Beitrag: Immer mehr Gewalt gegen Flüchtlinge Biedermänner als Brandstifter

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Immer mehr Gewalt gegen Flüchtlinge Biedermänner als Brandstifter Sendung vom 24. November 2015 von Jan Fritsche, Arndt Ginzel, Manka Heise und Ulrich Stoll Anmoderation: Die Anschläge von Paris nutzen beschämend viele Menschen hierzulande, um Ängste vor Flüchtlingen zu schüren. "Die hierher kommen, bringen den Terror ins Land", hetzt Pegida-Gründer Lutz Bachmann - und verdreht dabei hemmungslos die Tatsachen. Denn während die Zahl der Straftaten durch Zuwanderer trotz des Flüchtlingsandrangs kaum zugenommen hat, steigt die Zahl der Straftaten gegen sie rasant. Im vergangenen Jahr gab es 199 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Dieses Jahr sind es schon und das Jahr ist noch nicht zu Ende. Unsere Reporter waren in Gegenden, in denen Gewalt gegen Flüchtlinge brutal normal geworden ist. Text: Stade vor zwei Tagen: eine brennende Flüchtlingsunterkunft. Woche für Woche Anschläge überall in Deutschland. Bis November 2015 gab es mehr als dreimal so viele Anschläge wie im gesamten Vorjahr. 747 Angriffe gegen Flüchtlingsheime bisher. Schwerpunkte sind Nordrhein-Westfalen mit 155 Anschlägen, Niedersachsen mit 68 Angriffen gegen Unterkünfte. 66 Mal schlugen Täter in Sachsen zu, 40 Mal in Sachsen-Anhalt. O-Ton Demonstranten: Lügenpresse, Lügenpresse! Sie halten sich für besorgte Bürger, inzwischen brüllen sie Hassparolen gegen Journalisten, gegen Politiker, gegen Fremde. Handgreiflichkeiten gehören dazu. O-Ton Demonstant: Nimm die Hand weg von meiner Kamera. O-Ton Demonstantin:

2 Sag mal, geht s? O-Ton Demonstant: Was willst Du, Du Fotze. Alter, verschwinde. Meißen in Sachsen, Ende Oktober. Hier hetzt die sogenannte Initiative Heimatschutz. O-Ton Karl-Michael Merkle, alias Michael Mannheimer, Islamgegner: Ich beschuldige, liebe Freunde, unsere Politiker des Völkermords an uns Deutschen. Den Hass bekam auch der Meißener Bauunternehmer Ingolf Brumm zu spüren. Er stellte ein Haus als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung. Die Reaktion: eine Brandstiftung. O-Ton Ingolf Brumm, Bauunternehmer, Meißen: Das ist ein rein terroristischer Anschlag gewesen. Auch per Post: Dutzende von Drohungen. O-Ton Ingolf Brumm, Bauunternehmer, Meißen: Dir antideutschem Dreckschwein muss die Rechnung präsentiert werden für Deine kanackenfreundliche Haltung. Du wirst offiziell in Kenntnis gesetzt, dass auf Dich ein Kopfgeld von 3000 ausgesetzt wird. Blablabla und der ganze andere Kram dann noch. Unterschrieben: Kommando Böhnhardt, Mundlos. Großenhain in Sachsen, vor ein paar Wochen. Auf dieser Demo einigt Fremdenfeindlichkeit das rechte Lager. Hier rücken AfD und Pegida zusammen. O-Ton Frauke Petry, AfD, Parteivorsitzende: Es gibt genug Gemeinsamkeiten, es gibt aber auch verschiedene Aufträge: Pegida auf der Straße, so wie heute Abend auch mal AfD auf der Straße. Aber die AfD hat eben ihren Auftrag eben auch in den Parlamenten. Handgreiflichkeiten gegen Journalisten, auch auf dieser AfD- Kundgebung. Die zunehmende Gewaltbereitschaft überrascht den Sozialpsychologen Andreas Zick nicht. O-Ton Prof. Andreas Zick, Sozialpsychologe, Universität Bielefeld: Wir haben in unseren Studien im Sommer letzten Jahres eine repräsentative Umfrage durchgeführt. Wenn zehn, zwölf Prozent sagen, dass Gewalt unter gewissen Umständen legitim ist, und diese Menschen nicht aus dem extremistischen Milieu kommen, dann haben wir eine Verschiebung von politischen Überzeugungen - hin mehr zu

