Linguistische Grundlagen 3. Phonologie: Funktion und Verteilungsmuster der Laute
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- Sabine Schuster
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1 Linguistische Grundlagen 3. Phonologie: Funktion und Verteilungsmuster der Laute Gereon Müller Institut für Linguistik Universität Leipzig Lit.: O Grady et al. (1996, Kap. 3), Grewendorf et al. (1987, Kap. 3) muellerg Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
2 Einleitung Einleitung Phonetik: Laute und ihre Merkmale geringe Abstraktion (Phon); kein Teil der Grammatik im engeren Sinne Phonologie: Funktion und Verteilungsmuster der Laute; was ist eine mögliche Folge von Lauten in einer gegebenen Sprache? starke Abstraktion (Phonem); genuine grammatische Komponente (1) Mögliche Wörter des Englischen bzw. Deutschen: a. slish, skrenk b. Schrant, Knumpe, Schergung, Knaffel, Spreuchel, Grolch, Mürbst, Krant, Pfraus (2) Unmmögliche Wörter des Englischen bzw. Deutschen: a. srish, sram, screpk (mögliche Reparaturen: [s r ], [ s.ræm], [sk p k]) b. Kelr, Ptrong, Kterz, Mgnose, Srindel, Rgochr Die Fähigkeit, mögliche von unmöglichen Lautfolgen in Wörtern des einer Sprache unterscheiden zu können, ist Teil des sprachlichen Wissens (der phonologischen Komponente der Grammatik einer Sprache). Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
3 Einleitung Ebenen der phonologischen Repräsentation Vier Typen phonologischer Einheiten Wd Wortebene σ σ Silbenebene s g m n t Segmentebene silbisch +silbisch silbisch silbisch +silbisch silbisch silbisch sonorant +sonorant sonorant +sonorant +sonorant +sonorant sonorant +koronal hoch +hoch +labial +reduziert +nasal +koronal Merkmalsebene Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
4 Minimalpaare 1 Segmente im Kontrast Sprecher einer Sprache wissen, welche Segmente ihrer Sprache im Kontrast sind. Segmente sind dann im Kontrast (oder distinktiv, oder in Opposition), wenn sie allein Formen mit unterschiedlicher Bedeutung unterscheiden können. Wie man überprüft, ob zwei Segmente distinktiv sind: Bildung von Minimalpaaren. (3) Einige Minimalpaare im Deutschen: a. Schein Sein b. Pein Bein c. Tisch Fisch d. mein dein e. kopieren kapieren f. Designation Resignation g. Freunden Freundin h. Bund Band Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
5 Minimalpaare 2 Segmente im Kontrast Kontraste unter Konsonanten im Englischen Labial Alveolar Palatoalveolar Velar Glottal Plosive und Affrikaten tap [p] pat [t] chug [t ] pick [k] tab [b] pad [d] jug [d ] pig [g] Dauernde Laute Interdental fat [f] thigh [ ] sip [s] mesher [ ] hip [h] vat [v] thy [ ] zip [z] measure [ ] Nasale sum [m] sun [n] sung [ ] Liquide wet [w] leer [l] rear [ ] yet [j] Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
6 Minimalpaare 3 Segmente im Kontrast Der phonetische Kontext, in dem ein Laut erscheint, heißt die Umgebung ( environment ). Es gibt auch Paare mit Segmenten in beinahe vollständig identischen Umgebungen; hier handelt es sich um fast minimale Paare ( near-minimal pairs ). Auch so können Kontraste begründet werden. (4) Fast minimale Paare: a. shoulder [ ld ] vs. soldier [s ld ] b. author [ : ] vs. either [i: ] Wenn ein fast minimales Paar oder ein minimales Paar gefunden ist, sind zwei Segmente in der betreffenden Sprache distinkt. Segmente können allerdings im Prinzip auch distinkt sein, wenn kein (Fast-) Minimalpaar gefunden werden kann; z.b.: (5) a. [h] tritt im Englischen nur am Silbenanfang auf. b. [ ] tritt im Englischen nur am Silbenende auf. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
