BLOCK 2: Wissenschaftliche Grundvorstellungen zu Person, Umwelt und Handeln in der Psychologie. Bezüge zu Identitätskonzepten in der Soziologie.
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- Gitta Fried
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1 Vorlesung: Arbeit, Freizeit und Persönlichkeitsentwicklung Ernst-H. Hoff BLOCK 2: Wissenschaftliche Grundvorstellungen zu Person, Umwelt und Handeln in der Psychologie. Bezüge zu Identitätskonzepten in der Soziologie. Hoff (1992). Kapitel 1
2 BLOCK 2: Wissenschaftliche Grundvorstellungen zu Person, Umwelt & Handeln konträre Paradigmen in der Psychologie Gemeinsamkeiten konträrer Paradigmen: Bild vom homo clausus Die Interaktionismusdebatte in der Persönlichkeitspsychologie Interaktionismus in der Soziologie Identität als Prozess der Balance 2
3 Wissenschaftliche Paradigmen Theorietraditionen Theoriefamilien PARADIGMA A B C Metaphern: - Maschine - Organismus - Black Box - homo clausus - Personalismus - Situationismus z.b. Behaviorismus Einzeltheorien I II III Begriffe, a, b, c, d... Relationen (Kausalität t & Zeit), Hypothesen z.b. Verhalten Handeln Trait Stimulus / Response 3
4 Wissenschaftliche Paradigmen in der Psychologie Beziehungen zw. Person, Umwelt und Verhalten / Handeln (1) Wissenschaftsfremdes Paradigma P? V (2) Paradigma vom homo clausus U Personalismus (U ) V P Situationismus U V ( P) (3) Interaktionistisch-dialektisches Paradigma U H P 4
5 Gegenüberstellung paradigmatisch unterschiedlicher Theorietraditionen der Psychologie Situationismus Verhalten wird durch Umwelt / Situation determiniert U V Behavioristische Lerntheorien (Primat experimenteller Methoden) Personalismus Verhalten wird durch Person / Persönlichkeitszüge determiniert V Trait- und Attitüdenkonzepte P (phänomenologische und faktorenanalytische Forschung, klassische Testtheorie) - Reiz-Reaktions-Verbindungen - Persönlichkeit existiert nicht ( black box ), nur konkret beobachtbares und situativ unterschiedliches Verhalten - WATSON, HULL, SKINNER - situationsunabhängige Eigenschaften ( traits ) oder Einstellungen ( attitudes ) - Persönlichkeit als die individuelle Kombination in der Ausprägung mehrerer unabhängiger Faktoren - CATTEL, GUILFORD, ALLPORT 5
6 Gegenüberstellung paradigmatisch unterschiedlicher Theorietraditionen der Psychologie deterministisch-additive Betrachtungsweise U P V Übergangsform: varianzanalytischer Interaktionismus U Interaktion P V U Perzeption Kognition Handeln Interaktionismus P vereinfacht: U H P frühere Formulierung bei KOFFKA, LEWIN 6
7 Zur Gemeinsamkeit der konträren Paradigmen Situationismus Personalismus HOMO CLAUSUS (Elias) außen innen (Metapher: Black Box) innen außen Determinismus Stabilität der beeinflussenden Seite 7
8 Zur Gemeinsamkeit der konträren Paradigmen Elias (1936/76, Bd.I, S.IL/L) Die Vorstellung des einzelnen Menschen, dass er ein homo clausus ist, eine kleine Welt für sich, die letzten Endes ganz unabhängig von der großen Welt außerhalb seiner existiert, bestimmt dann das Bild vom Menschen überhaupt. Jeder andere Mensch erscheint ebenfalls als ein homo clausus; sein Kern, sein Wesen, sein eigentliches Selbst erscheint ebenfalls als etwas, das in seinem Inneren durch eine unsichtbare Mauer, von allem was draußen ist, auch von allen anderen Menschen, abgeschlossen ist. Aber die Natur der Mauer selbst wird kaum je erwogen und nie recht erklärt. Ist der Leib das Gefäß, das in seinem Inneren das eigentliche Selbst verschlossen