Wer will was von wem woraus?
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- Kathrin Hoch
- vor 8 Jahren
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1 1 Hinweise zum Gutachtenstil (ausf. Junker, Fallsammlung Arbeitsrecht, Einleitung) Bei der Lösung juristischer und damit auch arbeitsrechtlicher Fälle sind bestimmte stilistische Regeln einzuhalten. Deren Einhaltung ist essentiell! Im Studium wird die Darstellung im sog. Gutachtenstil verlangt. Ein Richter hingegen verwendet in seinen Urteilen den sog. Urteilsstil. Beide Darstellungsweisen unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt: Beim Urteilsstil wird das Ergebnis der Prüfung vorangestellt und dann begründet. Im Rahmen des Gutachtenstils wird das Ergebnis in logischer Prüfung erarbeitet und erst am Ende mitgeteilt. Hier wird nur der Gutachtenstil dargestellt, da es nur auf diesen während des Studiums ankommt (beachte: dieser letzte Satz war darstellungstechnisch gesehen gerade kein Gutachtenstil, sondern Urteilsstil!). Kennzeichen des Gutachtenstils ist ein viertaktiges Verfahren. 1. Takt: Im ersten Takt wird das Ergebnis der Prüfung als möglich hingestellt. Dafür ist ein sog. Obersatz im Konjunktiv (Möglichkeitsform) zu formulieren. Bsp.: Es geht um einen Anspruch auf Arbeitsentgelt und die Fallfrage lautet: Hat K (=Kläger) gegen B (=Beklagte[r]) einen Anspruch auf Zahlung des Lohnes für den Monat Mai i.h.v brutto? Da es sich um die Frage nach einem Anspruch handelt (sog. Anspruchsklausur, typisch im ArbR sind zudem sog. Wirksamkeitsklausuren, Bsp.: Ist die Kündigung wirksam?) ist zunächst (gedanklich) folgende Frage zur beantworten: Wer will was von wem woraus?
2 Die Beantwortung dieser Frage markiert den Rahmen der gesamten Anspruchsprüfung: 2 Wer etwas verlangt ist der sog. Anspruchssteller. Die Ermittlung des Anspruchsstellers ergibt sich aus dem Sachverhalt. Meist gibt schon die konkrete Fallfrage zu erkennen, wer Anspruchssteller ist (im obigen Bsp. Hat K gegen B einen Anspruch auf Zahlung des Lohnes für den Monat Mai i.h.v brutto? ist also K der Anspruchsteller) Was verlangt wird (das sog. Anspruchsziel) ergibt sich regelmäßig auch unproblematisch aus dem Sachverhalt (im obigen Beispiel: Hat K gegen B einen Anspruch auf Zahlung des Lohnes für den Monat Mai i.h.v brutto? ist die Zahlung also das Anspruchsziel). Von wem etwas verlangt wird, ist die Frage nach dem sog. Anspruchsgegner. Hier also: Hat K gegen B einen Anspruch auf Zahlung des Lohnes für den Monat Mai i.h.v brutto?! B ist eindeutig Anspruchsgegner. Woraus ist schließlich die entscheidende Frage. Sie lässt sich nicht allein aus dem Sachverhalt ermitteln. Vielmehr ist hier auf das Gesetz zurückzugreifen. Da das deutsche Recht der Grundkonzeption nach ein Gesetzesrecht ist (gerade im Arbeitsrecht ist es aber oft anders), ist ein Anspruch nur gegeben, wenn das Gesetz einen solchen Anspruch anerkennt (sog. Anspruchsgrundlagen). Anspruchsgrundlagen sind in zwei Teile gegliedert und zwar den Tatbestand und die Rechtsfolge: Der Tatbestand enthält bestimmte Voraussetzungen, bei deren Vorliegen das Gesetz eine bestimmte Rechtsfolge anordnet ( Wenn dann. ).! Dies ist hier schwieriger und erfordert die Kenntnis des Gesetzes. Zumindest im Individualarbeitsrecht geht es aber in der Regel nur um Ansprüche auf Entgeltzahlung. Sie müssen sich als wichtigste Anspruchsgrundlage merken: 611 BGB (i.v.m. dem Arbeitsvertrag). Grund: 611 BGB enthält die gesetzliche Regelung des Dienstvertrags. Da der Arbeitsvertrag im Grunde ein Dienstvertrag ist (s. den Fall in der ersten Stunde), gilt 611 BGB auch für ihn. 611 BGB sagt nun, dass der andere Teil (= Arbeitgeber) zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist. Konkret: Der Arbeitgeber muss den vertraglich vereinbarten Lohn zahlen. Anders kann es auch nicht sein: Da Verträge