7 Segmente im Kontrast Sprachspezifische Kontraste Laute, die in einer Sprache distinktiv sind, sind dies nicht unbedingt auch in einer anderen Sprache. (6) Beispiel 1: [e] vs. [æ], Englisch gegen Türkisch Englisch Türkisch [ben] Ben [ben] ich [bæn] Verbot [bæn] ich Im Englischen ist Vokallänge nicht distinktiv: Es gibt keine Minimalpaare der Art [l s]:[l s]. (Im Deutschen ist das auch oft so, aber vgl. stellen ([ t l n]) vs. stählen ([ t l n].) In anderen Sprachen ist das ganz anders. (7) Beispiel 2: Kontraste kurzer und langer Vokale: Japanisch, Finnisch Japanisch [tori] Vogel [tori ] Schreintor [kibo] Skala [kibo ] Hoffnung Finnisch [tuli] Feuer [tu li] Wind [hætæ] Bedrängnis [hæ tæ ] ausweisen Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
8 Phonetische Variation Phoneme und Allophone Sprachliche Äußerungen zeigen ein hohes Maß an phonetischer Variation. Einiges davon ist linguistisch irrelevant: Zahnspangen oder -klammern, Müdigkeit, Aufregung, Kaugummikauen, Trunkenheit, etc. Vieles davon ist aber auch systematisch. Die Variation tritt insbesondere bei phonetisch ähnlichen Segmenten auf und ist durch den phonetischen Kontext (die Umgebung) bedingt. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
9 Phoneme und Allophone Komplementäre Verteilung Beobachtung: Der Liquid l kann im Englischen auf zwei Weisen realisiert werden, nämlich stimmhaft oder stimmlos: [l] vs. [l ] (8) Stimmhafte und stimmlose l-realisierung im Englischen: A B blue [blue ] plough [pl o ] gleam [gli m] clap [kl æp] slip [sl p] clear [kl ] flog [fl g] play [ple ] leaf [li f] Konklusion: [l] und[l ] sind im Englischen in komplementärer Distribution: Sie können in einer gegebenen Umgebung nicht beide auftauchen. Wie kann das Auftreten beschrieben werden? Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
10 Elsewhere Phoneme und Allophone (9) Komplementäre Verteilung von [l] und [l ] im Englischen: [l] [l ] nach stimmlosen Plosiven nein ja sonst ja nein Terminologie: sonst heißt auf Englisch elsewhere. Mit elsewhere ist immer gemeint, dass die Distribution größer ist, de facto unbeschränkt: [l] tritt eigentlich immer auf, es sei denn, der Kontext für ein [l ] ist gegeben. Also erscheint [l] nach stimmlosen Plosiven, nach stimmlosen Frikativen, und am Wortanfang. Bemerkung: Die zwei l-laute sind phonetisch unterschiedlich, aber phonologisch dasselbe. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
11 Phoneme und Allophone Phoneme und Allophone Durch Regeln vorhersagbare Laute, die phonetisch ähnlich sind und die nicht miteinander in Kontrast stehen, werden zu einer abstrakten phonologischen Einheit zusammengefasst, der kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheit einer Grammatik, nämlich dem Phonem. (10) Klassischer Phonembegriff: Phoneme sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten. (11) Allophone: Die unterschiedlichen phonetischen Realisierungen eines Phonems heißen Allophone. Allophone sind in komplementärer Distribution. (12) Beispiel: a. Phonem: /l/ b. Allophon 1: [l] (elsewhere) c. Allophon 2: [l ] (nach stimmlosen Plosiven) Aufbau der Grammatik: Phoneme: zugrundeliegende Struktur, in / /-Notation. Phone (inkl. Allophone): Konkrete Realisierungen der Phoneme mit Hilfe von phonologischen Regeln. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
12 Phoneme und Allophone Fehlende Allophonie trotz komplementärer Distribution Wie gesehen lässt sich für [h] vs. [ ] im Englischen kein Minimalpaar finden, weil [h] auf den Silbenanlaut und [ ] auf den Silbenauslaut beschränkt ist. Die beiden Laute sind also in komplementärer Distribution. (13) a. *[ p] vs. [h p] *[ e t] [he t] b. [l ] vs. *[l h] [s ] vs. *[s h] Heißt das, dass [h] und [ ] Allophone eines zugrundeliegenden Phonems sind? Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
