1 lvorlesung: "Die Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I I : Massenmedien Programm: 1 ) Die Massenmedien 2) Der Buchdruck 3) Die
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1 Sommersemester 08 Zusammenfassung zur Vorlesung: "Die Medien der Gesel lschaft" PD Dr. phil. habil. Udo Thiedeke Aufmerksamkeitsmedien I I : Massenmedien
2 1 lvorlesung: "Die Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I I : Massenmedien Programm: 1 ) Die Massenmedien 2) Der Buchdruck 3) Die Gesel lschaft des Buchdrucks 4) Zusammenfassung 1 ) Die Massenmedien - Wie sich empirisch feststellen lässt haben sich neben den I ndividualmedien, die eine i ndividuel l adressierte Aufmerksamkeit für symbol ische Si nnkonstruktionen herstel len, auch Medien ausgeprägt, die Aufmerksamkeit bei vielen Kommuni kationstel nehmern gleichzeitig herstel len. - Wi r können soziologisch annehmen, dass das Entstehen solcher ' Massenmedien' von ei ner Kommuni kationsproblemlage herrührt, bei der die Erreichbarkeit potenziel l al ler Kommuni kationstei l nehmer für die Herstel lung und Fortführung gesel lschaftl icher Kommuni kation zentral wurde. - Die Wahrschei nl ichkeit für die Ausprägung von Massenmedien wächst demzufolge mit den Mittei lungsproblemen, die sich Gesel lschaften ei nhandel n, die sich sozial, sachl ich, zeitl ich und räuml ich ausdehnen und i n denen ei n komplexerer Snnhorizont durch die i ndividual mediale Kommuni kation mögl ich wurde. - Erst mit den Massenmedien, die Aufmerksamkeit redundant und synchron für nahezu bel iebig viele Kommuni kationstei l nehmer reproduzieren können, ist ei ne komplexe moderne Gesel lschaft denkbar, die über lokale Grenzen und Bekanntheit, über vorgegebene Themen und über die Zeiten hi nweg kommuniziert. - Wahrnehmungspsychologische Untersuchungen zeigen, dass wi r i nzwischen so durch massenmediale Kommuni kation konditioniert si nd, dass wi r davon ausgehen, dass wi r von Großereignisse massenmedial erfahren und darauf dramatisch reagieren. - So konnten Eugene Winograd, Ulrich Neisser (1 993) u.a. zeigen, dass von 1 00 befragten VPN zwar nur 20% den Space Shuttle Unfall im TV verfolgt und darauf moderat reagiert hatten, sechs Jahre später aber 45% ei ne massenmedialen Wahrnehmung angaben und sich an dramatische persönl iche Reaktionen ' eri nnerten'.
3 2 2) Der Buchdruck - Massenmediale Kommuni kation zeichnet sich durch mögl ichst gleichförmig vervielfältigte I nformations- und Mittei l ungsselektionen aus, die dazu dienen die Aufmerksamkeit mögl ichst al ler potenziel len Kommuni kationstei l nehmer für symbol ische Si nnkonstruktionen synchron zu erregen. - Das kann die Redundanz (Wiederhol barkeit) der Kommuni kation beträchtl ich steigern führt aber zwangsläufig zu ei ner Schematisierung der Aufmerksamkeit, da es hier nicht mögl ich ist, i ndividuel l auf Gesprächspartner oder Adressaten von handschriftl ichen Mittei lungen ei nzugehen, wie bei den I ndividual medien. - Massenmedial kann Aufmerkamkeit daher nur durch Dramatisierung und Akzentuierung von I nformation und Mittei lung erregt werden. - Deshal b si nd massenmediale Kommuni kationen zumi ndest poi ntiert oft aber auch zuspitzend verkürzt und werden I ndividuen, wenn sie über die i n Massenmedien kommuniziert werden, zu "exemplarische Personen" (also zu Promi nenten, Origi nalen, Stars oder Monstern) verkürzt. - Wi r defi nieren Massenmedien daher wie folgt: Massenmedien sind sozio-technische Kommunikationsmedien, die es erlauben Aufmerksamkeit