Motivierende Gesprächsführung bei älteren Menschen
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- Liane Sachs
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Transkript
1 Selbstbestimmt im Alter? Alkohol und Medikamente im Blick Würzburg, Motivierende Gesprächsführung bei älteren Menschen Dr. Georg Kremer von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel, Bethel.regional
2 DHS: Hamm 2011 Mit älteren Menschen über Suchtmittelgebrauch sprechen? Auf jeden Fall! Motivational Interviewing (MI) Motivierende Gesprächsführung
3 Thomas Bock zum Thema Compliance Compliance Kritik eines überholten Konzepts Compliance kann keine einseitige Vorleistung des Patienten sein, der gefälligst übernehmen soll, was wir für richtig halten. Compliance bedeutet Kooperation. Ob und wie eine Kooperation entsteht, hängt von allen Beteiligten ab. Es geht also um eine gemeinsame Anstrengung. Und so ist Non-Compliance nicht einfach dem Patienten oder seiner besonders schweren Krankheit anzulasten, sondern vielleicht auch uns und unserer mangelnden Flexibilität, Fantasielosigkeit und unserem einseitigen medizinischen Beziehungsangebot. Thomas Bock, Hamburg
4 Compliance: Moderne Definition Unter Compliance versteht man die aktive Mitarbeit des Patienten im Kontext des Krankheitsmanagements. (Petermann & Tampe 2002) Gemeinsam getragene Problemdefinition Gemeinsam getragene Therapieentscheidung Regelmäßige gemeinsame Überprüfung und ggfs. Korrektur
5 Motivierende Gesprächsführung - Konzeptentwicklung Motivational Interviewing Motivierende Gesprächsführung 1983 als Begriff von William R. Miller eingeführt Seitdem hunderte konzeptionelle und empirische Veröffentlichungen 1991 Buchveröffentlichung Guilford Press, New York 1999 deutsche Ausgabe, Lambertus-Verlag (Übersetzung Georg Kremer, Bernhard Schroer) 2002 zweite überarbeitete Auflage 2004 deutsche Ausgabe, Lambertus-Verlag (Übersetzung Rigo Brueck) 2012 dritte überarbeitete Auflage (seit Oktober 2015 in deutsch erhältlich)
6 Definition Motivational Interviewing Motivierende Gesprächsführung Motivational Interviewing ist eine personenzentrierte, direktive Methode der Kommunikation mit dem Ziel, die intrinsische Motivation zur Verhaltensänderung durch die Bearbeitung und Überwindung von Ambivalenz zu erhöhen.
7 Alter und Sucht: Ambivalenz Ambivalenz - Widerstreit der Kräfte Stärke der Kräfte Nein, ich will nicht! -Kräfte Ja, ich will! -Kräfte Aufhören zu rauchen (+-) Zeitliche Nähe zum Ziel
8 Motivational Zielgruppe Interviewing Motivierende Gesprächsführung Zielgruppe Die motivierende Gesprächsführung wurde vor allem für Klientinnen und Klienten entwickelt, die ambivalent und wenig bereit sind, sich in Richtung Veränderung zu bewegen. Je widerspenstiger (oppositionell, ärgerlich) eine Klientin ist, desto größer scheint ein Vorteil dieser Form der Gesprächsführung zu sein. Arkowitz & Miller 2010: 19
9 Motivational Interviewing Motivierende Gesprächsführung Grundhaltung Dem Reflex widerstehen, den Patienten zu korrigieren. Der Patientin gut zuhören. Die Motivation des Patienten verstehen. Die Patientin stärken.
10 Motivational Interviewing Motivierende Gesprächsführung Partizipative Entscheidungsfindung Wie kann ich den Beratungs- und Behandlungsprozess so gestalten, dass mein Expertentum und das des Klienten, der Patientin miteinander geschmeidig korrespondieren?
11 Motivational Interviewing Motivierende Gesprächsführung: Botschaften Motivierende Gesprächsführung Grundannahmen Patientin ist Expertin ihrer selbst. Ambivalenz ist ein normaler Teil menschlichen Erlebens und Verhaltens. Widerstand ist ein Interaktionsphänomen.
12 Stadien der Änderungsmotivation (vereinfacht nach Prochaska & DiClemente) Haben Sie die Absicht, an dem Verhalten, über das wir gesprochen haben, etwas zu verändern? Aufrechterhaltung Bin schon seit mehr als einem halben Jahr dabei. Absichtslosigkeit Nein, habe ich nicht vor. Handlung Bin schon seit einigen Wochen dabei. Vorbereitung Ja, ich habe mich entschieden. Absichtsbildung Nein, aber ich denke darüber nach.