13 Generalisierung: [h] steht am Wortanfang vor Vokal und vor betontem Vokal bzw. unbetontem gespannten Vokal; [ ] steht nicht am Wortanfang, sondern am Wortende, vor Konsonanten und vor unbetonten ungespannten Vokalen. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28 Phoneme und Allophone Fehlende Allophonie trotz komplementärer Distribution Wie gesehen lässt sich für [h] vs. [ ] im Englischen kein Minimalpaar finden, weil [h] auf den Silbenanlaut und [ ] auf den Silbenauslaut beschränkt ist. Die beiden Laute sind also in komplementärer Distribution. (13) a. *[ p] vs. [h p] *[ e t] [he t] b. [l ] vs. *[l h] [s ] vs. *[s h] Heißt das, dass [h] und [ ] Allophone eines zugrundeliegenden Phonems sind? Nein, hier wird der phonemische Status per Default postuliert; [h] und [ ] sind phonetisch einfach zu unterschiedlich; es ist rätselhaft, welche distinktiven Lauteigenschaften ein beiden Lauten zugrundeliegendes Phonem haben sollte ([h] und [ ] sind hintere Konsonanten, aber davon gibt es noch mehr: [g], [k]). Die Situation ist im Deutschen ganz ähnlich. (14) [ha s] Haus [d ] Ding [u hu] Uhu [h st] Hengst [g ha m] geheim [ts ] Zunge
14 Freie Variation Phoneme und Allophone Es gibt aber auch Phoneme, die leicht unterschiedlich realisiert werden können (z.b. sprecherabhängig), ohne dass hier komplementäre Verteilung der Phone vorliegt. Hier spricht man von freier Variation. (15) /st p/ mit drei /p/-realisierungen: a. [st p!] (schnelle Öffnung des Verschlusses) b. [st p ] (längere Beibehaltung des Verschlusses) c. [st p] (längere Beibehaltung des Verschlusses) Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
15 Phoneme und Allophone Zur Realität von Phonemen Phoneme repräsentieren eine Form sprachlichen Wissens. Auch wenn man niemals Phoneme hören kann (nur (Allo-) Phone), gibt es doch Evidenz für ihre kognitive Realität. Es ist wohl kein Zufall, dass es für [l] und [l ] nur einen Buchstaben im Englischen gibt. Sprecher des Englischen können den Unterschied zwischen [l] und [l ] kaum wahrnehmen (die Laute sind nicht distinktiv). Sprecher des Japanischen haben Schwierigkeiten mit der Unterscheidung von [l] und [r] im z.b. Englischen, denn im Japanischen sind [l] und [r] Allophone ein und desselben Phonems. Umgekehrt haben Sprecher des Englischen Schwierigkeiten, Vokallängenunterschiede im Japanischen auszusprechen und zu hören, weil Vokallänge im Englichen nicht distinktiv ist. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
16 Phoneme und Allophone Klassen und Generalisierungen in der Phonologie Phonologische Variation ist oft systematisch. Z.B. gelten die Regularitäten für /l/-realisierung im Englischen ganz ähnlich auch bei /r/. (Hier wird aus Einfachheitsgründen statt [ ] immer [r] notiert.) (16) Stimmhafte und stimmlose Allophone von /r/ im Englischen: A B brew [bru ] prow [pr a ] green [gri n] creep [kr i p] drip [dr p] trip [tr p] frog [fr g] pray [pr e ] shrimp [ r mp] (17) Allgemeine Regel: Im Englischen haben Liquide hinter stimmlosen Plosiven stimmlose Allophone; ansonsten haben sie stimmhafte Allophone. Den Phonemen /r/ und /l/ ist gemeinsam, dass sie beide Liquide sind. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
17 Sprachspezifische Muster Ich-Laut und Ach-Laut im Deutschen Die dorsalen Frikative [x] und [ç] sind im Deutschen komplementär verteilt (Darstellung nach Meibauer et al. (2002)). (18) Dorsale Frikative: [x] vs. [ç] [x] [ç] [ç] [ç] Ach ich Milch Chemie Buch siech durch Bio-chemie hoch Becher manche Frau-chen Loch rächen München Dumm-chen Lache Flüche Rös-chen Sucht Küche Bauch Lölcher reich euch (19) Generalisierung: a. [x] steht nach hinteren Vokalen und nach zentralen Vokalen ([ vorn]). b. [ç] steht nach vorderen Vokalen ([+vorn]), nach Konsonanten und am Morphemanfang (letzte Spalte; Morpheme sind noch nicht eingeführt). Konklusion: [x] und [ç] sind Allophone eines Phonems. Wie wird das notiert? Nach (19) könnte man denken: /ç/ (Elsewhere-Distribution). Üblicherweise wird sich jedoch meistens für /x/ entschieden (die Distribution von [ç] ist bei genauerem Hinsehen doch sehr eingeschränkt), oder für ein unterspezifiziertes Phonem /C/; ein Archiphonem (der Unterschied zwischen palatal und velar ist damit offen gelassen). Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
