Jährlich überschreiten ca. 476 Mio. Reisende die deutschen Auslandsgrenzen. 1 Ausländische Reisende untergliedern sich grob betrachtet in Personen,
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- Björn Flater
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1 Einleitung Jährlich überschreiten ca. 476 Mio. Reisende die deutschen Auslandsgrenzen. 1 Ausländische Reisende untergliedern sich grob betrachtet in Personen, die der Visumpflicht unterliegen, von der Visumpflicht befreite Personen 2 und Freizügigkeitberechtigte. Visumpflichtigen Drittstaatsangehörigen stellt die Bundesrepublik Deutschland jährlich zwischen 1,5 und 2,5 Mio. Visa aus. 3 Auf deutschen Flughäfen wurden z.b. im Jahr 2012 ca. 70 Mio. Passagiere grenzpolizeilich kontrolliert. In Anbetracht dieser Zahlen ist leicht zu erkennen, dass grenzpolizeiliche Kontrollen täglich in großer Zahl erfolgen. Diese Kontrollen sind jedoch nur sinnvoll, wenn sie mit dem notwendigen Fachwissen durchgeführt werden. Leider hat sich das Ausländerrecht zu einem kaum noch überschaubaren Dschungel von Rechtsvorschriften ausgewachsen, in dem es dem Anwender schwer gemacht wird, auch bei nicht ganz einfach gelagerten Fällen die richtige Entscheidung zu fällen. Um bei möglichst vielen Rechtsproblemen eine Hilfestellung zu geben, wurden in diesem Buch mehr als 130 Gerichtsurteile, 20 BMI-Erlasse und über 40 Verfügungen des Bundespolizeipräsidiums eingearbeitet (insgesamt mehr als 300 unterschiedliche Quellen). Dieses Buch soll zunächst Berufskollegen, die über keine oder nur geringe Kenntnisse im Ausländerrecht verfügen, dieses Rechtsgebiet leicht verständlich erklären. An vielen Stellen sind Probleme der grenzpolizeilichen Praxis aufgegriffen und die Lösungen erklärt worden. Hier liegt der Schwerpunkt des Buches. Auch erfahrene Grenzpolizisten werden sicher das eine oder andere Neue lesen. Mit den genannten Textquellen können Praktiker ihre Rechtsmeinung belegen und andere Auffassungen entkräften. Das Asylrecht musste leider unberücksichtigt bleiben, da das Buch sonst zu umfangreich geworden wäre. Der Inhalt dieses Buches entspricht der als Quelle benutzten Fachliteratur mitunter auch der Meinung des Verfassers. Es ist durchaus möglich, dass sich die Rechtslage aufgrund von neuen EU-Verordnungen, neuen Ge- 1 Im Jahr 2005 waren es ca. 400 Mio. Reisende, davon ca. 68 Mio. Reisende über die Luftgrenzen und ca. 3,5 Mio. über die Seegrenzen. 2 Hierzu zählen Drittstaatler, die für einen Kurzaufenthalt von bis zu 90 Tagen kein Visum benötigen, Personen, die einen längerfristigen Aufenthaltstitel besitzen, EU-Bürger, EWR-Bürger, Schweizer Staatsbürger und teilweise Familienangehörige der zuvor genannten Gruppen. 3 Ca. 13 Mio. Visa erteilen die Schengen-Staaten jährlich zusammen (ZAR 1 2 aus 2012, S. 41). 21
2 Einleitung setzen, internationalen Verträgen oder Urteilen nach Redaktionsschluss geändert hat oder aber die Lehrmeinung ein bestimmtes Rechtsproblem irgendwann anders bewertet. Gerade in den letzten Jahren hat sich das Ausländerrecht so schnell weiterentwickelt, dass es kompliziert und sehr zeitaufwendig ist, die Ausführungen eines Fachbuchs zu diesem Rechtsgebiet aktuell zu halten. Derzeit kann wohl niemand mit Sicherheit behaupten, in einem umfangreichen Fachbuch zum europäischen und nationalen Ausländerrecht nicht irgendeine Änderung der Rechtslage möglicherweise übersehen zu haben. Bisherige Aussagen von Berufskollegen haben gezeigt, dass Kritiker mitunter sehr dazu neigen, in Fachbeiträge angebliche Fehler hinein zu interpretieren, die bei genauerem Hinsehen so gar nicht im Text stehen. Der Inhalt dieses Buches hätte sehr an Verständlichkeit verloren, wenn jeder Satz so formuliert worden wäre, dass Fehlinterpretationen nicht möglich sind. Es kam dem Autor darauf an, die wesentlichen Teile des grenzpolizeilichen Ausländerrechts zu erklären, notwendiges Hintergrundwissen zu vermitteln, zusätzlich Probleme der Praxis aufzugreifen und dennoch leicht verständlich zu bleiben, wobei das Buch so schnell fertig sein sollte, dass es hochaktuell ist. Eingearbeitet wurde die Rechtslage bis zum 27. Januar Martin Schulz München, Februar
