kann man einen Gedenktag und einen Erinnerungsgottesdienst einfach so anordnen? Erinnert euch gefälligst an die Opfer der nationalsozialistischen
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- Siegfried Dittmar
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1 Predigt im Gedenkgottesdienst an die Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft in der Gemarker Kirche am 27. Januar 2016 Pfarrer Walter Lang Liebe Gemeinde, kann man einen Gedenktag und einen Erinnerungsgottesdienst einfach so anordnen? Erinnert euch gefälligst an die Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft in unserem Land vor mehr als 70 Jahren? Der damalige Bundespräsident Roman Herzog hat vor 20 Jahren den 27. Januar als Gedenktag festgelegt. Kann man Gedenken anordnen? Man kann festlegen, welche Inhalte der Geschichtsunterricht über die nationalsozialistische Schreckensherrschaft zu vermitteln hat. Das kann man. Das muss man auch. Das ist ja lange Zeit nach Ende des Krieges nicht passiert. Ich habe noch einen Geschichtsunterricht genossen, der schlicht nicht bis zur Zeit der Nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gekommen ist. Bei uns war sogar vor dem ersten Weltkrieg Schluss mit Geschichte. Aber ist das Vermitteln der Fakten schon Gedenken? Ich möchte mit Ihnen heute Abend dem nach-denken, was die Bibel unter Gedenken versteht. Vielleicht hilft es uns, die große Chance zu entdecken, die im Gedenken gerade an eine schreckliche Zeit unserer deutschen Geschichte liegt. Über 300 Mal kommt das Wort Gedenken in der Bibel vor. Und sehr oft begegnet es uns als Aufruf: Gedenke, erinnert euch!
2 Die Bibel, vor allem die jüdische Bibel hat eine ziemliche Angst davor, dass wir zu unserem eigenen Schaden vergessen, was war, was Menschen getan haben und was Gott getan hat. Deshalb: Gedenke! Ich könnte auch die Betonung ein bisschen verschieben: Gedenke oder Geh denken! Mach dich auf den Weg! Für die Bibel ist Gedenken nicht tote Erinnerung oder Starren auf Vergangenes. Gedenken hat immer eine Tendenz zur Tat hin, zu einer eigenen Stellungnahme und zu einer Hoffnungsperspektive. Geh denken! Ich möchte das entfalten an zwei biblischen Beispielen. Im 2. Mosebuch, im 17. Kapitel wird uns von einem Gedenken berichtet, das uns vielleicht zuerst einmal fremd vorkommt. Hintergrund: Das Volk Israel war auf beschwerlichem Weg durch die Wüste in die Freiheit. Unterwegs überfiel Amalek mit seinen Soldaten feige die Nachzügler des mühsamen Zugs durch die Wüste. Mose gab Josua den Auftrag, gegen Amalek zu kämpfen. Und zwar nicht so sehr mit vielen Soldaten und Waffen, sondern mit der Kraft des Gebetes. Immer, wenn Mose die Hände hob zum Gebet, konnten die Isrealiten die Amalekiter vertreiben. (Ein seltsamer heiliger Krieg übrigens, dessen Strategie heute dazu führen würde, dass alle Kriegshandlungen und alles Wettrüsten gestoppt würden.) Und dann lesen wir folgendes: Und der Herr sprach zu Mose: Schreibe dieses zum Gedächtnis in ein Buch und präge es Josua ein, denn ich will Amalek unter dem Himmel austilgen, dass man seiner nicht mehr gedenke. Und Mose baute einen Altar und nannte ihn: Der Herr ist mein Feldzeichen. Nun scheint es so zu sein, dass Amalek gar kein historisch zu fassendes Volk ist, sondern Chiffre für den Feind, der Israel auslöschen will. Im Juden-
