Studienvereinigung Kartellrecht Semesteraussprache Die Selbstanzeige nach schweizerischem Recht Ausgewählte Aspekte 11. Mai 2015 Dr. Marcel Meinhardt
Übersicht der angesprochenen Punkte Teil I Einleitung Teil II Beschwerde/Schuldeingeständnis bei Selbstanzeigen Teil III Beweismass bei Vorliegen einer Selbstanzeige Teil IV Was man sonst noch so erlebt 2
Teil I Einleitung Rechtsgrundlagen Art. 49a Abs. 2 KG: «Wenn das Unternehmen an der Aufdeckung und der Beseitigung der Wettbewerbsbeschränkung mitwirkt, kann auf eine Belastung ganz oder teilweise verzichtet werden.» Konkretisierung in der «Verordnung über die Sanktionen bei unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen» (SVKG) Gänzlicher Erlass der Sanktion (Art. 8 11 SVKG) Teilweiser Erlass der Sanktion (Art. 12 14 SVKG) 3
Teil I Einleitung Übersicht über die Kooperationsarten Eröffnungskooperation (Art. 8 Abs. 1 Bst. a. SVKG) Feststellungskooperation (Art. 8 Abs. 1 Bst. b. SVKG) Ermöglichung der Eröffnung einer Untersuchung durch die Bonusmeldung Nach Eröffnung einer Untersuchung oder Vorabklärung; Ermöglichung der Feststellung eines Wettbewerbverstosses nach Art. 5 Abs. 3 oder 4 KG durch die Bonusmeldung 4
Teil II Beschwerde/Schuldeingeständnis bei Selbstanzeigen Preisabsprachen über Mindestmargen durch Händler von Fenster- und Fenstertürbeschlägen 10. 06. 2007: 1. Selbstanzeige von Roto Frank AG 16. 06. 2007: HD und Untersuchungseröffnung 06. 09. 2007: 2. Selbstanzeige (Amnesty Plus) durch SFS unimarket AG 08. 10. 2007: 3. Selbstanzeige durch Paul Koch AG 14. 07. 2010: Antrag Sekretariat 20. 09. 2010: Anhörung der Partei vor der WEKO 18. 10. 2010: Sanktionsverfügung durch WEKO 5
Teil II Beschwerde/Schuldeingeständnis bei Selbstanzeigen Beschwerde gegen Sanktionsverfügung in Untersuchung «Baubeschläge für Fenster und Fenstertüren» durch zwei Selbstanzeiger, wegen u.a.: Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes Bestreiten des Vorliegens einer Abrede nach Art. 4 Abs. 1 KG Entscheide des Bundesverwaltungsgericht i.s. BVGer B-8430/2010, Paul Koch; und BVGer B-8404/2010, SFS unimarket AG 6
Teil II Beschwerde/Schuldeingeständnis bei Selbstanzeigen Standpunkt der Vorinstanz: Keine Beschwerdemöglichkeit (1/4) Widersprüchliches Verhalten; venire contra factum proprium Wortlaut von Art. 49a Abs. 2 KG Anzeige der Beteiligung an Abrede durch Selbstanzeiger Beurteilung des Vorliegens einer Abrede stellt Sachverhaltsabklärung dar 7
Teil II Beschwerde/Schuldeingeständnis bei Selbstanzeigen Standpunkt der Vorinstanz: Keine Beschwerdemöglichkeit (2/4) Ergebnis: Bestreiten des Vorliegens einer Abrede nach Einreichung einer Selbstanzeige stellt nachträglichen Rückzug der Selbstanzeige dar Sanktionsreduktion soll mangels Selbstanzeige wegfallen 8
Teil II Beschwerde/Schuldeingeständnis bei Selbstanzeigen Standpunkt der Vorinstanz: Keine Beschwerdemöglichkeit (3/4) WEKO in Ascopa und anderen Verfahren «Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 SVKG, «[ ] seine Beteiligung an einer Wettbewerbsbeschränkung [ ] anzeigt.» Dies bedingt, dass die Parteien zumindest annehmen, an einer unzulässigen und sanktionierbaren Wettbewerbsbeschränkung beteiligt gewesen zu sein. Die Selbstanzeige ist daher vergleichbar mit einem Geständnis in einem Strafverfahren. In beiden Fällen wird die Beteiligung an einem Sachverhalt zugegeben, von dem der Geständige bzw. Selbstanzeiger annimmt, dass er nicht gesetzeskonform ist.» (RPW 2011/4, 529ff. Rz. 326.) «Zwar muss die Selbstanzeige keine (materiell-)rechtliche Beurteilung enthalten, es muss aber zumindest die Beteiligung an einer Abrede gemäss Art. 4 Abs. 1 KG angezeigt werden (was noch nichts über deren Unzulässigkeit aussagt). Im Prinzip ist von einem selbstanzeigenden Unternehmen zudem zu verlangen, dass es in der Lage ist zu beurteilen, ob und wie sich die Abrede im Markt ausgewirkt hat, d.h. es hat auch die Marktwirkungen einzugestehen.» 9
