Die Arbeitsfähigkeit im Erwerbsverlauf erhalten - Aufgabe von Organisationen und Beschäftigten
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- Jörn Wagner
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1 Die Arbeitsfähigkeit im Erwerbsverlauf erhalten - Aufgabe von Organisationen und Beschäftigten Alexander Frevel Hannover, 07. Dezember 2015 Zum Einstieg Vier Beispiele für Arbeitsbedingungen, die aufgrund des fortgeschrittenen Alters resp. der hohen Belastungen als alternskritisch zu bezeichnen sind. 1
2 Beispiel Stahlwerk Wo arbeiten Sie? In der Hölle. Die Arbeit in der Gießgrube geht nicht bis 50 und als Pfannenmacher bist Du nach einigen Jahren platt. Beispiel Altenpflege Als Wohnbereichsleitung kein Zeitbudget für Personalführung, dafür neben der Pflegetätigkeit in Vollzeit noch zusätzliche Dokumentationen und Verantwortung für die Einarbeitung und Weiterbildung. Burnout nach 2 Jahren 2
3 Beispiel KFZ-Montage Ältere Werker an der Montagelinie: Die Taktzeiten sind kaum noch zu schaffen. Wir brauchen Entlastung, z.b. bessere Rotation und Kurzpausen. Arbeitsbewältigungs-Index: Quelle: Frevel, A. (2011), eigene Erhebung, KFZ-Industrie, n=75 Beispiel Putz- und Estrichleger Arbeiten bis zur Rente? Geselle (44 J.): Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich die nächste Saison überstehe. Aber ich habe ja nur das gelernt Und ich mache das gerne und gut Also was werden soll, das weiß ich überhaupt nicht. Ich habe Angst, es nicht mehr zu schaffen. 3
4 Kann Arbeit so gestaltet werden, dass die Beschäftigten sie gut, gerne und gesund bis zur Rente ausüben können, wollen und dürfen? Inhalte Anforderungen aus dem demografischen Wandel - Kennen Sie ihre organisatorische Altersstruktur? Wie funktioniert Gesundheit? Belastungen, Ressourcen, Beanspruchungen Was wissen wir über das Altern? Das Fördermodell Arbeits(bewältigungs)fähigkeit Prävention / Förderung der Arbeitsfähigkeit Pflicht: Gefährdungsbeurteilung, BEM Kür: BGM Kür plus Arbeitsbewältigungs-Coaching Mitalternde Arbeit Alterns- und Lebensphasen-gerechte Berufsverläufe Wertschätzende Dialoge Quintessenzen 4
5 Aspekte des demografischen Wandels - gesellschaftliche und organisatorische Herausforderungen - Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung Deutschlands bis koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden 2015, S. 18 Altern einer großen Kohorte viele Erwerbspersonen Alter(n)sgerechte Arbeit Kollektives Altern wenige Erwerbspersonen Im Verhältnis zu vielen RentnerInnen (von 4:1 auf 2:1) Entjüngung der Gesellschaft weniger Erwerbspersonen = Nachwuchsprobleme Attraktive Arbeit Beispiel: Altersstruktur und Entwicklung in 10 Jahren Sozialstation; N = 43 Der Ersatzbedarf bis 2025 beträgt 18 Personen = 42 % der jetzigen Belegschaft 2025 sind ohne Neueinstellung und Abgänge noch 25 Beschäftigte der jetzigen Belegschaft da; davon sind 64 % 50 und älter Aktuell sind 60,5% Jahre und älter Quelle: Frevel, A. (2015), eigene Erhebung 5
6 Gesundheit/Wohlbefinden/Arbeitsfähigkeit ist ein Balanceakt zwischen Anforderungen und Ressourcen Personale Ressourcen Umwelt-/Arbeitsanforderungen Bewertung Gesundheit / Krankheit Wohlbefinden / Unbehagen Arbeitsfähigkeit / -unfähigkeit Körperl.Reaktionen Belastungen/ Anforderungen Ressourcen Äußere, arbeitsbezogene Ressourcen z. B. Soziale Unterstützung, Handlungsspielraum, Anerkennung nach Frankenhaeuser 1991 Was ist Belastung? Was ist Beanspruchung? Belastung beschreibt die Gesamtheit der äußeren Bedingungen und Anforderungen im Arbeitssystem, die auf den physiologischen und/oder psycho-logischen Zustand einer Person einwirken. Beanspruchung beschreibt die individuelle Auswirkung der Arbeitsbelastung auf den Menschen in Abhängigkeit von seinen Eigenschaften und Fähigkeiten (nach DIN EN ISO 6385:2004 Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von Arbeitssystemen) 6