3 tum wurde Amalek auch zur Chiffre für die nationalsozialistische Schreckensherrschaft. Und Gott ordnet ein Gedenken an diesen Krieg an, durch Aufschreiben, durch Weitersagen, durch den Bau eines Altars, damit man dieses Feindes nicht mehr gedenke. Erinnern, gedenken, um zu vergessen. Vergessen kann hier nur eins bedeuten: Wir gedenken an schreckliche Geschehnisse, damit so was nie wieder passiert wir vergessen, damit diese Feinde nie wieder triumphieren. Liebe Gemeinde, das ist das Ziel unseres Gedenkens an die nationalsozialistische Schreckensherrschaft: Dass so was nie wieder in unserem Land passiert, ein solch blinder Hass gegen Menschen, eine solche Entsolidarisierung von einer ganzen Menschgruppe, ein solcher Verlust aller menschlichen Regungen. Wir haben dort hinten die großartige Ausstellung über die Bekenntnissynode 1934 hier in der Gemarker Kirche. Da geht es uns nicht nur um den Rückblick in die 1930er Jahre. Immer wieder erlebe ich es, dass junge Leute beim Anschauen der Ausstellung ganz erschrocken innehalten: Wie kann das sein, dass jüdische Geschäfte geplündert wurden in der Nachbarschaft und es gab keinen Aufschrei im deutschen Volk? Und dann sind wir bei der Frage: Wären wir mutiger gewesen als unsere Eltern und Großeltern? Und die Barmer Theologische Erklärung stellt uns mit ihrem Ja, das glauben wir und Nein, das verwerfen wir die Frage: An welchen Stellen, zu welchen politischen Entscheidungen heute müssten wir ein deutliches Nein sagen? Und dann reden wir über unseren Umgang mit Flüchtlingen, dann reden wir darüber,
4 wie schnell wir uns jetzt schon wieder an einem Krieg beteiligen. Dann reden wir darüber, dass so viele Konflikte in der Welt auch mit uns zu tun haben, mit unserem Wirtschaften, mit unseren Waffenverkäufen. Auch der Syrienkonflikt mit den Folgen, dass Millionen Menschen fliehen vor Terror und Gewalt, trägt ein Label: Made in Germany. Gedenken, die große Chance. Geh denken, damit so was nie wieder passiert. Eine weiterer biblischer Anstoß zum Gedenken: Als Plakat sehen wir es in diesen Tagen an vielen Kirchen befestigt: 2. Mose 23,9: Gott sagt: Einen Fremdling sollst du nicht bedrücken! Ihr wisst, wie es Fremden zumute ist; denn Fremde wart ihr selbst in Ägypten. Ihr wisst es doch, ihr erinnert euch doch noch! Die Erinnerung, das Gedenken an die eigenen Flüchtlingserfahrungen sollen Menschen mahnen, anderen nicht dasselbe anzutun, was man selbst erlebt hat. Machen wir uns klar: es könnte auch in der Bibel heißen: Fremde darfst du bedrücken, schließlich bist du auch in der Fremde bedrückt worden. So ist das nun mal in der Welt. Liebe Gemeinde, das wäre auch ein Gedenk- ein Erinnerungsmodell: eins, das die ewige Wiederkehr des Gleichen erinnert. Erinnert euch, so ist das nun mal. So war es und so wird es immer sein. Hier in der Bibel wird uns ein anderes Erinnerungsmodell vor Augen geführt: Eine Erinnerung, die zum Abbruch des Erinnerten mahnt: Die eigene Erfahrung wird zum Grund, anderen nicht dasselbe anzutun, wie man selbst es erfahren hat. So wollen wir gedenken: Geh denken, damit du es besser machst.
