsivität Neugierverhalten Unauffällig Evtl. flüchtig Abgelenkt durch äußere Reize, wenig fokussierend Nonverbale Kommunikation unauffällig und altersentsprechend, wechselseitig Stark, wenig Inhibitionshemmung Befassen sich gerne mit Neuem, flüchtig Selbstbestimmt Auffällig Detailwahrnehmung, abwesend, abgelenkt durch innere Reize Wenig Gesten, blind für soziale Signale Monologe unterschiedlich Sehr unterschiedlich, jedoch meist ausdauernd Spielverhalten Kreativ und interaktiv Einseitig, wenig kreativ aus Bölte, S.: Autismus: (2009); Kapitel: Komorbidität und Differentialdiagnosen (Noterdaeme) 28
Intelligenzminderung und ASS Zusammenhang gut belegt, Angaben zu zusätzlicher IM variieren zwischen 40 und 80% ASS Intelligenzminderung Sprachentwicklung Kommunikationsverständnis, Soziale Perzeption Verzögert, keine Kompensation durch nonverbale Kommunikation Nicht vorhanden/ eingeschränkt Verzögert, Kompensation durch nonverbale Kommunikation Vorhanden/ nicht eingeschränkt, aber unreif Echolalie & Floskeln ausgeprägt Nicht vorhanden Pronominalumkehr vorhanden Nicht vorhanden Wahrnehmung/ Aufmerksamkeit Spielentwicklung Abgelenkt durch äußere Reize, Gestört, wenig kaum fokussierend Symbolspiel Detailwahrnehmung, abwesend, Verzögert, einfaches abgelenkt durch innere Symbolspiel Reize Stereotypien & sensorische Besonderheiten Häufig vorhanden Gelegentlich bis selten Sonderinteressen Häufig vorhanden selten aus Bölte, S.: Autismus: (2009); Kapitel: Komorbidität und Differentialdiagnosen (Noterdaeme) 29
Klassifikation nach Multiaxialem System ASS werden auf Achse I kodiert Achse I: Klinisch-psychiatrisches Syndrom Achse II: Umschriebene Entwicklungsstörungen Achse III: Intelligenzniveau Achse IV: Somatische Störungen Achse V: Psychosoziale Belastungsfaktoren Achse VI: Psychosoziales Funktionsniveau In der Praxis: ASS und Achse-V-Belastungen schliessen sich nicht aus! Häufig ASS und 30
Status quo & Evidenz intensiver Frühinterventionsansätze 31
Basis: Entwicklung der sozialen Ansprechbarkeit Ab Geburt Bevorzugung von menschlicher Stimme und Gesichter, v.a. Augen 6 W: soziales Lächeln, frühe Form der emotionalen Empathie, «Spiegelung» emotionaler Zustände 4-6 Monate: erstes soziales Spiel (Wickeltisch) 8 Monate: Angst («Fremdeln») Ab 10 Monaten: Joint attention (Triangulation, zeigen= frühe ToM) 12-24 Monate: Rollenspiel, ToM wird diff. und flexibler 32
Frühe therapeutische Ansätze: Status quo & Evidenz Bedeutende Unterschiede in der Versorgung Europäische Studie, 1680 Kinder <7 J. (Salomone et al., 2016) : - häufigste Interventionen: Logopädie (64%) Verhaltens-, entwicklungs- oder beziehungsorientierte Therapien (55%) Ziel intensiver Frühintervention: nachhaltige Verbesserung der autistischen Kernsymptomatik mit dem längerfristigen Ziel der besseren sozialen Integration hohe Variabilität im Therapieerfolg bei verschiedenen Kindern, bisher kaum robuste Prädiktoren des Therapieerfolgs Bisher nicht die Therapiemethode der Wahl, im Gegenteil grosser Bedarf an Vergleichsstudien verschiedenartiger therapeutischer Ansätze Immer zentral: Beratung und Begleitung der Familie, die auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes eingeht und vorhandene Ressourcen von Familie und Umfeld berücksichtigt (Ospina et al., 2008, Poustka et al., 2012) 33
