1. Das Modell des Homo Oeconomicus: Eine Übersicht
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1 1. Das Modell des : Eine Übersicht Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg WS 2007/2008 Prof. Dr. Lars P. Feld Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen (SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München
2 Das Modell des : Eine Übersicht Ökonomische Analyse als Denkmethode Soziale Interaktionen als Tauschvorgänge Allgemeines ökonomisches Verhaltensmodell Methodologischer Individualismus Rationalität Existenz relevanter Alternativen Eigennutzannahme Zusammenfassung 1
3 Literatur Blankart, Ch.B. (2006), Öffentliche Finanzen in der Demokratie, Vahlen, München, 6. Auflage, Kap 1. Kirchgässner, G. (2000), Homo oeconomicus, Mohr, Tübingen, 2. Auflage 2000, Kap. 1 und 2. 2
4 Ökonomische Analyse als Denkmethode I Von Adam Smith in seinem Buch Der Wohlstand der Nationen von 1776 begründet. Ökonomie: wirtschaftliche Vorgänge (Volks- und Betriebswirtschaft). Soziologie: soziale Vorgänge. Politikwissenschaft: politische Vorgänge. Rechtswissenschaft: rechtliche Vorgänge. 3
5 Ökonomische Analyse als Denkmethode II Traditionelle Einteilung der Fächer an den Universitäten, die sich (alle) aus der (politischen) Philosophie entwickelt haben. Die Einheit der Sozialwissenschaften ist zerbrochen. Forderung nach Interdisziplinarität der Sozialwissenschaften. 4
6 Ökonomische Analyse als Denkmethode III Ökonomik als Denkmethode ist jedoch anders. Ökonomik als Versuch, menschliches Handeln rational zu erklären. Menschen handeln - unabhängig vom Untersuchungsbereich -, indem sie eine rationale Wahl aus den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten treffen. 5
7 Ökonomische Analyse als Denkmethode IV Ökonomik als Methode und Ökonomie als Gegenstandsbereich der Wirtschaftswissenschaften sind unterschiedliche Dinge. Ökonomik als allgemeines sozialwissenschaftliches Verfahren, das in verschiedenen Sozialwissenschaften Anwendung findet. Ökonomik als eine Methode der Sozialwissenschaften. 6
8 Soziale Interaktionen als Tauschvorgänge Soziologe Georg Simmel (1900, S. 34): Jede Wechselwirkung aber ist als ein Tausch zu betrachten: jede Unterhaltung, jede Liebe (auch wo sie mit andersartigen Gefühlen erwidert wird), jedes Spiel, jedes Sichanblicken. Keine Wissenschaft von der Marktwirtschaft. Analyse sowohl marktlicher als auch nichtmarktlicher Beziehungen. 7
9 Allgemeines ökonomisches Verhaltensmodell Annahme des methodologischen Individualismus. Annahme rationalen Handelns: Präferenzen und Beschränkungen. Annahme der Existenz relevanter Alternativen. Eigennutzannahme. 8
10 Methodologischer Individualismus Individuum als Einheit der Analyse. Der einzelne Mensch steht im Mittelpunkt der Betrachtung. Wirtschaftswissenschaft als Humanwissenschaft. Abendländische Tradition der Aufklärung. Auch wenn es um die Untersuchung sozialer Zusammenhänge geht, setzt die Ökonomik beim einzelnen Individuum an. 9
11 Methodologischer Individualismus Typisches (durchschnittliches, regelmäßiges) Verhalten. Betrachtung von Aggregaten. Erfassung der nicht-intendierten sozialen Folgen individuellen Handelns, welche zu einer spontanen Ordnung führen. Zentrale Aufgabe einer Sozialwissenschaft. Nicht nur das Funktionieren des Marktmechanismus als nicht-intendierte Folge individuellen Handelns. 10