7 Was sind Gesundheitsquellen? Innere Ressourcen Äußere Ressourcen (organisationale und soziale Ressourcen) sind Gesundheit erhaltende, fördernde oder wiederherstellende Verhaltensweisen und Überzeugungen der Person sind Verhältnisse der Arbeitsbedingungen, Hilfsmittel etc. und der sozialen Beziehungen mit schützendem Charakter, die die Bewältigung von Anforderungen unterstützen Ressourcen als Mediator und als Moderator z. B. Bewältigungskompetenz Selbstwirksamkeit Qualifikationen und Kompetenzen Belastungen Innere Ressourcen (personal) Gesundheit (nach M. Rimann und I. Udris 1993) Äußere Ressourcen (organisational & sozial) z. B. Anerkennung durch Vorgesetzte Kommunikation & Kooperation Handlungsspielräume mit selbstbestimmten Rahmenbedingungen 7
8 Individuen altern unterschiedlich Geburt Wahrnehmungssysteme Adoleszenz Persönlichkeit und soziale Systeme Weisheit und Selbsterkenntnis Kognitive Systeme Biologische Systeme Junge Tod Erwachsene Mittleres Erwachsenenalter Späteres Erwachsenenalter Quelle: Munnichs, 1989, zitiert nach Luczak, 1997, S. 220; Buck und Reif, 1996, S. 11 Interindividuelle Unterschiede Einflussfaktoren Private Lebensführung Erfahrung, Übung Leistungsanforderungen Lernanregung Selbstkonzept/ Fremdkonzept Gesundheitszustand Lebensalter Es gibt keine wissenschaftlich haltbare einheitliche Klassifikation von alt, da sich Altern in einzelnen Fähigkeitskategorien unterschiedlich stark bemerkbar macht und zusätzlich erhebliche interindividuelle Streuungen vorliegen! Altern, funktionelle Kapazitäten und Arbeit - das Risiko - % Reservekapazität Individuelle Kapazität Arbeitsanforderung Alter 8
9 Altern, funktionelle Kapazitäten und Arbeit - der prinzipielle Lösungsansatz - % Individuelle Kapazität Reservekapazität Arbeitsanforderung Alter Mentale u./od. soziale Arbeitsanforderungen Älter werden Zuwachs an mentalen und sozialen Fähigkeiten Strategisches Denken Scharfsinn Besonnenheit, Umsicht Weisheit Überlegtes Handeln Logische Argumentation Das Leben gut meistern können Ganzheitliches Verständnis Differenzierter Sprachgebrauch Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber Geringere Abwesenheitszeiten Weniger Fehler Mehr Arbeitserfahrung 9
10 Problemfelder für älter werdende Beschäftigte aufgrund der Dauer der Belastungsexposition lang andauernde physische und psychische Belastungen (schwere Arbeit, Nachtarbeit, Monotonie, ) chronischer Zeitdruck schlechtes Führungsverhalten / mangelnde Anerkennung geringe Handlungsautonomie / wenig Wahlmöglichkeiten Ausschluss von Weiterbildung zu starke Spezialisierung langjährige einseitige Tätigkeiten Lebensphasen Lebenslauf Lebensphasen / Übergänge Einstieg in Beruf Lebens- Zyklus Routine aufbauen Karriere Familie/Kinder zu pflegende Angehörige 20 Alter 60 Unterschiedliche körperliche, geistige, psychische Kapazitäten Bedürfnisse Erwartungen Motive 20 Alter 60 10
11 Work Ability - Arbeits(bewältigungs)fähigkeit... mäßig kritisch gut Arbeitsanforderungen sehr gut Arbeitsfähigkeit Individuelle Kapazitäten nach Tempel/Ilmarinen: Arbeitsleben 2025, Hamburg 2013, S. 17 (modifiziert) gut mäßig kritisch beschreibt das Potenzial eines Menschen, eine Anforderung zu einem gegebenen Zeitpunkt zu bewältigen. Dabei muss die Entwicklung der individuellen funktionellen Kapazität ins Verhältnis gesetzt werden zur Arbeitsanforderung. Beide Größen können sich verändern und müssen ggf. alters-/ alterns- und gesundheitsadäquat gestaltet werden. (Ilmarinen & Tempel, 2002, S. 166) Quelle: Tempel/Ilmarinen: Arbeitsleben 2025, Hamburg 2013, Umschlagsbild 11
