Belastungen und Selbstfürsorge der Helfenden
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- Kirsten Otto
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1 Belastungen und Selbstfürsorge der Helfenden Dr. med. Conrad Frey Gliederung Integration von traumatisierten Flüchtlingen eine Herausforderung Erfahrungen aus dem Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK Konzeptionelle Landkarte Sekundäre Traumatisierung in multiprofessionellen Teams Prävention der sekundären Traumatisierung Selbstfürsorge institutionelle Gesundheitsförderung 1 1
2 Das Therapiezentrum für Folteropfer wurde 1995 in Bern gegründet. Die Basis für die Eröffnung des Zentrums bildete die Studie «Die Sprache der extremen Gewalt» von Prof. H.R. Wicker (1991) Das Therapiezentrum - heute Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK - hat sich in den vergangenen 20 Jahren regional vergrössert und ist nun Teil eines schweizerischen Fachverbundes. Vom Therapiezentrum zum Verbund Kontakt Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK Freiburgstrasse Bern-Bümpliz gi-ambulatorium@redcross.ch Telefon: Fax:
3 Falldarstellung (Bosnienkonflikt) 7 jähriger bosnischer Knabe unsichere Bindung durch traumatische Lebensumstände elektiver Mutismus Trennungsängste Schulverweigerung Psychische Beeinträchtigungen der Eltern Parentifizierung der älteren Schwester 4 Individuelle Gefühle und Reaktionen der Helfenden Trauer, Bedrücktheit, Sorge Schuld- und Unrechtsgefühle Wut, Ärger, Erregung Ausgeprägte Verantwortungsgefühle Gefühle der Entfremdung Schamgefühle und andere verwirrende Emotionen bzw. Reaktionen Ohnmacht und Hilflosigkeit Verminderung der (therapeutischen Selbstsicherheit) Starke Identifikation mit den Opfern Wunsch nach Wiedergutmachung, Rettungsphantasien Überbehütung (Selbstwirksamkeit ) Entwertungen der betroffenen Gruppen Verletzende Intoleranz und Gleichgültigkeit gegenüber den Sorgen und Bedürfnissen anderer Menschen (Frey, 2016; Kinzie 1994) 5 3
4 Konzeptionelle Landkarte Ressource Existentielle Verankerungen Stressoren Traumatische Stressoren Trauma Typ 1 oder 2 Sequentielle Traumatisierung Persönliche Stressoren Berufliche Stressoren Störungen Posttraumatische Belastungsstörungen Komplexe PTBS Anpassungsstörungen, Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen etc. Helfende Sekundärer Traumatischer Stress Mitgefühlserschöpfung «Compassion Fatigue» Burnout-Syndrom Indirekte oder induzierte Traumatisierung 6 Wichtige existentielle Verankerungen Sicherheitsgefühl die Gewissheit, in einer rechtlichen Ordnung zu leben, in der die eigene physische und psychischen Integrität geschützt wird. Gerechtigkeitssinn ein ideelles Gefühl für Gerechtigkeit und die unantastbare Würde des Menschen. Zugehörigkeitsgefühl die soziale Integration in ein Netzwerk, das Zugehörigkeiten schafft und durch soziale Beziehungen gefestigt ist Selbstwertgefühl die persönliche Verankerung durch soziale Rollen, die ein kohärentes Selbstbild und eine stabile Identität ermöglichen Lebenssinn ein Norm- und Wertesystem im Zusammenhang mit existentiellen Fragen, das dem Leben Bedeutung und Sinnhaftigkeit verleiht. (Moser & Frey, 2007; Silove et al. 2001) 7 4
5 Traumatische Erfahrungen, insbesondere solche welche durch Menschen mit Absicht verursacht wurden, lockern diese wichtigen existentiellen Verankerungen auf und beeinträchtigen die positiven Grundannahmen über sich selbst und die Mitwelt. 8 OPSI, Büro für psychosoziale Prozesse 9 5
6 Komplexe Posttraumatische Störung PTSD - Kernsymptom (F43.1 nach ICD 10) Wiedererleben, Vermeidung und Erregung Chronische Stress- und Schmerzsyndrome Sekundäre Veränderungen (Co-Morbidität) Substanzabhängigkeit Depressionen Störung der Impulskontrolle ( erhöhte Gewaltbereitschaft) Interpersonelle Probleme (inkl. Sexualität) Veränderte Selbst- und Weltsicht 10 Burnout - Syndrom Affektive Reaktion auf kontinuierliche Stressbelastung im Beruf Gefühl einer körperlichen, emotionalen und geistigen Erschöpfung Depersonalisierung, d.h. einer distanzierten, gleichgültigen oder gar zynischen Einstellung gegenüber der Arbeit (inkl. Kunden, Kollegen) Gefühl einer reduzierten beruflichen Leistungsfähigkeit Ineffektivität Verlust des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten Job-Strain Theorie Hohe Anforderungen und geringe Einflussmöglichkeit (Karasek & Theorell, 1990) (Maslach et. al, 2001; Schulze, 2009) 11 6
