Patientenzentrierung im Kontext der Versorgung chronischer Kranker. Martin Härter
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- Hermann Schulze
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1 Patientenzentrierung im Kontext der Versorgung chronischer Kranker Martin Härter Expertenforum Gesundheitscoaching KKH, Hannover
2 Gliederung Patientenzentrierte Medizin bei chronischen Erkrankungen Partizipation bei Entscheidungen zur Gesundheit Gesundheitscoaching als Beitrag zu einer patientenzentrierten Versorgung chronisch Kranker
3 Spektrum von Belastungsfaktoren Chronische Erkrankungen Spektrum der Belastungsfaktoren sind durch eine Vielzahl von Belastungsfaktoren gekennzeichnet, die in allen Lebensbereichen auftreten können Belastungen durch Erkrankung und Behandlung invasive Behandlungen, Schmerzen, Fatigue, Invalidität, psychosomatische Symptome, Behinderungen Existentielle und spirituelle Probleme Konfrontation mit der Endlichkeit des eigenen Lebens, Suche nach Sinn, spirituellen, religiösen, philosophischen Erklärungen Familiäre Belastungen Veränderung sozialer Rollen und Aufgaben, Veränderungen in der Beziehung zum Partner, zu Kindern, zu Freunden Soziale, finanzielle und berufliche Belastungen Aufgabe wichtiger sozialer und beruflicher Funktionen, neue Abhängigkeiten, Isolation Probleme im Versorgungssystem Arzt-Patient-Kommunikation, fehlende Information, entpersonalisierte Behandlung, Zeitmangel, fehlende Intimität, Zugang, Wartezeiten etc.
4 Chronic Care Modell Wagner E, Austin B, von Korff M. Organizing care for patients with chronic illness. Milb Quart 1996; 74:
5 Patientenzentriertes Gesundheitswesen Patientenzentrierung Achieving a medical culture that views itself as guests in the lives of patients rather than hosts in the care system, will require a substantial transformation Don Berwick, 2009
6 Integration medizinischer und nichtmedizinischer Versorgung Koordination und Kontinuität der Versorgung B B B Zusammenarbeit und Teamentwicklung Behandler-Patient- Kommunikation Zugang zur Versorgung Grundlegende Eigenschaften Behandler- Patient- Beziehung des Behandlers B P Patienteninformation Patientenbeteiligung an Versorgungsprozessen Beteiligung von Familienangehörigen und Freunden Empowerment des Patienten Physische Unterstützung Emotionale Unterstützung Patient als Individuum Biopsychosoziale Perspektive Handlungen und Maßnahmen Grundprinzipien Förderliche Faktoren Scholl I, Zill J, Härter M, Dirmaier J. An Integrative Model of Patient-Centredness A Systematic Review and Concept Analysis. PLOS ONE 2014, 9 (9).
7 Patientenzentriertes Gesundheitswesen Mikroebene Individuelle Arzt-Patienten-Kommunikation Partizipative Entscheidungsfindung Mesoebene Nationale Versorgungsleitlinien - ÄZQ Unabhängige Patientenberatung UPD Unterstützung von Selbsthilfeorganisationen Makroebene Patientenbeauftragte des BMG / Patientenvertreter im GBA (2004) Erstellung von Gesundheitsinformationen IQWiG (seit 2005) Forschungs- und Fördermaßnahmen ( / ) Patientenrechtegesetz (2013)
8 Alles in Ordnung? Ist doch alles in Ordnung! Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der KBV N=6.087 zufällig ausgewählte Bundesbürger
9 Warum es doch nicht so richtig klappt......aus DER ARZTPRAXIS Untersuchungen zufolge: dauert in Deutschland ein (Haus-)Arztkontakt im Schnitt acht Minuten (1) werden Patienten spätestens nach 20 Sek. vom Arzt unterbrochen (2) verstehen Patienten oft nur 50% der erhaltenen Informationen (3) finden weniger als die Hälfte der Patienten die Vermittlung von Informationen zu Behandlungsmöglichkeiten sehr gut (4) (1) Böcken J, Braun B, Schnee M (Hrsg.). Gesundheitsmonitor Die ambulante Versorgung aus Sicht von Bevölkerung und Ärzteschaft. Bertelsmann Stiftung: Gütersloh (2) Marvel MK et al. Soliciting the patient s agenda: have we improved? JAMA 1999; 281: (3) Schillinger D et al. Closing the Loop. Physician Communication With Diabetic Patients Who Have Low Health Literacy. Arch Intern Med. 2003; 163: (4) Bürger C. Patientenorientierte Information und Kommunikation im Gesundheitswesen, Gabler Edition Wissenschaft, 2003.
