Propädeutische Übung Verfassungsrecht, Grundkurs II Sommersemester A. Allgemeines
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- Paulina Förstner
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1 Propädeutische Übung Verfassungsrecht, Grundkurs II Sommersemester 2005 A. Allgemeines I. Grundrechte im Grundgesetz Regelung der Grundrechte in den Art. 1 bis 19 GG Regelung grundrechtsgleicher Rechte in den Art. 20 Abs. 4, 33, 38,101, 103, 104 GG Subjektiver Gewährleistungsgehalt von Grundrechten - Abwehrrechte (z.b. Art. 5 Abs. 1 GG) - Leistungsrechte: Derivative Teilhaberechte (z.b.. Art. 3 Abs. 1 GG), Schutzrechte (z.b. Art. 2 Abs. 2 Satz1 GG) und originäre Leistungsrechte (Existenzminimum) - Mitwirkungsrechte (z.b. Art. 38 Abs. 1 GG) Objektiver Gewährleistungsinhalt von Grundrechten - Einrichtungsgarantien: Institutionelle Garantie (z.b. Art. 33 Abs. 5 GG), Institutionsgarantie (z.b. Art. 14 Abs. 1 GG) - Grundrechte als objektive Werteordnung (z.b. Art. 5 Abs. 1 GG) II. Grundrechtsberechtigung Definition: Fähigkeit von Personen, Träger von Grundrechten zu sein. Unterscheidung zw. Menschen- und Bürgerrechten (z.b. Art. 3 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG): Grundrechtsberechtigung inländischer juristischer Personen des privaten Rechts gem. Art. 19 Abs. 3 GG: Es sind alle Personenmehrheiten und Organisationen mit Rechtsfähigkeit berechtigt sofern die Grundrechte dem Wesen nach (personales Substrat und grundrechtstypische Gefährdungslage) auf sie anwendbar sind - z.b. haben juristische Personen keine Menschenwürde. Abgrenzung zur Grundrechtsmündigkeit: Fähigkeit, sich selbständig auf Grundrechte berufen zu können. Seite 1
2 III. Grundrechtsverpflichtete Wirkung der Grundrechte Art. 1 Abs. 3 GG: Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Nur mittelbare Drittwirkung von Grundrechten unter Privaten über Generalklauseln (z.b. 138, 242 BGB). Seite 2
3 B. Prüfung der Verletzung eines Freiheitsrechts Das BVerfG dient nicht als Superrevisionsinstanz. Die Prüfung ist folglich auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts zu beschränken. Obersatz I. Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts? 1. Schutzbereich einschlägig? Abgrenzung zw. personellem und sachlichem Schutzbereich Der Regelungsbereich bestimmt den Lebensbereich, den das entsprechende Grundrecht regelt (z.b. regelt Art. 8 GG das Zusammenkommen von Menschen). Der Schutzbereich ist der geschützte Lebensbereich innerhalb des Regelungsbereichs (z.b. schützt Art. 8 GG nur friedliche Versammlungen ohne Waffen). Die Ausgestaltung des Schutzbereichs erfolgt bei sog. rechts- o. normgeprägten Schutzbereichen (z.b. Bestimmung der Ehe in Art. 6 GG) durch einfache Gesetze. Auch bei anderen Schutzbereichen kann eine Konkretisierung durch einfache Gesetze erfolgen. 2. Eingriff in den Schutzbereich? Eingriff ist jede staatliche Maßnahme, durch die ein vom Schutzbereich des Grundrechts umfasstes Verhalten beeinträchtigt wird. Der klassische Eingriffsbegriff: Ein Eingriff muss final und nicht bloß unbeabsichtigte Folge eines auf andere Ziele gerichteten Staatshandelns sein sowie unmittelbare (direkter Eingriff) und nicht bloß mittelbare Folge des Staatshandelns sein. Der moderne Eingriffsbegriff: Ein Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht, auch wenn kein klassischer Eingriff vorliegt. Die Wirkung muss von einem zurechenbaren Verhalten der öffentlichen Gewalt ausgehen. Beispiele: Förderung eines Vereins, der vor Sekten warnt; Warnungen vor Produkten eines Herstellers mit Auswirkung auf andere Produkte dieses Herstellers Seite 3
