Über die algebraische Struktur physikalischer Größen
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- Norbert Hofmeister
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1 Über die algebraische Struktur physikalischer Größen Alois Temmel Juni 2001 c 2001, A. Temmel
2 Inhaltsverzeichnis 1 Physikalische Größen Das internationale Einheitensystem Die Gruppe der physikalischen Einheiten Freie Gruppen Zur Motivation des Begriffes der freien Gruppe Definition der freien Gruppe Die Struktur der freien abelschen Gruppen Physikalische Größen Die IR-Algebra der physikalischen Größen
3 A. Temmel; Über die algebraische Struktur physikalischer Größen 3 1 Physikalische Größen 1.1 Das internationale Einheitensystem Alle Größen der Mechanik lassen sich auf drei Grundgrößen zurückführen. Bei Hinzunahme der übrigen Gebiete der Physik genügen insgesamt sieben Grundgrößen mit ihren Einheiten und 1971 wurden diese sieben Grundgrößen samt Einheiten als internationales Einheitensystem (System International d Unites: SI) auf der Conference Gen. des Poids et Mesures (CGPM) festgelegt: Grundgröße SI-Einheit (Zeichen) SI-Einheit (Name) Länge s m Meter Zeit t s Sekunde Masse m kg Kilogramm Elektr. Stromstärke I A Ampère Thermodyn. Temp. T K Kelvin Stoffmenge ν mol Mol Lichtstärke S cd Candela Die Angabe einer Größe erfolgt immer durch die Angabe der Maßzahl und der Einheit. Da die Maßzahl i.a. eine reelle nicht negative Zahl ist, und innerhalb einer Größe nur die Addition einen Sinn macht (Man addiert nicht Äpfel und Birnen), ist jede physikalische Größe für sich isomorph zur additiven Halbgruppe (IR + 0 ; +) der positiven reellen Zahlen samt Null. Bei eindimensionalen Vektorgrößen können bei vorheriger Festlegung einer positiven Richtung auch negative Maßzahlen einen Sinn machen und sogar bei skalaren Größen wie z.b. der Masse, wenn negative Massen als Antimaterie gedeutet werden. Diese Größen sind dann isomorph zu (IR; +). 1.2 Die Gruppe der physikalischen Einheiten Aus diesen sieben Grundgrößen können nun durch Multiplikation und Division neue physikalische Größen gebildet werden, sofern das physikalisch sinnvoll ist. Die zugehörige Einheit entsteht dann ebenfalls aus der Multiplikation bzw. Division der entsprechenden Einheiten. Der Vorbehalt, ob eine solche Multiplikation bzw. Division physikalisch sinnvoll ist oder nicht, soll hier mathematisch gar nicht berücksichtigt werden. Denn es ist eh nicht vorhersehbar, ob die Festlegung z.b. einer Kubiksekunde s 3 vielleicht unter gewissen Aspekten einen Sinn macht. Damit ist die Menge der in Frage kommenden Einheiten die von der Menge {m, s, kg, A, K, mol, cd} frei erzeugte multiplikative abelsche Gruppe F. Dieser Begriff wird später noch erläutert. Das neutrale Element 1I in dieser Gruppe F entspricht dann der Einheit physikalischer Größen, die reine Zahlen sind wie z.b. der Reibungszahl f R.
4 A. Temmel; Über die algebraische Struktur physikalischer Größen 4 Diese durch sieben Elemente frei erzeugte abelsche Gruppe ist isomorph zu (ZZ 7 ; +) =: ZZ 7 wobei ZZ 7 das 7-fache direkte Produkt der ganzen Zahlen ZZ ist: ZZ 7 := ZZ ZZ ZZ. }{{} 7 mal Der Isomorphismus wird geliefert durch die Abbildung ZZ 7 F (z 1 ; z 2 ;... z 7 ) m z1 s z2 cd z 7. Das 7-Tupel (1; 2; 1; 0; 0; 0; 0) entspräche dann z.b. der Einheit kg m s 2 Kraft F. für die 2 Freie Gruppen 2.1 Zur Motivation des Begriffes der freien Gruppe Es ist eine verhältnismäßig schwierige Angelegenheit, die Struktur von Gruppen zu bestimmen, die von mehr als einem Element erzeugt werden. Diese sind nämlich entweder isomorph zu (ZZ n ; +) (dann handelt es sich um eine zyklische Gruppe der Ordnung n) oder zu (ZZ; +). Eine Gruppe heißt von einer Menge M erzeugt (Schreibweise: G =< M >), falls gilt M G und G die kleinste Untergruppe von G ist, die M enthält. Genauer heißt das: G = {U U ist Untergruppe von G und M U} Etwas konstruktiver formuliert bedeutet das, dass G aus allen möglichen Verknüpfungen (Produkten bei multiplikativer Schreibweise) von Elementen aus M samt dem neutralen Element e und den zugehörigen inversen Elementen besteht. Ist M eine endliche Menge, so heißt G endlich erzeugt. Oft sind, um die Struktur einer endlich erzeugten Gruppe festzulegen, noch Nebenbedingungen, so genannte Relationen, gegeben. Z.B. ist die von zwei Elementen a, b erzeugte Gruppe mit den Relationen a 2 = b 2 = (ab) 2 = e die aus den vier Gruppenelementen {e; a; b; ab} bestehende Kleinsche 1 Vierergruppe mit der folgenden Verknüpfungstafel: e a b ab a e ab b b ab e a ab b a e Es kommt häufig vor, dass man von einer Gruppe nur ein Erzeugendensystem kennt und eine gewisse Anzahl von Relationen. Gesucht ist dann eine 1 Felix Klein:
5 A. Temmel; Über die algebraische Struktur physikalischer Größen 5 Gruppe, die von der vorgegebenen Menge erzeugt wird und in der genau diese Relationen und außer den durch die Gruppenaxiome bedingten Folgerungen keine weiteren Relationen gelten. Ist eine solche Gruppe gefunden, stellt sich auch sofort die Frage nach der Eindeutigkeit dieser Gruppe. Ein Sonderfall besteht darin, dass nur ein Erzeugendensystem vorgegeben wird, und keine Relationen. Die gesuchte Gruppe soll also von einer vorgegebenen Menge erzeugt werden und in ihr sollen keine weiteren, außer den durch die Gruppenaxiome implizierten Relationen gelten wie z.b. a a 1 = e, a a 1 a a 1 = e, usw. In diesem Sinne soll also die Gruppe frei von Relationen sein. 2.2 Definition der freien Gruppe Die klassische, konstruktive Definition von freien Gruppen erfolgt über die Bildung von reduzierten Wörtern über der Buchstabenmenge M M 1 {e}, wobei M 1 ein bijektives Bild von M ist, dessen Elemente die formalen Inversen der Elemente von M sind, und e das sogenannte leere Wort der Länge 0. (vgl. [1]) Hier soll die heutzutage bevorzugte Definition mit Hilfe der universellen Eigenschaft der freien Gruppe erfolgen. Definition 1: Es sei M eine Menge, F eine Gruppe und ι : M F eine Abbildung. Das Paar (F ; ι) heißt eine von M frei erzeugte Gruppe, wenn es zu jeder Gruppe G und jeder Abbildung α : M G genau einen Homomorphismus ϕ : F G gibt, sodass gilt ϕ ι = α. Diese Definition wird in folgendem Diagramm veranschaulicht. ι ist dabei als Einbettung der Elemente von M in F aufzufassen und die universelle Eigenschaft besagt, dass jeder Homomorphismus ϕ : F G durch die Bilder der Elemente von ι(m) eindeutig bestimmt ist. Einen analogen Fall kennt man aus der linearen Algebra, wo jede lineare Abbildung von einem Vektorraum in einen anderen Vektorraum allein durch die Bilder der Basisvektoren eindeutig bestimmt ist. Zu Bemerken ist noch, dass, falls M 0 und M 1 F in höchstem Maße nichtabelsch ist. D.h., dass es keine zwei unterschiedlichen vom neutralen Element verschiedenen Elemente gibt, die kommutieren.
6 A. Temmel; Über die algebraische Struktur physikalischer Größen 6 Möchte man erreichen, dass F abelsch ist, und sonst keine Relationen gelten, muss man für F die Kommutativität fordern und sich bei den Gruppen G auf abelsche Gruppen beschränken. Definition 2: Es sei M eine Menge, F eine abelsche Gruppe und ι : M F eine Abbildung. Das Paar ( F ; ι) heißt eine von M frei erzeugte abelsche Gruppe, wenn es zu jeder abelschen Gruppe G und jeder Abbildung α : M G genau einen Homomorphismus ϕ : F G gibt, sodass gilt ϕ ι = α. Der Zusammenhang zwischen der von M frei erzeugten Gruppe und der von M frei erzeugten abelschen Gruppe wird durch folgenden Satz geliefert. Satz 1: Ist (F ; ι) eine von M frei erzeugte Gruppe, so ist (F/K[F ]; ι) mit ι : M F/K[F ]; m ι(m)k[f ] eine von M frei erzeugte abelsche Gruppe, wobei K[F ] die Kommutatorgruppe in F ist. Beweis: Der Beweis wird durch folgendes Diagramm geliefert:
7 A. Temmel; Über die algebraische Struktur physikalischer Größen 7 Dabei gilt wobei ι = ϕ ι, ϕ : f f K[F ] eindeutig ist. Zu zeigen ist nun, dass zu jeder Abbildung α ein Homomorphismus ϕ existiert und eindeutig ist. Dies folgt aber aus der Existenz und Eindeutigkeit von ϕ 1, denn es gilt: ϕ : F/K[F ] G f K[F ] ϕ 1 (f). Bemerkungen: 1. ϕ ist vom Repräsentanten f unabhängig, da gilt: f 1 f 2 f 1 K[F ] = f 2 K[F ] f 1 f2 1 K[F ] ϕ 1 (f 1 f2 1 ) = e G ϕ 1 (f 1 ) ϕ 1 (f2 1 ) = e G ϕ 1 (f 1 ) ϕ 1 (f 2 ) 1 = e G ϕ 1 (f 1 ) = ϕ 1 (f 2 ). 2. α = ϕ 1 ι = ϕϕι = ϕ ι 3. Zur Erinnerung: K[F ] ist die von allen Kommutatoren aba 1 b 1 mit a, b F erzeugte Untergruppe von F. K[F ] ist Normalteiler in F. Für irgendeinen Normalteiler N in F ist F/N genau dann abelsch, wenn K[F ] in N enthalten ist. 2.3 Die Struktur der freien abelschen Gruppen Satz 2: Es sei ( F ; ι) eine von der Menge M frei erzeugte abelsche Gruppe. Dann gilt: 1. ι : M F ist injektiv. 2. F =< ι(m) >.