10 Warum ist (mehr) Patientenbeteiligung sinnvoll? 1. Soziologische Begründung: Veränderte Rollenerwartung der Patienten Informationsgefälle zwischen Ärzten und Patienten sinkt 2. Historische Begründung: Fortschritt ermöglicht mehr (empirisch) gleichwertige Behandlungsalternativen 3. Ethische/juristische Begründung: Patienten haben Interesse und Recht, in medizinische Entscheidungen einbezogen zu werden (Patientenrecht!) 4. Empirische Begründung: Regionale Variation in der Gesundheitsversorgung Studien sprechen für stärkere Patientenbeteiligung
11 Arztrolle im Wandel gemeinsames Vorgehen vereinbaren Indikationsstellung für wirksame Therapien Schluss von Daten auf Diagnosen Rituale, Beschwörungen, Opfer Donner-Banzhoff, N. Arzt und Patient: Archäologie einer Beziehung. Dtsch Arztebl 2012; 109(42): A-2078
12 Patientenpflichten Sozialgesetzbuch, 5. Buch 1 Solidarität und Eigenverantwortung Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitverantwortlich sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden
13 Medizinische Entscheidungsmodelle Arzt Entscheidung von... Patient Autonomie des Patienten Paternalistisches Modell Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) Informationsmodell Interaktionsprozess mit dem Ziel, unter gleichberechtigter aktiver Beteiligung von Patient und Arzt auf Basis geteilter Information zu einer gemeinsam verantworteten Übereinkunft zu kommen. Härter M (2004). Partizipative Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) ein von Patienten, Ärzten und der Gesundheitspolitik geforderter Ansatz setzt sich durch. ZaeFQ Editorial,
14 Behandler-Patient-Kommunikation Braun, B & Marstedt, G (2014). Partizipative Entscheidungsfindung beim Arzt: Anspruch und Wirklichkeit. Gesundheitsmonitor.
15 Handlungsschritte der PEF Problemdefinition Mitteilen, dass eine Entscheidung ansteht Gleichberechtigung Gleichberechtigung der Partner formulieren Behandlungsmöglichkeiten beschreiben Über Optionen und deren Vor- und Nachteile informieren Verständnis, Gedanken und Erwartungen erfragen Die Sicht des Patienten mit einbeziehen Präferenz klären und Entscheidungsfindung Beteiligungswunsch ermitteln und Entscheidung herbeiführen Vereinbarungen treffen Vereinbarungen zur Umsetzung der Entscheidung treffen Team Talk Option Talk Decision Talk Härter, M (2004); Simon, D et al. (2008); Elwyn, G et al. (2012)
16 Risikokommunikation
17 PEF und EbM Patientenzentrierung Hoffmann, TC, Montori, VM, Del Mar, C (2014). The connection between evidence-based medicine and shared decision making. JAMA.
18 Warum es mit der PEF nicht so richtig klappt... Ärzte sind es gewohnt, Patienten am Ende des Gespräches, als mit der Materie bestens vertraute Hoffnungsträger, einen Therapievorschlag auf den Weg zu geben. Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt (2014). Ausgabe 4.
19 Was erfahren Patienten?
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21 Entscheidungsfindung Entscheidungsprozess Bisherige Präferenzen Informierte Präferenzen Team Talk Option Talk Decision Talk Informierte Entscheidung Materialien zur Unterstützung Kurz während der Konsultation Ausführlich außerhalb der Konsultation Elwyn G, Frosch D, Thomson R, et al. (2012). Shared Decision Making: A Model for Clinical Practice. Journal of General Internal Medicine 27(10):
22 Effekte von PEF Ärzte: - Zufriedenheit mit Patientenkontakt - erfasste Patienteninformation - in Betracht gezogene Behandlungsoptionen - Konsultationszeit Patienten - Wissen, korrekte Erwartung über Vor-/Nachteile - Zufriedenheit mit Arztkontakt - Zufriedenheit mit nutzenbez. Entscheidung - Korrekte Risikowahrnehmung - Kommunikation mit dem Arzt - Krankheitsbewältigung - Therapietreue (?) - Klinische Verbesserungen; Kosten (?) - Entscheidungskonflikte - passiv und unentschieden Coulter, A (1997). Partnerships with patients: the pros and cons of shared clinical decision making. Journal of Health Services Research and Policy, 2, Stacey, D et al. (2014). Decision aids for people facing health treatment or screening decisions. Cochrane Database of Systematic Reviews, 1.