überindividuell zu adressieren, zu erregen und weiterzugeben. (empirische Ausprägungen z. B. : Buchdruck, Film, Rundfunk, TV). [siehe Folie 1 ] - Obwohl bei medienphi losophischen oder sozialwissenschaftl ichen Ausei nandersetzungen mit Massenmedien gerne das ' Leitmedi um' Fernsehen als verflachendes Medium gegen das vermeintlich 'gute' und intellektuell authentische Buch ausgespielt wi rd, ist die Ei nführung des Buchdrucks als die Geburtsstunde der Massenmedien mit al l i hren Mögl ichkeiten und Problemen anzusehen. - Vortei l des Drucks ist es die engen Reproduktionskapazitäten der Schrift, die bereits ei n Redzundanz erhöhendes, technisertes I ndividual medi um war, durch ' automatisiertes Schrei ben' beträchtl ich auszudehnen. - Wer schon ei nmal versucht hat ei nen Text handschriftl ich zu vervielfältigen, der wei ß, wie schwer das wiederholte, i mmer gleiche Abschrei ben fäl lt. - Obwohl die Techniken des Druckens mit Holzstöcken, ja sogar der Druk mit Metallplatten und bewegl ichen Lettern (die al lerdi ngs i m unzuverlässigen Sandgussverfahren hergestellt wurden) in Europa, vor allem aber in China und Korea schon lange vor Gutenberg entwickelt worden waren (siehe Giesecke Verweis auf die Berichte v. Song-Hyon; : 76/77) ist wohl Gutenberg das Verdienst zuzurechnen, die Herstel l ung bewegl icher Lettern und den Druck mit i hnen nicht nur standardisiert, sondern automatisiert zu haben. So konnte ei n guter Drucker bereits i n der Frühzeit des Buchdrucks am Tag etwa 3000 Bögen bedrucken.
4 3 - Dazu entwickelt Gutenberg nicht nur die Druckpresse weiter, sondern auch ei n Handgießi nstrument, mit dem nicht nur der Druck, sondern schon die Herstel l ung der Lettern von der handwerkl ichen Geschickl ichkeit der Herstel ler unabhängig und automatisiert werden konnten. [siehe zum Handgießi nstrument und zu den Druckergebnissen Fol ie 2a+b] - Ei ne weitere Besonderheit, die entscheidend zur Verbreitung des Buchdrucks als Massenmedium beitrug, war sei ne kommerziel le Ei nführung. Gutenberg musste sich ca. 800 Gulden (nach heutiger Kaufkraft ca EUR!) lei hen, um sei ne erste Druckerei ei nzurichten. - Der Druck von Büchern, wie überhaupt das massenmediale Vervielfältigen und ' Senden', sind sehr aufwendig und daher teuer. Das bedeutet aber immer, dass der finanziel le Aufwand refi nanziert werden muss. Mit Büchern wi l l man also von Anfang an verdienen und druckt sie, weil eine Nachfrage besteht. - Für die neue Kommuni kationsform Buch werden daher neue 'Vertriebswege' eröffnet, die jetzt nicht mehr durch Zentralgewalten rel igiös, pol itisch oder ständisch vorreguliert sind. - Die Bücher entstehen und verbreiten sich i n "typografichen Netzwerken" (Giesecke), die anonyme Autoren, Drucker, Bi nder, Buchhändler und anonyme Lesende zusammenbi nden. - Es kommt hi nzu, dass die Kommuni kation des Massenmediums Buchdruck zwar massenhaft verbreitet, aber i ndividuel l rezi piert wi rd. Das erhöht die Notwendigkeit Lesen zu lernen, I nformationen auszuwählen und als i ndividuel les Wissen anzueignen, sich also zu ' bilden'. - Es lassen sich somit an dieser Stel le die wichtigsten Bedi ngungen und Konsequenzen zur Ei nführung des ersten Massenmediums ' Buchdruck' zusammenfassen. [siehe Folie 3] 3) Die Gesel lschaft des Buchdrucks - Die vorgestel lten Spezifi ka des Mediums Druck lassen ei ne umfassende Veränderung gesel lschaftl icher Kommuni kationsmögl ichkeiten vermuten. Al lei ne die Mögl ichkeit Aufmerksamkeit für gleiche I nformationen und Mittei lungen