7 Sekundäre Traumatisierung (STS) Uneinheitliche Nutzung des Begriffes viele unterschiedliche Bezeichnungen berufsbedingte Traumatisierung (z.b. Rettungskräfte) Berufliche Risikogruppen (z.b. Feuerwehr, Polizei, Rettungskräfte) Störungsbilder werden nach den Kriterien von ICD-10 erfasst, z.b. als akute Belastungsreaktion oder Posttraumatische Belastungsstörung übertragene (induzierte) Traumatisierung Bei Personengruppen mit emotionaler Nähe zu den Primärtraumatisierten (z.b. Therapeuten, Sozialpädagogen, Angehörige) ohne direkte sensorische Eindrücke des Ausgangstraumas mit (zumeist grösserer) zeitlicher Distanz zu den Ausgangstraumata (Daniels, 2003) Ähnliche Symptome wie bei Primärtrauma (keine Erfassung in ICD-10) 12 Indirekte Traumatisierung («vicarious traumatization») Wer traumatisierten Menschen hilft, lässt sich selber auf eine Transformation seiner Persönlichkeit ein. Es treten Veränderungen der eigenen kognitiven Schemata ein Diese Veränderungen sind kumulativ, graduelle und langfristig. Auslöser sind nicht einzelne belastende Therapiestunden sondern die angehäuften Erfahrungen mit traumatischem «Material» (v.a. rund um das Wissen von menschlichen Grausamkeiten). Die kognitiven Veränderungen betreffen persönliche Bereichen wie Identität, Glaube und Weltsicht, Grundüberzeugungen, psychische Bedürfnisse, Gedächtnis Eine empathische zwischenmenschliche Verbindung ist Voraussetzung McCann und Pearlman (1990); Pearlman und Saakvitne (1995); Judith Daniels (2006) 13 7
8 Compassion Fatigue «There is a cost to caring» (Figley, 1995) 14 Mitgefühlserschöpfung («Compassion Fatigue» nach Figley, 1995) Thematisch zwischen sekundärer Traumatisierung und Burnout einzuordnen «Beschönigung» der leidvollen Aspekte einer sekundären Traumatisierung (Lemke, 2006) Empathische Reaktionen der Helfenden als Grundvoraussetzung für STS Aufopfernde, emotional stark mit den Opfern identifizierte Personen Pflegepersonal, Psychotherapeuten, Rettungskräfte, Flüchtlingsbetreuende etc. Bei anhaltender Exposition mit traumatischem Material und / oder bei chronischen Leidenszuständen Führt zu einer Erschöpfung des Einfühlungsvermögens (Empathie) Volatiler Verlauf der Symptomatik mit rascher Entwicklung bzw. Rückbildung Ohne eindeutige Verbindung zu aktuellen Vorfällen oder Konflikten Neben posttraumatischen Symptomen auch Gefühle von Hilflosigkeit, Konfusion und innerer Fremdheit 15 8
9 Fazit sekundäre Traumatisierung bzw. Burnout Überschneidungen der verschiedenen Konzepte mit teils widersprüchlicher und nicht immer konsistenter empirischer Datenlage Integriertes Modell der Sekundären Traumatisierung als «traumatoid states» (Thomas & Wilson, 2004) Zentrale Elemente: Empathische Identifizierung sowie Unfähigkeit die durch die Trauma-Exposition ausgelösten Gefühle zu kommunizieren Belastung führen zu Symptomen aus Traumafolgestörungen / Depression / Psychosomatik Vortraumatisierung und mangelnde Berufserfahrung der Helfenden sind Prädiktoren für STS, aber. Vortraumatisierung auch als Ressource möglich («Posttraumatische Reifung») 16 «Posttraumatic Growth» (Tedeschi & Calhoun, 2004) Posttraumatische Reifung positiver innerer Entwicklungsprozess Änderung des Selbstgefühls «Verletzlicher... aber stärker» Änderung der Beziehungsfähigkeit Intimität und Mitgefühl verstärkt Trauma als Thema oder Mission (Schrift, Wort, Bild) Änderung der Lebensphilosophie Wahrnehmen neuer Möglichkeiten und Prioritäten Vertiefen von Lebensfragen «Baum der Hoffnung bleibe stark» (Frida Kahlo, 1946) 17 9
