Kritik der Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Saarbrücken Arbeitskammer 5. September 2013 Dr. Nadja Rakowitz
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1 Kritik der Ökonomisierung des Gesundheitswesens Saarbrücken Arbeitskammer 5. September 2013 Dr. Nadja Rakowitz Homepage:
2 Privatisierung? Kommerzialisierung? Ökonomisierung? Der Begriff Kommerz konzentriert sich auf Handel, erst dann auf Gewinnerzielung Ökonomisierung unter heutigen Bedingungen bedeutet: einer kapitalistischen Logik unterwerfen Ökonomisierung bezieht sich deshalb auch auf die Produktion selbst: die Art und Weise, wie etwas produziert wird, ändert sich. Dies gilt auch für das Gesundheitswesen Ökonomisierung gehört notwendig zu Privatisierung; Ökonomisierung findet auch in öffentlichen Institutionen statt.
3 Ökonomische Logik Für die Ökonomie gilt: nur zahlungskräftige Nachfrage ist Nachfrage. Hungernde Menschen ohne Geld und Lebensmittelüberschüsse sind deshalb kein Widerspruch. Entsprechend sind kranke Menschen nicht unbedingt Nachfrager nach medizinischen Leistungen, wenn sie kein Geld haben (Bsp. Griechenland) Ebenso gilt für die Ökonomie: Wenn eine Ware / Dienstleistung mit Profit verkauft wurde, war das Geschäft erfolgreich. Sie fragt nicht, ob es sinnvoll war, die Ware zu kaufen oder zu konsumieren. Aus ökonomischer Sicht kann es deshalb keine Überversorgung geben. Ein verkauftes und konsumiertes künstliches Hüftgelenk ist, auch wenn es medizinisch nicht sinnvoll war, ein ökonomisch erfolgreiches Geschäft.
4 Private Unternehmen im Gesundheitswesen: Nichts Neues Medizinisch-technischer Komplex (Pharmaindustrie, Geräteindustrie, Heilmittelindustrie) in privater Hand 10% der Bevölkerung haben private Krankenversicherung als Vollversicherung niedergelassene Ärzte als Privatunternehmer und Vorreiter der Ökonomisierung
5 Nicht-profitorientierte Strukturen des Gesundheitswesen bis Anfang 90er Jahre Krankenhäuser waren in öffentlicher oder frei-gemeinnütziger Trägerschaft und mit Selbstkostendeckungsprinzip Gesetzliche Krankenversicherung funktionierte ohne Konkurrenz, Insolvenz, privatwirtschaftliche Elemente
6 Geld, nicht Kapital In diesen öffentlichen Krankenhäusern wurden Waren gekauft und Löhne gezalht. Zwischen diesen Institutionen zirkulierte zwar Geld, aber dieses Geld wurde nicht Kapital, d.h. hier wurden keine Profite gemacht. Anlagesuchendes Finanzkapital konnte hier kaum Geschäfte machen. Dies wird nun an beiden Seiten geändert: Sowohl Krankenhäuser als auch möglicherweise die Kraneknkassen werden privatisiert.