bei grossen Gruppen der Gesel lschaft zeitgleich und überregional zu erregen (Reproduktionskapazität) ist völ l ig neu. - Gesel lschaftl ich kann sich das neue Medium aber nur etabl ieren, wenn hi nreichender Komplexitätsdruck auf die Kommuni kationen der Gesel lschaft besteht und durch andere Lösungsmögl ichkeiten nicht oder nur unvol lständig reduziert werden kann. - Einen solchen Komplexitätshintergrund gibt es in Mitteleuropa, wo keine starke politische Zentralgewalt, stattdessen aber ei n Schisma weltl icher und geistl icher Macht
5 4 besteht, wo die Städte zunehmend autonom und autokephal (sich selbst die Regierung gebend) gegenüber den Feudalfürsten werden, wo die Renaissance und der Humanismus Vorformen des I ndividual ismus und Plural ismus skizzieren, sich mit der Geldwi rtschaft der Kapital ismus auszubreiten begi nnt und der Nomi nal ismus die Zweifel an scholastischen Glaubenswahrheiten sowie die Reformation Zweifel an der päpstl ichen Orthodoxie aufkommen lassen. - I n dieser Situation expandieren I nformations- und Mittei lungserwartungen schnel ler, als sie auf ' alten Wegen', etwa mit i ndividual medialer Verkündigung von Kanzel n, Kathedern und auf öffentl ichen Plätzen, befriedigt werden können. - Ist das Massenmedium aber einmal installiert, dann ist der gesellschaftliche Sinnhorizont, die Wi rkl ichkeit der Gesel lschaft ei ne andere. - So vervielfältgen sich schlagartig die Weltbeschrei bungen, die bisher relativ ei nheitl ich und geordnet erschei nen. Die Welt zerfäl lt i n Ansichten und Detai laspekte, die aus entfernten, nie gesehehen Ländern, aus der Vergangenheit oder i n Form von Fi ktionen gar aus der Zukunft an die Lesenden herangetragen werden, wobei sich diese alleine lesend, selbst 'einen Reim darauf machen' müssen. - Das Massenmedium erlaubt aber nicht nur i ndividuel le Rezeption, es erzwi ngt auch neue Formen der Kommuni kation (etwa die sequentiel le Argumention) und die Notwendigkeit lesen zu erlernen, um nicht aus der gesel lschaftl ichen Kommuni kation exkludiert zu werden. - Damit werden alte Ordnungen des Wissens und der Approbation zur Weitergabe gesprengt. Neue Begründungen für mediale gesel lschaftl iche Kommuni kation werden mögl ich und nötig. - Nicht mehr das Seelenhei l oder die ehrwürdige Tradition, sondern Wahrheit, Wissen und i ndividuel le Bi ldung sowie ei n Hunger nach "nuw fündigkeit", also Neuigkeiten werden zu gesel lschaftl ichen Maßstäben der Kommuni kation. - Gesel lschaftl ich relevante Aussagen werden bei massenmedialer Kommuni kation zugespitzt, schnel l öffentl ich und vergleichbar. I hre Veröffentl ichung wi rd an Neuheit und i hre gesel lschaftl iche Zertifizierung wi rd an Wahrheit, Brauchbarkeit oder Neugierde orientiert. - Mit dem Buchdruck wi rd die Welt spektakulär und als Welt erkennbar. Das aber wi rd nicht mehr geglaubt, sondern gewusst, denn al le können es schwarz auf wei ß nachlesen. - Fassen wi r also 'schwarz auf wei ß' zusammen, von welchen Veränderungen die ' Gesel lschaft des Buchdrucks' besti mmt ist. [siehe Folie 4]
