Spastische Pelvipathie. Dr. Tanja Hülder Leitende Ärztin Frauenklinik Interdisziplinäres Beckenbodenzentrum

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Transkript:

Spastische Pelvipathie Dr. Tanja Hülder Leitende Ärztin Frauenklinik Interdisziplinäres Beckenbodenzentrum

Synonyma Spastische Pelvipathie Myofasziales Beckenschmerzsyndrom (MPPS) Hypertone Beckenbodenmuskulatur Whs. Teil des gleichen Problems: Levator ani-syndrom Piriformis-Syndrom Coccygodynie Proctalgia fugax 2

Definitionen MPPS TP Beckenschmerz, assoziiert mit verkürzten, verhärteten, schmerzhaften BeBoMuskeln, die meist Triggerpunkte enthalten hyperirritable, palpable Knötchen, die auf Kompression schmerzhaft sind und sensorische, motorische und autonome Symptome hervorrufen können; spontan oder auf Stimulation schmerzhaft; können Sz in Vagina, Vulva, Perineum, Rectum, Blase, Oberschenkel, Gesäss und Unterbauch auslösen 3

Agenda Fallpräsentation Symptome Epidemiologie Pathogenese Diagnostik Therapieansätze Fallpräsentation 4

Fallpräsentation Frau K. 5

Frau K., 56 J., G0 P0 Zuweisung 6/16 ins BBZ bei V.a. Pelvic Pain Syndrome Beschwerden: 2013 DH L3/4, etwa zeitgleich Leisten-Sz & Sz beim Sitzen Oberschenkelinnenseite; zunehmende OAB (dry), RH-Gefühl Beschwerden: volle Blase Beschwerden: Liegen, Laufen Beschwerden: GV, Defäkation Vorabklärungen durch Zuweiser: Urologisches & neurologisches Konsil, MRI (wegen Ut my 3/14 hysterektomiert) 6

Symptome 7

Symptome Sz in Vulva, Vagina, Blase oder Rectum Sz in Gesäss, Oberschenkel, Hüften oder Abdomen Sz beim GV Sz bei der gynäkologischen Untersuchung Sz beim Sitzen Unmöglichkeit, Tampons zu benutzen Defäkationsstörungen Miktionsstörungen Irritative Symptome (Urgency, Pollakisurie, Dysurie, vulväres oder vaginales Brennen/Jucken) ohne Erregernachweis Positions-/bewegungsabhängige Schmerzintensität 8

Epidemiologie 9

Epidemiologie Prävalenz in Allgemeinbevölkerung unbekannt 13% in Pat. mit chronischem Beckenschmerz Bedaiwy et al. 2013, retrospektive Studie mit 1100 Pat 10

Pathogenese 11

Pathogenese Theorie(n): neuromusculäres (Mikro-)Trauma metabolisches Ungleichgewicht im peripheren Gewebe Schmerzzentralisation Kombination dieser Prozesse Praxis: Geburt Missbrauch Unfall Operationen Infektionen im Becken unklar 12

Pathogenese Beckenboden anfällig für MPPS, weil: Unterschiedliche Aktivitäten/Aufgaben des BeBo mit muskuloskelettalem Support des Oberkörpers und der unteren Extremität sowie Kontrolle von Blase, Darm und sexueller Funktion BeBo-Muskeln müssen sich exzentrisch ausdehnen und verkürzen BeBo anfällig für physiologischen und psychologischen Stress 13

Pathogenese Muskeln mit Triggerpunkten werden über die Zeit schwach, verhärtet und verkürzt Affektion umgebender Muskulatur (gluteal, abdominal, Oberschenkel) Kontraktion und weitere Triggerpunkte in Muskeln ausserhalb des BeBo Assoziation mit anderen Schmerzsyndromen Painful Bladder Syndrome, Endometriose, Vestibulodynie, generalisierte Vulvodynie, Dysmenorrhoe, Dyspareunie 14

Diagnostik 15

Diagnostik Anamnese 16

Diagnostik Körperliche Untersuchung: Externe Untersuchung: M. rectus abdominis, suprapubisch/blasenkompression, Narbenmanipulation Beckenuntersuchung: Vulvainspektion bei Pressen und Kneifen Analreflex vorhanden? Spekulum: Atrophie? Infektion? Bimanuell: Pathologie Uterus, Blase, Adnexe? Beckenbodenmuskulatur: Von vaginal: M. obturator int., M. iliococcygeus, Levator ani-gruppe, Urethrasphincter, M. pubococcygeus/puborectalis Von rectal: Analsphinkter, Steissbein Ausstrahlungen? 17

Beckenbodenmuskulatur 18

Diagnostik Körperhaltung, Gang, Beweglichkeit Labor Keine spezifischen Veränderungen Bildgebung Allenfalls zum Ausschluss viszeraler Gründe für Schmerzgenese i.d.r. genügt transvaginaler Ultraschall 19

Therapieansätze 20

Therapieansätze Beckenbodentherapie: Manuelle Triggerpunktbehandlung vaginal/ rectal/ abdominal DryNeedling Cave: NICHT muskelkräftigende BeBoTherapie! Elektrostimulation, beruhigend TP-Infiltrationen Glukokortikoid+Lokalanästhetikum Bupivacain Botox Medikation: NSAR, Gabapentin/Pregabalin, Benzodiazepine/trizyklische Antidepressiva, Muskelrelaxantien (Akupunktur) 21

Fallpräsentation Frau K. 22

Frau K., 56 J., G0 P0 6/16 gyn. Untersuchung & Urodynamik: Minime Zelen, Levatortonus (li>re), Druckschmerz M. levator ani li, M. sphincter ani, Leistenband bds, Genitofemoralfalte bds, M. bulbocavernosus bds Erniedrigter Flow, hypersensitive Blase, Detrusorinstabilität ohne UV Weitere Diagnostik: Proktologisches Konsil: Vorschlag Muskelrelaxantien, Botox 23

Frau K. Massnahmen im Verlauf: Start Betmiga 25mg, später 50mg Physiotherapie mit TP-Behandlung und DryNeedling Osteopathie Infiltration Kenacort/Lidocain, Botox bisher abgelehnt Outcome: Imperativer Harndrang, Pollakisurie Sz Bauchwand/Leisten M. levator ani li nach 2 Infiltrationen viel weicher, kontrahiert sich im Verlauf wieder; während Infiltration sofortige Sz-Reaktion der Patientin mit anschliessender Sz-Freiheit und Muskelrelaxation Procedere: Ausschluss Fibromyalgie, weitere Infiltrationen, ggf. Botox 24

Fallpräsentation Frau M. 25

Frau M., 73 J., G4 P4 Defäkationsstörung nach vaginaler Netzeinlage 11/15 DS Levator ani-ansatz MR-Defäkographie ohne Nachweis funktioneller Enge Therapie: Physio, TP, ES Botox 10/16 Outcome: post injectionem ungestörte Defäkation, im Verlauf wieder etwas Verschlechterung 1/17 unter Laxantien zufrieden, keine TP im BeBo mehr 26

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 27