Zwangsvollstreckungsrecht (und Insolvenzrecht) Prof. Dr. Florian Jacoby Wintersemester 2014/15

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1 Zwangsvollstreckungsrecht (und Insolvenzrecht) Wintersemester 2014/15

2 Aktuelle Beispiele Am 11. Juni 2014 hatte eine Gerichtsvollzieherin im Auftrags des Gläubigers RB, der über eine Vollstreckungsunterwerfung in notarieller Urkunde verfügte, bei einem Gerichtstermin versucht, durch eine Taschenpfändung bei ihm an Barvermögen zu gelangen, was aber scheiterte. Am 25. Juli 2014 gab er in Essen eine Vermögensauskunft ab. Presseberichten, er sei pleite, widersprach er durch Verweis auf Liquidität bei der Bank Sal. Oppenheim, die diese allerdings in einer gerichtlichen Auseinandersetzung blockiere. Am 20. August 2014 nahm eine Gerichtsvollzieherin ihm eine Piaget-Armbanduhr, Listenpreis über Euro, vom Handgelenk. Die Vollstreckung beantragt hatte ein Fonds, dem er knapp eine Million Euro schuldet. Folie 2

3 Weitere Beispiele Kohls ehemaliger Ghostwriter Schwan hatte nach seiner Niederlage vor dem Landgericht die Tonbänder einem Gerichtsvollzieher ausgehändigt, zugleich aber Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt. Diese Berufung wies das Oberlandesgericht nun zurück, ließ aber die Revision zum Bundesgerichtshof zu. Die häufigste Variante bei Zwangsvollstreckung ist die Lohn- und Gehaltspfändung. Dabei bekommt der Arbeitgeber eine Benachrichtigung und muss die pfändbaren Teile von Lohn und Gehalt abführen. Eine denkbare gerichtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahme ist auch, das Konto per Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu pfänden, wenn dem Gläubiger die Bankverbindung des Schuldners bekannt ist. Folie 3

4 1: Einführung A. Begriff und Zweck der Zwangsvollstreckung B. Arten der Zwangsvollstreckung C. Beteiligte D. Typischer Ablauf eines Vollstreckungsverfahrens E. Überblick über die Rechtsbehelfe Folie 4

5 Begriff der Zwangsvollstreckung Staatliches Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung oder Sicherung von Leistungs- oder Duldungsansprüchen des Privatrechts Folie 5

6 Funktion der Zwangsvollstreckung Materielles Recht - begründet Rechte und Pflichten (Gläubiger und Schuldner). Prozessrecht (Hilfsfunktion) - Gewaltmonopol des Staates schließt Selbsthilfe aus. - Erkenntnisverfahren (ZPO I ) klärt Rechtslage durch Endurteil, das Titel ist. - Zwangsvollstreckung (ZPO II) verwirklicht die titulierte (= geklärte) Rechtslage. Folie 6

7 Verfahrensgrundsätze Öffentliches Recht Zweiparteienverfahren Parteiherrschaft (Dispositionsmaxime) Schuldnerschutz Eigentumsgarantie Formalisierung Prinzip des aufgeschobenen rechtlichen Gehörs Prioritätsprinzip Folie 7

8 Arten der Zwangsvollstreckung I Verfahrensarten - Einzelzwangsvollstreckung ( 704 ff.; ZVG) - Gesamtvollstreckung (InsO) Arten durchzusetzender Ansprüche - Geldforderungen ( 802a - 882a; ZVG ) - Herausgabeansprüche ( ) - Handlungsansprüche ( ) - Unterlassungs- oder Duldungsansprüche ( ) - Ansprüche auf Abgabe einer Willenserklärung ( ) Folie 8

9 Vermögensobjekte Rechtsgegenstand Sachen Rechte bewegliche unbewegliche Forderungen Sonstige Rechte Geldforderungen Sonstige Forderungen Folie 9

10 Arten der Zwangsvollstreckung II Arten von Haftungsobjekten (Durchsetzung von Geldforderungen) - körperliche Sachen ( ) - Forderungen und andere Vermögensrechte, ( ) - unbeweglichem Vermögen, ( ; ZVG) Folie 10