5 Ich komme noch mal zurück auf das erste biblische Beispiel, von dem ich erzählt habe, auf die Geschichte vom Gedenken an Amaleks Krieg und seine Niederlage. Der Herr sprach zu Mose: Schreibe dieses zum Gedächtnis in ein Buch und präge es Josua ein. Und Mose baute einen Altar. Hier kommt etwas für die Gedenkkultur Wichtiges in den Blick: Die Erinnerung erfolgt hier auf drei verschiedene Arten, sozusagen in drei Medien: Da ist zuerst das Buch: Schreib die Tatsachen auf. Was war und wie es war. Diese historisch exakte Darstellung der Schrecken der Naziherrschaft ist wichtig. Aber auch das zweite ist wichtig: Präge es Josua ein. Wörtlich: Lege es in die Ohren Josuas. Erzählt es weiter, so wie es subjektiv erlebt und erfahren wurde. Nicht distanziert, sondern mit allem Schrecken und aller Verzweiflung im Erzählen. Mutet es euch zu, dass jemand, der dem Schrecken der Nazis nur knapp entronnen ist, bei seiner Rückkehr nach Deutschland nach dem Krieg sagt: Die Nazis haben mir alles genommen, außer meinen deutschen Akzent. Ich wünschte, den hätten sie mir auch genommen. Die Scham, die solche persönliche Erinnerung von Opfern hervorbringt bei uns, gehört zum Gedenken dazu. Und die dritte Form des Gedenkens: Mose baute einen Altar. Das sind die festen Gedenktage, die nicht von unserer Stimmung abhängig sind, sondern die fest installiert sind im Jahresablauf eines Volkes und die uns einfach zu einem bestimmten Tag auffordern: Geh denken! Ich möchte noch auf etwas Wichtiges hineisen im Hinblick auf unser Gedenken: Es ist ein Unterschied, ob die Täter oder die Opfer des Erlebten gedenken.
6 Ob Täter sagen: Nie wieder und sie fragen: Wie konnte das geschehen? Was müssen wir tun, um alle Menschenverachtung bei uns heute in Ansätzen zu erkennen und dagegen anzugehen mit aller unserer Kraft? Oder ob die Opfer sagen: Nie wieder. Für viele Juden bedeutete dieses: Niemals wieder, dass Juden sich selbst verteidigen müssen gegen die Übergriffe einer brutalen Welt. Niemals mehr wollen Juden so wehrlos sein wie zur Zeit des Dritten Reiches. Wer will ihnen dieses Gedenken verdenken? Nun hat vor wenigen Tagen ein jüdischer Professor, Direktor beim Israel Policy Forum, einer großen Nicht-Regierungsorganisation in den USA, Prof. Elcott, vor der rheinischen Landessynode in Bad Neuenahr einen unglaublich mutigen und zukunftsweisenden Vortrag gehalten. Er hat über notwendige und Not-wendende Erinnerungen gesprochen. Was bedeutet das Gedenken mit dem Ziel des Nie wieder! für die Nachkommen der Täter, uns Deutsche und für die Opfer von damals, die Juden, die nun in einem starken Staat mit Macht und Gewalt ausgestattet sind? Er sagt sehr selbstkritische Sätzen, was Israels Politik gegenüber den Palästinensern angeht. Dieses Nie wieder so sagt er, begründet nicht nur das Recht auf Selbstverteidigung Israels, sondern auch die Verpflichtung, wachsam zu sein bei Vorurteilen und Ungerechtigkeiten gegenüber dem unterdrückten Volk der Palästinenser. Und dann spricht er die Hoffnung an, dass Opfer und Täter einen Beitrag leisten, aus dem Nie wieder Initiativen für Frieden und Gerechtigkeit zu entwickeln. Und da spricht er zu uns hier in Deutschland: Ziehen Sie los, ermutigt er uns, predigen Sie, unterrichten Sie, unterstützen Sie die friedlichen demokratischen Bemühungen von Israelis und Pa-
7 lästinensern. Sie können die Geschichten von Respekt und Toleranz ins Licht rücken, statt nur auf die Gewaltgeschichten zu starren, die beide Seiten oft vor sich hertragen. Seien Sie stark und unverzagt. Seien Sie hoffnungsfroh in Ihrem Bemühen, einen Beitrag leisten zu wollen, dass sich der Verlauf der Geschichte vom Konflikt und Leid hin zu gegenseitigem Respekt, Hoffnung und Frieden wandeln möge. Geh denken! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.
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