13 Absichtslosigkeit Absichtsbildung Handlung
14 Motivational Interviewing Motivierende Gesprächsführung Motivation: Definition Motivation braucht immer ein Ziel ( Im Hinblick auf...) Wahrscheinlichkeit, mit der jemand eine spezifische Veränderungsstrategie ergreift und daran festhält Wahrscheinlichkeitsmaß unterliegt Schwankungen. Wechselwirkungen zwischen individuellen, interpersonellen und strukturellen Bedingungen Resultat aus Wichtigkeit und Zuversicht.
15 Motivational Interviewing Motivierende Gesprächsführung Motivation: Wichtigkeit und Zuversicht Wichtigkeit Ich muss etwas ändern! + Zuversicht Ich weiss auch schon wie! stark stabil = hoch konkret Bereitschaft zur Veränderung Motivation
16 Erkennen: Der SMAST-Geriatric Version DHS, Barmer, GEK: Hamm 2013
17 Offene Fragen stellen Reflektierend zuhören Würdigen MI Kernkompetenzen Zusammenfassen Informieren und Ratschläge geben
18 Empfehlungen für das motivierende Gespräch Beginnen Sie mit einem Thema, das für die angesprochene Person von Interesse ist und zugleich mit dem Substanzkonsum in Verbindung steht. Beispiel: Sie haben mir erzählt, dass Sie oft alleine sind. Welche Bedeutung hat der Alkohol für Sie in diesen Momenten? Stellen Sie möglichst offene Fragen, die die betroffene Person zum Erzählen anregen. Beispiel: Wie hat sich Ihr Trinkverhalten in den letzten Jahren verändert? Teilen Sie Ihrerseits der angesprochenen Person mit, was Sie an Auffälligkeiten und Veränderungen wahrgenommen haben. Verzichten Sie dabei auf Konfrontation, Beweisführung, Etikettierung, Moralisieren! DHS, Barmer, GEK: Hamm 2013
19 Empfehlungen für das motivierende Gespräch Nach der Funktion des Konsums fragen Frau Lehmann, Sie haben mir erzählt, dass Sie sich oft Sorgen machen, was im weiteren Alter auf Sie zukommen wird. Wie hilft Ihnen das Beruhigungsmittel (Oxazepam) in diesen Momenten?
20 Mit Ambivalenz umgehen: Vorteil-Nachteil-Liste Wichtigkeit Ich muss etwas ändern! > > > > > > Subjektiv erlebte Vorteile des Konsums Subjektiv erlebte Nachteile des Konsums > > > > > >
21 Informieren will gelernt sein Empfehlungen für das motivierende Gespräch Hier: Informieren Timing Individualisierung Ohne Wertung
22 Empfehlungen für das motivierende Gespräch Rückmeldung geben und verbindlich einsteigen (z. B. in der Hausarztpraxis) Herr Müller, Ihr Blutdruck ist nun schon seit längerem konstant zu hoch, einige Leberwerte ebenfalls. Wir haben schon darüber gesprochen. Das sind in der Regel Anzeichen für einen über längere Zeit erhöhten Alkoholkonsum. Was meinen Sie dazu? (Bagatellisierung bei einfühlsamem, interessiertem Einstieg eher selten!) Erzählen Sie doch mal: wieviel Alkohol trinken Sie denn normalerweise? Und wie oft? Alternativ: Gehen wir doch die letzte Woche mal Tag für Tag durch.
23 Ich weiss gar nicht, was dieses Gespräch soll. Klar, seit ich berentet bin, trinke ich mehr. Aber ich denke, dass ich das auch wieder reduzieren werde. Einfache Wiederholung Sie werden wieder weniger trinken. In anderen Worten Paraphrasieren Sie haben verstanden, wie es soweit kommen konnte, und wollen da auch wieder weg. In anderen Worten Verstärkend, Überzogen In anderen Worten Doppelseitig Reflexion der tieferen Bedeutung, affektiv Es gibt nichts, was wir in dieser Sache noch besprechen müssten. Es ist Ihnen klar, dass Sie nicht gut mit sich umgegangen sind und es mit dem Alkohol übertrieben haben. Gleichzeitig haben Sie einige Ideen, wie Sie das in Zukunft vermeiden können. Es nervt Sie, dass ich da nochmal nachhake. Am liebsten wollen Sie gar nicht mehr darüber reden.
24 Geschmeidig Geschmeidig mit dem mit Widerstand dem umgehen Widerstand elegant umschifft Widerstand entsteht im Zusammenspiel zwischen Ärztin und Patient. Den Widerstand nicht konfrontieren, sondern als Ausdruck nicht ausreichend gewürdigter Ambivalenz oder einer noch nicht eröffneten anderen Sicht respektieren. Widerstand zeigt oft an, dass die Intervention nicht mit dem Stadium der Änderungsbereitschaft übereinstimmt (s. o.).