3 verbindlich sind ( pacta sunt servanda ), verpflichtet sich der Arbeitgeber zur Zahlung des vereinbarten Lohns. Anders herum: Der Arbeitnehmer hat also aus dem Vertrag einen Anspruch auf Zahlung des Lohns! 3 Im obigen Fall ergibt sich daher gemäß der Frage Wer will was von wem woraus? : - Wer = K - (will) was = Zahlung des Lohns für Mai i.h.v brutto - von wem = B - woraus = 611 BGB i.v.m. dem Arbeitsvertrag Zurück zum Obersatz: Im ersten Takt wird nun also konkret diese Feststellung in einen im Konjunktiv stehenden Obersatz umformuliert, d.h. in etwa: K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung des Lohnes für den Monat Mai i.h.v brutto aus 611 BGB i.v.m. dem Arbeitsvertrag haben. Möglich wäre bspw. auch: Ein Anspruch von K gegen B auf Zahlung des Lohnes für den Monat Mai i.h.v brutto könnte sich aus 611 BGB i.v.m. dem Arbeitsvertrag ergeben. Wichtig ist stets die Möglichkeitsform könnte etc. Beachte: Auf die Frage Wer will was von wem woraus? kommt es nur bei einer sog. Anspruchsklausur an. Bei der Wirksamkeitsklausur (Prototyp: Kündigungsschutzklage) will niemand etwas von irgendjemanden, sondern es ist nur die Frage zu klären, ob ein Rechtsakt (regelmäßig: Kündigung) wirksam ist (Feststellung). Der Obersatz lautet dann entsprechend einfacher: Die Kündigung vom könnte unwirksam sein. Siehe dazu noch weiter unten. 2. Takt: Nach Bildung des Obersatzes sind die Voraussetzungen des Anspruchs (bzw. der Wirksamkeit eines Rechtsakts) darzustellen. Zwar kennt der Leser diese i.d.r. (er kann ja das Gesetz lesen). Um jedoch prüfen zu können, ob die Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind, muss zuerst dargestellt werden, auf welche Voraussetzungen es ankommt.
4 Im o.g. Fall ist Tatbestandsvoraussetzung für das Bestehen des Zahlungsanspruchs nach 611 BGB ein wirksamer Arbeitsvertrag. Sprachlich ist zur Präsentation des Tatbestandsmerkmals an den Obersatz anzuknüpfen, in etwa: Dafür müsste ein wirksamer Arbeitsvertrag geschlossen worden sein. 4 Ist ein Tatbestandsmerkmal nicht eindeutig, muss weiter innerhalb des zweiten Takts dargestellt werden, wie dieses Merkmal zu verstehen ist [dies wird treffenderweise mancherorts (Eltzschig/Wenzel, Die Anfängerklausur im BGB) als Voraussetzung der Voraussetzung bezeichnet]! Teilweise gibt das Gesetz selbst dazu Hinweise (sog. Legaldefinitionen), in der Regel ist die Bedeutung eines Begriffs aber durch Auslegung des Gesetzes zu ermitteln (auf die Auslegungsmethoden kann hier aber nicht eingegangen werden). Zumeist haben die Rechtsprechung oder Lehre die Begriffe bereits näher konkretisiert (definiert), sodass die Kenntnis dieser Definitionen erforderlich ist. Fehlende Kenntnis kann hier das Gelingen des Gutachtens in Gefahr bringen, da alle folgenden Takte daran anknüpfen. Bsp.: Hätte B nur in der Zeitung eine Stelle inseriert und K daraufhin an B geschrieben: Ich nehme die Stelle an. wäre zu prüfen, ob dadurch schon ein Arbeitsvertrag zustande gekommen ist. Dann müsste man also weiter definieren was ein Arbeitsvertrag ist (also: die Voraussetzungen der Voraussetzung ), z.b.: Ein Arbeitsvertrag kommt nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande.. Ähnlich in Fall 1 im BK: Will K vor dem Arbeitsgericht klagen, kommt es darauf an, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt. Dann muss man also weiter präzisieren, was einen Arbeitsvertrag vom Dienstvertrag unterscheidet (dazu Fall 1). Diese Präzisierung ist notwendig, denn im 3. Takt muss festgestellt werden, ob im konkreten Fall das im zweiten Takt herausgearbeitete Tatbestandsmerkmal vorliegt. Abstrakt gesprochen wird also der Sachverhalt mit dem gesetzlichen Tatbestand in Beziehung gesetzt (sog. Subsumtion, nicht: Subsumption etc. Das entsprechende Verb lautet subsumieren, nicht etwa subsummieren! häufiger Fehler). Dafür legt man zuerst dar, was nach dem Sachverhalt passiert ist und stellt dann fest, ob dies den im 2. Takt herausgearbeiteten Voraussetzungen entspricht.
