Ausgangsfall zu Art. 4 I, II GG
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- Katrin Steinmann
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1 Ausgangsfall zu Art. 4 I, II GG Die Sekte Universelles Leben versteht sich selbst als urchristliche Gemeinde, die von einer selbsternannten Prophetin geleitet wird; zu den Lehren der Gruppe zählt u.a. der strikte Verzicht auf die Tötung tierischen Lebens. Am Niederrhein besitzt die Sekte ein weitläufiges Grundstück, das hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen ist. Die zuständige Jagdbehörde gibt der Gruppe nunmehr auf, den (erheblichen) Wildbestand auf dem Grundstück entweder selbst zu bejagen oder von staatlich bestallten Jägern bejagen zu lassen, um Wildschäden an der Natur sowie an Nachbargrundstücken zu verhindern. Die Sektenführerin beruft sich gegen diesen Bescheid auf die Religionsfreiheit der Gruppe. Zu recht? Religionsfreiheit als einheitliches Grundrecht (I) Wortlaut von Art. 4 I, II GG legt Differenzierung von Glauben (haben), Bekennen (Abs. 1) und ungestörter Religionsausübung (Abs. 2) sowie unterschiedlichem Schutz nahe Rechtsprechung und weit überwiegende Lehre: einheitliches Grundrecht der Religionsfreiheit Gängige Differenzierung nach forum internum und forum externum daher rechtlich eigentlich irrelevant Wichtiger: Geschützt ist auch die negative Religionsfreiheit (allerdings: kein Konfrontationsschutz) Ferner: Gleichstellung von Religion (Transzendenz) und Weltanschauung (Immanenz) Normzweck: Schutz individueller und kollektiver Sinnsuche 1
2 1. Religionsfreiheit als einheitliches Grundrecht (II) Wer kann sich auf Art. 4 I, II GG berufen? Unstrittig volljährige Einzelpersonen unabhängig von ihrer Nationalität Religionsgemeinschaften/Religionsgesellschaften; Herleitung strittig (Art. 4 I, II GG; Art. 19 III GG; Art. 140 GG i.v.m. Art. 137 II, III WRV) Sonstige Vereinigungen nach Art. 19 III GG Minderjährige nach 5 KErzG (1921): Religionsmündigkeit ab 14. Lebensjahr, Vetoposition gegen Wechsel ab dem zwölften Lebensjahr Kein abendländischer oder Kulturvorbehalt 2. Religionsfreiheit als Selbstverständnis-Grundrecht BVerfGE 24, 236 (1968) Aktion Rumpelkammer: Selbstverständnis der Grundrechtsträger ist bei der Bestimmung des Schutzbereichs maßgeblich zu berücksichtigen Sorge: Individualisierung, ja Atomisierung wer bestimmt über die Freiheitsrechte? Praxis: Problem der Plausibilisierung dieses Selbstverständnisses Wessen Selbstverständnis genau? BVerwG: gesamte Religionsgemeinschaft ( der Islam [!]) BVerfG: Bezugsgruppe, etwa Kundenkreis des muslim. Metzgers Literatur A: letztlich individuelles Selbstverständnis Literatur B: Rückbindung an (unterschiedlich weit geschnittene) Bezugsgruppe 2
3 3. Religionsfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht (I) BVerfG und noch h.m.: Art. 4 I, II GG ist vorbehaltlos gewährleistet, also nur durch Grundrechte Dritter oder Rechtswerte von Verfassungsrang (Art. 20a GG) einschränkbar Stärker werdende Gegenauffassung: Art. 140 GG i.v.m. Art. 136 I WRV ( Pflichten [ ] [nicht] beschränkt ) unterwirft Art. 4 I, II GG einem Vorbehalt sog. Allgemeiner Gesetze (vgl. Art. 5 II GG), also solcher Gesetze, die sich nicht gezielt gegen die Religion richten Teils weitere Differenzierung nach Art. 4 I u. II GG (Glauben vorbehaltlos, Ausübung beschränkt) Hintergrund: Islam (Schachtschneider!) 3. Religionsfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht (II) Argumente pro & contra Gesetzesvorbehalt in Art. 135 WRV bewußt nicht mitübernommen (aber: terminologische Unklarheit im Parl. Rat) Art. 136 I WRV von Art. 4 I, II GG überlagert (aber: Art. 140 GG schafft vollgültiges Verfassungsrecht ) Art. 136 I WRV ist ungeachtet seines Wortlauts als Gleichheitsrecht, nicht als Einschränkung gedacht Schwierigkeit der Bestimmung allgemeiner Gesetze Bspe. Zinsverbot und Helmpflicht; Gefahr des westlichen Bias 3
4 4. Religionsfreiheit als ausuferndes Grundrecht? Weitere Festlegung in BVerfGE 24, 236: Art. 4 I, II GG schützt auch die Freiheit, nach den Normen des Glaubens zu handeln Konsequenz: Abgrenzungsschwierigkeiten zur sog. Allg. Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) es gibt keine Handlung, die nicht von der Religionsfreiheit geschützt sein kann (entsprechendes Selbstverständnis vorausgesetzt) Erfaßt nicht nur unmittelbare Ge- und Verbote, sondern Alltagsvollzug (Bspe.: Speisevorschriften, Zivilehe) Kritik: Hypertrophie des Grundrechts; Einschränkung namentlich eingedenk der Scharia geboten 5. Gewissensfreiheit Gewissen ist eine moralische Haltung, die dem einzelnen Handlungen oder Normen verpflichtend vorgibt Selbstverständnis des Gewissensträgers ist hierfür entscheidend zur Reichweite der geschützten Tätigkeiten gilt das zur Religionsfreiheit Gesagte die Gewissensfreiheit ist nur als Individualgrundrecht ausgelegt der Gewissensfreiheit kommt eine Auffangfunktion zu: Handlungen, die also weder eindeutig der Religions- noch der Weltanschauungsfreiheit unterfallen, können u.u. der Gewissensfreiheit zugeordnet werden Bsp.: Totalverweigerer Befehlsverweigerung des Soldaten Weigerung, die Stromrechnung wegen der Produktion von Atomstrom zu bezahlen Steuerzahlung 148 4
5 6. Art. 4 III GG Kriegsdienstverweigerung Art. 4 III GG ist lex specialis zu Abs. 1 u. 2 Dienst mit der Waffe ist sowohl die eigene Waffenanwendung als auch die Unterstützung fremder Waffenanwendungen in Kriegs- wie Friedenszeiten zum Gewissensbegriff selbst gilt das zu Art. 4 I, II GG Gesagte Gewissensentscheidung gem. Art. 4 III GG muß sich gegen das Töten im Kriege schlechthin richten, so daß situationsbedingte Kriegsdienstverweigerungen nicht anerkannt werden bzgl. der Gewissensfreiheit ist Art. 12a II 1 GG Eingriffsermächtigung, während S. 2 u. 3 Schranken- Schranken darstellen 149 5
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