hält? Ist die Haut die Grenze zwischen dem Innern und dem Äußern? Was ist am Menschen Kapsel und was ist das Verkapselte? Die Erfahrung des Innern und des Äußern scheint so unmittelbar einleuchtend, dass man solche Fragen kaum je stellt; sie scheinen keiner Untersuchung zu bedürfen. Man begnügt sich mit den räumlichen Metaphern vom Innern und Äußern, aber man macht keinen Versuch, das Innere ernstlich im Raum aufzuzeigen; und obgleich dieser Verzicht auf die Untersuchung der eigenen Voraussetzung durchaus nicht recht zu dem Verfahren von Wissenschaften passt, beherrscht dieses vorgefasste Bild des homo clausus nicht nur in der weiteren Gesellschaft, sondern auch in den Menschenwissenschaften in hohem Maße die Szene. 8
9 Zur Gemeinsamkeit der konträren Paradigmen Interaktionismus Arbeitswelt Arbeits-Handeln arbeitende Person Kohn (1985, S.43f.) Die Arbeitspsychologen gingen davon aus, dass die Beziehung zwischen Arbeit und Persönlichkeit von selektiver Personalauswahl, selektivem Verbleib an Arbeitsplätzen und individueller Ausgestaltung des Arbeitsplatzes herrühre; das heißt: die Persönlichkeit beeinflusst die Arbeit. Die Arbeitssoziologen nahmen dagegen an, dass die Beziehung zwischen Arbeit und Persönlichkeit allein von der Arbeit und ihrem Einfluss auf die Persönlichkeit herrühre. Keine der beiden Seiten war bereit, dem Gegenstandspunkt auch nur die Möglichkeit einer partiellen Berechtigung zuzugestehen. Wir zogen aus dieser Lage den Schluss, dass die Beziehung nicht bloß aus einem Einwegeffekt in einer der beiden Richtungen bestehen kann, Unsere gesamte Forschungsarbeit beruht auf der Annahme einer Reziprozität. Viele Jahre später nun decken sich unsere längsschnittlichen Befunde mit dieser Annahme, ebenso wie die Befunde aller anderen Längsschnittstudien, die ich kenne. 9
10 Interaktionismusdebatte in der Persönlichkeitspsychologie Personalismus: transsituative Konsistenz daraus schließt man auf TRAITS Eigenschaften, Attitüden Sit.1 Sit.2 V a = V a = V a Sit.3... TRAIT A Ängstlichkeit ngstlichkeit Situationismus: empirische Verhaltens-Inkonsistenz Sit.1 Sit.2 Sit.3 V a V b V c MISCHEL (1968), BEM (1972) 10
11 Vorgriff auf soziologische Identitätskonzepte und ihre Ähnlichkeit mit Personalismus / Situationismus horizontale Identitätsebene tsebene der sozialen Identität Die Person bleibt sich selbst gleich (über verschiedene Rollen / Situationen hinweg) Rollen in der Gegenwart, Verhalten in sozialen Rollen in der Gegenwart (Student/in, Kind der Eltern, Freundin von x/y, Mutter, Vater, Geliebte/r...) Die Person ist identisch mit Rolle 1 / 2 / 3 (die Person verhält sich von Rollen zu Rolle / Situation zu Situation unterschiedlich) 11
12 Interaktionismusdebatte in der Persönlichkeitspsychologie BEM (1972) intrasituative Konsistenz / Inkonsistenz transsituative (In-)Konsistenz - manche Bestandteile des Verhaltens bleiben von Rolle zu Rolle und von Situation zu Situation gleich, andere ungleich - die Person ist mit sich selbst z.t. identisch / z.t. nicht identisch, d.h. unterschiedlich von Rollen zu Rolle / Situation zu Situation - intrasituative (In-)Konsistenz ist an Situationsbereiche / Rollen gebunden Lehrerrolle, Pädadoge, Selektionsinstanz 12
13 Interaktionismusdebatte in der Persönlichkeitspsychologie ENDLER (1973): kurzfristige Konsistenz vs. Inkonsistenz langfristige Kontinuität t vs. Diskontinuität Stabilität t vs. Instabilität frühere Sit.1.1 ähnliche spätere Sit.1.2 Sit.1.3 V a V a V a TRAIT A Phobien Stabilität in spezifischen Situationsklassen, in anderen Situationen nicht V a V b V c 13
