Die letzte Meile zum Patienten
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- Moritz Brahms
- vor 7 Jahren
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1 Prof. Dr. med. Ferdinand M. Gerlach, MPH Die letzte Meile zum Patienten Bridging the Gap durch Versorgungsforschung Hamburg, 16. November 2016
2 Multimedikation : woran denken Sie? Ferdinand M. Gerlach Zu viele Medikamente: Weniger ist (manchmal) mehr? Medikationsplan Choosing wisely / gemeinsam klug entscheiden? Zusammenhang: Alter, Multimorbidität / -medikation? Wechselwirkungen, Kontraindikationen? Niereninsuffizienz? Unabgestimmte Verordnungen? Unnötige Krankenhausaufnahmen / Todesfälle? Denken Sie auch an: Mangelhafte Compliance (Adhärenz, Konkordanz)? Unterversorgung?
3 Cave: Unterversorgung Ferdinand M. Gerlach Die Wahrscheinlichkeit einer Unterversorgung steigt mit der Anzahl der bereits eingenommenen Medikamente. DEGAM und Leitliniengruppe Hessen: Hausärztliche Leitlinie Multimedikation 2014, 37 Ergebnisse bei geriatrischen Patienten nach Kuijpers et al. Br J Clin Pharmacol 2007; 65:
4 Ferdinand M. Gerlach Multimedikation - Therapie bei älteren Patienten Die 'Vass-Liste' - Schlüsselfragen vor Verordnung Ist die Indikation exakt? Ist das Medikament notwendig und wirksam? Gibt es nichtmedikamentöse Alternativen? Wurden Körpergewicht und Nierenfunktion berücksichtigt? Behandelt das Medikament UAW eines anderen? Sind Interaktionsrisiken bekannt? Kann dafür ein anderes Medikament abgesetzt werden? Nimmt der Patient OTC-Arzneimittel? "Start low - go slow? Lange bekannt, aber in Studien kaum untersucht und in der Routine der Hausarztpraxis noch schlecht unterstützt! Vass, Hendriksen, Z Gerontol Geriat 2005: Suppl. 1; 14ff.
5 Ferdinand M. Gerlach Absetzstudien (Deprescribing) Deprescribing / drug holidays als (vorübergehende / intermittierende) kalkulierte Strategie wenig erprobt Ein in der Praxis hochrelevanter, bisher aber kaum genutzter Studien typ (z.b. zur Dosisreduktion) Methodische Besonderheiten (CONSORT-Statement- Zusatz in Vorbereitung) - Probandenrekrutierung (Erklärung nötig, Gefühl des Vorenthaltens) - Absetzreaktionen (u.a. Abhängigkeiten, Rebound-Phänomene) - Outcome-Messung oft schwierig (komplexe Indikatorenvielfalt) - Follow-up-Zeiten selten definiert (je nach Outcome, Wiederansetzen?) - häufig große Fallzahlen durch Non-Inferiority-Ansatz Hoher Aufwand, gleichzeitig geringes Interesse bei industriellen Förderern
6 Ferdinand M. Gerlach Problemanalyse in der Hausarztpraxis I Querschnittstudie: [1] 18 Praxen, N=169 Patienten Alter: Ø 74 J., Ø 8 (5 bis 16) Medikamente Fehler beim Verschreiben 1. Arzneimittelinteraktionen: 25% der Pat. 2. Unangemessene Dosierungen: 23% 3. Gegenanzeigen nicht beachtet: 15% 4. Potentiell unangemessene Verordnungen (PIMs, nach Beers-Liste ): 21% [1] Muth et al. Z Allg Med 2008; 84:15
7 Ferdinand M. Gerlach Problemanalyse in der Hausarztpraxis II Querschnittstudie: [1] 18 Praxen, N=169 Patienten 1. Verordnet, aber nicht eingenommen: 64% der Patienten (1 bis 9 Verordnungen / Patient) 2. Dosierung gesenkt: 43% (1 4) 3. Dosierung erhöht: 39% (1 5) 4. Dosierungsintervalle verändert: 43% (1 5) 5. Einnahmen ohne Wissen d. Hausarztes: 48% (1 17) Σ 96% der Patienten, Ø 5 / Patient (max. 25) Unter den Top 10 : Kardiaka inkl. Antiarrhythmika, Analgetika, Sympathomimetika, Antidiabetika, Psychopharmaka (z.b. Antidepressiva) [1] Muth et al. Z Allg Med 2008;84:15
