Wi ntersemester 2006/07 Zusammenfassung zur Vorlesung: "Soziales Handel n" PD Dr. habi l. Udo Thiedeke Handl ungsrational ität als Nutzen 30. 1 1.06
1 Vorlesung: "Soziales Handel n" Handl ungsrational ität als Nutzen 30. 1 1.06 Programm: 1 ) Vorbemerkung 2) Der uti l itaristische Behaviorismus 3) Soziale Beziehungen als Austauschbeziehungen 4) Zusammenfassung - Bei Webers idealen Handlungstypen war aufgefal len, dass traditionales Handel n sehr nahe an gewohnheitsmäßiges Verhalten anschl ießt (was nach Weber kei n "soziales Handel n" ist) und sich affektuel les Handel n, aufgrund sei ner i mpulsiven Erscheinungsweise, nur schlecht kausal beobachten lässt. - Wert-, vor al lem aber zweckrationale Orientierungen der Handel nden lassen sich hi ngegen am besten kausal nachvol lziehen, d. h., soziologisch 'verstehen'. - Vor diesem Hi ntergrund l iegt es nahe, zu behaupten, Webers Konzept des sozialen Handel ns diene vornehml ich als Ausgangspunkt für ei n rationales Handlungsverständnis, wobei sich die Zweckrational ität, wegen der ei ndeutigen Zweck-Mittel-Abwägung besonders gut kausal nachvol lziehen lässt. - Sieht man sich unter diesen Voraussetzungen die Mittelwahl und Zweckperspektive der Handel nden (Akteure) genauer an, so stel lt sich dieser Zusammenhang als ' Entscheidungsproblem' dar. Die Akteure können z. B. verschiedene Mittel wählen, um i hre Ziele, bzw. Zwecke zu erreichen. - Auf dieser Grundlage bauen "entscheidungstheoretische" Handlungstheorien auf. - Diese Theorien, die ei ne ganze 'Theoriefami l ie' darstel len, werden heute unter dem Oberbegriff "Rational-Choice-Theorie" (Theorie der rationalen Wahl, auch kurz RC- Theorie) zusammengefasst. Sie werden oft i n den Wi rtschaftswissenschaften herangezogen, haben aber auch in den Sozialwissenschaften, wie in Soziologie und Politi kwissenschaft ei nige Bedeutung. - Je nach Entscheidungsperspektive, die den Akteuren zugeschrieben wi rd, kann man grob drei Hauptrichtungen der RC-Theorie unterscheiden: So legen ' Grenznutzentheorien' ei ne vol lständige Entscheidungsgewissheit der Akteure zu grunde, 'Werterwartungstheorien' gehen von ei ngeschränkten Entscheidungsi nformationen aus und ' Spieltheorien' formal isieren Erwartungen strategischer Rational ität. - Gemei nsam ist al len entscheidungstheoretischen Ansätzen, dass sie i mmer nach der vernuftgemäßen Nutzenabwägung des handel nden Akteurs fragen. - Der Akteur schätzt also nicht nur ab, was das beste Mittel zum Erreichen des Zwecks darstellt, vielmehr kalkuliert er, was es ihm ' bringt' (Gewinn) oder was es ihn ' kostet' (Verlust) besti mmte Mittel ei nzusetzen.