18 Sprachspezifische Muster Nasalisierung im Schottischen Gälisch (20) Nasalvokale im Schottischen Gälisch (Keltisch, Indo-Europäisch): [mõ r] groß [nĩ] Rind [nẽ l] Wolke [mũ] über [rũn] Geheimnis Im Schottischen Gälisch gibt es orale und nasale Vokal-Allophone. (21) Generalisierung: Vokale sind im Schottischen Gälisch nasal, wenn ein nasaler Konsonant ihnen vorangeht oder folgt. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
19 Nasalisierung im Malay Sprachspezifische Muster (22) Nasalisierung im Malay (Austronesisch, Malaysia und Singapur): [mẽ wãh] luxuriös [mã jãn] Stengel [mãrah] schimpfen [nã ] ansteigen [m lara ] verbieten [mãkan] essen [rumãh] Haus [k reta] Auto (23) Generalisierung: Vokale und Gleitlaute werden nasalisiert, wenn sie einem nasalen Konsonanten folgen und nicht davon durch einen nicht-nasalen Konsonanten getrennt sind. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
20 Sprachspezifische Muster Aspiration im Englischen und im Khmer Aspiration ist im Khmer (Austroasiatisch, Kambodscha) distinktiv, im Englischen dagegen nicht. (S.o., Deutsch vs. Thai). (24) Stimmlose Plosive im Englischen und im Khmer: Englisch Khmer [p] [p h ] [p] [p h ] [t] [t h ] [t] [t h ] [k] [k h ] [k] [k h ] [p] vs. [p h ] ist im Englischen nie distinktiv. (25) Stimmlose distinktive Plosive im Khmer: [p ] wünschen [p h ] auch [t p] unterstützen [t h p] erstickt sein [kat] schneiden [k h at] polieren (26) a. Englisch: /p/ [p], [p h ] b. Khmer: /p/ [p], /p h / [p h ] Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
21 Sprachspezifische Muster Phonetische und Phonemische Transkription (27) Phonetische und phonemische Transkription im Englischen/Deutschen: Phonetische Phonemische Wort Vorhersagbare Transkription Transkription phonetische Eigenschaften [plo ] /pla / plough Stimmlosigkeit des Liquids [kr i p] /kri p/ creep Stimmlosigkeit des Liquids [kw k] /kw k/ quick Stimmlosigkeit des Gleitlauts [let] /let/ let [t h a d] /ta d/ Aspiration [ ç] / C/ ich Glottalisierung am Silbenanfang, Palatalisierung des dorsalen Frikativs [t h k] /t" g/ Tag Aspiration stimmloser Plosive Auslautverhärtung am Silbenende Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
22 Sprachspezifische Muster Phonetische und Phonemische Transkription (27) Phonetische und phonemische Transkription im Englischen/Deutschen: Phonetische Phonemische Wort Vorhersagbare Transkription Transkription phonetische Eigenschaften [plo ] /pla / plough Stimmlosigkeit des Liquids [kr i p] /kri p/ creep Stimmlosigkeit des Liquids [kw k] /kw k/ quick Stimmlosigkeit des Gleitlauts [let] /let/ let [t h a d] /ta d/ Aspiration [ ç] / C/ ich Glottalisierung am Silbenanfang, Palatalisierung des dorsalen Frikativs [t h k] /t" g/ Tag Aspiration stimmloser Plosive Auslautverhärtung am Silbenende (28) Phonetische und phonemische Transkription im Malay: Phonetische Phonemische Wort Vorhersagbare Transkription Transkription phonetische Eigenschaften [mẽ wãh] /mewah/ luxuriös Nasalisierung [mã jãn] /majan/ Stengel Nasalisierung [nã ] /na # ] ansteigen Nasalisierung Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
23 Terminologie: Anfangsrand = Onset (O) Nukleus = Nucleus (N) Reim = Rhyme (R) Koda = Coda (C) Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28 Silben Silben Eine Silbe besteht aus einem Nukleus (silbisches Material, normalerweise ein Vokal) und nicht-silbischem Material darum herum. Jeder Sprecher kann für jedes Wort seiner Sprache sagen, wieviele Silben es hat. Silben haben Struktur. (29) Silbenstruktur: σ Anfangsrand Reim Nukleus Koda p $ n t