Teil II Beschwerde/Schuldeingeständnis bei Selbstanzeigen Standpunkt der Vorinstanz: Keine Beschwerdemöglichkeit (4/4) Merkblatt Bonusregelung des Sekretariats der WEKO «Ein Unternehmen, welches einen vollständigen Erlass der Sanktionen anstrebt, hat den Wettbewerbsbehörden als Erstes seine Beteiligung an einer Wettbewerbsbeschränkung anzuzeigen (Art. 8 SVKG). Hierbei hat es darzulegen, inwiefern es mit anderen Unternehmen an Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt ist, welche eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken (Art. 4 Abs. 1 KG). Insbesondere ist auszuführen, was mit der Wettbewerbsbeschränkung bezweckt war und welche Auswirkungen diese auf dem Markt gezeigt hat.» (Merkblatt Bonusregelung [Selbstanzeige] des Sekretariats der WEKO, Ziff. 6) 10
Teil II Beschwerde/Schuldeingeständnis bei Selbstanzeigen Standpunkt der Beschwerdeführer: Beschwerdemöglichkeit Kein venire contra factum proprium Voraussetzungen der Sanktionsreduktion auch bei Beschwerde noch erfüllt Anzeigen einer Abredebeteiligung ist nicht Tatbestandsmerkmal Sanktionsentzug bei Beschwerde verhindert effektiven gerichtlichen Rechtsschutz Rechtsvergleichung 11
Teil II Beschwerde/Schuldeingeständnis bei Selbstanzeigen Würdigung des Bundesverwaltungsgerichts Beschwerde stellt kein widersprüchliches Verhalten dar Rechtliche Würdigung ist nicht Gegenstand der Sachverhaltsdarstellung in der Selbstanzeige Kooperationsbereitschaft darf nicht per se als Schuldeingeständnis gewertet werden «Mitwirken im Sinne von Art. 49a Abs. 2 KG darf daher nicht ausschliessen, dass zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens eine divergierende Rechtsauffassung vertreten wird.» Zulässigkeit der Beschwerde gegen die rechtliche Bewertung des Sachverhaltes in einer Sanktionsverfügung 12
Teil III Beweismass bei Vorliegen einer Selbstanzeige Neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: BVGer B-8399/2010 Siegenia-Aubi AG; BVGer B-8430/2010, Paul Koch; BVGer B-8404/2010, SFS unimarket AG Darf das Beweismass aus prozessökonomischen Gründen herabgesetzt werden? Gilt der Untersuchungsgrundsatz in vollen Umfang bei Vorliegen einer Selbstanzeige? Welchen Beweiswert haben die Aussagen über belastete Dritte, welche die Aussagen bestreiten? 13
Teil III Beweismass bei Vorliegen einer Selbstanzeige Probleme im Zusammenhang mit Beweismitteln aus einer Selbstanzeige Verlässlichkeit des Informationsgehalts ist zweifelhaft Gefahr falscher oder überzogener Informationen durch Selbstanzeiger Interesse des Selbstanzeigers möglichst hohe Sanktionsreduktion Schädigung seiner Wettbewerber 14
Teil III Beweismass bei Vorliegen einer Selbstanzeige Gründe gegen eine Beweismassreduktion Rechtsvergleichung: Keine Praxis der Reduktion Schwierigkeit der Abgrenzung im Einzelfall: Wann ist eine Reduktion angebracht? Verletzung der Unschuldsvermutung Verhinderung der Ausübung der vollen Kognition Entscheidung bildet Grundlage für privatrechtliche Klagen aufgrund des Kartellrechts Verunmöglichung der Feststellung der einzelnen Tatbeiträge und der daraus resultierenden Sanktionsfestsetzung 15
Teil III Beweismass bei Vorliegen einer Selbstanzeige Ergebnis Keine Beweismassreduktion Volle Geltung des Untersuchungsgrundsatzes Beschuldigungen des Selbstanzeigers sind bei Bestreitung durch Beschuldigten, weder «massgebender» noch «ausreichender» Beweis für Wettbewerbsverstoss, Behauptungen des Selbstanzeigers stets mit weiteren Beweismitteln «untermauern» und «ergänzen» 16
Teil IV Was man sonst noch so erlebt Marker und Selbstanzeige Welche Formen sind zulässig? Der «sanfte Druck» im Rahmen der HD Das lange Warten des Selbstanzeigers Marker 20. September 2013 Bestätigung 17. November 2014 Amnesty Plus «formelles» Plus? Was braucht es verfahrensmässig für das Plus? Problem: Sehr weiter Untersuchungsgegenstand 17
Studienvereinigung Kartellrecht Semesteraussprache Die Selbstanzeige nach schweizerischem Recht Ausgewählte Aspekte 11. Mai 2015 Dr. Marcel Meinhardt