2 - Der Vortei l dieser Beobachtungsperspektive sozialen Handel ns schei nt i n der nachvol lziehbaren Orientierung der Akteure (diese wol len etwas haben) und i hres Handelns (sie versuchen ihre Zwecke optimal zu verwirklichen und dabei Widerständen aus dem Weg zu gehen) zu liegen. - Es schei nt jetzt mögl ich soziales Handel n nicht nur zu 'verstehen', sondern sogar (formal) zu ' erklären'. - I n die entscheidungstheoretischen Ansätzen si nd hierbei zwei neue Vorannahmen zum sozialen Handel n ei ngegangen: a) Akteure handeln rational, in dem sie ihren Vorteil zu erhalten oder zu mehren suchen; b) Akteure si nd zu diesem Handel n dadurch motiviert, dass sie etwas dafür erhalten, bzw. wei l sie persönl ich dadurch befriedigt werden. - Die erste Vorannahme gründet i n der Phi losophie des sog. Uti l itasrismus, die zweite Vorannahme wi rd vom psychologischen Behaviorismus gestützt. - Der Utilitarismus leitet sich aus dem lateinischen Wort "Utilitas" ab, was soviel wie "Nutzen/Vortei l " bedeutet. Es handelt sich hier i m wesentl ichen um ei ne angelsächsische phi losophische Strömung, die sich zuerst i n England, dann i n den USA entwicl kelte und vebreitete. - Grundsätzl iche Ideen zur uti l itaristischen Theorie des Handel ns und der Moral l ieferte der engl. Philosoph Jeremy Bentham (1 748-1 832). [Zur Übersicht siehe Folie 1 ] - Verbreitet wurde die Theorie u.a. von John Stuart Mill (1 806-1 873) in seinem Text "Utilitarism" (1 863), wobei er, von Bentham ausgehend, betont, dass es immer die Freiheit von Schmerz und der Gewinn von Lust ist, der das abwägende Handeln des Menschen besti mmt und dass ei ne ' gute' gesel lschaftl iche Ordnung dieses Streben nach Glück (pursuit of hapi ness) ermögl icht. - Ökonomisch abgestützt wurde der Utilitarismus von Adam Smith (1 723-1 790) und David Ricardo (1 772-1 823), die in ihren Arbeiten zeigen wollten, dass Märkte durch I ndividuen entstehen, die unterei nander um den besten Nutzen konkurrieren. - Im Utilitarismus wird das Streben nach Glück als eine Art anthropologische Konstante eingeführt - es liegt demnach in 'der Natur' des Menschen sich so zu verhalten. - Es verwundert daher nicht, dass der Utilitarismus vor allem im 20. Jhr. Anschluss an die Psychologie des Behaviori mus gewi nnt. - Beim Behaivorismus handelt es sich um einen in den USA von Broadus Watson (1 878 1 958) ausgearbeiteten sozial psychologische Ansatz, der das Verhalten von Tieren und Menschen gleichsetzt und streng nach ei nem Reiz-Reaktions-Schema (auch: "Sti mulus-response-" oder "S-R-Approach" genannt) i nterpretiert. - Ei n disti nkter Reiz (Sti mulus) löst demnach ei ne reflexartige Reaktion oder 'Antwort' (Response) bei m gereizten Organismus aus, die sich durch Reize, die für den Organismus angenehme oder unangenehme si nd, verstärken oder abschwächen (konditionieren) lassen. [Siehe zu den Annahmen des Behaivorismus Fol ie 2] - Hierauf baut Burrhus Frederic Skinner (1 904-1 990) eine empirisch experimentelle Lern- und Verhaltenstheorie auf.
3 - In einer Verschmelzung von Utilitarismus und Behaviorismus zum ' utilitaristischen Behaviorismus, entwi rft George Caspar Homans (1 91 0-1 989) ei ne soziologische Verhaltenstheorie. Er legt soziales Handel n hier gleichsam 'tiefer', um Anschluss an die elementaren Rational isierungsprozesse und Grundorientierungen jedes sozialen Handelns zu gewinnen. [Zu den Postulaten der Theorie siehe Folie 3] - Jedes soziale Handel n ist demnach von den nutzenmaxi mierenden Zweckabwägungen der Handel nden besti mmt. Und jede soziale Beziehungsform lässt sich auf das i ndividuel le Verhalten egoistischer Akteure zurückführen. - Soziale Beziehungen somitr Tauschbeziehungen, i n denen materiel le und i mmateriel le ' Güter' getauscht werden, die je nach Charakter des Gutes als Belohnung (Gewi nn) oder Verlust (Kosten) empfunden werden. Die Tauschenden versuchen dabei Belohnungen zu vermehren und Verluste zu vermi ndern. Soziale Beziehungen nehmen also die Form ei ner Belohnungskonkurrenz an. Kooperativ verhalten sich die Akteure nur, wenn sie kalkulieren können, dass ihr ' persönlicher' Gewinn aus dem gemei nsamen Handekn höher ausfäl lt, als bei rei n i ndividual istischem Handel n. - Soziale I nstitutionen und Formationen werden so stri kt i ndividual istisch erklärt (methodologischer Individualismus). Die sozialen Verhaltensvorhersagen erklären sich aus dem i ndividuel len Verhalten gemäß von fünf Standardhypothesen des Verhaltens. [Siehe zu den Standardhypothesen Fol ie 4] - Die entscheidungstheoretischen Ansätze der RC-Theorie, besonders aber der behavioristische Uti l itarismus der soziologischen Verhaltenstheorie und der darauf aufbauenden sozialen Austauschtheorie, werfen aber ei nige kritische Fragen auf. - So werden soziale Emergenzen (zufäl l ige Verhaltens- und Strukturänderungen) systematisch ebenso unterschätzt (auffal lend ist hier die Tendenz zu ökonomischen Beispielen mit Knappheitskonkurrenz), wie die regulatorischen Ei nflüsse von Ritualen, Traditionen oder Normen. - Besonders abweichendes Verhalten wi rd soweit i ndividual isiert, dass es soziologisch kaum mehr vorhersagbar ist. Generel l werden Vorhersagen über Verhalten schwierig, wenn letztl ich jedes Verhalten als nutzenmaxi mierend angesehen wi rd. - Als Kardi nal problem solch 'superi ndividual istischer' Theorieansätze sozialen Handel ns (und Verhaltens) erweist sich aber das Problem, wie Sozial ität überhaupt mögl ich sei n kann, wenn al le Akteure nur unter i ndividuel len, egoistischen Gesichtspunkten entscheiden? Hier stel lt sich also i n al ler Schärfe das sog. Mi kro-/makroproblem. Literatur: George Caspar Homans, 1 968: Elementarformen sozialen Verhaltens. Opladen. S. 47-67. (1 961 ) John Stuart Mill, 1 992: Utilitarism, in: Ders. : On Liberty and Utilitarism. New York. S. 1 1 3-1 72. (1 863) Burrhus Frederic Ski nner, 1 874: About behaviorism. New York Broadus Watson, 1 925: Behaviorism. New York.