5 Diese Feststellung sollte mit Wörtern wie somit, folglich, also, daher etc. eingeleitet werden. Auf das obige Beispiel bezogen muss also nun festgestellt werden, ob im konkreten Fall ein Arbeitsvertrag vorliegt. Ist das unproblematisch, kann man sich kurz fassen, bspw.: B und K haben am ein mit Arbeitsvertrag betiteltes Dokument unterzeichnet. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte (Wirksamkeitshindernisse, fehlende Arbeitnehmereigenschaft des K) liegt somit ein Arbeitsvertrag vor. In der Variante, in der K meint, allein sein Bewerbungsschreiben ließe den Vertrag entstehen, muss dagegen unter die Voraussetzungen der Voraussetzung Arbeitsvertrag subsumiert werden, also: B hat nur ein Stellenangebot in der Zeitung inseriert. Dies stellt noch keine Willenserklärung dar. B will sich ja gerade noch nicht binden, sondern erst unter allen Bewerbern jemanden aussuchen. Mangels fehlender Willenserklärung des B ist daher kein Arbeitsvertrag zwischen K und B zustande gekommen. 5 Häufig liegt die Schwierigkeit eines Falles gerade in der Subsumtion. In diesen Fällen sollte das Problem mit einem kurzen Satz wie hier z.b. Fraglich ist hier, ob schon ein Arbeitsvertrag zustande gekommen ist eingeleitet werden. Bemerkt der Bearbeiter, dass an einer Stelle ein Problem liegen könnte, darf er also nicht einsilbig darüber hinweggehen. Gerade an solchen Stellen ist gute Argumentation notwendig. Im 4. Takt wird schließlich in Bezug auf den Obersatz das Ergebnis der Untersuchung festgestellt. Unter Zugrundelegung des obigen Beispiels also: Ein Anspruch von K gegen B auf Zahlung des Lohns für den Monat Mai i.h.v brutto besteht [nicht]. Das Ergebnis steht immer im Indikativ ( hat einen Anspruch, ein Anspruch besteht etc.)! Merke: Der Gutachtenstil wird nicht nur bei der Prüfung von Anspruchsgrundlagen angewandt, sondern bei der Prüfung einer jeden Norm, die einen Tatbestand und eine Rechtsfolge enthält. Bei der Prüfung einer Kündigungsschutzklage (nochmals: sog. Wirksamkeitsklausur) geht es bspw. darum, ob eine Kündigung wirksam ist oder nicht. Das Arbeitsrecht macht die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitgebers von vielerlei Voraussetzungen abhängig (Grund:
6 Arbeitsrecht ist Arbeitnehmerschutzrecht ), so z.b. von der Anhörung des Betriebsrats nach 102 BetrVG (lesen!) oder der sozialen Rechtfertigung nach 1 KSchG (lesen!). 6 Bei der Prüfung all dieser Voraussetzungen ist nach dem Viertaktverfahren des Gutachtenstils vorzugehen. Bei 102 Abs. 1 BetrVG (aufschlagen) also: Die Kündigung könnte nach 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam sein. Dies ist der Fall, wenn der Betriebsrat vor der Kündigung nicht angehört wurde. Voraussetzung ist daher zunächst, dass überhaupt ein Betriebsrat im Betrieb des B existiert. [nur ein Bsp.:] Laut Sachverhalt wurde im letzten Jahr ein Betriebsrat gewählt. Ein solcher existiert somit im Betrieb des B. Weiterhin müsste der Betriebsrat nicht angehört worden sein. [wieder z.b.:] Der Arbeitgeber hat am dem Betriebsrat alle notwendigen Informationen hinsichtlich der Kündigung des K mitgeteilt und erst am die Kündigung erklärt. Der Betriebsrat wurde folglich vor der Kündigung ordnungsgemäß angehört. Damit ist die Kündigung nicht nach 102 Abs. 1 S: 3 BetrVG unwirksam. Der Gutachtenstil sollte besonders geübt werden. Hat man diese Darstellungsweise erst einmal verinnerlicht, merkt man, dass eine solch stringente Darstellung bei unproblematischen Tatbestandsmerkmalen nicht immer notwendig ist. Besonderheit bei Klagen: Anders als in zivilrechtlichen Klausuren rückt in arbeitsrechtlichen Klausuren der Praxisbezug in den Vordergrund. Gefragt ist regelmäßig nicht nur nach dem Bestehen eines Anspruchs oder der Wirksamkeit einer Kündigung, sonders dies wird in den Kontext einer Klage vor dem Arbeitsgericht eingebettet. Demgemäß muss sich auch der Obersatz jeweils auf die Zulässigkeit der Klage und die Begründetheit der Klage beziehen. Wird nach den Erfolgsaussichten einer Klage gefragt, lautet der erste Satz in einer Klausur daher immer: Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
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