Beitrag: Flüchtlinge als Pflegekräfte Abschiebung trotz Personalmangel

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1 Manuskript Beitrag: Flüchtlinge als Pflegekräfte Abschiebung trotz Personalmangel Sendung vom 24. April 2018 von Jörg Göbel, Hilke Petersen und Markus Reichert Anmoderation: Sprache ist ein Integrationsfaktor, genauso wie Arbeit. Viele Flüchtlinge wollen arbeiten. Und viele Pflegeeinrichtungen suchen händeringend Personal. Das Land Baden-Württemberg wollte beide und beides zusammenbringen. Die Idee: Geduldete Asylbewerber werden während ihrer Pflegeausbildung und anschließender Tätigkeit nicht abgeschoben. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht die Idee auch schon. Ein Happy End ist trotzdem nicht in Sicht. Jörg Göbel und Hilke Petersen zeigen, was passiert, wenn Politiker eine Idee haben, dann aber die Umsetzung verschleppen und vermurksen. Text: Dienstpläne machen im Pflegeheim Sonnenberg ein einziger Kampf: Hier muss ich dann extra kommen lassen, im Frühdienst, weil s mir fehlt. 55 Bewohner betreuen sie hier in Igersheim, nördliches Baden- Württemberg. Genügend Pfleger zu bekommen kaum möglich. Diesen Mitarbeiter sind sie ganz plötzlich losgeworden: Asylbewerber Dame Ndow aus Gambia kam Anfang Februar in Abschiebehaft, vor zwei Wochen dann: Rückflug nach Afrika. Der 30-Jährige machte im Haus Sonnenberg eine Pflegeausbildung. O-Ton Roswitha Hofstetter, Geschäftsführerin Haus Sonnenberg: Die Bewohner vermissen ihn sehr. Wir haben es ihnen nicht gesagt, dass er abgeschoben wurde beziehungsweise in Abschiebehaft genommen wurde. Und nach ner Woche haben sie gefragt, wann er denn wiederkommt. Dann mussten wir mit der Wahrheit raus. Also, da gab s einige, da sind Tränen geflossen.

2 Haus Sonnenberg ein Heim für psychisch Kranke. Belastbares Personal brauchen sie hier, einfühlsame Betreuer, die schwer zu kriegen sind. Dame Ndow war so einer. Eins mochten sie besonders an ihm: O-Ton Angelika Hoffmann, Bewohnerin: Dass er immer Späße mit uns gemacht hat. Und: war freundlich, so freundlich. O-Ton Frontal 21: Erzählen Sie mal: die Späße, was muss ich mir da vorstellen? O-Ton Angelika Hoffmann, Bewohnerin: Ach, da hat er immer so gemacht [Ghettofaust]. Und dann musste man so machen dazu. Hat halt immer so Spaß gemacht mit uns. Dame lernte hier Altenpflegehelfer. Seine Ausbildung sollte zwei Jahre dauern. Für die Ausländerbehörden keine qualifizierte Ausbildung, die vor Abschiebung schützt. Nur wer einen dreijährigen Lehrvertrag hat, kann vorerst bleiben. Auch in Berlin sind die Personal-Probleme in der Pflege bekannt. Deshalb schrieben Union und SPD ein Versprechen in ihren Koalitionsvertrag: Bei kürzeren Lehrzeiten sollen Asylbewerber künftig bleiben dürfen mit sogenannten Ausbildungsduldungen: Diese Regelung wollen wir auch auf staatlich anerkannte Helferausbildungen anwenden. Jedoch, das zuständige Bundesinnenministerium lässt auf Anfrage von Frontal 21 mitteilen: Für die nötige Gesetzesänderung gebe es keinen Zeitplan. In Heimen und Krankhäusern fehlen nach Angaben der Branche mindestens Pfleger. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Stuttgart. Pressekonferenz bei Landesinnenminister Strobl. Seine grün-schwarze Regierung hatte vor einem Jahr die Gesetzesänderung angeregt, doch das wird wohl dauern. O-Ton Thomas Strobl, CDU, Innenminister Baden- Württemberg: Die Gesetzgebung, die in der Zuständigkeit des Bundes liegt, wird sicherlich jetzt nicht in den nächsten Wochen, vielleicht auch nicht in den nächsten Monaten zustande kommen. Dame Ndow, der abgeschobene Gambier, könnte noch da sein, gäbe es das neue Gesetz schon. Ehepaar Sazinger hat sich in Deutschland um ihn gekümmert, ist

