Deutscher Bundestag Drucksache 17/12494 17. Wahlperiode 25. 02. 2013 Kleine Anfrage der Abgeordneten Britta Haßelmann, Beate Walter-Rosenheimer, Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner, Kerstin Andreae, Nicole Maisch, Dorothea Steiner, Brigitte Pothmer, Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Birgitt Bender, Harald Ebner, Hans-Josef Fell, Dr. Thomas Gambke, Priska Hinz (Herborn), Katrin Göring-Eckardt, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Stephan Kühn, Dr. Hermann E. Ott, Lisa Paus, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, Markus Tressel, Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wirkungen der aktuellen EU-Vergaberechtsreform auf die Trinkwasserversorgung und kommunale Daseinsvorsorge sowie die Rolle der Bundesregierung auf Europäischer Ebene TraditionellistdieWasserversorgunginderBundesrepublikDeutschlandeine kommunaleaufgabeimrahmenderkommunalenselbstverwaltungunddas mitgutemgrund.dennwasseristkeingewöhnlichesgutunddiewasserversorgungkeingewöhnlichesgeschäft.derzugangzubezahlbaremundqualitativ gutem Trinkwasser sollte allen Menschen gewährt sein. DieEuropäischeUnionhatineinemZusatzprotokollzumVertragvonLissabon dennationalenundlokalenbehördeneineweitgehendegestaltungsfreiheitbei dererledigungvonaufgabenderdaseinsvorsorgezugesichert.diesegestaltungsfreiheitwirddurchdievorschlägedereuropäischenkommissionzurüberarbeitungderbeidengeltendeneuropäischenvergaberichtlinien (2004/17/EG und 2004/18/EG) infrage gestellt. DurchdiegeplanteVergaberechtsreformderEuropäischenUniondrohtdie schrittweiseprivatisierungderwasserversorgungdurchdiehintertür.sogenanntedienstleistungskonzessionenbeispielsweisefürdietrinkwasserversorgungsollenkünftigdemvergaberechtunterworfenwerden.grundsätzlich könnendiekommunenzwarweiterhinentscheiden,obsiediewasserversorgungselbsterbringenwollen.dochkommunen,derenwasserversorgungbereitsteilweiseodervollständigprivatisiertist,müssendiesekünftigeuropaweit ausschreiben. AuchdieBedingungenfürnichtprivatisiertekommunaleWasserversorgungsbetriebeunddieinterkommunaleZusammenarbeitwerdenmitderRichtlinieerheblich erschwert. DerRichtlinienentwurfsiehteineBefreiungvonöffentlichenAusschreibungen nur für solche kommunale Unternehmen vor, an denen Private nicht beteiligt sind, dieals verbundeneunternehmen mindestens80prozent (diekommission fordert90prozent)ihresgesamtumsatzesfürdieeignerkommuneerbringen.