12 Was passiert, wenn nichts passiert? Altersstrukturell bedingte Mehrkosten (Arbeitsunfähigkeit) [Dauer der AU steigt] Risiko unerwünschter Fluktuation (Berufsunfähigkeit) wächst [Kennen Sie die Vollkosten einer Fluktuation in ihrem Unternehmen?] Probleme bei der Nachwuchsgewinnung (quantitativ und qualitativ) PFLICHT: Gefährdungsbeurteilung und BEM Belastungsanalyse gem. 5 ArbSchG: physische und psychische Belastungen und Gefährdungen + Konkretisierung des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) in der DGUV Vorschrift 2 Ableitung und Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen Betriebliches Eingliederungs-Management (BEM) gem. 84 SGB IX 12
13 KÜR: BGM Ergänzung der Gefährdungsbeurteilung um Beanspruchungsanalyse plus Identifikation der organisatorischen Ressourcen sowie Evaluation und kontinuierliche Verbesserung Im Rahmen eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) Gestaltung, Lenkung und Entwicklung betrieblicher Strukturen und Prozesse, um Arbeit, Organisation und Verhalten am Arbeitsplatz gesundheitsförderlich zu gestalten Kür plus : Analyse und Intervention Beispiele für Beratung und selber tun Arbeitsbewältigungs-Coaching Alter(n)sgerechte Berufsverläufe Wertschätzende Dialoge 13
14 Arbeitsbewältigungs-Coaching Erhebung Arbeitsbewältigungs-Index Anleitung zur Entwicklung von Zielen und Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbewältigung (1-stündiges Gespräch): (1) Was können Sie selber tun, um Ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten? zu unterstützen? zu verbessern? wieder herzustellen? (2) Was brauchen Sie dafür vom Betrieb? Foto: DRK -LV Schleswig-Holstein Ableitung von betrieblichen Fördermaßnahmen durch (paritätischen) Steuerkreis Impulsberatung Wir bauen das Haus der Arbeitsfähigkeit 1-tägiger Workshop Was gibt es schon zur Erhaltung / Förderung der Arbeitsfähigkeit? Was ist gut und soll erhalten bzw. ausgebaut werden? Was brauchen wir noch / was ist verbesserungsbedürftig / was wünschen wir uns zur Förderung der Arbeitsfähigkeit? Welche Ziele wollen wir uns setzen zur Förderung der Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten? Priorisierung der Handlungsbereiche und Beschreibung der jeweiligen Ziele Welche Maßnahmen wollen wir angehen? Priorisierung der Maßnahmenthemen je Handlungsfeld schrittweise Bearbeitung (Dringlichkeit, Wichtigkeit, Umsetzbarkeit) Maßnahmen- und Umsetzungsplan (konkret beschreiben) 14
15 Mitalternde Arbeit (1) - Leitfragen Welche Tätigkeiten sind für den Einstieg in den Beruf/Betrieb am besten geeignet, um Erfahrung und Routine aufzubauen und um fachliche und organisatorische Kompetenzen zu stärken? Welche horizontalen, diagonalen und vertikalen Entwicklungsmöglichkeiten gibt es? Mitalternde Arbeit (2) - Leitfragen Welche Tätigkeitselemente/Tätigkeiten bzw. Rahmenbedingungen (z.b. Schichtarbeit) sind kritisch mit zunehmendem Alter / mit der Dauer der Exposition? Welche Tätigkeiten können bis zum Rentenalter ausgeübt werden? Welche Entlastungsmöglichkeiten gibt es für Ältere? Welche Entlastungsmöglichkeiten gibt es für Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen? 15