Frühe therapeutische Ansätze: Neuere Entwicklungen Familiäre Faktoren, Ressourcen, Überzeugungen spielen ebenso eine wichtige Rolle für den Therapierfolg und sollten berücksichtigt werden Kein isoliertes Training umschriebener Fertigkeiten Fokus intensiver Interventionen richtet sich mehr und mehr auf die Förderung der frühen Vorläufer sozialer Kommunikation wie gemeinsame Aufmerksamkeit und Symbolspiel Neuere Ansätze versuchen Lernangebote und gelegenheiten in natürliches Lebensumfeld und Alltag der Kinder und Familien zu integrieren (Zwaigenbaum et al., 2016) präventive Ansätze und Neuroplastizität (Dawson, 2008), Bedeutung der sozialen Motivation Passen des Therapieangebotes für die jeweilige Familie und Möglichkeit der Integration in den Lebensalltag ist wichtiger als Stundenanzahl Pilotprojekt des Bundesamtes für Sozialversicherung (2014-2018) 6 intensive Frühinterventionszentren in der Schweiz 34
FIAS-Ansatz: Hintergründe, Struktur und inhaltliche Schwerpunkte 35
ASS im Verlaufe der Entwicklung Was führt Eltern zur Diagnostik, Beratung? Welche Schwierigkeiten stehen im Zentrum? Unterstützung? 36
Erste 4 Lebensjahre Frühkindlicher Autismus Sprachentwicklung: verzögert, inkl. Rezeption, nicht kommunikativ eingesetzt, Fragealter später, oft stereotype Fragen Spielentwicklung: Repetitiv, Stereotypien, fehlende symbolische Handlungen Verhalten: v.a. Kontaktverhalten inkl. Regulationsstörungen, wenig flexibel, meist wenig Interesse an Kindern, Spielgruppe: alleine, mit Kindern überfordert oder sehr bestimmend Essen: oft selektiv, Übergang zu fester Nahrung erschwert, häufig Verdauungsprobleme Sensorik: Über-Unterempfindlichkeiten 37
Unterstützung Entwicklungsbegleitung, Eltern beraten Ev. Heilpädagogisch orientierte Spielgruppe Autismusspezifische Frühintervention Heilpädagogik Logopädie Ergotherapie mit SI 38
FIAS Frühintervention bei autistischen Störungen Teilstationäre und ambulante Intensivtherapie (~ 100 Stunden) Therapiezentrum und Familien-Wohnung in Muttenz 1 Familie, 18 Tage durchgehend, bis zu 6 Std. täglich in diversen Settings Individuelle Parallelarbeit mit allen Personen der Kernfamilie Multimodaler Ansatz mit unterschiedlichen Methoden und Disziplinen Spezifische Spiel- und Videointerventionstherapie 2 Jahre Nachsorge Hausbesuche, Beratungen, Elterntraining Videoanalysen zu Spiel- und Alltagssituationen 39
FIAS im Überblick Zusammenfassung des Behandlungsansatzes FIAS berücksichtigt gleichzeitig: psychodynamische, systemische und verhaltenstherapeutische Elemente Psychoedukative, beratende und heilpädagogische Aspekte Emotionale und Wahrnehmungsprozesse Therapie-, Förder- und Alltagssituationen 40
FIAS im Überblick die Familie Ortswechsel Moderierte Familiengespräche Alltagsentlastung Strukturierungshilfen Muster ändern Zuständigkeiten verlagern Neue Strategien entwickeln 41
Spiel & Alltag im Therapieraum FIAS im Überblick das betroffene Kind > Reduktion autistischer Symptomatik > Kontaktanbahnung > Regulation & Autonomie > Selbständigkeit in alltäglichen Fertigkeiten 42
FIAS im Überblick die Geschwister Spielstunden mit Eltern, Therapeuten und autistischem Geschwister > Eigene Zeit mit Eltern > Klärung von Zuständigkeit & Abgrenzung > Neugewichtung eigener Bedürfnisse > Kontakt und Spiel mit autistischem Geschwister unter Anleitung 43
FIAS im Überblick die Eltern Einzel-, Elterngespräche Begleitete Beobachtung Anleitung Kenntnisse Verständnis Neue Strategien 44
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel www.upkbs.ch 21.06.2016 45