6 5 4) Zusammenfassung - Mit dem Buchdruck kann sich in Mitteleuropa das erste Massenmedium gesellschaftl ich durchsetzen. - Massenmedien si nd sozio-technische Kommuni kationsmedien, die es erlauben Aufmerksamkeit überi ndividuel l zu adressieren, zu erregen und weiterzugeben. - Der Buchdruck automatisiert das Schrei ben und erhöht die Redundanz der Reproduktion der I nformations- und Mittei lungsselektion. - Durch die marktförmige Ei nführung verbreitet er sich ungeachet rel igiöser, pol itischer oder ständischer Regularien. - Damit wird der individuelle Anschluss aller an fremde Weltsichten möglich. - Zugleich erfordert der Buchdruck ei ne Standardisierung der Codierung/Decodierung der Mittei lung, was das Entstehen von Autorenschaft, Hochsprachl ichkeit, Öffentl ichkeit, i ndividuel lem Lesen und i ndividuel ler Bi ldung sowie von wahrem Wissen bedi ngt. - Diese massenmediale gesel lschaftiche Kommuni kation begünstgt schl ießl ich den Wandel von der ständisch/religiösen ' Heilsgemeinschaft' hin zu einer funktionalistisch/rationalen Gesel lschaft. Literatur Zur psychologischen Untersuchung von individuellen Erinnerungen: Eugene Winograd, Ul rich Neisser, "Affect and Accuracy in Recall ", Cambridge, Zur Einführung des Buchdrucks in der frühen Neuzeit: Michael Giesecke, : Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine Fallstudie über die Durchsetzung neuer I nformations- und Kommunikationstechnologien. Frankfurt/M. Zu den gesellschaftlichen Bedingungen und Konsequenzen des Buchdrucks: Niklas Luhmann, 1 997: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Bd. 1. Frankfurt/M., besonders: Kap. 2: Kommunikationsmedien S
7 Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I I : Massenmedien Fol ie 1 Defi nition Massenmedien: Massenmedien si nd sozio-technische Kommuni kationsmedien, die es erlauben Aufmerksamkeit überi ndividuel l zu adressieren, zu erregen und weiterzugeben. (empi rische Ausprägungen z. B. : Buchdruck, Fi l m, Rundfunk, TV)
8 Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I I : Massenmedien Fol ie 2a Das "Handgießi nstrument" und sei ne Anwendung:
9 Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I I : Massenmedien Fol ie 2b Eine Seite der 42-zeiligen Gutenberg Bibel (B42):
10 Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I I : Massenmedien Fol ie 3 Mediale Bedi ngungen des Buchdrucks: - Automatisiertes Schrei ben und Vervielfältigen. - Standardisierte Reproduktion hoher i nformationel ler Redundanz. - Anonymisierung von Autoren und Lesern. - Massenhafte Erregung i ndividuel ler Aufmerksamkeit. - Standardisierte Formen exemplarischer I nhalte. - Ökonomisierung der Reproduktions- und Distri butionskapazitäten. Kommuni kative Konsequenzen des Buchdrucks - Standardisierung und Reflexivität von I nformationen und Mittei l ungen. - Ei nübung von sequential isiertem Argumentieren und konsekutivem Denken. - Delegiti mierung der Zensur. - Überi ndividual isierung der ' I ndividuen' und ' I nhalte'. - Wissen wi rd nach Wahrheitskriterien ausgewählt. - Universel le Fernwahrnehmung von Ereignissen. - Differenzierung der individuellen kommunikativen Teilhabe an der gesellschaftlichen Kommunikation.
11 Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I I : Massenmedien Fol ie 4 Veränderungen gesel lschaftl icher Kommuni kation durch den Buchdruck: - Universal isierung der gesel lschaftl ichen Kommuni kation. - Vergleichbarkeit veröffentl ichter Aussagen. - I ndividual isierte Autorenschaft und Rezeption gesel lschaftl icher Kommuni kation. - Veröffentl ichungsfähigkeit parti kularer Mei nungen und Weltsichten. - Verwissenschaftl ichung und Bi ldungszentrierung der I nkl usion i n die Gesel lschaft. - Historisierung und Plural isierung sozialer Wi rkl ichkeit(en). - Standardisierung und Sequenzial isierung von Codierungs- und Argumentationstechni ken. - Durchsetzung nichtrel igiöser Gemei nschaftssemanti ken.
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