Vorlesung: "Soziales Handel n" Handl ungsrational ität als Nutzen Fol ie 1 Annahmen zum "sozialen Handeln" in der Philosophie des Utilitarismus (Jeremy Bentham u. a.) 1 ) Menschen handeln immer, um Schmerz auszuweichen und Lust zu erlangen. 2) Menschen wollen ihre Lust / ihren Nutzen mehren. 3) Moralisch 'gut' ist ein Handeln, das den Nutzen mehrt und das Glück steigert. 4) Ethisch ist ein Handeln dann, wenn es das Glück möglichst vieler Menschen vermehrt.
Vorlesung: "Soziales Handel n" Handl ungsrational ität als Nutzen Fol ie 2 Annahmen zum Verhalten i n der Psychologie des Behaviorismus (Broadus Watson u.a.) 1 ) Empirisch beobachtbar ist bei Tieren und Menschen nur das äußere Verhalten. 2) Nur was empi risch beobachtbar ist, kann wissenschaftl ich nachgewiesen werden. 3) Verhalten entwickelt sich als Reflex (Reaktion) auf ei nen Reiz (Reiz-Reaktionsschema, auch: Sti mulus-response-schema). 4) Verhaltensstrukturen werden dem Organismus erst durch Belohnung (Erfolg) oder Bestrafung (Misserfolg) aufgeprägt (Konditionierung). 5) Menschen und Tiere lernen am Erfolg oder Misserfolg i hres Verhaltens.
Vorlesung: "Soziales Handel n" Handl ungsrational ität als Nutzen Fol ie 3 Annahmen der soziologischen Verhaltenstheorie (George Caspar Homans u.a.) 1 ) Menschen verhalten sich in der Regel so, dass Bestrafung minimiert und Belohnung maxi miert wi rd. 2) Menschen und Tiere verhalten sich i n vergleichbaren Situationen nach gleichen Verhaltensmustern. 3) Menschen und Tiere reagieren reflexartig auf ei nen dargebotenen Reiz. 4) Erfahrungen mit Reizen werden gelernt. 5) Soziologie ist ei ne i ndvidual istische Verhaltenstheorie (-> methodologischer I ndividual ismus).
Vorlesung: "Soziales Handel n" Handl ungsrational ität als Nutzen Fol ie 4 Hypothesen der soziologischen Austauschtheorie (George Caspar Homans) 1 ) Erfolgshypothese: Aktivitäten werden umso wahrschei nl icher, je mehr die Handel nden belohnt werden. 2) Reizhypothese: Haben besti mmte Reize ei ne belohnte Aktivität begleitet, dann werden die Handelnden bei ähnlichen Reizen diese oder eine ähnl iche Aktivität ausüben. 3) Werthypothese: Je wertvol ler die empfundene Belohnung ist, desto eher wird eine Aktivität von Handelnden ausgeführt. 4) Entbehrungs-/Sättigungshypothese: Blei ben Belohnungen aus, dann wi rd ei n darauf bezogenes Verhalten gehemmt. Wiederhol ungen ei ner besti mmten Belohnung entwerten diese Belohnung. 5) Frustrations-/Aggressionshypothese: Wi rd ei ne Aktivität nicht wie erwartet belohnt oder überraschend bestraft, dann reagieren die enttäuschten Handel nden aggressiv und versuchen sich durch die Ergebnisse des aggressiven Verhaltens zu belohnen. nach: George Caspar Homans, 1 968: Elementarformen sozialen Verhaltens. Opladen. S. 47-67. (1 961 )