11 Organe der Zwangsvollstreckung Gerichtsvollzieher, 753 Vollstreckungsgericht, 764, 802 Prozessgericht (z. B. 887) Grundbuchamt ( 867) Folie 11

12 Rechtsschutz Rechtsbehelfe gegen Verfahrensmaßnahmen - Erinnerung nach 766: Vollstreckungsmaßnahme verstößt gegen Anforderungen an die Art und Weise. - [sofortige Beschwerde, 793 ivm 567 ff.: Rechtsmittel gegen Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren.] Klagen wegen materieller Rechte [zielen auf Begründung eines Vollstreckungshindernisses, 775 Nr. 1, 776] - Vollstreckungsgegenklage, 767: titulierter Anspruch besteht aus materiell-rechtlichen Gründen nicht (mehr). - Drittwiderspruchsklage, 771: Vollstreckungsobjekt steht Drittem zu, der dies mit Klage gegen den Vollstreckungsgläubiger geltend macht. Folie 12

13 2: Vollstreckungsvoraussetzungen A. Antrag des Gläubigers B. Allgemeine Verfahrensvoraussetzungen C. Titel D. Klausel E. Zustellung F. Kein Vollstreckungshindernis Folie 13

14 Vollstreckungsvoraussetzungen Antrag des Gläubigers Allgemeine Verfahrensvoraussetzungen Titel Klausel Zustellung Kein Vollstreckungshindernis Folie 14

15 B. Allgemeine Verfahrensvoraussetzungen I. Zuständigkeit des ZwV-Organs 1. funktionell 2. örtlich II. Parteibezogene Verfahrensvoraussetzungen 1. Parteifähigkeit 2. Prozessfähigkeit 3. Prozessführungsbefugnis III. Rechtsschutzbedürfnis Folie 15

16 C. Titel I. Begriff II. III. Titelarten Titelinhalt Folie 16

17 Vollstreckungstitel Endurteile, rechtskräftige, vorläufig vollstreckbare, 708 ff. Titel des 794; insbesondere - Nr. 1: Vergleich - Nr. 4: Vollstreckungsbescheid - Nr. 5: Urkunde Sonstige Folie 17

18 Vorläufige Vollstreckbarkeit Vollstreckung aus Endurteil vor Rechtskraft Grundsatz: Gläubiger muss Sicherheit leisten (zur Sicherung eines etwaigen Anspruchs aus 717) - oder Antrag nach 710 stellen Ausnahme: Gläubiger kann ohne Sicherheitsleistung vollstrecken - Schuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung (zur Sicherung des titulierten Anspruchs) abwenden ( 711) Sonderregelung: Sicherungsvollstreckung, 720a Folie 18

19 Vollstreckungsfähigkeit des Titels Leistungstitel Bestimmbarkeit - des geschuldeten Verhaltens - der Parteien Folie 19

20 D. Klausel I. Einfache Klausel, 724, 725 II. Qualifizierte Klausel, 726 ff. III. Klauselverfahren Folie 20

21 Vollstreckbare Ausfertigung ( 724) Begriff: Amtliche Abschrift des Titels 725: Vorstehende Ausfertigung wird dem usw. (Bezeichnung der Partei) zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt. Arten von Vollstreckungsklauseln - Einfache, qualifizierte Rechtsnachfolge etc., 727 Bedingungseintritt etc., 726 Folie 21

22 Voraussetzungen der Klauselerteilung Allgemein - Titel - für den Antragsteller - wirksam (verkündet; nicht aufgehoben) - vollstreckbar ( 704 I) - vollstreckungsfähiger Inhalt zusätzlich bei der qualifizierten Klausel - Bedingungseintritt - Rechtsnachfolge Folie 22

23 Einfaches Klauselverfahren Einleitung durch formloses Gesuch Zuständig: Urkundsbeamter d. G. ( 724 II) Rechtsbehelfe des Gläubigers gegen Ablehnung - Erinnerung zum Richter gleicher Instanz ( 573) - Zweite Instanz: Sofortige Beschwerde ( 567) Rechtsbehelfe des Schuldners gegen Erteilung - Klauselerinnerung zum Richter gleicher Instanz ( 732) - Zweite Instanz: Sofortige Beschwerde ( 567) Folie 23