7 Voraussetzung der Gesundheitspolitik Der Gesundheitsmarkt ist der wichtigste Wachstums- und Beschäftigungssektor in Deutschland. (Koalitionsvertrag FDP/CDU-CSU)
8 Ökonomisierung heute Krankenhäuser Ambulanter Sektor Krankenkassen
9 ambulanter Sektor Arzt und Ärztin sind Kleinunternehmer Einzelleistungsvergütung führte zu medizinisch nicht begründeter Leistungsausweitung Es gibt immer mehr Fachärzte steigende Arztzahlen und keine bedarfsgerechte Verteilung der Praxen: arme und reichet Stadtteile, Stadt-Land- Unterschiede
10 Ökonomisierung im ambulanten Sektor Einführung von IGe-Leistungen durch KV Forderung nach Priorisierung und Kostenerstattung mit MVZ gibt es zwar die Möglichkeit für sozialmedizinisch orientierte Gruppenpraxen mit angestellten Ärzten aber MVZ sind auch die Möglichkeit für Konzerne, im ambulanten Sektor Fuß zu fassen (Bsp. Rhönklinikums AG)
11 Solidarprinzip der Gesetzlichen Krankenkassen Bis heute gilt bis zur Beitragsbemessungsgrenze und nur für 90 Prozent der Bevölkerung und inzwischen mit ein paar Abstrichen das solidarische Prinzip: Jeder nach seiner Leistungsfähigkeit, jedem nach seinem Bedarf, d.h. unabhängig von dem eingezahlten Beitrag bekommen alle Versicherten die gleichen Leistungen (nahezu alle medizinisch notwendigen Leistungen).
12 Umbau der Gesetzlichen Krankenkassen Union/FDP: Konkurrenz der Krankenkassen SPD/GRÜNE: Wahltarife, Selbstbehalttarife etc. Union/SPD: Möglichkeit der Insolvenz Union/FDP: Zusatzbeitrag als Kopfpauschale Union/FDP: Änderung des Kartellrechts: Krankenkassen sollen unter Kartellrecht und damit Wettbewerbsrecht gestellt werden. Das Gesetz hing lange im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat.
13 Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB- Novelle) 2012 Schließlich wird das kartellrechtliche Bußgeldverfahren effizienter gestaltet und sichergestellt, dass das wettbewerbliche Handeln der Krankenkassen dem Kartellrecht unterliegt. Demnach sollen die kartellrechtlichen Vorschriften auf die Wettbewerbsbeziehungen der Krankenkassen untereinander und in deren Verhältnis zu den Versicherten angewendet werden. Ein Kompromiss im Bundesrat sorgte dafür, dass zukünftig für die wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten der Krankenkassen dennoch Sozialgerichte zuständig sein sollen.
14 Der Bundesrat meint dazu: Die im Gesetzesbeschluss vorgesehenen Änderungen führen zu einer deutlichen Verschlechterung der Versorgungssituation und der Rechte und Möglichkeiten der gesetzlich Krankenversicherten. Eine Gleichsetzung der am Gemeinwohl orientierten Krankenkassen mit privatwirtschaftlichen und gewinnorientierten Unternehmen zieht eine Unterordnung der Patienteninteressen unter die des Wettbewerbs nach sich.
15 Begründung der Kritik des Bundesrats mit Verweis auf EU Diese Kartellrechtsänderung rückt die dem Sozialstaatsprinzip verpflichteten gesetzlichen Krankenkassen in die unmittelbare Nähe gewinnorientierter Wirtschaftsunternehmen. Dagegen fallen die KK nach der Rechtsprechung des EuGH nicht unter den europäischen Unternehmensbegriff und unterliegen daher auch nicht dem EU-Wettbewerbsrecht Die GWB-Novelle erhöht in erheblichem Maße die Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH in seiner zukünftigen Rechtsprechung die Unternehmenseigenschaft der deutschen gesetzlichen Krankenkassen bejahen wird.
16 Aktuelle Vorschläge der Reform der Krankenversicherungen Mehr Wettbewerb Wettbewerb um Leistungen in der GKV Öffnung der PKV für alle Leistungskürzungen Ausweitung der Solidarität Bürgerversicherung: viel Geld, aber solidarisch auf allen Schultern verteilt
17 Konsequenzen der Ökonomisierung medizinische Versorgung wird immer abhängiger vom individuellen Einkommen Leistungsausweitung & Rationierung medizinische Überlegungen werden immer weiter ökonomischen bzw. betriebswirtschaftlichen untergeordnet Wir vom vdää wollen uns daran nicht gewöhnen, wir wollen diesen Trend stoppen und für eine Medizin mit demokratischem und menschlichem Antlitz kämpfen.
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