Ellipsen und Fragmente als Störung?
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- Ingeborg Beltz
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1 Ellipsen und Fragmente als Störung? Zur Ellipsenproblematik in der Sprachwissenschaft
2 Gliederung 1 Mündlichkeit/Schriftlichkeit 2 Ellipsen als Regelverstoß 3 Weshalb dann von Ellipse reden? 4 Apperzeptive Ergänzung und Elliptizität 2
3 Mündlichkeit/Schriftlichkeit Langue et écriture sont deux systèmes de signes distincts; l unique raison d être du second est de représenter le premier; l objet linguistique n est pas défini par la combinaison du mot écrit et du mot parlé; ce dernier constitue à lui seul cet objet. (de Saussure 1995: 45) 3
4 Mündlichkeit/Schriftlichkeit With their attention directed to texts, scholars often went on to assume, often without reflection, that oral verbalization was essentially the same as the written verbalization they normally dealt with, and that oral art forms were to all intents and purposes simply texts, except for the fact that they were not written down. (Ong 2002: 10) 4
5 Mündlichkeit/Schriftlichkeit Die Schrift- und Textlastigkeit der Sprachwissenschaft betrifft [ ] nicht nur den Untersuchungsgegenstand, sondern auch die Analyse- und Beschreibungskategorien als Untersuchungsinstrumente. Die überwiegende Zahl der linguistischen Kategorien wurde in der und für die Analyse geschriebener Texte entwickelt [ ]. Diese grammatischen Beschreibungskategorien sind wie alle Kategorien funktional ihrem Gegenstand angepasst [ ]. (Fiehler 2000: 25) 5
6 Ellipsen als Regelverstoß Auf der Grundlage welcher Norm(en) aber wird die Ellipse als defizitäre sprachliche Form angesehen? Diese Frage kann meines Erachtens folgendermaßen beantwortet werden: Grundlage für die Beurteilung der Ellipse als defizitäre sprachliche Form bilden Normvorstellungen, die die Alphabetschrift zuallererst hervorgebracht hat. (Buss 2004) 6
7 Ellipsen als Regelverstoß Sage ich [...] Ein Bier, so nennt das der Grammatiker [...] eine Ellipse; sein Ordnungssinn wäre erst befriedigt, wenn ich hübsch ausführlich gerufen hätte: Bringen Sie mir ein Glas Bier. Der Grammatiker vergißt jedoch, daß diese gewählte Ausdrucksweise immer noch unvollständig wäre, immer noch eine logische Ellipse, daß ich durch meinen Ruf mit dem Kellner oder vielmehr mit seinem Herrn einen Vertrag schließe und daß mein Gedanke erst dann vollständig war, wenn ich ihn ausführte: Holen Sie mir in nicht zu langer Zeit in einem Glas vom Ausschank einen halben Liter des hier angezapften Fassbiers, stellen Sie es mir zu meinem Gebrauch bereit, und nehmen Sie zugleich meine Versicherung entgegen, daß ich mich verpflichte, nachher und heute noch den auf der Karte verzeichneten Preis Ihrem Herrn in Ihre Hand zu bezahlen. Auch diese Bestellungsform, deren Ende der Kellner wohl nicht abwarten würde, wäre aber immer noch eine Ellipse, weil zu der Vollständigkeit des Gedankens noch einige Umstände gehören würden: die Herstellungsart des Biers, seine Temperatur, die Schaumhöhe und das Versprechen eines Trinkgeldes wäre immer noch weggelassen. (Mauthner 1967: 207) 7
8 Ellipsen als Regelverstoß Es bleibt keine Rechtfertigung für die gesonderte Behandlung sogenannter Ellipsen übrig. [ ] Für die Analyse der Rolle der Syntax in gesprochener Sprache und Interaktion ist der Ellipsenbegriff überflüssig. (Selting 1997: 150) 8
9 Ellipsen als Regelverstoß Denkt man bei der menschlichen Rede aber gar weniger an [ ] Leistungen der schriftlichen Sprache als an die Sprache zwischen den Menschen, [ ] so wird der Begriff der logischen Ellipse vollends unhaltbar. (Mauthner 1967: 212) 9