8 A. Temmel; Über die algebraische Struktur physikalischer Größen 8 Beweis: 1. Für x, y M sei ι(x) = ι(y). Betrachte zur Gruppe ZZ 2 die Abbildung α : M ZZ 2 mit α(x) = 0 und α(u) = 1 für alle u M, u x. Nach Voraussetzung gibt es ein ϕ : F ZZ2 mit α = ϕ ι. Damit gilt aber: 0 = α(x) = ϕ ι(x) = ϕ ι(y) = α(y). Daraus folgt x = y, denn sonst wäre α(y) Es sei F =< ι(m) > und es sei ι : M F die Abbildung, die man durch Einschränkung des Bildbereichs von ι : M F erhält. ( ι = ι) Nach Voraussetzung gibt es genau einen Homomorphismus ϕ : F F mit ι = ϕ ι. Im Diagramm: Dieses Diagramm kann man durch die natürliche Inklusion α : F F, α(u) = u zu fogendem Diagramm erweitern: mit ϕ := αϕ, ι = α ι und wegen ι = ϕ ι gilt ι = α ι = αϕ ι = ϕ ι.
9 A. Temmel; Über die algebraische Struktur physikalischer Größen 9 Im Diagramm erfüllt die Identität die Beziehung ι = id ι. Aus der Eindeutigkeit von ϕ folgt ϕ = id. Also gilt F = ϕ( F ) = αϕ( F ) = ϕ( F ) F. Damit gilt F = F. Bemerkungen: 1. Diesen Satz samt Beweis kann man ganz analog auch ohne die Einschränkung der Kommutativität auf von M frei erzeugte Gruppen übertragen (vgl. [1]). 2. Dieser Satz liefert eigentlich die intuitive Vorstellung einer von M frei erzeugten abelschen Gruppe als diejenige Gruppe, die aus allen möglichen Produkten (unter Berücksichtigung der Kommutativität) besteht, ohne dass sich jemals etwas wegkürzt. Satz 3: Für eine endliche Menge M mit M = n ist eine von M frei erzeugte abelsche Gruppe F isomorph zu ZZ n. Beweis: Wegen Satz 2 ist ι(m) = n und F =< ι(m) >= { ι(m 1 ) z1 ι(m 2 ) z2 ι(m n ) zn z i ZZ}, wobei M = {m 1, m 2,..., m n }. Der Isomorphismus wird durch die Abbildung f : ι(m 1 ) z1 ι(m 2 ) z2 ι(m n ) zn (z 1, z 2,..., z n ) geliefert.
10 A. Temmel; Über die algebraische Struktur physikalischer Größen 10 3 Physikalische Größen 3.1 Die IR-Algebra der physikalischen Größen Die Menge der physikalischen Größen kann als IR-Vektorraum G aufgefasst werden mit der Menge F der Einheiten als (Hibert-)Basis und somit unendlicher Dimension. Allerdings wird die Addition dabei in der Physik auf die von den Basisvektoren eindimensionalen Untervektorräume beschränkt. Mathematisch kann man aber durchaus 2kg und 3s addieren. Dass sind dann eben zwei Kilogramm und drei Sekunden. Weil diese Basisvektoren eine multiplikative Gruppe bilden, nämlich F, kann auf dem Vektorraum G auf natürliche Weise eine Multiplikation definiert werden, die dann sowohl assoziativ als auch kommutativ ist. Außerdem gilt mit der Addition in G das Distributivgesetz und das neutrale Element 1I F in F ist die Eins bezüglich dieser Multiplikation. Somit ist die Menge G aller physikalischen Größen eine assoziative IR-Algebra mit Eins. Literatur [1] Kurt Meyberg: Algebra Teil 1, Carl Hanser Verlag München Wien. [2] M. Ronge u. H. Schmid: Experimentalphysik I,ATTEMPTO Verlag Tübingen GmbH, [3] C. Gerthsen, H.O. Kneser, H. Vogel: Physik (12. Auflage), Springer-Verlag 1974.
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