Hans- Jürgen Krumm (Wien) Mehrsprachigkeit als Chance
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1 Hans- Jürgen Krumm (Wien) Mehrsprachigkeit als Chance
2 Kapitel 1 Widersprüche in der europäischen und österreichischen Sprachenpolitik Tendenz zur Einheitssprache / Elitemehrsprachigkeit versus: Förderung sprachlicher Vielfalt Kap. 2: Argumente für die Förderung von Mehrsprachigkeit Kap. 3: Konsequenzen für die österreichische Schulsprachenpolitik > Curriculum Mehrsprachigkeit
3 Begriffe Multilingualismus, Vielsprachigkeit = gesellschaftliche Mehrsprachigkeit Plurilingualismus, Mehrsprachigkeit = individuelle Mehrsprachigkeit Sprachenpolitik / Schulsprachenpolitik drückt die Wichtigkeit aus, die die Gesellschaft einzelnen Sprachen zuschreibt reguliert die Entfaltungsmöglichkeiten der individuellen Mehrsprachigkeit.
4 Strategie 1: Eurisch - eine Sprache für Europa: oder: Europa auf dem Weg zur Elitemehrsprachigkeit Europanto, Esperanto, Englisch
5 Amtssprachen der EU: 23 Bulgarisch (2007) Maltesisch (2004) Dänisch (1973) Niederländisch (1958) Deutsch (1958) Polnisch (2004) Englisch (1973) Portugiesisch (1986) Estnisch (2004) Rumänisch (2007) Finnisch (1995) Schwedisch (1995) Französisch (1958) Slowakisch (2004) Griechisch (1981) Slowenisch (2004) Irisch (2007) Spanisch (1986)* Italienisch (1958) Tschechisch (2004) Lettisch (2004) Ungarisch (2004) Litauisch (2004) + Russisch 95 % des Sprachenlernens in der EU beziehen sich auf diese 5 Sprachen Pierre Bourdieu ( ): Sprache ist (symbolisches) Kapital auf dem Sprachenmarkt
6 Ein Staat eine Sprache eine junge Konzeption im Zuge der Entwicklung der europäischen Nationalstaaten im 18. Jahrhundert verbunden mit den Vorstellungen der Romantik Französische Revolution: Einheit setzt Einheitssprache voraus.
7 Regierungserklärung für die Periode : Der Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen unserer Kinder und Jugendlichen soll durch den konsequenten Ausbau des frühzeitigen Fremdsprachenunterrichts, der neben Englisch vor allem auch die Sprachen der unmittelbaren Nachbarländer und der neuen globalen Wirtschaftspartner berücksichtigt und den offensiven Ausbau bilingualer Schulformen unterstützt werden.
8 Drei Mehrsprachigkeitsdefizite in Österreichs Schulsprachenpolitik
9 1. Obwohl es in Österreich keinen vorgeschriebenen Sprachenkanon mit einer festgelegten ersten Fremdsprache gibt, lernen 98,4 % der Volksschulkinder und 89,81 % der SchülerInnen auf der Sek I ausschließlich Englisch. Eine zweite lebende Fremdsprach lernen nur 9,8% aller SchülerInnen. Mangelnde Diversität des Angebots
10 2. Keine Balance im Bereich der Nachbarsprachen (im Jahr 2012): In Polen lernen 38,4% (SI)/ 57,5% (SII) Deutsch - in Deutschland lernen nur ca SchülerInnen Polnisch In Tschechien lernen 22,6% (SI)/ 47,4% (SII) Deutsch - in Deutschland wird Tschechisch nur in Sachsen (15 Grundschulen und 3 Gymnasien) und in Bayern (32 SchülerInnen) angeboten. - in Österreich lernen nur ca. 300 SchülerInnen Tschechisch* In Ungarn lernen 35,2% (SI) / 43,1% (SII) Deutsch - in Österreich lernen nur ca. 700 SchülerInnen die Nachbarsprache Ungarisch* * ohne die nationalen Minderheiten
11 3. Der Sprachenreichtum mehrsprachiger Kinder wird in der Schule nicht als Ressource wahrgenommen. BMUKK-Statistik 2009/10: 83 verschiedene Erstsprachen Projekt Multilingual Cities 2012: 110 Familiensprachen an Wiener Schulen 48,3 % der Kinder einsprachig 37,5 % Deutsch 10,8 % eine andere Familiensprache 51,7 % mehr als eine Familiensprache Gogolin: Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule.