12 Methodologischer Individualismus Handeln wird hier so verstanden, dass nur Individuen, Menschen, nicht aber Kollektive oder Aggregate dazu fähig sind. Kollektive Entscheidungen ergeben sich aus der Aggregation individueller Entscheidungen und nicht aus einem eigenständigen Handeln des Kollektivs. Inexistenz des Staates im Sinne einer organischen Staatstheorie. 11
13 Methodologischer Individualismus Theorie individuellen Verhaltens, nicht aber eine Theorie des Verhaltens vereinzelter Individuen. Friedrich A. von Hayek (1949, S. 15): Wenn das zuträfe, dann hätte er (der meth. Ind.) allerdings zu einem Verständnis der Gesellschaft nichts beizutragen. Seine grundlegende Behauptung ist aber eine ganz andere; sie lautet: dass es keinen anderen Weg zum Verständnis der sozialen Erscheinungen gibt als über das Verständnis des Handelns des Einzelnen. 12
14 Rationalität Präferenzen und Beschränkungen (Restriktionen) bestimmen die Entscheidungssituation des Individuums Beschränkungen: Einkommen die auf Märkten geltenden Preise die rechtlichen Rahmenbedingungen des Handelns (erwartete) Reaktionen anderer. Vollständige Information vs. Bildung (bedingter) Erwartungen 13
15 Rationalität Präferenzen als Intentionen des handelnden Individuums Wertvorstellungen, die sich aus dem Sozialisationsprozess ergeben haben Unabhängigkeit von aktuellen Handlungsmöglichkeiten Individuum entscheidet sich unter bestimmten Handlungsmöglichkeiten für diejenige, die seinen Präferenzen am ehesten entspricht. 14
16 Rationalität Nutzenmaximierung unter Restriktionen bei Unsicherheit Nutzenmaximierung vs. Gewinnmaximierung Eigenständigkeit der Entscheidung: Handeln nach den eigenen Präferenzen und nicht entsprechend den Präferenzen anderer. gegenseitig desinteressierte Vernünftigkeit (Rawls 1971, S. 168) als empirische Annahme in der Ökonomik. 15
17 Rationalität Rationalität der Entscheidung Homo oeconomicus ist kein wandelnder Computer. Zerrbild mikroökonomischer Lehrbücher des Grundstudiums, das nicht der modernen ökonomischen Auffassung entspricht (Paleo-homo oeconomicus). Rationalität bedeutet, dass das Individuum, wenn es seinen Intentionen folgt, prinzipiell in der Lage ist, gemäß seinem relativen Vorteil zu handeln. (Kirchgässner, 2000, S. 17). Unvollständige Information: Kosten der Informationsbeschaffung. 16
18 Rationalität Rationalität der Entscheidung Auf Veränderungen des Handlungsraumes reagiert ein rationales Individuum systematisch, d.h. nicht zufällig oder willkürlich. Verhalten ist durch Anreize systematisch beeinflusst. Anreize ergeben sich durch Veränderungen der Restriktionen. Individuelles Verhalten wird erklärt durch rationales Handeln. Rationalitätsprinzip vs. Kausalitätsprinzip. 17
19 Rationalität Rationalität der Entscheidung Menschliches Handeln kann verstanden werden, wenn es mit Hilfe eines Modells rationalen Verhaltens erklärt werden kann. Rationalitätsannahme als abstrahierendes Hilfskonstrukt. Milton Friedman: Annahme, dass sich Menschen verhalten, als ob ( as if ) sie rational wären, liefert kräftige Erklärungen und brauchbare Prognosen. Realismus wäre unnötig und überzogen. 18
