Beitrag: Die EU an der Grenze Aufrüsten, um abzuschotten

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1 Manuskript Beitrag: Die EU an der Grenze Aufrüsten, um abzuschotten Sendung vom 24. Juli 2018 von Joachim Bartz und Reinhard Laska Anmoderation: Die lückenlose Sicherung der Außengrenzen - kein EU-Treffen vergeht, bei dem davon nicht die Rede ist. Der Ton ist gesetzt, und die Hardliner des Abschottens und Abschreckens dürften sich bestätigt fühlen. Nur, wie sieht die lückenlose Sicherung denn praktisch aus? Unsere Reporter Joachim Bartz und Reinhard Laska waren an den Außengrenzen unterwegs - zu Wasser zwischen Griechenland und der Türkei und zu Lande zwischen Polen und der Ukraine. Es sind zwei gesicherte Außengrenzen, und trotzdem gibt es Lücken - Lücken in der Theorie, weil Flüchtlinge sich in der Praxis andere Routen suchen, und Lücken bei der Menschlichkeit. Text: Wir sind unterwegs mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex. In ihrem Auftrag stechen Schiffe der deutschen Küstenwache - die Uckermark und die Börde - vor der griechischen Insel Samos in See. An Bord ist die Bundespolizei. Sie überwacht die Meerenge zwischen Griechenland und der Türkei. Denn gerade hier in der Ägäis, wo die türkische Küste nur ein, zwei Kilometer entfernt ist, versuchen Flüchtlinge europäischen Boden zu erreichen. Oft geraten sie in Seenot, die Bundespolizei rettet sie vor dem Ertrinken. In letzter Zeit sind auch sehr, sehr viele Kinder, viele Frauen auch an Bord. Die Kinder schreien, sind vielleicht zwischen zwei und sechs Jahre alt, manchmal auch frisch geboren, sodass wir die erst gar nicht erkennen, weil die Frauen die Säuglinge unter ihren Gewändern tragen. Das heißt, wir nehmen die Frauen an Boot und sehen erst dann, dass tatsächlich auch Säuglinge da noch drunter sind.

2 O-Ton Frontal 21: Ich meine, die können sterben? Ja, das lässt einen sicherlich auch nicht ganz kalt als Polizeibeamtin. Die Beamten sollen die Grenze überwachen, Schleuser bekämpfen und illegale Einwanderung, doch vor allem retten sie Schiffbrüchige. O-Ton Matthias Stoldt, Bundespolizist: Also, wir dürfen sie auf See nicht mehr zurückschieben. Das ist international verboten, ich muss sie an Bord nehmen und ans Land bringen. Eine Abschottung der griechisch-europäischen Grenze würde Frontex überfordern. Es ist natürlich ein sehr, sehr weiter Grenzverlauf, den wir hier haben. Da handelt es sich ja nur um ein paar Seemeilen, sondern das ist schon sehr weitgreifend. Man kann nicht zu 100 Prozent durch zwei, drei Boote diesen kompletten Grenzverlauf abdecken, der ist einfach zu groß. Und so kehrt das Schiff am Morgen nach Samos zurück, wieder mit Flüchtlingen an Bord, aus einem maroden Schlauchboot gerettet. Aufnahmen sind nur aus der Ferne möglich, die griechischen Behörden erlauben keine Bilder von Flüchtlingen auf den Patrouillenbooten. Auf Samos treffen wir eine Mutter mit ihren drei Kindern. Sie kommen aus Bagdad, flohen vor Krieg und Gewalt. Immer wieder wagten sie die gefährliche Überfahrt über die griechischtürkische Grenze. 15 Mal wurden sie von der türkischen Küstenwache aufgegriffen, beim 16. Mal rettete sie Frontex. O-Ton Mutter, Geflüchtete: Die hatten Angst um uns. Der Boden unseres Bootes sank bereits und sie sahen, dass da Frauen und Kinder bei uns sind. O-Ton Sohn, Geflüchteter: Ich hatte furchtbare Angst, als ich sah, dass unser Boot ein Leck hatte, Wasser eindrang und wir von Wellen überschwemmt wurden. O-Ton Tochter, Geflüchtete: Wenn wir zu Hause geblieben wären, wären wir gestorben. Und wenn man übers Meer fährt, ist es in Gottes Hand, ob man überlebt.

