Förderung der Veränderungsbereitschaft
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- Chantal Melsbach
- vor 7 Jahren
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1 Förderung der Veränderungsbereitschaft Zusammengestellt von Jutta Hellwig Zur Einschätzung der Motivationslage unserer Patienten erscheint es sinnvoll, zunächst wahrzunehmen, in welcher Phase im Veränderungsprozess er sich befindet. Deshalb möchte ich zunächst kurz die fünf Ebenen eines Veränderungsprozesses darstellen: 1. Absichtslosigkeit Auf dieser Ebene sind sich die Betroffenen üblicherweise nicht bewusst, dass ein Problem existiert und haben dementsprechend auch keine Intention, ihr Verhalten in absehbarer Zukunft zu verändern. Fragen nach Problembereichen oder Symptomen werden meistens verneint. Menschen, die sich in der Phase der Absichtslosigkeit befinden wurden meistens von ihrer Umgebung dazu veranlasst. Aus der Perspektive des Patienten ist es verständlich, wenn keine Motivation zu einer Änderung besteht. Dies bedeutet aber nicht, dass sich beim Patienten gar nichts ändert. Die vertiefte Akoholanamnese und das detaillierte Fragen nach Symptomen hinterlassen in der Regel eine sensibilisierte Wahrnehmung, die zu einem späteren Zeitpunkt sehr wohl zu einer kritischen Bewertung des Trinkverhaltens führen kann. 2. Absichtsbildung Der Patient erkennt, dass sein Alkoholkonsum zu gewissen Schwierigkeiten führte. Es ist ihm jedoch unklar, ob er etwas dagegen unternehmen sollte oder nicht und über die genaue Zielsetzung ist er sich auch noch nicht sicher. Er hat in dieser Phase aber genügend Einsicht oder Mut, sein Konsumverhalten einer fremden Person gegenüber als zumindest teilweise problematisch zu deklarieren ( coming out ). In dieser Phase wiegen Personen die Pro s und Contra s ihrer süchtigen Verhaltensweisen gegeneinander ab, dabei überschätzen sie entweder die Vorteile oder sei unterschätzen die Nachteile ihrer süchtigen Verhaltensweisen. 3. Entscheidungsfindung In dieser Phase haben Patienten die Absicht, sich zu verändern, sich aber noch kein spezifisches Ziel gesetzt. Der Patient bereitet sich also innerlich zu einer Veränderung vor. Er wird sich überlegen, welche Veränderungen am wenigsten einschneidend sind, aber gleichwohl noch Wirkung zeigen. 4. Handlung In dieser Phase bemühen sich Patienten durch entsprechende Handlungen darum, ihre Vorteile bzw. ihren Gewinn zu festigen oder weiter auszubauen, besonders um einen Rückfall in süchtige Verhaltensweisen zu verhindern. Vortrag Fachtagung ALG II Seite 1 von 5 Stand:
2 5. Aufrechterhaltung In dieser Phase sind Menschen darum bemüht, neben ihren eigenen Verhaltensweisen auch ihr Umfeld zu verändern, um ihr erreichtes Ziel zu festigen. Die Vorteile einer dauerhaften Abstinenz treten stärker ins Bewusstsein, z. B. dass die Genussfähigkeit steigt, unterstützende Kontakte geknüpft oder wiederaufgenommen werden und auch die Erfahrung gemacht wird, mit Problemen besser umgehen zu können. In der Regel verläuft der Veränderungsprozess nicht linear, sondern meistens werden einzelne Phasen mehrfach durchlaufen. Diese Tatsache mag oft frustrierend für Behandler erscheinen, ist jedoch fast unumgänglich zur Festigung einer Veränderungsbereitschaft. Veränderung stellt immer einen Lernprozess dar, den viele Patienten mehrmals durchlaufen, bis sie eine stabile Veränderung erreicht haben. Das Personen jedoch prinzipiell dazu in der Lage sind, süchtige Verhaltensweisen einzustellen bedeutet auf jeden Fall in erster Linie einen Fortschritt, kleinere Rückschläge sind meistens nur von kurzer Dauer. Bis neue Einstellungen und Verhaltensweisen sich festigen dauert es eben einfach seine Zeit. Mit jedem Rückschritt erleben Klienten auch neue Erfahrungen, die hilfreich sind, um Fortschritte zu stabilisieren. Förderung der Veränderungsbereitschaft Die Beziehung zwischen Berater/Therapeut und Patient bilden den Grundstein unserer Arbeit, sie birgt in sich bereits einen therapeutischen Wert. Ihre Qualität beeinflusst den Erfolg unserer Aktivität. Ein gutes Gespräch und eine wirksame Kommunikation sind kein Zufallsprodukt. Ein guter Kommunikator ist nicht einfach ein Naturtalent. Vielmehr hat er bewusst oder unbewusst gelernt, welche Fertigkeiten und Methoden zum besseren Verstehen und Verstandenwerden beitragen. Im Folgenden