Stadt Bern Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün 2. World Collaborative Mobility Congress Chancen und Risiken geteilter urbaner Mobilität Bern, 8. Mai 2014 REFERAT VON URSULA WYSS, DIREKTORIN TIEFBAU, VERKEHR UND STADT- GRÜN Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrte Damen und Herren Wir alle haben in den letzten Jahren den Boom der geteilten Mobilität insbesondere in Form von Carsharing und in verschiedenen Städten auch bei Veloverleihsystemen erlebt. Dabei spielen Städte eine Vorreiter- und Wegbereiter-Rolle von shared mobility. Von ihnen gehen die grossen gesellschaftlichen Trends aus. Was bedeutet dies für eine Stadt wie Bern? Die geteilte urbane Mobilität kann einen wichtigen Beitrag leisten, das Ziel eines stadtverträglichen Verkehrs zu erreichen. Sprich: Weniger motorisierter Individualverkehr, mehr Fuss- und Veloverkehr und mehr ÖV. Bisher hat Carsharing denn auch nicht dazu geführt, dass in der Stadt insgesamt mehr Auto gefahren wird. Und Carsharing hat zumindest in Bern auch den ÖV oder den Veloverkehr nicht konkurrenziert. Vielmehr ist es eine sinnvolle Ergänzung dazu. Seit dem Boom von Carsharing in der Schweiz also etwa seit Ende der 90er Jahre ging der motorisierte Individualverkehr in der Stadt Bern insgesamt sogar zurück. Der ÖV hat im selben Zeitraum stark zugelegt. Über die Gründe für diesen Trend haben Sie schon viel gehört. Und darüber wissen Sie sowieso besser Bescheid. Wichtiger sind für mich als politische Verantwortungsträgerin in der öffentlichen Debatte die Fragen: Führt die geteilte urbane Mobilität auch
Seite 2/5 zu einem veränderten Verkehrsverhalten? Können wir dank geteilter Mobilität auch mit einer Verkehrsreduktion rechnen? Denn nur dann rechtfertigt es sich auch, dass ihre Angebote bevorzugt behandelt werden. Heute sind einfache Wegmuster - zum Beispiel der Weg zur Arbeit und von dort wieder nach Hause - eher die Ausnahme. Die Regel bilden eigentliche Wegketten, z.b. von zu Hause zur Arbeit, von dort zum Einkauf, danach zu Freunden und wieder nach Hause. Die Verkehrsangebote sind nicht für alle Wege oder Etappen gleich gut, die Verkehrsmittel nicht für jede Strecke gleich geeignet. Die Verkehrsteilnehmenden wählen darum gerne wege- oder etappenweise das jeweils bestgeeignete Verkehrsmittel. Wenn die Angebote stimmen, sind wir also nicht weniger unterwegs, aber wir organisieren unsere Wege effizienter und verursachen damit oft auch weniger ungewollte Emissionen. Das ist volkswirtschaftlich sinnvoll: Wo zum Beispiel der öv so gut ausgebaut ist, wie auf den meisten Wegen innerhalb unserer Stadt, soll er auch genutzt werden, damit hohe Investitionen in weniger effiziente, parallele Angebote vermieden werden. Je differenzierter die Verkehrsmittelwahl erfolgt, desto mehr gewinnt die Verfügbarkeit des jeweiligen Transportmittels an Bedeutung, während die Bedeutung des Fahrzeugeigentums abnimmt. Der Boom der geteilten urbanen Mobilität dürfte mit steigendem Angebot unser Mobilitätsverhalten in den kommenden Jahren weiter in diese Richtung verändern. Was dürfen Städte da vom Markt / von der Wirtschaft erwarten? Der Besitz soll nicht mehr der treibende Faktor in der Marktentwicklung sein sondern diese soll stärker auch auf die Sharing-Modelle ausgerichtet werden sei das beim Auto ober beim Velo. Heute definieren sich immer mehr Menschen nicht mehr primär als Autofahrende, Velofahrende oder öv-fahrgäste sondern sie wählen die jeweils bequemste, schnellste und effektivste Mobilitätsform aus. Dem muss der Markt gerecht werden und auf diesem Feld auch innovativ sein. Denn Carsharing beeinflusst auch die Art der Fahrzeuge, welche in den Städten unterwegs sind. Im Gegensatz zum Privatauto, das meist mit Gedanken an Maximalbedürfnisse beschafft wird, müssen die Flotten der Cahrsharer nicht alle Bedürfnisse in einem Fahrzeug abdecken, weil sie verschiedene Fahr-
