Technik der Fallbearbeitung
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- Oswalda Hausler
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1 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht Prof. Dr. Jens-Hinrich Binder, LL.M. Wiss. Ang. Stefanie Hart Fallbesprechung Zivilrecht I WS 2013/14 Technik der Fallbearbeitung I. Bedeutung Das Ziel der juristischen Falllösung ist die Beantwortung der als Aufgabe gestellten Rechtsfrage. Vom Bearbeiter wird dabei verlangt, sein erlerntes abstraktes Wissen auf einen konkreten Fall anzuwenden. II. Grundsatz Bei der Fallbearbeitung ist ein Gutachten anzufertigen, das möglichst zielstrebig die Frage beantwortet, zu der Stellung zu nehmen ist. Das Gutachten darf keine Ausführungen enthalten, die nur Wissen demonstrieren, aber zur Lösung der Frage nichts beitragen. Gutachtenstil: an überhaupt prüfen will. Falsch wäre der sog. Urteilsstil, bei dem das Ergebnis am Anfang steht und nachträglich begründet wird. 1
2 Beispiel: Sachverhalt: V schreibt an K: Ich biete Ihnen meine Vase, die Ihnen so gut gefiel, für 300 zum Kauf an. K antwortet dem V: Ich danke für Ihren Brief und akzeptiere Ihren Vorschlag zum Kauf der Vase. Kann V von K die Zahlung von 300 verlangen? Gutachtenstil: V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 300 gem. 433 II BGB haben. 1. Dann müsste zwischen V und K ein Kaufvertrag über die Vase zum Preis von 300 zustande gekommen sein. Ein Kaufvertrag erfordert zwei übereinstimmende Willenserklärungen, nämlich Antrag und Annahme. 2. (Im folgenden wird dargelegt, dass im Schreiben des V an K das Angebot und in dem Antwortbrief des K an V die Annahme liegt.).... Also ist ein Kaufvertrag über die Vase für 300 gegeben. 3. Ergebnis: V kann von K die Zahlung von 300 gem. 433 II BGB verlangen. Urteilsstil: V kann von K die Zahlung von 300 verlangen. Das ergibt sich aus 433 II BGB. Danach kann der Verkäufer von Käufer den vereinbarten Kaufpreis verlangen. Die Voraussetzung der genannten Vorschrift, das Zustandekommen eines Kaufvertrages, ist gegeben, weil V und K sich über den Verkauf einer Vase zum Preis von 300 geeinigt haben (wird näher ausgeführt). Kennzeichnend für den Gutachtenstil sind Verbindungsworte wie also, folglich, daher, daraus folgt, infolgedessen, während für den Urteilsstil Wörter wie denn, weil, da charakteristisch sind. III. Einzelheiten 1. Das Lesen des Sachverhalts unter Beachtung der Fragestellung. Üblicherweise besteht ein Klausurfall aus der Schilderung eines Sachverhalts, also eines wirklichen oder erfundenen Lebensvorganges, und einer oder mehrerer Fallfragen. Der erste Schritt der Fallbearbeitung ist das sorgfältige Erfassen des Sachverhalts (mindestens 2
3 zweimal lesen!). Beim Lesen kann man sich eine Skizze anfertigen, in der die abgekürzten Namen des Sachverhalts eingetragen und mit Strichen verbunden werden, welche die tatsächlichen und vor allem die (bestehenden oder möglichen) rechtlichen Beziehungen zwischen den Personen kennzeichnen sollen. Zeitangaben sollte unterstrichen werden. Bereits während des Lesens sollte auf die Fallfrage geachtet werden: Wonach ist gefragt? Wer will Was von Wem Woraus? Keine Probleme werfen in dieser Hinsicht