3 Aggressionen und hin mehr zu schädigender Aushandlung von Konflikten. Tröglitz in Sachsen-Anhalt. Markus Nierth war bis zum Frühjahr hier Bürgermeister. Er trat zurück, weil Neonazis immer aggressiver auftraten. Nierth wollte Flüchtlinge im Ort aufnehmen. Im April setzten unbekannte Täter die geplante Flüchtlingsunterkunft in Brand, seitdem ist das Klima im Ort vergiftet. O-Ton Markus Nierth, ehemaliger Bürgermeister Tröglitz: Die Rechten haben auf jeden Fall eine Polarisierung erreicht. Ja, so ist halt der Ort zerrissen, immer noch, wahrscheinlich wie ganz Deutschland gerade in dieser Flüchtlingsfrage zerrissen ist. In der Kriminalstatistik zählt der Angriff auf das Heim als schwere Brandstiftung, nicht als politisch motivierter Nazi-Anschlag. Kein politischer Anschlag? Sebastian Striegel registriert eine Zunahme rechter Gewalt - auch in Sachsen-Anhalt. Gerade erst drohten Unbekannte dem Grünen-Vorsitzenden mit einem Galgen. O-Ton Sebastian Striegel, B 90/GRÜNE, MdL Sachsen-Anhalt: Mich irritiert, dass der Fall Tröglitz, diese Brandstiftung dort, bisher nicht als politisch rechts motivierte Gewaltstraftat eingeschätzt ist. Wer eine solche Unterkunft, ein zukünftig als Unterkunft genutztes Gebäude, anzündet, der will verhindern, dass dort Flüchtlinge hinziehen, und da kommt nur ein rechtes, ein rassistisches Motiv als wahrscheinlichstes Motiv in Frage. Wir treffen den örtlichen NPD-Funktionär, der im Landkreis seit einem Jahr gegen Flüchtlingsheime mobilisiert. Als geistigen Brandstifter sieht er sich nicht. O-Ton Steffen Thiel, NPD, Kreisrat Burgenlandkreis: Ich bin bloß das Sprachrohr nach außen. Was sich viele Bürger nicht mehr trauen zu sagen, das sprechen wir an. Und wir geben den Bürgern auch ein Forum, dass sie da sprechen können und sich mal Luft machen können. Sich Luft machen? Markus Niert wurde bedroht, in seinem Ort ein Haus in Brand gesteckt. Ihm schlägt Hass entgegen, weil er privat mehrere Flüchtlinge aufgenommen hat. O-Ton Markus Nierth, ehemaliger Bürgermeister Tröglitz: Ich habe einige Morddrohungen bekommen, werde weiterhin bedroht oder auch zum Teil sozial geächtet. Es ist schon verrückt, dass diejenigen, die sich für die Flüchtlinge

4 einsetzen, geächtet werden in bestimmten Gegenden Deutschlands und nicht die angegriffen werden, die rechte Hetze betreiben. Markus Nierth findet es unerträglich, dass so viele Tröglitzer von Fremdenhass erfüllt seien. Er überlegt, mit seiner Familie wegzuziehen. Das aktuelle Lagebild des Bundeskriminalamtes zeigt, dass der Fremdenhass mitten in der Gesellschaft angekommen ist. Nicht organisierte Nazis, scheinbar ganz normale Bürger greifen Flüchtlingsheime an. Die Täter kommen zu fast 90 Prozent aus der Nachbarschaft. 65,5 Prozent sind vorher nicht als Rechtsextreme aufgefallen. So war es auch in Altena, Nordrhein-Westfalen. Die Kleinstadt im Sauerland hat rund 370 Flüchtlinge aufgenommen. In diesem Haus wurde eine siebenköpfige syrische Familie untergebracht. Doch nur wenige Stunden nach ihrem Einzug das Unfassbare: Nachts legen zwei junge Männer in dem Haus ein Feuer. Einer der Beschuldigten: der Feuerwehrmann Dirk D., ein ganz normaler Bürger. Die mutmaßlichen Täter wissen, dass Menschen im Haus sind, als sie den Dachstuhl in Brand setzen. Zum Glück bemerken Nachbarn das Feuer. Die Bewohner können fliehen. Die Feuerwehr rückt an, auch Dirk D. ist beim Feuerlöschen dabei. Nachbarn, hatten die Flüchtlinge hilfsbereit aufgenommen. Sie sind schockiert. O-Ton Hannelore Martin, Anwohnerin: Dass jemand soweit gehen kann, dass er billigend in Kauf nimmt, dass Menschen zu Schaden kommen, das verstehe ich nicht. Ein Feuerwehrmann als Brandstifter - für den Bürgermeister schwer nachvollziehbar: O-Ton Andreas Hollstein, CDU, Bürgermeister Altena: Also, mich macht in diesem Fall besonders fassungslos, dass das ein ganz normaler Täter ist, der nicht irgendwelchen klassischen Spektren zuzuordnen ist, von ganz links oder ganz rechts, sondern jemand, der völlig unauffällig war, von dem keiner das erwartet hätte und der plötzlich so eine Handlung mit einem anderen Täter zusammen vornimmt, die wir nur verabscheuungswürdig finden, in Altena. Die Staatsanwaltschaft sieht keinen Mordversuch, ermittelt wegen schwerer Brandstiftung. Die Täter sind auf freiem Fuß. Schriftlich teil man uns mit,