24 Sonoritätshierarchie Silben (30) Generalisierung über die Sonoritätsfolge: In jeder Silbe gibt es ein Segment, das den Nukleus bildet, und dem eine Folge von Segmenten vorangeht und/oder folgt, deren Sonoritätswerte zum Silbengipfel hin zunnehmen. Im Anfangsrand steigt die Sonorität. In der Koda fällt die Sonorität. (31) Sonoritätshierarchie: Plosive < Frikative < Nasale < Liquide < Gleitlaute < Vokale. Bemerkung: Die Generalisierung über die Sonoritätsfolge ist relativ gut über die Sprachen hinweg bestätigt. Es gibt aber Ausnahmen ([ pr nt] Sprint ist z.b. eine). Neben (30) (bzw., den Regeln, die diese Generalisierung soweit sie gilt, also unter Beachtung der Ausnahmen als Theorem abzuleiten gestatten), gibt es noch sprachspezifische Silbenstrukturbeschränkungen, die die Kombinierbarkeit von Segmenten einschränken: Phonotaktik. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
25 Englische Anfangsränder Silben (32) Anfangsränder mit einem stimmlosen Plosiv: Labial+Sonorant Koronal+Sonorant Velar+Sonorant [pl] please [tl] [kl] clean [pr] proud [tr] trade [kr] cream [pw] [tw] twin [kw] queen [pj] pure [tj] tune [kj] cute [spl] splat [stl] [skl] sclerosis [spr] spring [str] strip [skr] scrap [spw] [stw] [skw] squeak [spj] spew [stj] stew [skj] skewer (33) Mögliche Cluster von drei Konsonanten in Anfangsrändern englischer Silben: s p/t/k (l)/r/(w)/j Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
26 Silben Zufällige und Systematische Lücken (34) Mögliche Wörter des Englischen bzw. Deutschen (leicht erweitert): a. snool, splick, sklop, flis, criff, slish, skrenk b. Schrant, Knumpe, Schergung, Knaffel, Spreuchel, Grolch, Mürbst, Krant, Pfraus (35) Unmmögliche Wörter des Englischen bzw. Deutschen: a. srish, sram, screpk b. Kelr, Ptrong, Kterz, Mgnose, Srindel, Rgochr mögliche Wörter: zufällige Lücken unmögliche Wörter: systematische Lücken Ein paar systematische Lücken im Englischen: /bz/ [bz] /fp/ [fp] /pt/ [pt] ( [t] (psychology) /ps/ [ps] ( [s] (pterodactyl) Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
27 Silben Sprachspezifische Phonotaktik 1 Bestimmte Sequenzen im Anfangsrand scheinen universell ausgeschlossen, z.b. *[lp] vs. [pl]. 2 Andere Sequenzen mögen im Englischen oder Deutschen ausgeschlossen sein, können aber in anderen Sprachen auftreten. (36) Russische Anfangsränder: a. [psa] Hund-gen b. [l j va] Löwe-gen c. [fslux] laut d. [pt j its ] Vogel-nom Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
28 Silbifizierung 1 Silben (37) Schritt 1: Der Nukleus wird gebildet: σ σ R N R N e k s t r i m (38) Prinzip des maximalen Anfangsrands ( Maximal Onset Principle ): Wenn die Beschränkungen für die Segmentfolgen einer Silbe mehrere Silbenbildungen zulassen, dann ist jede zu wählen, bei der der Anfangsrand einer Silbe maximal ist. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
29 Silbifizierung 2 Silben (39) Schritt 2: Die Anfangsränder werden gemäß dem Prinzip des maximalen Anfangsrands gebildet: σ σ R R N O N e k s t r i m (40) Schritt 3: Die übrig gebliebenen Konsonanten werden in Koas untergebracht (geschlossene vs. offene Silben): σ σ R R N C O N C e k s t r i m Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
30 Silbifizierung 3 Silben (41) Schritt 4: Die Silben bilden ein Wort: Wd σ σ R R N C O N C e k s t r i m Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
31 Literatur: Literatur Grewendorf, Günther, Fritz Hamm & Wolfgang Sternefeld (1987): Sprachliches Wissen. Suhrkamp, Frankfurt. Meibauer, Jörg, Ulrike Demske, Jochen Geilfuß-Wolfgang, Jürgen Pafel, Karl Heinz Ramers, Monika Rothweiler & Markus Steinbach (2002): Einführung in die germanistische Linguistik. Metzler, Stuttgart. O Grady, William, Michael Dobrovolsky & Francis Katamba (1996): Contemporary Linguistics. An Introduction. 3 edn, Longman, Harlow, Essex. Gereon Müller (Institut für Linguistik) : Linguistische Grundlagen 7. November / 28
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