25 Geschmeidig Geschmeidig: mit dem Widerstand Weitere Strategien umgehen Den Fokus verschieben P: Ich weiss, Sie wollen, dass ich diese Pillen sofort absetze. Aber das halte ich nicht aus! Ä: Langsam, langsam! Ich weiss nicht, zu welchem Ergebnis wir am Ende kommen. Verbeissen Sie sich bitte nicht an diesem Punkt. Ich würde gern mit Ihnen erstmal über... sprechen. Umdeuten P: Ich trinke eigentlich nur dann Schnaps, wenn meine Frau mal wieder an mir herumzieht und zerrt und kein gutes Haar an mir lässt. A: Das ärgert Sie. Und gleichzeitig klingt es auch so, als würde Ihre Frau sich Sorgen um Sie machen. Vielleicht tut sie das in einer ungünstigen Art. Aber es scheint so, dass es ihrer Frau nicht gleichgültig ist, was aus Ihnen wird. Zustimmen mit einer Wendung P: Hier geht es nur um das Thema Alkohol. Mir gehen aber ganz andere Sorgen durch den Kopf, meine Rente, meine kranke Frau, die Kinder. Ä: Stimmt. Wir haben die ganze Zeit nur über Ihren Alkoholkonsum gesprochen. Es geht aber tatsächlich um viel mehr als das. Das gehört ja alles zusammen.
26 Quelle: Berg & Miller 1995 Wohlgestaltete Ziele Zuversicht Ich weiss auch schon wie! Ziele sollen gemeinsam mit Patient*innen aufgestellt werden... bedeutsam für Patient*innen sein... klein sein... konkret, messbar und verhaltensbezogen sein... realistisch und erreichbar sein... eher das Vorhandensein als die Abwesenheit von etwas zum Ausdruck bringen... eher einen Anfang als ein Ende beschreiben
27 Wohlgestaltete Ziele Wohlgestaltete Ziele Zuversicht Ich weiss auch schon wie! Alkohol: Abstinenz oder Reduktion? Als Faustregel kann gelten: Wenn es der zu Pflegenden gut geht, sie ihren Konsum nicht steigert und sich und andere nicht gefährdet, können Sie moderates Trinken ohne moralisierende Wertung durchaus tolerieren. Klärung in der Institution ist die Voraussetzung einer personenzentrierten motivierenden Gesprächsführung! Aus: Schmitz, Frank; König, Dieter (2007): Alkohol und Tabletten im Pflegeheim was tun? Die Schwester Der Pfleger, 46 (7), S
28 Motivational Motivieren Interviewing = Klären Motivierende Gesprächsführung Motivieren = Klären Konsequent klären bedeutet aber auch, zu verstehen und zu respektieren, dass Patientinnen und Patienten sich für den status quo und gegen eine Änderung entscheiden. Motivierede Gesprächsführung ist zwar zielorientiert, letztlich aber zieloffen.
29 Ganz praktisch (für den Workshop) Aufnahme einer 75jährigen Patientin zum Entzug. Wird gebracht von ihrer 48jährigen Tochter, die sie stark alkoholintoxikiert in der Wohnung aufgefunden hatte. Patientin zeitlich und örtlich nicht orientiert. Die Tochter berichtet, dass die Mutter allein lebe, regelmäßig sehr viel Alkohol trinke, immer wieder stürze, sich dabei schon einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen habe, und in den letzten 6 Monaten zunehmend vergesslich werde. Sie habe schon immer gerne Wein getrunken, seit der Mann (ihr Vater) vor 6 Jahren gestorben sei, sei das aber viel mehr und vor allem täglich geworden. In der ersten nüchternen Visite am nächsten Tag gibt die Patientin unumwunden zu, dass sie viel Wein trinke, bis zu 2 Flaschen am Tag. Sie sei oft allein. Regelmäßig aber verabrede sie sich auch mit einigen alten Freundinnen zum Kartenspielen, da tränken alle ordentlich. Sie käme sonst zurecht und wolle sich den Wein nicht nehmen lassen. Ihre Tochter mache sich zu viele Sorgen um sie. Okay, das mit den Stürzen sei blöd. Und jetzt: Versetzen Sie sich in die Rolle der behandelnden Ärztin und finden mit Ihrer Nachbarin eine gute Reaktion darauf!
30 Mit alten Menschen über Sucht sprechen, kann manchmal ganz schön schwer sein Mit jungen aber auch!
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