5 Zitat: Die Beschuldigten haben sich dahingehend eingelassen, eine Verletzung oder Tötung der im Erdgeschoss wohnenden Personen nicht gewollt zu haben. Direkt neben der Flüchtlingsunterkunft lebt Dirk D. mit seiner Familie. Er hat die Brandstiftung gestanden. ZDF, wir würden gerne wissen, warum dieses Haus angezündet wurde? D. repariert ein Auto, als wir ihn treffen. O-Ton Frau: Bin ich jetzt im Fernsehen? Kein Kommentar. Kein Kommentar. Menschen hätten sterben können. Dennoch: kein Mordversuch für die Ermittler, kein Grund für Untersuchungshaft. Für die Linken-Abgeordnete Martina Renner nur ein Fall von vielen, der ungenügend verfolgt wird. O-Ton Martina Renner, DIE LINKE, MdB: Wir haben im Zusammenhang mit den Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte derzeit überhaupt keinen einzigen vollstreckten Haftbefehl. Das ist, denke ich, ein Problem, weil ich hatte es schon gesagt, das natürlich eine Signalwirkung hat, dass man für diese Taten derzeit relativ ungeschoren davonkommt. Pegida-Demonstration in Dresden vor einem Jahr. Angeblich friedlich aber feindselig gegen Migranten. Politiker verharmlosten damals, zeigten Verständnis. O-Ton Thomas de Maizière, CDU, Bundesinnenminister, am : Zum Respekt gehört auch, die Sorgen von Menschen ernst zu nehmen. O-Ton Sigmar Gabriel, SPD, Bundeswirtschaftsminister, am : Mit den Menschen, die dorthin gehen und die Sorgen haben und die verärgert sind über die Politik, natürlich muss man mit denen reden. Mittlerweile Hass-Demos, Morddrohungen. War das vielleicht im Nachhinein ein Fehler, sich mit Pegida-

6 Demonstranten zu treffen, damals? O-Ton Sigmar Gabriel, SPD, Bundeswirtschaftsminister: Das was wir heute sehen, sind offene Rechtsradikale, haben mit denen, die sich damals in der Landeszentrale für politische Bildung getroffen haben, nichts zu tun. Herr Gabriel, das war ja alles abzusehen, dass Pegida O-Ton Sigmar Gabriel, SPD, Bundeswirtschaftsminister, Wenn Sie das ja alles wussten, sind Sie ja viel klüger als ich. Nachfrage auch beim Innenminister: Bereuen Sie, dass Sie vor einem Jahr Verständnis für Pegida gezeigt haben? O-Ton Thomas de Maizière, CDU, Bundesinnenminister: Sie zitieren mich unzutreffend. Die Beurteilung von Pegida hat sich auch gewandelt, wie Sie wissen. Es bleibt richtig, dass Bürgerinnen und Bürger, die Sorgen haben, auch ernst genommen werden müssen. Der Innenminister sorgt sich um besorgte Bürger und immer mehr Biedermänner werden zu Brandstiftern. Politiker und Ermittler müssen erkennen, was sie sind: extremistische, politische Straftäter. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.