Drucksache 17/12494 2 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode DaaberStadtwerkeinDeutschlandmeistalsMehrspartenunternehmenimsteuerlichenQuerverbundaufgebautsindundnebenderWasserversorgungmeist auchdieenergieversorgungerbringen,kanndiesebedingungvonkaumeinem Stadtwerkerfülltwerden.DenndieEnergieversorgungistbereitsliberalisiert. DieKundenkönnensichihrenEnergieversorgerfreiwählenunddieStadtwerke könnenfolglichnichtihrediensteaufdenraumdereignerkommunenbegrenzen.zudemliegtderumsatzimbereichderenergiehöheralsderdeswassers.auchderbeschlussdesbinnenmarktausschussesdeseuropäischenparlamentsvom24.januar2013übereineausnahmederjenigenmehrspartenstadtwerkeausdemanwendungsbereich,dienurfürdieeigenenbürger,alsoauf einemräumlichbegrenztengebietderkommune,tätigwerden,istnichtausreichend,dadieausnahmemiteinerübergangsregelungversehenistundspätestens im Jahr 2020 enden soll. DerRichtlinienentwurfsiehtauchdeutlicheEinschränkungenbeiderinterkommunalenZusammenarbeitundderInhousevergabevor.SosollenkünftigKommunenbeiKooperationennurnochgegenseitigRechteundPflichtenübernehmendürfen,alsoarbeitsteiligvorgehenmüssen (echtezusammenarbeit).dasist völligpraxisfernundverhindertinterkommunalekooperation,dennvielerorts übernimmt eine Kommune für eine andere öffentliche Aufgaben. DieBundesregierunghatteübereinJahrZeit,aufdenKommissionsentwurfim MinisterratEinflusszunehmen.IneinemBriefdesBundesministersfürWirtschaftundTechnologie,Dr.PhilippRösler,andieBundestagsabgeordneten BrittaHaßelmannundKerstinAndreaevom2.Mai2012heißtes: KonzessionensolltenaufgrundihreswirtschaftlichenPotenzialsineinemtransparenten undrechtlichüberprüfbarenverfahrenvergebenwerden.wirbegrüßendaher diemitderkonzessions-richtlinieverfolgtenzieledereuropäischenkommission,einenbesserenzugangzudenkonzessionsmärktensowiemehrrechtssicherheitzuschaffen. Esstehtzubefürchten,dassdasfederführendeBundesministeriumfürWirtschaftundTechnologieseitübereinemJahrdieVorschläge der Kommission unterstützt. Wir fragen die Bundesregierung: 1.WelcheSchlussfolgerungenziehtdieBundesregierungausdenErfahrungen imeuropäischenauslandundweltweitinbezugaufmöglichepreiserhöhungenundqualitätsverluste,dievielerortsmitderprivatisierungderwasserversorgung einhergingen? 2.WiehochistnachKenntnisderBundesregierungderAnteilderteilprivatisiertenundprivatisiertenWasserversorgungskonzessionenhierzulande,die künftigausgeschriebenwerdenmüssten (AntwortbittenachBundesländern aufgliedern)? 3.WelcheAuswirkungenhabendieRichtlinienvorschlägeaufKommunen,die ihrewasserversorgungwiederselbstausführenwollenbzw.rekommunalisierenwollen,insbesonderemitwelchenrechtsunsicherheitenhabensiezu rechnen,wennsiedieaufgabeaneineigenesmehrspartenunternehmen übertragenwollenund/oderaneinenzweckverbandaufdemüblichenwege einer mandatierenden Vereinbarung? 4.WiehochisthierzulandenachKenntnisderBundesregierungderAnteil kommunalerwasserversorgerinreinkommunalembesitzundderenanteil anderwasserversorgunginsgesamt (AntwortbittenachBundesländernaufgliedern)? 5.Triffteszu,dassdieBundesregierungimEU-Ministerratam11.Dezember 2012denEntwurfderEU-RichtliniezurKonzessionsvergabeohnesektorale Ausnahme für den Wasserbereich passieren ließ?