16 Ablauf Pilotprojekt (2 Beratungspersonen) vorher 1. Tag 2. Tag 3. Tag nachher Abstimmung Organisation Steuerkreis (Erwartungen) Workshop mit GesprächspartnerInnen Bericht (ppt) Auswertung Dokumente (GBU) Tätigkeitsbeschreibungen Altersstruktur Betriebsbegehung Expertengespräche operative Führungskräfte Auswertung: erste Erkenntnisse Expertengespräche Fachkräfte Auswertung und Aufbereitung qualitativ ggf. Arbeitsplatz- Landkarte Aufbereitung Steuerkreis: strategische Ausrichtung Review Lösung Stahlwerk Pfannenmacher ist ein Einstiegsarbeitsplatz an der Schnittstelle zwischen Schmelzen und Gießen ist alternskritisch aufgrund hoher körperlicher Belastungen => Entwicklungsarbeitsplatz spätestens nach 5 Jahren bei Entwicklungsinteresse und Eignung über Arbeitsplatzwechsel (z.b. Gießhelfer, Schmelzer, Blockplatz, Entgraten, ) sprechen 16
17 Lösung Altenpflege Der Schuss vor den Bug hat die Geschäftsführung aufgerüttelt BEM Qualifizierung zur Qualitätsbeauftragten und Weiterbildung als Praxisanleiterin Entwicklung Einarbeitungskonzept Wohnbereichsleitungen haben 25 % ihrer Arbeitszeit Entlastung von der aktiven Pflege Die Arbeitsfähigkeit im Team hat zugenommen Lösung KFZ-Montage Integrierte Exklaven Herauslösung von Teilaufgaben (z.b. Vormontage) neuer Arbeitsplatz direkt neben dem Band für MA mit gesundheitlichen Einschränkungen & alle über 40-Jährigen Körperliche Entlastung durch einfache Mischtätigkeit (Sitzen, Stehen, Gehen) Keine Taktbindung Mikro-Pausen Integration in die Rotation: 4 8 Wechsel/Schicht Station 3 Station 2 Station 1 17
18 KFZ-Montage Integrierte Exklaven Effekte: Nachhaltige Erhöhung der Anwesenheitsquote Reduktion der Fehlerquote 2 Jahre danach: Anwendung in allen Montagebereichen Lösung Putz- und Estrichleger Teilaufgaben des Inhabers/Meisters - Maschinenwartung - Aufmaß werden auf die Mitarbeiter übertragen Qualifizierung körperliche Entlastung verbesserter Gesundheitsstand Anpassung der Arbeitsorganisation mehr Verantwortung & Handlungsspielräume verbessertes Betriebsklima ( Wir reden über Arbeitsfähigkeit ) 18
19 Und deshalb sollten Führungskräfte und Interessenvertretungen den Zusammenhang zwischen Arbeit, Altern und Gesundheit kennen, alterskritische Tätigkeiten identifizieren (vollständige altersund geschlechtersensible Gefährdungsbeurteilung + Beanspruchungen + organisatorische Ressourcen), alternsgerechte Arbeitsgestaltung realisieren und die Arbeitsfähigkeit aller Beschäftigten fördern können, wollen und dürfen Literaturhinweise Bökenheide, Torsten, Alexander Frevel, Heinrich Geißler: Wertschätzende Dialoge als wichtigste Führungsaufgabe. In: Laske, S./Orthey, A./Schmid, M. (Hrsg.): PersonalEntwickeln (Losebl., Aktualisierung Nr. 195), Beitrag Nr , Köln 2015, 25 Seiten Bundesanstalt für Arbeitsschutz- und Arbeitsmedizin / Initiative Neue Qualität der Arbeit (Hrsg.) / Text: Brigitta Gruber und Alexander Frevel: Arbeitsbewältigungs-Coaching. Der Leitfaden zur Anwendung im Betrieb. Bericht Nr. 38, 2. überarbeitete Auflage, Dortmund/Berlin 2012 DRK Deutsches Rotes Kreuz Landesverband Schleswig-Holstein (Hrsg.) / Text: Wolfgang Säckl, Alexander Frevel: gut, gerne und gesund in der Pflege arbeiten. Handlungshilfe zum Projekt Gesund in der Pflege. Kiel 2014 Frevel, A.: Arbeitsbewältigungs-Coaching - Beschäftigte und Betriebe bauen gemeinsam am Haus der Arbeitsfähigkeit. In: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Richter, G./Niehaus, M. (Hrsg.): Personalarbeit im demografischen Wandel. Beratungsinstrumente zur Verbesserung der Arbeitsqualität. Bielefeld 2015, S Frevel, A., Heinrich Geißler: Mitalternde Arbeit Alternsgerechte Berufsverläufe. In: Laske, S./Orthey, A./Schmid, M. (Hrsg.): PersonalEntwickeln (Losebl., Aktualisierung Nr. 197), Beitrag Nr. 7.68, Köln 2015, 24 Seiten Frevel, A., Brigitta Gruber: Arbeitsbewältigungs-Coaching. Förderung der individuellen und kollektiven Arbeitsfähigkeit. In: Laske, S./Orthey, A./Schmid, M. (Hrsg.): PersonalEntwickeln (Losebl., Aktualisierung Nr. 196), Beitrag Nr Köln 2015, 31 Seiten 19
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