20 Rationalität Rationalität der Entscheidung kein Widerspruch zur psychologischen Betrachtung, auch wenn die Psychologie das Menschenbild des homo oeconomicus als zu einfach ansieht. Scitovsky (1976): How much more realistic and convincing psychological theory is than the economists sweeping assumptions of rational behavior (The joyless economy, S. xii). Marketingtheorie: Rationalität ist ein typisches ökonomisches Konstrukt, zur vereinfachenden Beschreibung ökonomischen Verhaltens entworfen, für die verhaltenswissenschaftliche Analyse des tatsächlichen Konsumentenverhaltens jedoch nicht geeignet (Kroeber-Riel, 1975, S. 169). 19
21 Rationalität Rationalität der Entscheidung Beide Ansichten sind so nicht haltbar. Das ökonomische Verhaltensmodell weist große Gemeinsamkeiten mit dem Verhaltensmodell der Sozialpsychologie auf. (Frey und Stroebe, 1980, S. 84). Einstellung/Verhalten Kaufabsicht im Marketing Einstellung/Beschränkung durch soziale Normen Eingeschränkt rationales Verhalten Prüfung von Alternativen, bis hinreichend akzeptable gefunden sind. Rationale Suchverfahren und Daumenregeln. Kontingente Regeln für Klassen von Situationen. 20
22 Rationalität Zur Frage der Präferenzen: Präferenzen ändern sich langsamer als die Restriktionen. Präferenzen können sich dennoch im Zeitablauf ändern. Keine sinnvolle Erklärungsstrategie, Veränderungen im menschlichen Verhalten durch Veränderungen der Präferenzen zu erklären. Jede beliebige Änderung kann unter Hinweis auf die Veränderungen in den Präferenzen erklärt werden. Solche Aussagen lassen sich nicht widerlegen. Bsp.: Umweltbewusstsein vs. bessere Information. 21
23 Rationalität Zur Frage der Präferenzen: Akzeptanz der individuellen Präferenzen als demokratischer Standpunkt. Präferenzen können zwar hinterfragt werden (Herkunft, Konsistenz, Verallgemeinerbarkeit). Was die richtigen Präferenzen sind, lässt sich jedoch nicht wissenschaftlich feststellen. Die Veränderung der Präferenzen durch gezielte Sozialisation ist keine vernünftige Strategie der Politik. Problem des Totalitarismus. 22
24 Existenz relevanter Alternativen Es gibt immer genügend Alternativen, zwischen denen das Individuum wählen kann. Substitution als Folge veränderter Beschränkungen ist möglich. Bessere Alternativen werden wahrgenommen, schlechtere fallengelassen. Explodierende soziale Prozesse sind damit nahezu ausgeschlossen. 23
25 Eigennutzannahme Individuen grundsätzlich und in erster Linie auf eigenen Vorteil bedacht, sie sind egoistisch. Verhalten sich Individuen altruistisch bzw. moralisch? Unter welchen Bedingungen tun sie dies? Egoismus ist unsympathisch. Aber: Kein Neid, kein Hass, keine Schadenfreude. Wie der Priester und der Levit im Gleichnis vom barmherzigen Samariter. 24
26 Eigennutzannahme Gegenseitig desinteressierte Vernünftigkeit als in vielen Fällen zutreffende Beschreibung menschlichen Verhaltens. Man sollte dem gewinnmaximierenden Unternehmer sein Verhalten nicht vorwerfen, sondern damit rechnen. Friedrich II. von Preussen (1752): Wer glaubt, dass die Welt von Bösewichtern bevölkert ist, denkt wie ein Menschenfeind; sich einzubilden, dass alle Tiere auf zwei Beinen und ohne Flügel ehrliche Leute sind, heißt, sich wie ein Dummkopf zu täuschen 25
27 Eigennutzannahme Eigennutz vs. Opportunismus Opportunismus als die Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List. Dies schließt krassere Formen ein, wie Lügen, Stehlen und Betrügen. (Williamson 1985, S. 54). Rechtssystem zur Beschränkung opportunistischen Verhaltens. Sinnvolle und robuste Institutionen für eine Gesellschaft erfordern die Annahme eigennützigen Verhaltens. 26
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