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 3 Drucksache 17/12494 6.FürwelcheÄnderungeninderRichtliniehatsiesichseitVorlagedesRichtlinienentwurfsaufEU-EbenemitwelchemErfolgbzw.ohneErfolgeingesetzt? 7.WiekanndaskommunalwirtschaftlicheModellderWasserwirtschaftinder Konzessionsrichtlinie abgesichert werden? 8.WiegehtdieBundesregierungmitdenErgebnisseneineraktuellenForsa- Umfrage (PressemeldungdesVerbandeskommunalerUnternehmere.V. vom10.oktober2012)um,wonachsich82prozentderbefragtengegen eineneuevorschriftfürdieorganisationderwasserversorgungfürstädte undgemeindenausbrüsselaussprichtundbereitsübereinemillionmenschen die europäische Bürgerinitiative Right2Water unterstützen? 9.WiehochistnachKenntnisderBundesregierungderAnteilderkommunalenUnternehmen,insbesonderederStadtwerke,diedieVorgabendesRichtlinienentwurfsimBereichderWasserversorgungerfüllenkönnen (Antwort bitte nach Bundesländern aufgliedern)? 10.StimmtdieBundesregierungderAuffassungderkommunalenSpitzenverbändeunddesVerbandeskommunalerUnternehmene.V.zu,dassrund 800Stadtwerke,die50ProzentderBevölkerungderzeitmitWasserversorgen, die Vorgaben des Richtlinienentwurfs nicht erfüllen können? Wenn nein, warum nicht? 11.AuswelchenGründensiehtdieBundesregierungbeidengeplantenVorgabenfürDienstleistungskonzessionen,interkommunaleZusammenarbeit undinhousevergabe,dieorganisationsfreiheitderkommunengewahrt bzw. nicht gewahrt? 12.Triffteszu,dassKommunennachdenRichtlinienvorgabendieWasserversorgungausMehrspartenunternehmenauslagernundinEigenbetriebeüberführenmüssten,umeineAusschreibungzuverhindernundsoihrenkommunalenBetriebvordemWettbewerbmitgroßenWasserkonzernenzu schützen? 13.WiewürdenachEinschätzungderBundesregierungeineeuropaweiteAusschreibungdiePreisefürWasserversorgungskonzessionenbeeinflussen, undwiewirdsichdiesschließlichaufdentrinkwasserpreisniederschlagen? 14.WerwürdenachEinschätzungderBundesregierungimFalleeinerAusgliederungderWasserversorgungauseinemkommunalenMehrspartenbetrieb (wiebeispielsweiseeinemstadtwerk)diekostenfürdiebetriebsumwandlungunddenverlustvonsynergieeffektenundkostenvorteileneinesmehrspartenunternehmensübernehmen,undwiewirdsichdiesschließlichauf den Trinkwasserpreis niederschlagen? 15.IstausSichtderBundesregierungeinevorbeugendeGewässerschutzpolitik, wiesiezahlreichedeutschestadtwerkebetreiben,beispielsweisedurchdie VerpachtungvonLändereienundWälderninihrenTrinkwasserschutzgebietenmitstrengenAuflagenökologischenLand-undWaldbaus,weiterhin möglich? 16.WiebeurteiltdieBundesregierungdenEinbezugvonDienstleistungskonzessioneninsVergaberechtfürdieBereicheElektrizität (Bereitstellungund BetriebfesterNetze,EinspeisungvonElektrizitätindieseNetze),Gasnetze (BereitstellungundBetriebfesterNetze,EinspeisungvonElektrizitätin diesenetze),wasserbauvorhaben,abwasserbeseitigungoder-behandlung sowieabfallentsorgung,undteiltsiediebedenkenderbundesländer (Bundesratsdrucksache 874/11 (Beschluss) (2))?
Drucksache 17/12494 4 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 17.WiebeurteiltdieBundesregierungdenEinbezugvonDienstleistungskonzessioneninsVergaberechtinBezugaufHafendienstleistungenwieLotsendienste,SchleppdiensteunddasLöschenderLadung,undteiltsiedieBedenken der Bundesländer (Bundesratsdrucksache 874/11 (Beschluss) (1))? 18.WelcheSchlussfolgerungenziehtdieBundesregierungausderAnregung desdeutschenparitätischenwohlfahrtsverbandes Gesamtverbande.V.an diemitgliederdiverserbundestagsausschüssevom8.februar2013,wonachdieaktuellereformdeseuropäischenvergaberechtsunddasanliegen dereuropäischenunionzurberücksichtigungderbesonderheitsozialer DienstleistungenmiteinereigensinDeutschlandzuschaffenden VergabeordnungfürSozialeDienstleistungen zubeantwortensei, dieausschließlichdieheutedemvergaberechtunterliegendenarbeitsmarktdienstleistungen umfasst? 