14 Interaktionismusdebatte in der Persönlichkeitspsychologie ENDLER (1973): kurzfristige Konsistenz vs. Inkonsistenz langfristige Kontinuität t vs. Diskontinuität Stabilität t vs. Instabilität frühere Sit.1.1 ähnliche spätere Sit.1.2 Sit.1.3 V a V a V a TRAIT A Phobien vertikale Identitätsebene tsebene der personalen Identität über Biographie hinweg 14
15 Interaktionismusdebatte in der Persönlichkeitspsychologie ENDLER (1973), MISCHEL (A) Stabilität t + Konsistenz: Rigidität im Extrem: Störung mangelnde Situationsspezifität kognitiv-intellektuelle Merkmale nicht kognitive Merkmale: enge traits (B) Stabilität t + Inkonsistenz: Flexibilität normale Anpassung an variierende situative Kontexte nicht kognitive Merkmale: weite traits ALKER (1972) 15
16 Interaktionismusdebatte in der Persönlichkeitspsychologie ALKER Phänotyp: oberflächliche Inkonsistenz des beobachtbaren Verhaltens Genotyp: tieferliegende Konsistenz der nicht beobachtbaren Anteile von Handeln Handeln: nichtbeobachtbar, Zielbestimmung Wege/Mittel A B C nichtbeobachtbar, Zielerreichung beobachtbares Verhalten Äquifinalität: unterschiedl. beobachtbare Mittel/Wege können zu gleichem Ziel führen Multifinalität: t: gleiche beobachtbare Mittel/Wege können zu unterschiedl. Zielen führen 16
17 Interaktionismusdebatte in der Persönlichkeitspsychologie ENDLER: (1973) stattdessen: Person oder Situation? falsch gestellte Frage! Wie interagieren P & U bei dem Hervorbringen von Verhalten / Handeln? MISCHEL: (1973) vom Situationismus zum Interaktionismus Kontinuität (trotz Inkonsistenz) aus besonderer Lerngeschichte / Biografie erklärbar rbar stimulus stimulus meanings stimulus nicht objektiv relevant, sondern in ihrer subjektiven, lerngeschichtlich kodierten Bedeutung! 17
18 Interaktionismusdebatte in der Persönlichkeitspsychologie THOMAS-THEOREM: THEOREM: Erst wenn Menschen Situationen als real definieren,,... sind auch ihre Folgen real. THOMAS (19??/65) LEWIN (19??/63) subjektive Definition, Interpretation subjektive Situation Persönlichkeit heißt t also auch: Gesamtheit d. subjekt.. Interpretationen von eigener Person und Umwelt KELLY (1955): Personal constructs, self concepts Außenperspektive: Persönlichkeit Innenperspektive: Identität 18
19 Personenbezogene (psychologische Beschreibung von Umwelt / Situationsklassen MISCHEL (1973/83) SITUATION powerful sozial vorstrukturiert SITUATION weak, ambig wenig vorstrukturiert BARKER (1963) Anordnung zu SETTINGS, deren Gesamtablauf sozial vorgegeben ist (Vorlesung, Gottesdienst, militärische Rituale) Anordnung zu SETTINGS, deren Gesamtablauf die Entfaltung interindividueller Differenzen erlaubt Einbringen von Persönlichkeit/Identit nlichkeit/identität erzwingt Verhalten, (vorgezeichnet / reaktiv) klare (rigide) ROLLEN erfordert individuell ausformbares HANDELN, nicht völlig festgelegte ROLLEN 19
20 Symbolischer Interaktionismus MEAD: Me I TURNER: role taking Übername von / Anpassung an externe Erwartungen, Rollenvorstellungen... role making Ausgestaltung von Rollen, Handlungsspielräumen i.s. persönlicher Strebungen, Ziele, individueller Eigenheiten GOFFMAN: Soziale Identität Personale Identität 20