Arbeiten auf, die eindeutige Fragen formulieren (z.b. Kann V von K Zahlung von 300 verlangen?). Die Fragestellung kann aber auch allgemeiner gehalten sein (z.b. Welche Ansprüche hat V gegen K? ). Manchmal wird aber auch nur gefragt, wie die Rechtslage ist oder was einer Person zu raten ist. Die Bedeutung solcher Fragestellungen ergibt sich aus dem geschilderten Sachverhalt. Wenn zwei Personen um das Eigentum an einer Sache streiten, dann will der Aufgabensteller offenbar wissen, wer Eigentümer ist. 2. Erstellen einer Lösungsskizze Wenn man sich darüber im Klaren ist, welche Frage gestellt ist und welche Ansprüche zu prüfen sind, ist es wichtig, ein Lösungskonzept zu entwickeln. Dies kann durch eine kurze Gliederung geschehen, die mit Stichworten und Paragraphen aufgefüllt wird. Dabei ist zu überprüfen, ob der Sachverhalt vollständig ausgeschöpft worden ist. 3. Anspruchsgrundlagen und Anspruchskonkurrenzen Vielfach wird behauptet, man müsse das Gutachten mit einer Anspruchsgrundlage beginnen. Das ist eine missverständliche Verallgemeinerung, denn mit einer Anspruchsgrundlage beginnt die Arbeit nur dann, wenn nach Ansprüchen gefragt ist. Man beginnt die Arbeit mit der Prüfung des Tatbestandes, aus dem sich die Rechtsfolge ergibt, nach der gefragt ist. 3
4 a) Die Ermittlung der Anspruchsvoraussetzungen Das Auffinden der Anspruchsgrundlage nebst Auswahl der passenden Hilfsnormen bereitet Schwierigkeiten, weil die meisten Paragraphen des BGB nur Hilfsnormen sind, die der Ausfüllung der Anspruchsgrundlagen dienen. Im BGB gibt es etwa Anspruchsgrundlagen, die in der Fallbearbeitung regelmäßig zur Anwendung kommen. Davon befinden sich nur wenige im Allgemeinen Teil ( 122, 179 BGB). Der Großteil der für die Klausurlösungen relevanten Anspruchsvorschriften befindet sich im Allgemeinen und im Besonderen Schuldrecht. In den einzelnen Büchern des BGB finden sich u.a. folgende Regelungen: Der Allgemeine Teil enthält zahlreiche Hilfsnormen über das Zustandekommen von Verträgen (anspruchsbegründende und anspruchshindernde Voraussetzungen, z.b. Vertragsschluss: 145 ff., 151 S.1 Halbsatz 1, Geschäftsfähigkeit: 105 ff., Willensmängel und Anfechtung: 116 ff.) sowie allgemeine Vorschriften über Personen ( 1-89) und Sachen ( 90 ff.). Vereinfacht ausgedrückt findet man hier die zur Begründung des Vertragsschlusses erforderlichen Voraussetzungen. Schuldverhältnissen (z.b. Erfüllung: 362 ff., Aufrechnung: 387 ff.), Anspruchsgrundlagen bezüglich der Folgen von Vertragsverletzungen (z.b. 280 ff.) Dieser Teil enthält also Vorschriften, welche die Rechtsfolgen bestimmter Veränderungen regeln, die nach Vertragsschluss eintreten. Das Besondere Schuldrecht enthält den Großteil der Anspruchsgrundlagen und Hilfsnormen zur inhaltlichen Präzisierung der aus den einzelnen Schuldverhältnissen (Verträge und gesetzliche Schuldverhältnisse) konkret resultierenden Pflichten. Das Sachenrecht regelt die dingliche Zuordnung von Rechtsobjekten. Es enthält vor allem die Ansprüche des Eigentümers sowie die Voraussetzungen des Erwerbs des Eigentums (z.b. 873 ff., 929 ff.). 4