3 Wegen der Flüchtlinge fordert Griechenland von der EU Unterstützung - aber keine Abschottung. Der griechische Flüchtlingsminister appelliert an die deutsche Regierung: O-Ton Dimitris Vitsas, SYRIZA, Minister für Migration Griechenland: Sie darf Deutschland nicht zur Festung umwandeln, Mauern um das Land errichten. Denn dies würde auch zu Problemen für alle Europäer führen. Wir müssen die Lebensweise und die Grundwerte der Europäer schützen. Doch die Bundesregierung will Abschottung. Entlang der nordafrikanischen Küste sollen Lager errichtet werden, um die Flüchtlinge dort festzuhalten - gegen ihren Willen. Und das sogar in Libyen, wo verfeindete Milizen die Menschen einsperren, oft grausam behandeln und sogar versklaven. Isabelle Werenfels, Nordafrika-Expertin, berät die Bundesregierung. Sie warnt vor Abkommen mit Libyen: O-Ton Isabelle Werenfels, Stiftung Wissenschaft und Politik: In Libyen kommt man aus diesem Dilemma, dass man mit Akteuren, die Menschenschmuggler sind, bei der Eindämmung der Migration kooperieren würde, eigentlich nicht herum, und deswegen ist es so schwierig. Und die sitzen deutlich am längeren Hebel und können uns erpressen. Klar ist, solange Krieg und Not herrschen, werden Menschen flüchten, so wie 2015 über den Balkan nach Deutschland. Hält man sie auf, suchen sie sich andere Wege. O-Ton Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender, Gewerkschaft der Polizei (GdP): Wenn eine Grenzpolizei Grenzen kontrolliert, noch nicht mal als Vollkontrollen, wird der Migrationsdruck ausweichen. Er verhält sich wie Wasser. Wenn wir die österreichische Grenze kontrollieren, haben wir jetzt die Feststellung zu treffen, dass über die Ostroute weiter ausgewichen wird, über das Schwarze Meer, über die Ukraine, und dann in Richtung Polen, in Richtung Deutschland. Die polnisch-ukrainische Grenze - Ostgrenze der Europäischen Union. Wir sind auf Streife mit ukrainischen Grenzpolizisten. Tag und Nacht fahren sie Patrouille, rund 500 Beamte sollen die Grenze zu Polen überwachen. Doch die ist insgesamt etwa 400 Kilometer lang und schwer zu schützen, trotz des Zauns. Die EU hat die Ukrainer aufgerüstet mit Video- und Wärmebildkameras, und so mitgeholfen, an der Außengrenze der EU im Osten einen neuen Eisernen Vorhang zu schaffen. Denn

4 auch die Pass-Scanner wurden von der EU bezahlt. Sie sorgte außerdem dafür, dass der ukrainische Grenzschutz mit den polnischen Kollegen und mit Interpol vernetzt wurde. Und die gesamte Ausrüstung der ukrainischen Grenzpolizei wird großzügig von der Europäischen Union gesponsert. Grenzoffizier Galkin ist stolz darauf: O-Ton Iwan Galkin, Grenzoffizier, ukrainischer Grenzabschnitt Mostizki : Die Unterstützung durch die EU ist sehr vielfältig. Durch EU- Gelder konnten wir unsere Dienstgebäude und den gesamten Fuhrpark sanieren. Autos konnten wir kaufen und Überwachungstechnik. Die ukrainischen Grenzsoldaten sollen dafür sorgen, dass möglichst wenig Flüchtlinge den Weg in die EU schaffen. Sie greifen immer wieder Menschen auf, die nach Polen wollen. In der Ukraine wollen sie nicht bleiben - so wie diese Gruppe. Vor drei Wochen wurde sie gestellt, 18 Flüchtlinge, die über die Türkei und aus dem Iran kamen. O-Ton Iwan Galkin, Grenzoffizier, ukrainischer Grenzabschnitt Mostizki : Sie waren gerade dabei, die Grenze in Richtung Polen zu überqueren. Wir haben sie aufgegriffen, ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet, sie mussten eine Geldstrafe zahlen. Und dann wurden sie aus der Ukraine ausgewiesen. Rabiat geht die Ukraine mit Flüchtlingen um, die an der Grenze aufgegriffen werden. Sie werden konsequent abgeschoben. Dieser rigide Kurs ist Teil des Deals mit der EU - und trotzdem steigt die Zahl der Flüchtlinge. Die ukrainische Grenzpolizei griff in diesem Jahr bereits 20 Prozent mehr auf als im vergangenen Jahr. Das macht den Beamten große Sorgen: O-Ton Oleh Slobodyan, staatlicher Grenzschutz der Ukraine: Wir beobachten diese Tendenz aufmerksam. Denn wegen des verstärkten Schutzes der Südgrenze der EU gegen Flüchtlinge glauben wir, dass es zu einer Umleitung der Migrationsströme aus Afrika und Asien kommt. Und diese Umleitung kann über das Schwarze Meer oder andere Wege über die Ukraine erfolgen, damit man von hieraus in die Europäische Union kommt. Schon jetzt sind die Grenzübergänge am Limit. Denn seit einem Jahr können die Ukrainer visafrei in die EU reisen, müssen aber oft stundenlang warten. Denn im Auftrag der Europäischen Union suchen die Grenzpolizisten gezielt nach Flüchtlingen, die sich in Autos verstecken. Sollten mehr Flüchtlinge kommen, hätte die Ukraine ein Problem. Denn auch Kiew ist gegen Lager für Menschen, die die EU nicht

5 will. Entsprechende Wünsche deutscher Politiker gelten hier nur als Symbolpolitik. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.