möchte ich darstellen, mit welcher Grundhaltung des Therapeuten bestimmte Themen mit dem Patienten besprochen werden sollten, unter Anwendung bestimmter Methoden, um einen Veränderungsprozess einzuleiten und zu festigen. Grundhaltung des Therapeuten Empathie Eine deutlich empathische Haltung des Therapeuten ist der Schlüssel um einen Austausch zum Patienten herzustellen. Wir sollten die Situation des Patienten würdigen und akzeptieren, ihn verstehen ohne unsere eigenen Bewertungen einzubringen. Wir sollten versuchen, uns in den Patienten hineinzuversetzen und seine Gefühlslage nachzuempfinden. Durch eine entsprechende Rückmeldung fühlt sich der Patient verstanden. Diskrepanz entwickeln Es ist hilfreich, gezielt auf Diskrepanzen in der Darstellung von wichtigen Lebenszielen des Patienten und seinem gegenwärtigen Verhalten bzw. den Effekten des Alkoholkonsums genau zu achten und diese bewusst zu machen, indem wir sie Vortrag Fachtagung ALG II Seite 2 von 5 Stand:
3 ansprechen. Z.B. können wir Zukunftserwartungen ansprechen: Was wünschen Sie sich? Wie möchten Sie, dass ihr Leben / Ihr Alltag aussieht? Damit kann ein Ist- Soll-Vergleich vorgenommen werden und die Diskrepanzen werden sichtbar. Hiermit erzeugen wir eine kognitive Dissonanz, die den Patienten zum weiteren Nachdenken anregt. Wichtig hierbei ist das nicht wir Therapeuten die Argumente für eine Veränderung liefern, sondern der Patient selbst. Argumentieren vermeiden Negative Konfrontation unsererseits und auch Argumente sind kontraproduktiv und erzeugen Widerstand. Wann immer wir versuchen, unseren Standpunkt zu verteidigen, erzeugen wir hiermit widerum eine Verteidigungs- oder Kampfhaltung. Widerstand ist ein deutliches Signal dafür, die Beratungsstrategie zu ändern. Etikettierungen wie z. B. Sie sind alkoholabhängig sind unnötig zur Entwicklung von Veränderungsbereitschaft. Mit dem Widerstand arbeiten Widerstand ist ein Zeichen dafür, dass man zu schnell vorankommen wollte. Ambivalenzen und Widerstände sollten nicht bekämpft, sondern bewusst gemacht und akzeptiert werden. Hilfreich für unsere eigene Haltung könnte dabei unsere Überzeugung sein, das Wahrnehmungen sich verändern können; neue Perspektiven des Patienten zwar erwünscht, aber nicht verordnet sind und vor allem, dass Patienten eigene Ressourcen haben, um Problemlösungen zu finden. Außerdem ist die Abwehr einer Konfliktsituation ein Schutz gegenüber der bedrohlich erlebten Realität und kann als Ausdruck von Angst verstanden werden. Den Glauben an die eigenen Fähigkeiten fördern Indem man bewusst die persönlichen Möglichkeiten und Ressourcen des Patienten erarbeitet und diese auch betont, fördert man die Entwicklung von der Überzeugung in die eigene Kraft zur Veränderung. Trotz all unserer Angebote sind letztendlich die Patienten selbst verantwortlich für die Art und die Durchführung einer Veränderung. Stehen mehrere alternative Veränderungsstrategien zur Verfügung, so kann der Patient hieraus leichter für sich einen Weg entdecken. Wirksame Kommunikation verlangt ein Verstehen von Inhalt- und Beziehungsbotschaft (verbale und nonverbale Kommunikation). Dies bedeutet, dass wir im Gespräch nicht nur auf den Inhalt achten, sondern auch, in welcher Beziehungsform wir mit dem Partner stehen. Grundvoraussetzung für eine wirksame Kommunikation sind: - die eigene Echtheit - die uneingeschränkte Wertschätzung des Patienten Voraussetzung für die Anwendung beziehungsfördernder und beraterischer Massnahmen ist, dass wir ein echtes Interesse daran haben, unseren Patienten bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen und dafür mit ihnen auch ehrlich und offen zusammenarbeiten. Vortrag Fachtagung ALG II Seite 3 von 5 Stand:
4 Themen Die guten Dinge Die guten Dinge sollten insbesondere zu Beginn des Kontaktes besprochen werden. Wir sollten darauf gefasst sein, dass die Patienten andere Dinge als gut bewerten, als wir selbst. Mit eigenen Bewertungen sollte dabei zurückhaltend umgegangen werden. Die weniger guten Dinge Im Anschluss an die guten Dinge werden die weniger guten Dinge häufig von selbst angesprochen. Diese sollten jedoch sehr behutsam formuliert werden. Die Gegenüberstellung der guten und weniger guten Dinge verdeutlicht die Möglichkeit, dass man zwischen Vor- und Nachteilen wählen kann. Auch hier sollte mit eigenen Bewertungen zurückhaltend umgegangen werden. Lebenszufriedenheit Hierzu gehört die Reflektion von früheren oder derzeitigen Vorstellungen, Wünschen, Plänen bzw. Ideen zur künftigen persönlichen Entwicklung in einzelnen Lebensbereichen wie z. B.: Arbeit, Familie, Freunde, Wohnsituation, finanzielle Situation, Freizeitgestaltung etc. Probleme oder Sorgen Im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum gibt es zwar objektive Probleme, die aber nicht unbedingt eine subjektive Sorge des Patienten ausdrücken. Wir sollten die Gefühle und Gedanken des Klienten bezüglich einzelner Lebenssituationen erfragen und herausfinden, inwieweit der Patient selbst hierin ein Problem oder eine Sorge erkennt. Kosten-Nutzen-Analyse Hier werden die Vor- und Nachteile der gegenwärtigen Situation und die Vor- und Nachteile einer Veränderung in einer Vier-Felder-Tafel gegenüber gestellt. Hierin hat der Patient die Möglichkeit, seine eigenen Argumente gegenüber gestellt betrachten zu können, um eine eigene Gewichtung vorzunehmen, die hilfreich sein kann, um eine Veränderung einzuleiten. Emotionale Bestandsaufnahme Hierbei wird der Fokus auf bisher noch nicht genannte Unzufriedenheiten mit der gegenwärtigen Lebensgestaltung gelenkt. Wir können den Patienten einladen, sich selbst zum einen ohne den Einfluss von Alkohol und zum anderen unter dem Einfluss von Alkohol zu betrachten und zu beschreiben. Pläne für die nächste Zukunft Unter aller vorher behandelten Themen sollten nun die nächsten Schritte ins Auge gefasst werden. Es empfiehlt sich, diesen Teil des Gespräches mit einer Zusammenfassung des bisher erarbeiteten zu beginnen und dann eine Frage anzuschließen, was dies nun für den Patienten bedeute. Vortrag Fachtagung ALG II Seite 4 von 5 Stand:
5 Methoden Offene Fragen stellen Dies sind Fragen, die den Patienten ermutigen sollen, über sich zu erzählen, wie z. B.: Ich möchte gerne verstehen, wie Sie die Dinge sehen, was hat Sie hierher geführt? Wo hat es Probleme gegeben?. Reflektierend zuhören Reflektierend zuhören bedeutet, das widerspiegeln von nonverbalen und verbalen Äußerungen z. B. Auf der einen Seite wollen Sie nicht ausschließen, auch zukünftig wieder Alkohol zu trinken, aber auf der anderen Seite wollen Sie in der Lage sein, mit Ihrer schwierigen Lebenssituation fertig zu werden. Können Sie mir ein bisschen mehr darüber erzählen? Bestätigen Bestätigen meint, auf die Schilderungen des Patienten mit direkten Äußerungen zu antworten, die Verständnis und Würdigung mitteilen. Auch die Fähigkeiten und Stärken herauszusuchen und zu bestätigen ist hilfreich für den Aufbau von Selbstwirksamkeitserwartung. Äußerungen zur Eigenmotivation herausarbeiten Alle Entwicklungen zur Veränderungsbereitschaft, die der Patient bisher auf kognitiver, emotionaler oder verhaltensbezogener Ebene zu erkennen gegeben hat, können wir ihm widerspiegeln, wie z. B. nonverbale Mitteilungen: Über den Gesichtsausdruck, die Körperhaltung, Gesten Fragen nach Problembereichen oder Symptomen werden meistens verneint. etc. Wichtig hierbei erscheint auch, die bisherigen Schritte des Patienten zu bestätigen, z. B. die Tatsache, dass er die stationäre Entwöhnungsbehandlung bereits aufgenommen hat, was an sich schon eine Veränderungsabsicht darstellt. Wir können an dieser Stelle jedoch auch die positive Selbsteinschätzung des Patienten erfragen z. B. Was lässt Sie glauben, dass Sie es schaffen, wenn sie sich jetzt für eine Veränderung entscheiden. Zusammenfassen Am Ende eines jeden Gespräches und auch am Anfang des nächsten Gespräches sollten Gesprächsinhalte, Ergebnisse und auch Ambivalenzen zusammengefasst werden. Hiermit werden die Erfolge des Klienten bzw. auch seine Fortschritte bestärkt und damit sein Selbstbewusstsein aufgebaut. Literatur Kuhlmann, T. (2005). Motivational Interviewing. Suchttherapie 2005; 6: Miller WR, Rollnick, S. (2002). Motivational Interviewing: preparing people to change addictive behavior. 2 nd Editon. New York/London: Guilford Press Prochaska JO, Di Clemente, CC (1982). Transtheoretical therapy toward a more integrative model of chance. Psychotherapie: Research & Practice: 19: Sieber, M. (2004). Motivational Interviewing: Motivationsmodelle und Gesprächsführung. Vortrag Fachtagung ALG II Seite 5 von 5 Stand:
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