5 b) Die Konkretisierung der Anspruchsgrundlage Um die Anspruchsnormen inhaltlich auszugestalten und über deren Erfüllung entscheiden zu können, steht ein über das gesamte BGB verzweigtes Netzwerk an Hilfsnormen zur Verfügung. Die Vielfalt der Sachverhalte des täglichen Lebens wird also vom BGB dadurch erfasst, dass infolge der vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der Hilfsnormen die wenigen Anspruchsgrundlagen ausreichen. c) Die Prüfung einer Anspruchsgrundlage Hat man eine in Betracht kommende Anspruchsgrundlage gefunden, ist zu prüfen, ob der Sachverhalt die Tatbestandsmerkmale dieser Anspruchsgrundlage ausfüllt (Subsumtion) und damit die gefragte Rechtsfolge auslöst. Die Prüfung ist mit der Schlussfolgerung aus dem Vergleich zwischen gesetzlichen Voraussetzungen und Sachverhalt abzuschließen. Es wäre jedoch verfehlt, den Gutachtenstil immer und ausnahmslos in aller Ausführlichkeit anzuwenden. Ausnahmsweise darf man den Gutachtenstil verkürzt darstellen, wenn das Ergebnis ohne weiteres einsichtig ist. Dringend zu empfehlen ist, die einzelnen Anspruchsgrundlagen und -voraussetzungen nicht in der gleichen Ausführlichkeit zu prüfen, sondern Schwerpunkte je nach Fall zu setzen. Was besonders problematisch und schwierig ist, wird ausführlich und eingehend begründet. Die ausführliche und verständige Würdigung des Problems der Arbeit ist in der Prüfung oft wichtiger als das Ergebnis, das vielleicht richtig ist, aber nur infolge der Verkennung des Problems erzielt wurde. Grundsätzlich kann man vertragliche Ansprüche immer wie folgt prüfen: 1. Schritt: Ist der Anspruch entstanden? a) Vorliegen der Voraussetzungen der Anspruchsnorm b) Nichtbestehen rechtshindernder Einwendungen 2. Schritt: Ist der Anspruch infolge rechtsvernichtender Einwendungen erloschen? 3. Schritt: Stehen dem Anspruch dauerhafte oder vorübergehende Einreden entgegen? 5
6 d) Anspruchskonkurrenzen In den meisten Klausuren ist zu prüfen, ob ein Anspruch besteht. Oft lässt sich das Begehren auf mehrere Anspruchsgrundlagen stützen. Bei der Prüfungsreihenfolge hat sich die Einteilung in nachfolgende Anspruchskategorien etabliert und sollte daher bei der Fallbearbeitung eingehalten werden. Prüfungsreihenfolge der Anspruchsgrundlagen 1. Vertragliche Ansprüche a) Primäransprüche (Erfüllung) b) Sekundäransprüche aus Leistungsstörungen, insb. - Gewährleistung, 437 Nr. 1-3 bzw. 634 Nr.1-4 i.v.m. 280 ff., 323 ff. BGB - Unmöglichkeit oder Verzug, 311a II 1; 280 I, II, 286; 280 I, III, 281; 280 I, III, 283 BGB; Rücktritt, 323, pvv, 280 I, 241 II; Rücktritt Vertragsähnliche Ansprüche z.b. Verschulden bei Vertragsschluss, 280 I, 311 II BGB 3. Ansprüche aus GoA Insb. 683 S.1 i.v.m. 670; 681 S.2 i.v.m. 667; 678 BGB 4. Dingliche Ansprüche z.b.: 894, 985, 989, 1004 BGB. 5. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung z.b.: 812 I 1, Var. 1, 816 I 1 BGB. 6. Ansprüche aus unerlaubter Handlung z.b.: 823 I, 831, 833 BGB. 6
7 4. Die äußere Form Die Gliederung der Arbeit sollte auch äußerlich durch Absätze und Überschriften sichtbar gemacht werden. Außerdem sollte der Verfasser bemüht sein, klar, knapp und verständlich zu schreiben. Alle Rechtsnormen sind vollständig zu zitieren (Paragraph oder Artikel, Absatz, (Halb-)Satz, Ziffer/Alternative)! 7
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