12 Mehrsprachigkeitsparadox Unsere Gesellschaft verschwendet den sprachlichen Reichtum der ethnischen und zugewanderten Minderheiten, während sie gleichzeitig die unzureichende Mehrsprachigkeit beklagt und mit teuren Programmen zu verbessern sucht. Nancy Hornberger 2004
13 Es ist NICHT die Schuld der englischen Sprache oder des Englischunterrichts, wenn die europäische Sprachenbalance aus dem Gleichgewicht geraten ist gezielte Sprachenpolitik führt zur Bevorzugung oder Benachteiligung von Sprachen und eventuell auch einer entsprechenden Behandlung ihrer SprecherInnen.
14 Strategie 2 Die Förderung sprachlicher und kultureller Vielfalt Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen. Charta der Grundrechte der EU, Nizza , Art. 22
15 KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN" Brüssel, den , KOM(2005) 356 endgültig Das Erlernen einer einzigen Lingua franca reicht nicht aus. Die Kommission setzt sich für eine wirklich mehrsprachige europäische Gesellschaft ein eine Gesellschaft, in der sich die Fremdsprachenkenntnisse kontinuierlich verbessern, bis jeder Bürger neben seiner Muttersprache über praktische Kenntnisse in mindestens zwei weiteren Sprachen verfügt. Muttersprache + 2: In Österreich 2012: Pflichtschulbereich und berufl. Schulwesen: 1,2 AHS-Oberstufe: 1,8 Sprachen pro Schüler
16 Kapitel 2 Weshalb eine aktive Förderung von Mehrsprachigkeit auch für Österreich von zentraler Bedeutung ist 1. Das Macht-Argument: politische und wirtschaftliche Dominanz 2. Das Kostenargument 3. Das heritage and biodiversity -Argument: kultureller Reichtum 4. Das democratic citizenship -Argument: sozialer Zusammenhalt und Teilhabe an einem demokratischen Europa 5. Das Argument Wissensgesellschaft : Mehrsprachigkeit macht schlau
17 1. Das Macht-Argument: politisch und wirtschaftliche Hegemonie It is in the economic and political interests of the United States to ensure that if the world is moving toward a common language, it be English; that if the world is becoming linked by television, radio, and music, the programming be American; that if the world is moving toward common telecommunications, safety, and quality standards, they be American; and that if common values are being developed, they be values with which Americans are comfortable. David Rothkopf, Foreign Policy 1997
18 2. Das Kosten-Argument 2006 KMU in 29 europ. Ländern verlieren Aufträge im Wert von 100 Milliarden Euro jährlich wegen fehlendergelnder Fremdsprachenkenntnisse
19 3. Das Kultureller Reichtum Argument Wiener Manifest zur europäischen Sprachenpolitik (2001): Viele kulturelle Errungenschaften Europas sind eng an die Leistung spezifischer Sprachen gebunden.... Der Verzicht auf Mehrsprachigkeit hätte zur Folge, dass wichtige Kenntnisse und Erkenntnisse verloren gingen bzw. wertvolle Wissensbestände nicht mehr zugänglich wären.
20 4. Das democratic citizenship -Argument: Mehrsprachigkeit ist Voraussetzung für eine europäische Bürgerschaft und den sozialen Zusammenhalt in Europa The significance of plurilingual competence is twofold: First, it allows participation in democratic processes not only in one s own country and language area but in concert with other Europeans in other languages and language areas. Secondly, the acquisition of plurilingual competence leads to a greater understanding of the pluringual repertoires of other citizens and a respect for language rights, not least those of minorities and national languages less widely spoken and taught. Council of Europe 2002
21 5. Das Argument Wissensgesellschaft Erfolgreiche Teilhabe an der europäischen Wissensgesellschaft setzt die Fähigkeit voraus, mit Sprache reflektierend und gestaltend umgehen zu können (bildungssprachliche Kompetenz) Mehrsprachigkeit trägt zu ihrer Entwicklung in besonderem Maße bei.