10 Teamprozesse in der Pionierphase Ausgeprägte Aufbruchsstimmung und Hilfsbereitschaft Knappe personelle Ressourcen Persönliche Überforderungen, mangelnde spezifische Kompetenzen Hohe Erwartungen wenig sichtbare Erfolge Multiprofessionalität wird zu einer grossen Herausforderung bzw. Überforderung Mangelnde Klarheit und Transparenz im Therapieprozess als defensive Strategie Gestörter Übergang in die Phase der fachlichen und strukturellen Differenzierung Krise 18 Destruktive Teamdynamik in Traumazentren Übertriebene Ängste, Befürchtungen und Sorgen - Tendenz zur Ansteckung und Eskalation ( permanenter Notfall ) Re-Inszenierung der Traumata Misstrauen, Verdächtigungen und Projektionen - Innerhalb Team, gegenüber Leitung oder nach Aussen - Faszinosum der Gewalt Wenig differenzierte und konflikthafte Team- und Leitungsstruktur - Ideologie der kollektiven Entscheidung chaotische, endlose Diskussionen - Konfuse Kommunikationsmuster, eingeengte bis irrationale Wahrnehmungen und Interpretationen Grenzverletzungen, Spaltungen und Bildung von Fraktionen - Anschuldigungen, Mobbing, informelle Führung, Ausschluss von Mitarbeitenden Erschöpfung und Machtlosigkeit - Verlust an Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit und Effizienz (Pross, 1999; Frey 2007) 19 10
11 Prävention der sekundären Traumatisierung Verantwortung Individuum Verantwortung Institution 20 Gesundheitsförderung bei Stress (7 x E + B = G) Erkennen und Anerkennen der Stressbelastung Entlastung und Entschleunigung Kurzfristige Reduktion von Stressoren Atmung, Wahrnehmungslenkung, physische Abreaktion u.a. Erholung und Entspannung Langfristige Strategien zur Emotionsregulierung Bewegung, Entspannungstechniken, Meditation, Achtsamkeit, soziale Unterstützung holen u.a. Ernährung (inkl. alkoholische Getränke!) massvoll und ausgewogen Ernüchterung und Besonnenheit Perfektion und Leistungsanspruch hinterfragen Abgrenzung und sinnvolles Zeitmanagement beachten und üben (Frey, 2016; Jaggi, 2009) 21 11
12 Zähmung der persönlichen Antreiber Sei perfekt ( so gut wie möglich ) Streng dich an ( immer 100% ) Beeil dich ( so schnell wie möglich ) Sei stark ( keine Gefühle zeigen ) Mach s den Anderen recht ( sei nicht wichtig) Fehler sind erlaubt Ich darf es mir leicht machen (Intelligent, nicht hart arbeiten) Ich darf mir Zeit lassen Gefühle sind erlaubt Eigene Bedürfnisse beachten 22 Institutionelle Gesundheitsförderung Management / Leitung - Kennt und akzeptiert die beruflichen Risiken in der Arbeit mit Traumatisierten - Hat eine offene, direkte, wertschätzende und unterstützende Kommunikation - Löst Probleme und Konflikte rasch, konstruktiv und nicht abwertend Arbeitsorganisation - Verantwortung, Kompetenzen und Abläufe sind geklärt - Arbeitszeit, Arbeitsbelastung sind begrenzt - Effiziente, effektive Verwendung der Mittel - Vielseitige Aufgaben (Therapie, Lehre, Projektarbeit) Chance und Risiko Professionelle und förderliche Arbeitsbeziehungen - Vertrauen und Verpflichtung (Team und Leitung) Emotionale Entlastung durch Peers Ungünstiges Coping ansprechen - Sucht, destruktives Verhalten bei MA Personal- und Teamentwicklung Periodische Überprüfung / Evaluation Teamsupervision bei Bedarf Supervision und Coaching (Aussensicht) 23 12
13 Projekt in Palästina «Kicking the Ball and Taking Care» Psychosoziale Unterstützung für Kinder durch Fußballaktivitäten Phase 1: Modellentwicklung / 200 (7-13 j.) pro Region - 7 UNRWA Schulen Phase 2: Ausweitung / Autonomie / (11-14 j. / total) - 50 UNRWA Schulen Entwicklung von Supervisions- / Coaching-Strukturen für Fachkräfte im psychosozialen Bereich Phase 1: Fachkräfte in beiden Regionen werden ausgebildet - Rund 300 Personen erhalten regelmässig Supervision (2 J.) - 31 Institutionen sind involviert Phase 2: von 33 erhalten Schulung zu Supervisions-Ausbildner - Lokales Ausbildungscurriculum - Ausbildung von 94 neuen Supervisoren - Rund 600 Personen erhalten regelmässig Supervision (2 J.)
14 Kontakt: Dr.med. Conrad Frey Psychiatrie OW/NW Kantonsspital 6060 Sarnen
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