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24 Beispiele Entscheidungshilfen
25 Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen Systematisch durchsuchbare und wissenschaftlich begründete Inhalte - Von Nutzern getestet - nach einer Methodik erstellt
26 Aktivierung von Patientenbeteiligung
27 Gliederung Patientenzentrierte Medizin bei chronischen Erkrankungen Partizipation bei Entscheidungen zur Gesundheit Gesundheitscoaching als Beitrag zu einer patientenzentrierten Versorgung chronisch Kranker
28 Gesundheitsverhalten Stressoren Vorsorge Bewegung Chronische Erkrankung Rauchen Ernährung Alkohol
29 Patientenzentrierung in der Beratung Patient als Person Bio-psycho-soziale Perspektive Erkrankung und Krankheitserfahrung Ganze Person Gemeinsame Basis Coach-Patienten- Beziehung Teilen der Verantwortung Therapeutische Allianz Nach Hudon et al. (2011), unter Berücksichtigung von Mead & Bower (2000, 2002), Stewart et al. (1995, 2003)
30 Modelle der Verhaltensänderung Modell gesundheitsbezogener Überzeugungen Health Belief Modell, Rosenstock und Becker wahrgenommene Bedrohung und Vulnerabilität, Kosten vs Nutzen der Verhaltensänderung; Anreiz und Selbstwirksamkeit Modell des geplanten Verhaltens Theory of Planned Behaviour: Aijzen und Fischbein Einstellung, subjektive Norm, Verhaltenskontrolle Transtheoretisches Modell Stages of Change Model: Prochaska und DiClemente Stufenmodell der Verhaltensänderung
31 Motivierende Gesprächsführung Grundlegende Prinzipien Empathie zeigen (express empathy): Der Coach nimmt eine klientenzentrierte, akzeptierende Haltung ein und versucht, durch aktives Zuhören die Situation aus der Sicht des Versicherten zu verstehen. Diskrepanz erzeugen (develop discrepancy): mit Hilfe von gezielten offenen Fragen dem Versicherten zu helfen, Argumente für eine Änderung zu entwickeln (change talk). flexibler Umgang mit Widerstand (roll with resistence): Ambivalenz oder Widerstand werden als normaler Teil des Veränderungsprozesses angesehen, auf konfrontatives Vorgehen wird verzichtet. Selbstwirksamkeit stärken (support self-efficacy): Versicherter wird in der Zuversicht bestärkt, Veränderungen erreichen zu können. Miller, WR, & Rollnick, S (1991). Motivational interviewing: Preparing people to change addictive behavior. New York: Guilford Press
32 Konzepte für das Gesundheitscoaching KKH Motivierende Gesprächsführung Individuelle Änderungsbereitschaft erfassen Änderungsbereitschaft erhöhen Individuelle und gemeinschaftliche Zielsetzung Individuellen Gesundheitsstatus erheben Partizipative Entscheidungsfindung ermöglichen Ziele SMART formulieren Evidenzbasierte Informationen netdoktor.com und spezifisch entwickelte Gesundheitsinformationen (z.b. zu Medikamenten, Gesundheitsverhalten) einsetzen bzw. zur Verfügung stellen
33 Ziele der Gesundheitscoaches Vor- u. Nachbereitung Arztbesuch (21,2%) Impfung Pneumokokken (44,7%) Ernährungsberatung (7%) Gewichtsnormalisierung (17,6%) Krankheitsverständnis (58,7%) Blutdruckselbstmessung (32,6%)
34 Zufriedenheit Coaching Akzeptanz Gründe am GC teilzunehmen Coaching 2.0 Versicherte sind an dem Angebot des GC interessiert (88,7%) Das GC soll ihnen helfen, durch eigene Aktivitäten mehr gegen ihre Beschwerden tun zu können (87,3%) Versicherte erhoffen sich, ihre Erkrankung besser zu verstehen (82,9%) Ich würde die Gesundheitsberatung weiterempfehlen. 58,9% 23,0% 11,4% 5,8% Ich würde die Gesundheitsberatung weiter nutzen. 66,8% 21,1% 7,8% 3, 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% ja eher ja unentschieden eher nein nein = GC 1.0
35 Integration medizinischer und nichtmedizinischer Versorgung Koordination und Kontinuität der Versorgung B B B Zusammenarbeit und Teamentwicklung Behandler-Patient- Kommunikation Zugang zur Versorgung Grundlegende Eigenschaften Behandler- Patient- Beziehung des Behandlers B P Patienteninformation Patientenbeteiligung an Versorgungsprozessen Beteiligung von Familienangehörigen und Freunden Empowerment des Patienten Physische Unterstützung Emotionale Unterstützung Patient als Individuum Biopsychosoziale Perspektive Handlungen und Maßnahmen Grundprinzipien Scholl I, Zill J, Härter M, Dirmaier J. An Integrative Model of Patient-Centredness A Systematic Review and Concept Analysis. PLOS ONE 2014, 9 (9). Förderliche Faktoren
36 Kommunikationsausbildung in der Medizin (UKE) Stufe III Ärztliche Gespräche mit Schwerkranken + Sterbenden Kulturelle Diversität Krisenintervention und Umgang mit Suizidalität Stufe II Behavior Change Counseling Mitteilen schlechter Nachrichten Partizipative Entscheidungsfindung Interdisziplinäres KOM- Training Biopsychosoziales Krankheitsmodell vermitteln Stufe I Kommunikative Basisfertigkeiten, Anamnesegespräche, Simultandiagnostik
37 Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Härter Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie Sprecher des Center for Health Care Research (CHCR) Martinistraße 52, Hamburg
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