24 Qualifizierte Klausel Klauselverfahren - Einleitung durch Gesuch mit förmlichen Nachweisen - Zuständig: Rechtspfleger ( 20 Nr. 12 RPflG; aber 795b ZPO) - Rechtsbehelfe des Gläubigers gegen Ablehnung Sofortige Beschwerde ( 11 I RPflG, 567) - Rechtsschutz des Schuldners gegen Erteilung Klauselerinnerung ( 732) oder Klage gegen Klausel ( 768) Klauselklage ( 731) ohne förmliche Nachweise - Ziel: Ersetzung der Klauselvoraussetzungen durch Endurteil - Rechtsmittel gegen Urteil: Berufung ( 511) Folie 24

25 Klausel bei notarieller Urkunde Spezielle Regelung durch 795 ff., 794 Nr. 5: - Zuständigkeit des Notars ( 797 II) sowohl für einfache Klausel ( 724 f., 795) als auch für qualifizierte Klausel ( 726 ff., 795) - Rechtsbehelfe des Gläubigers gegen Ablehnung Spezielle Beschwerde zum LG ( 54 I BeurkG, 19 ff. FGG) - Rechtsschutz des Schuldners gegen Erteilung Klauselerinnerung ( 732) ggf. Klage gegen Klausel ( 768) Folie 25

26 E. Zustellung 750 Abs. 1 S. 1: Die Zwangsvollstreckung darf nur beginnen, wenn die Personen, für und gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil oder in der ihm beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind und das Urteil bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird. Folie 26

27 Vertiefungsfall 1 G erwirkte vorläufig vollstreckbares Urteil, dass S an ihn ca. 4. Mio EUR zu zahlen habe Urteil wurde anwaltlichem Vertreter des S zugestellt Gerichtsvollzieher übermittelte dem S bloß Kopie der Vollstreckungsklausel Nunmehr führt G gegen S Sicherungsvollstreckung entsprechend 720a ZPO durch S rügt mit Erinnerung fehlende Zustellung nach 750 Abs. 3 ZPO, mit Aussicht auf Erfolg? Folie 27

28 Vertiefungsfall 1 Vollstreckungserinnerung nach 766 A. Zulässigkeit Statthaft wegen Behauptung des Verstoßes gegen 750 III B. Begründetheit: Verstoß gegen 750 III ZPO? I. Wörtliches Verständnis II. Systematisches Verständnis (Wartefrist) III. Stellungnahme C. Ergebnis: Erinnerung ist zulässig, aber unbegründet. Folie 28

29 F. Vollstreckungshindernisse Eröffnung des Insolvenzverfahrens ( 89 InsO) Einstellung ( 707, 719, 732 II, 765 a, 775, 776 u.a.) - einstweilig - endgültig Vollstreckungsbeschränkende Vereinbarungen Folie 29

30 3: Vollstreckung wegen Geldforderungen in bewegliche Sachen A. Grundlagen B. Pfändung C. Rechtswirkungen der Pfändung D. Verwertung Folie 30

31 Pfändung ( 803, 808) Pfändung = Beschlagnahme durch: Inbesitznahme und Fortschaffen oder Kennzeichnung sowie Information des Schuldners Folie 31

32 Pfändung zur rechten Zeit ( 758a IV) am rechten Ort ( 808, 809, 739) in der rechten Weise ( 758 ff., 806b, 808) im rechten Umfang ( 803, 811 ff.) Folie 32

33 Besitzverhältnisse Wegschaffen - Gerichtsvollzieher: unmittelbarer Fremdbesitz - Gläubiger: erststufiger mittelbarer Fremdbesitz - Schuldner: zweitstufiger mittelbarer Eigenbesitz Belassen - Schuldner: unmittelbarer Fremdbesitz - Gerichtsvollzieher : erststufiger mittelbarer Fremdbesitz - Gläubiger: zweitstufiger mittelbarer Fremdbesitz - Schuldner: drittstufiger mittelbarer Eigenbesitz Folie 33

34 Wirkungen der Beschlagnahme Verstrickung ( 136 BGB) Grundlage der Verwertung Pfändungspfandrecht ( 804) Grundlage der Erlösverteilung Folie 34