3 fassungslos, dass ausgerechnet er Deutschland verlassen musste. Spricht gut Deutsch. Wurde gebraucht im Pflegeheim. Wollte etwas zurückgeben für die Hilfe, die er hier bekommen hatte. O-Ton Claudia Sazinger: Da sind Leute da, die in der Pflege arbeiten wollen und die es gut machen - und die schickt man dann wieder zurück! O-Ton Manfred Sazinger: Also, ich finde, es wird höchste Zeit. Wenn das alles nach dem Gesetz ging, dann müsste man höchstens die Gesetze ändern. Das kann man nicht nachvollziehen. Fast jeden Tag sprechen sie mit Dame. Videoanruf in Gambia: O-Ton Claudia Sazinger: Hallo Dame! Wer in Deutschland bleiben darf politisch hoch umstritten. O-Ton Robert Habeck, B 90/DIE GRÜNEN, Parteivorsitzender: Die Geflüchteten, die auszubilden, die zu qualifizieren und ihnen die Chance zu geben, in die Pflege reinzugehen, würde den Druck im Pflegebereich lindern, vielen zu Pflegenden sofort helfen. Pforzheim. Pflegeheim Schauinsland. Ali Secka kam zuletzt nur noch zum Plaudern. Die Behörde hatte dem Gambier die Arbeitserlaubnis entzogen, setzte einen Termin für die Abschiebung. Auch Ali lernte Altenpflegehelfer. O-Ton Ali Secka, Auszubildender zum Altenpflegehelfer: In Deutschland, mehrere Leute wollen nicht diese Arbeit machen. Und ich wollte in dieser Arbeit bleiben oder weiter gehen mit dieser Arbeit. Wenn das geht, das freut mich. Sein Chef kann die Abschiebung gerade noch verhindern - mit einem vierjährigen Ausbildungsvertrag als Altenpfleger. Joschua Birkemeyer arbeitet für ein Unternehmen mit 500 Beschäftigten. 25 davon sind Geflüchtete. Birkemeyer kämpft um jeden einzelnen. O-Ton Joschua Birkemeyer, Einrichtungsleiter Soziales Netzwerk Schauinsland: Wenn Ali Secka von heute auf morgen abgeschoben werden sollte - oder aus irgendwelchen Gründen nicht mehr erscheinen sollte bei der Arbeit dann heißt das, dass die Dienste plötzlich nicht mehr besetzt sind, und der Kunde, unser Bewohner, unser Schutzbefohlener, keine 100- prozentige Versorgung, die ihm zusteht, mehr erhalten kann.

4 Baden-Württembergs Arbeitgeber machen jetzt Druck, beim Innenminister des Landes. 80 Unternehmen - quer durch alle Branchen - fordern: Bleiberecht für alle, die inzwischen bei ihnen arbeiten und denen jetzt die Abschiebung droht. O-Ton Antje von Dewitz, Geschäftsführerin Vaude: Das ist ein Gefühl der Hilflosigkeit, ein Gefühl der absoluten Sinnlosigkeit. Denn ein Jahr lang arbeiten wir sie mühevoll ein mit ganz vielen Anstrengungen. Jetzt sind sie wertvoll. Jetzt sind sie wertvolle Arbeitskräfte, jetzt sind sie integriert. Allein in Baden-Württemberg dürften anerkannte Asylbewerber arbeiten. Noch mal so viele haben einen unsicheren Aufenthaltsstatus. Wer die beschäftigt, kann sie schnell wieder verlieren. O-Ton Thomas Strobl, CDU, Innenminister Baden- Württemberg: Klar ist: Ausreisepflicht heißt auch Ausreisepflicht. Und ein Arbeitsvertrag schafft mal per se kein Bleiberecht. Wir können auch das Asylrecht nicht umfunktionieren in ein Recht für Arbeitsmigration. Dazu bräuchte es ein Einwanderungsgesetz. Doch darauf können sich Deutschlands Politiker seit Jahrzehnten nicht einigen, obwohl sie immer wieder fordern: Flüchtlinge in Arbeit zu integrieren. O-Ton Antje von Dewitz, Geschäftsführerin Vaude: Wir wurden aufgefordert zu integrieren und Integrationsarbeit zu leisten. Wir haben diesen Job getan. Wir möchten nicht einfach Spielball der Politik sein und unsere Mitarbeiter wieder verlieren. Ludwigsburg. Bundespräsident Steinmeier und seine Frau besuchen die Mathilde-Planck-Berufsschule. Beide wollen sich informieren über berufliche Ausbildung und treffen hier auf Altenpflegehelfer. Elvis aus Kamerun, Nanuli aus Georgien und Madan aus Gambia zeigen, was sie gelernt haben. Alle drei von Abschiebung bedroht. O-Ton Madan, Auszubildende zur Altenpflegehelferin: Irgendwann kommen die Deutschen und schicken uns in unser Land. Das ist unsere große Angst hier. O-Ton Nanuli, Auszubildende zur Altenpflegehelferin: Arbeitserlaubnis geben sie schon. Aber sie wissen nicht, wie lange es dauert. Es kann sein, ich lerne schon jetzt. Aber vielleicht morgen kann ich nicht mehr in die Schule kommen. Die Ungewissheit lässt viele von ihnen verzweifeln - und ihre

5 Arbeitgeber im Unklaren. Daran etwas zu ändern, das ist auch der Appell des Bundespräsidenten: O-Ton Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident: Ich kann nur mit Respekt und Bewunderung sagen, wie ehrgeizig sich diese jungen Menschen nicht nur dem deutschen Spracherwerb widmen, sondern wie meine Frau eben schon gesagt hat wie liebevoll, wir haben das wirklich beobachten können, sie sich auch bei der Pflege zeigen. Ich glaube, das ist ein wirklicher Gewinn, den wir haben für die Ausbildung - und möglicherweise für die Zukunft der Altenpflege auch in Deutschland. Doch die Große Koalition lässt sich Zeit. Dabei zeigt sich gerade in der Altenpflege: Deutschland könnte profitieren - doch geltende Gesetze machen Integration oft unmöglich. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.