3 1. Einführung in das Ausländerrecht 1.1 Rechtsquellen zum Ausländerrecht 1.1 Rechtsquellen zum Ausländerrecht Ein Polizeibeamter muss bei seinen Eingriffsmaßnahmen nicht nur genau wissen, was er darf, sondern auch, wo das steht. Daher findet sich bei den Ausführungen dieses Buchs stets auch die anwendbare Rechtsgrundlage. Da das Ausländerrecht von einer Vielzahl von Rechtsvorschriften (sog. Rechtsquellen) bestimmt wird, sind nachfolgend zunächst die wichtigsten Rechtsvorschriften (bei weitem nicht alle) aufgelistet. Das deutsche Ausländerrecht basiert im Wesentlichen auf dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) 1. Das AufenthG wird durch die Durchführungsverordnung zum Aufenthaltsgesetz, die Aufenthaltsverordnung (AufenthV), ergänzt. Daneben regelt das Freizügigkeitsgesetz für EU-Bürger (FreizügG/ EU) die Einreise und den Aufenthalt freizügigkeitsberechtigter Personen im Bundesgebiet. 2 Das FreizügG/EU wurde zusammen mit dem AufenthG zum 1. Jan in Kraft gesetzt. Daneben existiert das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG), welches das Wesentliche zum Asylverfahren bestimmt. Wer sich mit Asylrecht beschäftigt, muss zunächst das Übrige nationale und europäische Ausländerrecht verstanden haben. Neben den nationalen (deutschen) Gesetzen zum Ausländerrecht enthalten internationale Verträge, EU-Verordnungen und EU-Richtlinien Regelungen zur Einreise und zum Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet. EU-Verordnungen gelten ab dem Datum der Inkraftsetzung unmittelbar (auch im Bundesgebiet). EU-Richtlinien müssen innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Sofern ein Sachverhalt durch deutsches Recht und durch internationales Recht geregelt wird, genießt das internationale Recht Vorrang (sog. Anwendungsvorrang). Das heißt, dass die 1 Bis Ende 2004 basiert das deutsche Ausländerrecht im Wesentlichen auf dem Ausländergesetz (AuslG) und der dazu erlassenen Durchführungsverordnung zum AuslG (DVAuslG) wurde das neue Aufenthaltsgesetz verabschiedet und mit Datum vom in Kraft gesetzt, womit das alte AuslG ungültig wurde. 2 Auch die Rechte von Drittstaatlern, die das abgeleitete Freizügigkeitsrecht in Anspruch nehmen können, werden mit dem FreizügG/EU geregelt. 23
4 1. Einführung in das Ausländerrecht nationalen Gesetze der einzelnen EU- und Schengen-Staaten vom europäischen Recht verdrängt werden. 3 Trotz einer Fülle von unterschiedlichen Rechtsnormen auf europäischer und nationaler Ebene sind nicht alle Sachverhalte eindeutig geregelt, so dass mitunter Gerichte über unterschiedliche Rechtsauffassungen entscheiden müssen. Die Gerichtsurteile gehen den nationalen Verwaltungsvorschriften (z.b. BRAS 120), BMI-Erlassen und Verfügungen des BPOLP 4 vor. Für den Klageweg gegen Entscheidungen der deutschen Grenzpolizei stehen zunächst die deutschen Gerichte zur Verfügung. Darüber hinaus existiert auf europäischer Ebene der Europäische Gerichtshof (EuGH). Der EuGH kann von betroffenen Personen direkt angerufen werden. 5 Die Urteile des EuGH sind unanfechtbar und entfalten für die einzelnen EU-Staaten Bindungswirkung. Wie beispielsweise die Fristen für einen sog. visumfreien Kurzaufenthalt berechnet werden müssen, hat der EuGH erst zehn Jahre nach Inkrafttreten der entsprechenden Rechtsvorschrift (das SDÜ 6 ) entschieden. In diesen zehn Jahren wurden die Fristen teilweise falsch berechnet. Das Ausländerrecht wird somit u. a. von folgenden Rechtsakten bestimmt: Nationales (deutsches) Recht das AufenthG (Kernstück des deutschen Ausländerrechts) das FreizügG/EU (gilt nur für EU-Staatler, EWR-Staatler und die Schweiz) das AsylVfG (Kernstück des deutschen Asylrechts) die AufenthV (Ausführungsregelungen zum AufenthG) diverse Urteile deutscher Gerichte EU-Recht (überwiegend Schengen-Recht) diverse EU-Verordnungen (gelten mit Inkrafttreten unmittelbar) diverse EU-Richtlinien (sind innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umzusetzen) Entscheidungen der EU-Organe (EU-Einzelfallentscheidungen) 3 Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie Irland (als eigenständiger Staat) wenden nicht das Schengen-Recht an. 4 Früher BPOLDIR. 