4 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs? 1. Schranken des Grundrechts: a) Verfassungsunmittelbare Schranken eines Grundrechts (z.b. Art. 9 Abs. 2 GG) b) Einfacher Gesetzesvorbehalt (z.b. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) c) Qualifizierter Gesetzesvorbehalt (z.b. Art. 5 Abs. 2 GG) d) Grundrechtsimmanente Schranken 2. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage? a) Formelle Verfassungsmäßigkeit (Staatsorganisationsrecht) b) Materielle Verfassungsmäßigkeit aa) Genügt das einschränkende Gesetz den Anforderungen (z.b. Art. 5 Abs. 2 GG) bb) Verbot des Einzelfallgesetzes, Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG cc) Zitiergebot, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG (z.b. 20 VersammlG) dd) Übereinstimmung mit sonstigem Verfassungsrecht z.b. Bestimmtheitsgrundsatz, Rückwirkungsverbot, Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, Vorbehalt des Gesetzes ee) Verhältnismäßigkeit (Spielraum des Gesetzgebers) - legitimer Zweck - legitimes Mittel - geeignetes/taugliches Mittel zur Erreichung des Zwecks - Erforderlichkeit des Mittels (kein milderes Mittel verfügbar) - Angemessenheit des Mittels (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) ff) Wesensgehaltsgarantie, Art. 19 Abs. 2 GG 3. Verfassungsmäßigkeit des Einzelaktes? Hier darf keine Prüfung der Voraussetzungen des betroffenen Gesetzes erfolgen, da im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts geprüft wird! Es ist zu überprüfen, ob das Gesetz grundrechtskonform angewandt wurde (insb. verhältnismäßige Anwendung des Gesetzes, Bestimmtheitsgrundsatz). Seite 4
5 C. Die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG I. Schutzbereich Die allgemeine Handlungsfreiheit schützt jedes menschliche Verhalten unabhängig von dessen Gewicht für die Persönlichkeitsentfaltung. Jede Beeinträchtigung des Bürgers durch den Staat bedarf der Rechtfertigung! II. Soweit Schutzbereiche speziellerer Grundrechte einschlägig sind, tritt die allgemeine Handlungsfreiheit gegenüber diesen spezielleren Grundrechten zurück.. Ein spezielleres Grundrecht ist auch dann einschlägig, wenn es wegen der Rechtfertigung eines Eingriffs keinen Schutz bietet. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird aus Art. 2 Abs. 1 GG i.v.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet (Schutz der familienrechtliche Selbstbestimmung, der Selbstdarstellung, der informationellen Selbstbestimmung etc.). Schrankentrias Verfassungsmäßige Ordnung (d.h. sämtliche Normen, die im Einklang mit der Verfassung stehen) Rechte anderer Sittengesetz D. Übungsfall Reiten im Walde (vgl. BVerfGE 80, 137) Ein formell verfassungsgemäßes Landesgesetz verbietet das Reiten im Walde auf solchen Wegen, die nicht als Reitwege gekennzeichnet sind. Dadurch sollen insbesondere Wanderer und Spaziergänger geschützt werden. X möchte jedoch auf allen Wegen reiten. Er ist der Ansicht, die Regelung sei zum Schutz anderer Personen im Walde nicht erforderlich. Verstößt das Landesgesetz gegen die Grundrechte des X? Seite 5
6 Lösungsskizze zum Übungsfall Das Landesgesetz könnte gegen das Grundrecht des X der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG verstoßen. Dies ist der Fall, wenn der Schutzbereich des Grundrechts eröffnet ist, das Landesgesetz in diesen eingreift und der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. I. Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts? 1. Schutz jeden menschlichen Verhaltens inklusive des Reitens im Walde. 2. Eingriff durch das Landesgesetz, welches die Möglichkeit des Reitens im Walde beeinträchtigt. II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs? 1. Schranken den Grundrechts: Schrankentrias, Art. 2 Abs. 1 GG hier insb.: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit durch das Landesgesetz als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung i.s.d. Art. 2 Abs. 1 GG? Die verfassungsmäßige Ordnung umfasst sämtliche Normen, die im Einklang mit der Verfassung stehen. 2. Verfassungsmäßigkeit des Landesgesetz als gesetzlichen Grundlage? a) Formelle Verfassungsmäßigkeit (lt. Sachverhalt gegeben) b) Materielle Verfassungsmäßigkeit... xx) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht... yy) Verhältnismäßigkeit - Schutz der Wanderer als legitimer Zweck. - Reitverbot als legitimes Mittel - Reitverbot als geeignetes Mittel, da damit die Konfrontation von Wanderern und Reitern vermieden wird. - Kein milderes Mittel verfügbar? Ein Verbot für Wanderer ist kein geeignetes Mittel, um Wanderer auf Reitwegen zu schützen. - Angemessenheit des Mittels? Abwägung der Interessen der Wanderer und der Interessen der Reiter. 3. Ergebnis... Seite 6
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