22 Mehrsprachigkeit macht schlau: - Mentale Vorteile: Konzentration und Wechsel zwischen verschiedenen Sprachen - Kognitive Entwicklung: Vergleichen und unterscheiden - Sprachbewusstsein in L1 und L2: höheres Regelbewusstsein und mehr Sprachlernstrategien - Interkulturelle Vorteile: Reduzierung von Ethnozentrismus, Verstärkung von Offenheit und Ambiguitätstoleranz - Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter gestärkt: Demenzerscheinungen bei Mehrsprachigen verzögert (Bialystok u.a.)
23 The pursuit of diversity and plurilingualism requires... a political will and action to counteract economic factors and popular misperceptions, which will otherwise lead to reduction and homogenisation in general, with the plurilingualism of individuals only existing among social elites. Council of Europe, Guide for development of language education policies in Europe. 2002, 17.
24 Kapitel 3 Konsequenzen für die Schulsprachenpolitik 1. Sprachunterrichtsprofil 2. Gesamtsprachenkonzept 3. Curriculum Mehrsprachigkeit
25
26 3.2. Gesamtkonzept sprachlicher Bildung an Stelle additiver, voneinander isolierter Sprachenangebote Sprachen in der Schule: additiv und konfrontativ Muttersprache Fremdsprache Erstsprache Zweitsprache Familiensprache - Unterrichtssprache erste, zweite, dritte Fremdsprache Französisch oder Italienisch oder...
27 Europäische Kommission : Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, den Lernenden eine breitere Sprachenpalette anzubieten, so dass eine Wahl entsprechend persönlichen Vorlieben und örtlichem Bedarf getroffen werden kann.
28 Muttersprache
29 Mehrsprachigkeit bedeutet nicht immer near nativeness in jeder Sprache - Sprachenteilige Gesellschaft - Rezeptive Mehrsprachigkeit
30 Schule heute hat die Aufgabe, junge Menschen zu einem Leben in einer mehrsprachigen Welt unter den Bedingungen der sprachlichen und kulturellen Vielfalt zu befähigen. Das bedeutet, dass mehrsprachige Kinder nicht einsprachig gemacht werden und dass einsprachige Kinder auch einen Zugang zu Mehrsprachigkeit erhalten.
31 3.3. Das Curriculum Mehrsprachigkeit als Leitfaden für eine mehrsprachige Bildung Autoren: Univ.-Prof. Dr., Wien Univ.-Prof. Dr. Hans H. Reich, Landau unter Mitarbeit von Andrea Dorner und Sabine Landua Projekt des BMUKK Projektbetreuung: Österreichisches Sprachenkompetenzzentrum (Michaela Haller / Gunther Abuja) >Kostenloses Download:
32 Zielsetzungen Aufmerksamkeit gegenüber Sprachen Fähigkeit zur Reflexion der eigenen sprachlichen Situation Analyse anderer sprachlicher Situationen Orientierungswissen über Sprachen und ihre Bedeutung für Gruppen von Menschen linguistische Grundkenntnisse zur vergleichenden Beschreibung von Sprachen ein Repertoire von Sprachlernstrategien sprachliches Selbstbewusstsein
33 Länder sind dann auf Mehrsprachigkeit angewiesen, wenn sie - intern mehrsprachig und - klein und nicht isoliert sind, - ihre Nachbarländer andere Sprachen haben, - der Export und - die Einnahmen aus dem Tourismus wichtig sind. > Deshalb ist Mehrsprachigkeit für Österreich politisch und wirtschaftlich überlebensnotwendig.
34 Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit Köszönöm a figyelmüket! Ich freue mich über Kommentare, Anregungen und Fragen: hans-juergen.krumm@univie.ac.at evtl. auch im anschließenden Workshop
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