10 Weshalb dann von Ellipse reden? Item. Allein schon das Wort Ellipse hat einen Sinn, der zu denken geben sollte. Ein solcher Term scheint vorauszusetzen, daß wir anfänglich wissen, aus wie vielen Termen sich der Satz zusammensetzen sollte, und daß wir mit diesen die Terme vergleichen, aus welchen er sich tatsächlich zusammensetzt, um das Defizit festzustellen. [...] Und wenn wir den einzelnen Satz verlassen und allgemein überlegen, wird man wahrscheinlich sehr schnell sehen, daß überhaupt nichts Ellipse ist, aus dem einfachen Grund, daß die Zeichen der Sprache [ langage ] immer dem adäquat sind, was sie ausdrücken, - wobei wir bereit sind, anzuerkennen, daß ein bestimmtes Wort oder eine bestimmte Wendung mehr ausdrückt, als man glaubte. <Umgekehrt gäbe es kein mit Sinn versehenes Wort ohne Ellipse, aber weshalb dann von Ellipse reden [...], wie wenn es irgendeine Norm gäbe, unterhalb derer die Worte elliptisch sind. Sie sind es ohne Unterbrechung oder ohne mögliche genaue Einschätzung des [ ].> Die Ellipse ist nichts anderes als der Mehrwert [ surplus de valeur ] [ ]. (de Saussure 1997: 355; Hervorhebungen im Original) 10
11 Weshalb dann von Ellipse reden? Hätte die Ellipse in der Psychologie der Sprache überhaupt eine Berechtigung, so müßte man sie viel weiter ausdehnen; man könnte dann [...] zeigen, daß wir niemals vollständig reden. (Mauthner 1967: 209) Mit den Worten Pauls: [M]an müßte zugeben, daß es zum Wesen des sprachlichen Ausdrucks gehört elliptisch zu sein, niemals dem vollen Inhalt des Vorgestellten adäquat [ ]. (Paul 1960: 313f.) 11
12 Apperzeptive Ergänzung und Elliptizität (aus Bühler 1999: 28; Hervorhebungen A.C.) 12
13 Apperzeptive Ergänzung und Elliptizität Elliptisch, d.h. fragmentarisch, unvollständig sind sprachliche Formulierungen deswegen, weil, so umfangreich sie auch ausgeführt sind, sie nie einen vollständigen Plan abgeben können, um den Hörer, bei all seiner Willigkeit, diejenigen Erfahrungsakte ausführen zu lassen, die zum genauen Verständnis des Gemeinten notwendig sind. (Ungeheuer 1987: 327; Hervorhebung im Original) Ungeheuer nennt dies den Grundsatz der Elliptizität sprachlicher Formulierungen. (Ungeheuer 1987: 328) 13
14 Apperzeptive Ergänzung und Elliptizität Dies ist eine grundlegende Eigenschaft, deren Wichtigkeit kaum zu überschätzen ist: die Verwendung von Sprache ist immer die Verwendung eines (oder mehrerer?) prinzipiell unvollständigen Systems, eines offenen Systems, das man überschreiten muss, um es verwenden zu können. (Hörmann 1994: 324) 14
15 Literatur Bühler, Karl (1999): Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Mit einem Geleitwort von Friedrich Kainz. 3.Auflage. Stuttgart: Lucius & Lucius. Buss, Mareike (2004): Die Ellipse ein linguistischer Kategorienfehler? In: TRANS Internetzeitschrift für Kulturwissenschaften 15. Online im Internet: URL: [Stand: ]. Fiehler, Reinhard (2000): Über zwei Probleme bei der Untersuchung gesprochener Sprache. In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 85, S Hörmann, Hans (1994): Meinen und Verstehen. Grundzüge einer psychologischen Semantik. 4. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Mauthner, Fritz (1967): Beiträge zu einer Kritik der Sprache III. Zur Grammatik und Logik. Reprografischer Nachdruck der 3. vermehrten Auflage Leipzig Hildesheim: Olms. Paul, Hermann (1960): Prinzipien der Sprachgeschichte. Unveränderter fotomechanischer Nachdruck der 5.Auflage, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. de Saussure, Ferdinand (1995): Cours de linguistique générale. Édition critique préparée par Tullio de Mauro. Paris: Grande Bibliothèque Payot. de Saussure, Ferdinand (1997): Linguistik und Semiologie. Notizen aus dem Nachlaß. Texte, Briefe und Dokumente. Gesammelt, übersetzt und eingeleitet von Johannes Fehr. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Selting, Margret (1997): Sogenannte Ellipsen als interaktiv relevante Konstruktionen? Ein neuer Versuch über die Reichweiten und Grenzen des Ellipsenbegriffs für die Analyse gesprochener Sprache in der konversationellen Interaktion. In: Schlobinski, Peter [Hrsg.]: Syntax des gesprochenen Deutsch. Opladen: Westdeutscher Verlag, S Ungeheuer, Gerold (1987): Vor-Urteile über Sprechen, Mitteilen, Verstehen. In: Ders.: Kommunikationstheoretische Schriften I: Sprechen, Mitteilen, Verstehen. Herausgegeben von J.G. Juchem. Aachen: Rader, S
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