21 Ich-Identität als Prozess der Balance von sozialer & personaler Identität Soziale Identität Ebene des Gesamtheit externer Anforderungen, sozialer Erwartungen, Rollen in der GEGENWART Personale Identität Ebene des Gesamtheit interner Strebungen, Ziele, Handlungserfahrungen in Zus. mit Lebensereignissen, Phasen in der BIOGRAPHIE int. Repräsent. v. VERGANGENHEIT int. Antizipation v. ZUKUNFT Bewusstsein der Teilhabe an sozialer Interaktion Bewusstsein indiv. Einzigartigkeit Unverwechselbarkeit Ich-IdentitätIdentität in der Gegenwart einer Person ablaufender PROZESS des Zusammenspiels der BALANCE, aus dem personale Identität fortlaufend hervorgeht 21
22 Ich-Identität als Prozess der Balance von sozialer & personaler Identität Gefahr des Überwiegens / der Überbetonung von role taking Sozialer Identität oder role making Personaler Identität Metapher: Chamäleon übermäßig flexible Anpassung an unterschiedliche Rollen bzw. an soziale Erwartungen Austauschbarkeit d. Person, die ausschließlich Rollenträger ist, ohne erkennbare Einzigartigkeit Metapher: Autist übermäßig rigide Anpassung der Person an sich selbst, Überbetonung von Einzigartigkeit d. Person, die gar nicht mehr auf Unterschiedlichkeit von Rollen / sozialen Erwartungen eingehen kann von sozialer Identität Vermeidung durch ICH-IDENTIT IDENTITÄT als BALANCE und personaler Identität 22
23 Ich-Identität als Prozess der Balance von sozialer & personaler Identität Eine gelungene Identitätsbalance bewirkt, dass das Individuum einerseits trotz der ihm angesonnenen Einzigartigkeit sich nicht durch Isolierung aus der Interaktion mit anderen ausschließen lässt und andererseits sich nicht unter die für es bereitgehaltenen sozialen Erwartungen in einer Weise subsummieren lässt, die ihm unmöglich macht, seine eigenen Bedürfnisdispositionen in die Interaktion einzubringen. (Krappmann 1971, S.171) von sozialer Vermeidung durch ICH-IDENTIT IDENTITÄT als BALANCE und personaler Identität 23
24 Grundqualifikationen / Fähigkeiten / Kompetenzen des sozialen Handelns a) b) Empathie Perspektivenübernahme c) nicht nur role taking Distanz gegenüber externen Erwartungen / Rollenanforderungen Rollendistanz und nicht nur role making Distanz gegenüber internen Strebungen, Wünschen, Zielen Diese Fähigkeit läuft keineswegs nur auf stets gleichbleibende Kompromisse, völlige Vereinbarung externer Erwartungen und interner Strebungen hinaus, sondern auch auf die von Situation zu Situation, Rolle zu Rolle flexible Dominanz mal der einen, mal der anderen Seite. 24
25 Grundqualifikationen / Fähigkeiten / Kompetenzen des sozialen Handelns S 1 R d) S 2 R S 3 R Ambiguitäts-ts- toleranz personale Identität S 4 R Diese Fähigkeit richtet sich auf das Ertragen können (und den Umgang mit) der Unterschiedlichkeit von Situationen mit der Widersprüchlichkeit und Konflikthaftigkeit externer Anforderungen in unterschiedlichen Rollen (oder innerhalb einer Rolle = Intra-Rollenkonflikt) diese Toleranz, dieser Umgang wird möglich, wenn und weil sich Personen ihrer personalen Identität und biografischen Einzigartigkeit bewusst sind (Selbst-Bewusstsein). 25
26 Zusammenfassung historische Entwicklung in der Psychologie - vom Personalismus und Situationismus zum Interaktionismus - Begriffe: Person, Persönlichkeit; Umwelt, Situation - Verhalten (als Reaktion), Handeln als Interaktion - transsituative Konsistenz / Inkonsistenz - langfristige Kontinuität / Diskontinuität - Rigidität des Verhaltens / Flexiblität des Handelns historische Entwicklung in der Soziologie (Symbolischer Interaktionismus) Me role taking soziale Identität I role making personale Identität Ich-Identität Balance im sozialen Handeln 26
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