19.InwiefernwirdsichdieBundesregierungindiesemProzessdafüreinsetzen, künftigsämtlicheleistungenfürmenschenmitbehinderungimsinnedes Wunsch-undWahlrechtsimsozialrechtlichenDreiecksverhältnisundsomit außerhalb des Vergaberechts zu organisieren? 20.IstdieBundesregierungderMeinung,dassinterkommunaleZusammenarbeit ein Beschaffungsvorgang ist und ausgeschrieben werden muss? 21.InwelchenFällenwürdedieszueinerPrivatisierungderAufgabeführen, die ursprünglich interkommunal ausgeübt werden sollte? 22.WelcheRollespieltnachAuffassungderBundesregierungdieinterkommunaleZusammenarbeitbeiderBewältigungdesdemografischenWandels und der Reduzierung von kommunalen Ausgaben? 23.IstderRichtlinienvorschlagderKommissionzurinterkommunalenZusammenarbeitnachAuffassungderBundesregierungderBewältigunghoheitlicher Aufgaben in demografisch entleerten Regionen förderlich? 24.Welchebisheröffentlichbzw.kommunalausgeübtenTätigkeitenfinden nachauffassungderbundesregierunginentleerten,vomdemografischen Wandel besonders betroffenen Regionen einen privaten Anbieter? 25.WelchenBeitragleistendieVorgabenimRichtlinienentwurfzursogenanntenechtenZusammenarbeitzurVerwaltungsvereinfachungundRechtssicherheit in den Kommunen? 26.AuswelchenGründenunterstütztdieBundesregierung,dassdieKommissionmitdemErfordernisder echtenzusammenarbeit überdierechtsprechungdeseuropäischengerichtshofeshinaus,kommuneninderinterkommunalen Zusammenarbeit einschränkt? 27.HältdieBundesregierungdieVorgabenimRichtlinienentwurfzursogenanntenechtenZusammenarbeitfürpraxistauglich,insbesonderewenndavonausgegangenwerdenkann,dassGrößenunterschiedezwischenden KommunenbestehenundgrößereKommunenfürkleineKommunenAufgabenerledigenundZweckverbändedieAufgabennotwendigerweisevon denkommunenimrahmeneiner mandatierendevereinbarung erhalten? 28.InwelcherWeisehatsichdieBundesregierungimMinisterratundimweiterenaufEU-Ebenedafüreingesetzt,dassdiegenannteneinschränkenden VorschlägederKommissionzurinterkommunalenZusammenarbeit,insbesonderedieVorgabederechtenZusammenarbeit,zurückgenommenwerden?
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 5 Drucksache 17/12494 29.HatsichdieBundesregierungdafüreingesetzt,dassauchteilprivatisierte kommunaleunternehmenaninterkommunalenkooperationenteilnehmen können? Wenn nein, warum nicht? 30.WelcheAuswirkungenhabendieRichtlinienvorschlägederKommission zur interkommunalen Zusammenarbeit auf Zweckverbände? 31.WiebeurteiltdieBundesregierungdieEinschränkunginterkommunalerZusammenarbeit,wennsichdieWertschöpfungskettebeispielsweiseeines ZweckverbandesnichtnuraufdieEndkundenbezieht,sondernauchaufalle Tätigkeiten,z.B.auchdieWassergewinnung,dieauchaußerhalbderKommunenliegtunddamitzuInvestitionenführt,dieaußerhalbdesGebietesder Kommunen getätigt werden müssen? 32.WiehochsindnachEinschätzungderBundesregierungdieKostenfüretwaige Umstrukturierungen in Zweckverbänden, und wer trägt diese? 33.WiewirkensichnachEinschätzungderBundesregierungetwaigeUmstrukturierungeninZweckverbändenaufdieGebührenundPreisefürdieBürgerinnen und Bürger aus? 34.InwieweitwerdenausSichtderBundesregierungdieVorgabendesVertragesvonLissabon,derdiekommunaleSelbstverwaltungunddenErmessensspielraumderKommunenbeiihrerDienstleistungserbringungausdrücklich anerkennt, gefährdet? Berlin, den 22. Februar 2013 Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion
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