35 Wirksamkeitsvoraussetzungen der Verstrickung Deutsche Gerichtsbarkeit Funktionelle Zuständigkeit Titel Beachtung des 808 I, II Folie 35

36 Ende der Verstrickung Ablieferung an den Ersteigerer, 817 II Aufhebung durch den GV (Entstrickung) Gutgläubiger Erwerb, 136, 135 II BGB Folie 36

37 Untergang des Pfändungspfandrechts Ende der Verstrickung Tilgung der Forderung, 1252 BGB Freigabe des G, 1253, 1255 BGB Gutgläubiger Erwerb, 936 BGB Folie 37

38 Vertiefungsfall 2 Frage 1 S ist Gebrauchtwagenhändler Gv pfändet im Auftrag des G, der titulierten Anspruch gegen S hat, KFZ bei S Gv nimmt Fahrzeugbrief und -schein an sich, belässt aber KFZ nach Anlegen eines Pfandsiegels bei S S reißt Pfandsiegel ab und veräußert KFZ an D D nimmt KFZ mit und will es nicht herausgeben. Welche Möglichkeiten haben Gv und G, um an KFZ zu gelangen? Folie 38

39 Vertiefungsfall 2 - Lösung Frage 1 A. Verfolgungsrecht des Gv (weitere Vollstreckung ggü D) (P) Ermächtigungsgrundlage? I. Titel des G gegen S 750; 809 (-) II. Wirkungen der Pfändung Gv darf Sache an sich nehmen 808 II, aber nicht von Drittem III. Zwischenergebnis: Kein Verfolgungsrecht Folie 39

40 Vertiefungsfall 2 - Lösung Frage 1 (2) B. Anspruch des G gegen D aus 804 II ZPO, 985, 1227 BGB I. Anwendbarkeit (P) Verhältnis zu anderen Gläubigern nach hm (+) II. Besitz des D (+) III. Pfandrecht 1. Entstehen des Pfandrechts 804, 808 (+) 2. Kein Erlöschen des Pfandrechts? Erwerb lastenfreien Eigentums des D? 929, 936 (P) Berechtigung 135, 136 BGB (-), allenfalls Gutglaubenserwerb? (P) Gutgläubigkeit (-) grobe Fahrlässigkeit, da keine Papiere Eigentumserwerb (-), kein lastenfreies Eigentum erworben 3. Zwischenergebnis: G = Pfandrechtsinhaber (+) IV. Kein Recht zum Besitz V. Ergebnis: Anspruch besteht! Folie 40

41 Vertiefungsfall 2 Frage 2 S ist Gebrauchtwagenhändler Gv pfändet im Auftrag des G, der titulierten Anspruch gegen S hat, KFZ bei S Gv kann Fahrzeugbrief und -schein nicht finden, belässt KFZ dennoch nach Anlegen eines Pfandsiegels bei S S reißt Pfandsiegel ab und veräußert KFZ an D unter Aushändigung von Schein und Brief D nimmt KFZ mit, erkennt Mangel und bringt KFZ zu S zur Nachbesserung Von dort nimmt Gv das KFZ zwecks Versteigerung mit Was kann D unternehmen? Folie 41

42 Vertiefungsfall 2 Lösung Frage 2 A. Vollstreckungserinnerung nach 766 ZPO: Zulässigkeit? I. Statthaftigkeit: Rechtsbehelf gegen Verfahrensfehler (Art und Weise) Vorwurf: Pfändung einer entstrickten Sache, weil Gutglaubenserwerb zur Entstrickung führt, jedoch prüft Gv Gewahrsam, nicht Eigentum (vgl. 808), was für Beginn und Fortführung der Pfändung gilt II. Erinnerung ist unstatthaft und daher unzulässig B. Drittwiderspruchsklage nach 771 ZPO I. Zulässigkeit Statthaftigkeit: Dritter macht materielles Recht geltend II. Begründetheit Interventionsrecht des D? Eigentum? 929, 135 II, 932 BGB (+), keine grob fahrlässige Unkenntnis, da Papiere 935 (-) Gv nur mittelbarer Besitzer, S unmittelbar III. Ergebnis: Klage hat Aussicht auf Erfolg! Folie 42