8 Kontrollierte Studien (RCTs) schließen typische Hausarztpatienten oft aus Ferdinand M. Gerlach Beispiel: Einschlussfähigkeit von 120 konsekutiv rekrutierten behandlungsbedürftigen Patientinnen mit Osteoporose in 4 großen RCTs Dowd et al. Osteoporos Int. 2000;11: nach Willich 2010
9 Kontrollierte Studien (RCTs) schließen typische Hausarztpatienten oft aus (II.) Ferdinand M. Gerlach Dowd et al. Osteoporos Int. 2000;11:
10 Ferdinand M. Gerlach Studien (RCTs) vor Marktzulassung: five toos too few: vergleichsweise wenige Studien-Patienten too simple: ohne Ko-Morbidität / Ko-Medikation too median-aged: ohne Kinder, Alte / Hochaltrige too narrow: eng definierte Indikation too brief: zu kurze Behandlung / Beobachtungszeit (Rogers 1991)
11 Ferdinand M. Gerlach Median Effect Size in RCTs (BMJ, JAMA, Lancet, NEJM) Odds ratio: = = 1.36 Olfson, Marcus Health Affairs 2013;32:
12 Versorgungsforschung: Definition und Stellenwert Ferdinand M. Gerlach
13 Definition Versorgungsforschung Ferdinand M. Gerlach fachübergreifendes Forschungsgebiet, das die Kranken- und Gesundheitsversorgung und ihre Rahmenbedingungen beschreibt und kausal erklärt, zur Entwicklung wissenschaftlich fundierter Versorgungskonzepte beiträgt, die Umsetzung neuer Versorgungskonzepte begleitend erforscht und die Wirksamkeit von Versorgungsstrukturen und -prozessen unter Alltagsbedingungen evaluiert. (Pfaff 2003)
14 Ferdinand M. Gerlach DFG: Versorgungsforschung in Deutschland: Stand Perspektiven Förderung, Stellungnahme 2010, Seite 23-24
15 The Range of Research Questions Arzneimittelentwicklung Ferdinand M. Gerlach Eventuell auch umgekehrt (National Institutes of Health 2011)
16 Ferdinand M. Gerlach Versorgung: systemtheoretisches Modell (Pfaff 2003)
17 Ferdinand M. Gerlach Forschung in der realen Welt (Institute of Medicine 2011)
18 Ferdinand M. Gerlach Warum Forschung in der Hausarztpraxis? Hausarztpraxen versorgen über 90%, Universitätskliniken nur ca. 0,5 % der Bevölkerung / Jahr In Hausarztpraxen: - anderes Krankheitsspektrum (z.b. Infekte, Befindlichkeitsstörungen) - andere Schweregrade, mildere Verläufe (z.b. Depressionen) - andere Kombinationen von Begleiterkrankungen - anderes Medikationsspektrum Kontexteffekte (z.b. vertrauensvolle Arzt-Patient- Beziehung, Droge Arzt ) können miterfasst werden Deshalb: Forschung in Hausarztpraxen erforderlich
19 Nutzen von Versorgungsforschung Ferdinand M. Gerlach für Patienten alltagstaugliche (akzeptable und praktikable) Lösungen (Feasibility) Unter Alltagsbedingungen wirksame Strategien (Effectiveness) für Kostenträger Zielgenaue Beurteilung (Evaluation) eigener Leistungsangebote (Qualität und Kosten) Identifikation realer Einsparpotentiale Unterstützung im Wettbewerb um optimales Leistungsspektrum Bessere Kundenorientierung
20 Fazit Ferdinand M. Gerlach Entscheidend ist, was beim Patienten ankommt Versorgungsforschung mit Real world -Untersuchungen der letzten Meile kann die bislang noch klaffende Lücke schließen Fragestellungen anpassen: z.b. Deprescribing-Studien, Studien mit Mehrfacherkrankten Notwendig: Konsequente Orientierung an individuellen Patienten und komplexem Versorgungsalltag Outcomeforschung über patientenzentrierte Endpunkte mit Kosten-Nutzen- und Nutzen-Risiko-Bewertungen Umdenken: von rein krankheitszentrierter zu patientenbezogener Therapieoptimierung (und ggf. -priorisierung)
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