5 Ein solcher Rechtsweg ist erheblich teurer als der Rechtsweg zu den nationalen Gerichten der ersten Instanz. 6 Offizielle Bezeichnung: Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen. 24
5 1.1 Rechtsquellen zum Ausländerrecht Verträge der EU mit anderen Staaten (z. B. Assoziationsabkommen EWG/Türkei 7 oder Rückübernahmeabkommen) diverse Urteile des Europäischen Gerichtshofs Sonstige Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten Sichtvermerksabkommen NATO-Truppenstatut mit Zusatzabkommen Verträge zum Diplomatenrecht (WÜD, WÜK) Verträge zu Menschenrechten (GFK, EMRK) Um der Grenzpolizei Hinweise zu geben, wie die zuvor genannten Rechtsakte bundeseinheitlich umzusetzen sind, geben das BMI Erlasse und das BPOLP (früher BPOLDIR) Verfügungen (bzw. Hinweise zur einheitlichen Rechtsanwendung) heraus. BMI-Erlasse und Verfügungen des BPOLP können die Rechtslage nicht ändern; sie bestimmen lediglich, wie die zuvor genannten Rechtsakte auszulegen und umzusetzen sind. Es handelt sich praktisch um innerdienstliche Weisungen. Für die Beamten der BPOL sind die BMI-Erlasse und Verfügungen des BPOLP (einschließlich der Hinweise zur einheitlichen Rechtsanwendung) bindend, sofern nicht ein Gericht anders urteilt. 8 Ausländer können sich nur dann auf BMI-Erlasse und Verfügungen des BPOLP berufen, wenn sie eine Gleichbehandlung einfordern wollen. Auf europäischer Ebene bestimmen u. a. die Gemeinsamen Konsularischen Instruktionen (GKI), wie das Schengen-Recht auszulegen und umzusetzen ist. Die GKI sind als Verwaltungsvorschrift auf europäischer Ebene anzusehen und richten sich insbesondere an die Auslandsvertretungen der Schengen-Staaten. Die GKI enthalten Anlagen, die mehrfach geändert wurden. Ferner existierte bis Okt das gemeinsame Handbuch zur Umsetzung des Schengen-Vertrags (gemeinsames Schengen-Handbuch GHB). Das GHB war ebenfalls als Verwaltungsvorschrift auf europäischer Ebene anzusehen und richtete sich an die Grenzpolizei. Mit dem Schengener Grenzkodex (SGK) 9 wurde das GHB im Okt außer Kraft gesetzt. Die EU hat stattdessen die Empfehlungen der Kommission vom 6. Nov über einen gemeinsamen Leitfaden für Grenzschutzbeamte (Schengen- Handbuch) erarbeitet. Das Schengen-Handbuch entfaltet jedoch keine Ver- 7 Diese Abkürzung ist so 4 Abs. 1 AufenthG zu entnehmen. 8 Die unterste Ebene der Gerichte zwingt noch nicht zur Änderung einer Verwaltungsvorschrift oder einer innerdienstlichen Weisung. 9 Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex SGK), ABl. Nr. L 105/1. 25
6 1. Einführung in das Ausländerrecht bindlichkeit (Stand: Jan. 2014). 10 Bereits während der Phase, in der innerhalb der EU noch über das Schengen-Handbuch verhandelt wurde, hat das BPOLP (früher BPOLDIR) mit den Vorläufigen Hinweisen zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung bei der Anwendung des Schengener Grenzkodex für die deutsche Grenzpolizei eine verbindliche Handlungsanweisung geschaffen. 10 In der Vergangenheit wurde das Schengen-Handbuch auch als practical handbook, bzw. in der deutschen Übersetzung als Praxishandbuch für Grenzschutzbeamte oder Leitfaden für Grenzschutzbeamte (so z. B. H. Winkelmann in 25 Jahre Schengen in ZAR 7/2010, S. 219) bezeichnet. Zusätzlich hat die EU für die Umsetzung des Visakodex ein practical handbook erarbeitet. Der Begriff practical handbook wird also für mehr als ein Schriftwerk verwendet. 26
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