Seite 3/5 zeugtypen je nach Bedarf anbieten. Das führt dazu, dass kleinere Autos unterwegs sind. Das steigert in den Städten die Sicherheit und hat ökologische Vorteile. Zudem besteht so auch verstärkt die Möglichkeit, neue Technologien zu etablieren, z.b. lokal emissionsfreie Antriebe. Was dürfen der Markt und die Entwickler von shared mobility von den Städten erwarten? Zum Beispiel einen Abbau von Hürden zur Umnutzung öffentlicher Parkplätze für Car sharing Fahrzeuge. Oder mehr Veloabstellflächen gerade auch für Veloverleihsysteme. Es eröffnen sich damit für alle Beteiligten durch die geteilte urbane Mobilität neue strategische Optionen. So baut Bern nicht nur den ÖV weiter aus, sondern fördert auch den Fahrrad-Verkehr aktiv. Ergänzend dazu sind in Bern, wie in vielen anderen Städten der Schweiz, die Carsharing-Angebote in den letzten Jahren stark angestiegen. Bei rund 140 000 Einwohnerinnen und Einwohnern kommt die Stadt Bern auf 5 700 Fahrzeuge im Jahr 2011. Das entspricht einem Wachstum von 65% in fünf Jahren. Der Gemeinderat hat deshalb eine Rahmenkonzession zur vereinfachten Nutzung öffentlicher Standorte für Car sharing Parkplätze beschlossen. Dadurch soll es Car sharing Anbietern vereinfacht werden, öffentliche Parkplätze neu als Standorte für Carsharing-Fahrzeuge zu nutzen. All diese Entwicklungen haben zusammen mit unseren Aktivitäten für mehr Lebensqualität in den Wohnquartieren etwa durch fast flächendeckende Tempo 30 Zonen auf Quartierstrassen und zahlreiche Begegnungszonen dazu geführt, dass die Stadt Bern trotz massivem Anstieg der Mobilität einen Rückgang beim Autoverkehr, erlebt hat. So ist auffällig, dass die Zunahme autofreier Haushalte in unserer Stadt mit dem starken Wachstum der geteilten Mobilität zusammenfällt. Bereits lebt über die Hälfte der Haushalte in der Stadt Bern ohne eigenes Auto. Die Ergebnisse der Studie Wie Städte multimodale Mobilität fördern können der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) vom letzten Juni zeigen, dass das Potenzial für autofreie Haushalte und somit auch für Carsharing trotzdem noch nicht ausge-
Seite 4/5 schöpft ist: In Bern gaben 12 Prozent an, ihr Auto weniger als 2-3 Mal pro Monat zu benutzen. Und zwischen 1994 bis 2011 ist der Nutzertypus, dessen Mobilitätsverhalten sich ausschliesslich auf das Auto stützt, deutlich seltener geworden in Bern ist er beinahe verschwunden. Nur noch 3% der Befragten gaben an, sie würden ihr Mobilitätsverhalten ausschliesslich mit dem Auto bewältigen. Gemäss dieser Studie verzeichnen hingegen die Multimodalen ein spektakuläres Wachstum von 40 Prozent 1994 auf 59 Prozent 2011. Geteilte urbane Mobilität hat also auch aus städtischer Sicht viele Vorteile. Es gibt aber auch umstrittene Bereiche und das betrifft insbesondere das Parkplatz-Sharing. Alle, die sich für Parkplatz-Sharing einsetzen wir haben es an dieser Tagung auch gehört betonen, dass durch ihr Angebot nicht zusätzliche Parkplätze entstünden, sondern bestehende Plätze würden effizienter belegt. Dadurch sänken Suchverkehr und Umweltbelastung. Dass der Suchverkehr sinkt, wenn man genau weiss, wo der freie Parkplatz zu finden ist, ist natürlich erfreulich. Die Chance dieses Modells liegt darin, eine Art Verkehrsleitsystem auf Mikro-Ebene zu sein. Gleichzeitig bedeutet eine optimierte Parkplatznutzung aber, dass bestehende Parkplätze für mehr Autos zur Verfügung stehen und durch die gesteigerte Attraktivität mehr Verkehr generieren. Heute fristen diese Angebote in den meisten Schweizer Städten so auch in Bern noch ein Nischendasein. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch hoch, dass sie künftig relevante Grössen erreichen und die Parkraumpolitik der Schweizer Städte beeinflussen dürften. Um die Chancen auch von geteilten privaten Parkplätzen zu nutzen, ist die Voraussetzung, dass gleichzeitig öffentliche Parkplätze aufgehoben werden - entsprechend der Anzahl privater Parkplätze, die faktisch zu öffentlichen Parkplätzen umfunktioniert wurden. Damit würde dank der stärkeren Auslastung privater Parkräume dafür der öffentliche Raum entlastet und man könnte diesen anders und gewinnbringender nutzen. Zum Beispiel mit breiteren Trottoirs, Velobahnen oder Eigentrassees für den öv. Für mich ist klar: Die Chancen der geteilten Mobilität gilt es zu nutzen, ohne dabei die Risiken aus den Augen zu verlieren. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Städten und Anbietern ist dabei Voraussetzung. Auch hierfür sind Tagungen wie diese wichtig. Mein Besonderer Dank gilt darum den Organisatoren rund um Jörg Beckmann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Seite 5/5